8. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und A. (Beschwerde in Strafsachen) | |
6B_1005/2009 vom 18. Februar 2010 | |
Regeste | |
Art. 15 StGB; Notwehr; angemessene Abwehr mit einem Messer.
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Im Laufe einer verbalen Auseinandersetzung wurde der Beschwerdeführer von A. und von einer weiteren Person tätlich angegangen. Anlass hierzu bildete offenbar eine abfällige Bemerkung des Beschwerdeführers über Kurden. A., welcher selber nicht kurdischstämmig ist, nahm diese Bemerkung zum Anlass, den Beschwerdeführer unvermittelt tätlich anzugreifen. A. und eine weitere Person gingen mit Fusstritten und Faustschlägen gegen den Beschwerdeführer vor. Ein Faustschlag traf dessen Gesicht. Der Beschwerdeführer behändigte in der Folge sein Taschenmesser (Klingenlänge ca. 7 cm) und versetzte A. zuerst einen Stich gegen die Kniekehle, wodurch eine ungefähr 4 cm tiefe Stichwunde entstand. Der Beschwerdeführer, welcher gewärtigen musste, weitere Schläge und Tritte einzustecken, drohte dem Geschädigten an, er werde sterben, wenn er weitermache. Als der Angriff fortdauerte, versetzte der Beschwerdeführer A. einen Stich in die Flanke (und in die Schulter). Keine der von A. davongetragenen Verletzungen war lebensgefährlich, der zur Wirbelsäule hin gerichtete wuchtige Stich in die Flanke (8 cm tiefe Stichwunde) hätte allerdings bei einem geringfügig abweichenden Stichwinkel lebenswichtige Organe treffen können.
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Die Vorinstanz würdigt das Vorgehen des Beschwerdeführers in rechtlicher Hinsicht als eventualvorsätzliche versuchte schwere Körperverletzung. Sie geht dabei zwar grundsätzlich von einer Notwehrsituation aus, erachtet aber den Messereinsatz an sich, ganz sicher aber den tiefen Stich in die Flanke des Angreifers als unverhältnismässig. Denn es sei unmöglich, einen solchen Stich auszuführen, ohne gravierende, allenfalls sogar lebensgefährliche Verletzungen zu riskieren. Bezeichnenderweise habe der Beschwerdeführer selber keine ernsthaften Verletzungen erlitten. Die von ihm vorgetragenen Vorfälle, in denen Faustschläge und Fusstritte zu schwersten und mitunter gar tödlichen Verletzungen führten, seien Ausnahmefälle. Sie berechtigten nicht dazu, bei jeder Schlägerei davon auszugehen, das Leben des Angegriffenen sei in Gefahr. Mit seiner Abwehr habe der Beschwerdeführer deshalb die Grenzen der erlaubten Notwehr bei weitem überschritten. Der massive Notwehrexzess sei auch nicht ![]() ![]() | |
Erwägung 3 | |
3.2 Nach der Rechtsprechung muss die Abwehr in einer Notwehrsituation nach der Gesamtheit der Umstände als verhältnismässig erscheinen. Eine Rolle spielen vor allem die Schwere des Angriffs, die durch den Angriff und die Abwehr bedrohten Rechtsgüter, die Art des Abwehrmittels und dessen tatsächliche Verwendung (BGE 102 IV 65 E. 2a mit Hinweisen, insb. BGE 79 IV 148 E. 1). Die Angemessenheit der Abwehr ist aufgrund jener Situation zu beurteilen, in der sich der rechtswidrig Angegriffene im Zeitpunkt seiner Tat befand. Es dürfen nicht nachträglich allzu subtile Überlegungen darüber angestellt werden, ob der Angegriffene sich nicht allenfalls auch mit anderen, weniger einschneidenden Massnahmen hätte begnügen ![]() ![]() | |
Erwägung 4 | |
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen wurde der Beschwerdeführer von zwei Personen angegriffen. Er war mithin zahlenmässig und körperlich einer Angriffsübermacht ausgesetzt. Die Angreifer traten ihn mit den Füssen und schlugen ihn mit den Fäusten. Ein ![]() ![]() | |
Allerdings war der Beschwerdeführer beim Einsatz des Messers zu besonderer Zurückhaltung verpflichtet. Ein solcher kann grundsätzlich nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. Der Angegriffene ist deshalb an sich gehalten, den Gebrauch des Messers zunächst anzudrohen bzw. den Angreifer zu warnen. Der Beschwerdeführer tat das zwar nicht, er stach vielmehr unvermittelt zu. Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich aber, dass der Beschwerdeführer vor einer gefährlichen Verwendung des Messers einen schonenderen bzw. milderen Einsatz desselben zur Erreichung des Abwehrerfolgs versuchte, indem er dem Angreifer nachweislich zunächst "lediglich" einen Stich gegen das Knie versetzte. Mit diesem ersten Stich verband er zudem die Drohung, der Geschädigte werde jetzt sterben, ![]() ![]() | |
Anzumerken bleibt, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im vorliegenden Fall nicht mit denjenigen vergleichen lassen, die BGE 102 IV 228 oder BGE 109 IV 5 zugrunde liegen. In den genannten Entscheiden, in welchen auf Notwehrexzess erkannt wurde, stand der Angegriffene - anders als hier - jeweils nur einem Angreifer gegenüber und wehrte er die Schläge und Fusstritte bzw. die Schläge mit einem Kabel direkt mit einem bzw. mehreren lebensgefährlichen Messerstichen in den Bauch- bzw. den Brustbereich des Angreifenden ab (vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 6B_239/2009 vom 13. Juli 2009 E. 4.4).
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4.3 Die hier zu beurteilende Abwehr erweist sich zusammenfassend als angemessen. Dafür, dass der Beschwerdeführer nicht mit Verteidigungswillen gehandelt haben sollte, bestehen im Übrigen keine Anhaltspunkte. Dass er wegen des grundlosen Angriffs wütend wurde und nach den Feststellungen der Vorinstanz einen gezielten Gegenangriff tätigte, vermag den Verteidigungszweck seiner Handlungen nicht in den Hintergrund zu drängen. Die Verurteilung wegen versuchter schwerer Körperverletzung verletzt demnach Bundesrecht. Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer in diesem Punkt freizusprechen. Mit der Freisprechung wird sie auch die Schadenersatz- und Genugtuungsbegehren des Geschädigten neu zu beurteilen haben. ![]() |