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Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt und die Verfahren der Gemeinschaft
Die nationalen Verfahren und die Vorlagefragen
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Zur zweiten Frage
Kosten
Bearbeitung, zuletzt am 02.08.2022, durch: Michelle Ammann, A. Tschentscher
 
Urteil
 
des Gerichtshofes (Grosse Kammer)
 
vom 12. Februar 2008
 
In der Rechtssache
 
-- C-199/06 --  
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Conseil d'État (Frankreich) mit Entscheidung vom 29. März 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Mai 2006, in dem Verfahren
 
Centre d'exportation du livre français (CELF), Ministre de la Culture et de la Communication
 
gegen
 
Société internationale de diffusion et d'édition (SIDE)
 
erlässt
 
Der Gerichtshof (Große Kammer) unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Lenaerts, G. Arestis, U. Löhmus und L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richter A. Borg Barthet, M. Ilesic, J. Malenovsky, J. Klucka und E. Levits, Generalanwalt: J. Mazak, Kanzler: J. Swedenborg, Verwaltungsrat, aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2007,
 
unter Berücksichtigung der Erklärungen
 
des Centre d'exportation du livre français (CELF), vertreten durch J. Molinié, O. Schmitt, P. Guibert und A. Tabouis, avocats, der Société internationale de diffusion et d'édition (SIDE), vertreten durch N. Coutrelis und V. Giacobbo, avocats, der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und S. Ramet als Bevollmächtigte, der dänischen Regierung, vertreten durch C. Thorning als Bevollmächtigten im Beistand von P. Biering und K. Lundgaard Hansen, advokater, der deutschen Regierung, vertreten durch C. Schulze-Bahr und M. Lumma als Bevollmächtigte, der ungarischen Regierung, vertreten durch J. Fazekas als Bevollmächtigten, der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und P. P. J. van Ginneken als Bevollmächtigte, der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Di Bucci und J.-P. Keppenne als Bevollmächtigte, der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch M. Sanchez Rydelski und B. Alterskjär als Bevollmächtigte,
 
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. Mai 2007 folgendes
 
 
Urteil
 
1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 88 Abs. 3 EG.
2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Centre d'exportation du livre français (CELF) (im Folgenden: CELF) und dem Ministre de la Culture et de la Communication auf der einen und der Société internationale de diffusion et d'édition (SIDE) (im Folgenden: SIDE) auf der anderen Seite wegen dem CELF vom französischen Staat gewährter Beihilfen.
 
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
 
Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt und die Verfahren der Gemeinschaft
 
3. Das CELF, eine genossenschaftliche Aktiengesellschaft, ist als Ausfuhrkommissionär tätig.
4. Die Aufgabe des CELF besteht gemäß seiner Satzung darin, Aufträge über die Lieferung von Büchern, Broschüren und Kommunikationsträgern jeder Art in das Ausland sowie die französischen überseeischen Hoheitsgebiete und Departements unmittelbar auszuführen und allgemein alle Geschäfte zu tätigen, die mit Hilfe dieser Kommunikationsträger insbesondere zur Förderung der französischen Kultur in der Welt beitragen sollen.
5. Das CELF fasst kleinere Bücherbestellungen zusammen und bietet ausländischen Kunden dadurch die Möglichkeit, sich an einen einzigen Ansprechpartner anstatt an eine Vielzahl von Lieferanten zu wenden und zugleich von einem möglichst breiten Angebot zu profitieren. Es führt ungeachtet des Bestellwerts sämtliche von den Beteiligten aufgegebenen Bestellungen aus, selbst wenn diese keinen Gewinn abwerfen.
6. Die Verpflichtungen des CELF wurden in mit dem französischen Ministerium für Kultur und Kommunikation geschlossenen Vereinbarungen bekräftigt.
7. Von 1980 bis 2002 erhielt das CELF vom französischen Staat Betriebsbeihilfen als Ausgleich für die Mehrkosten der Ausführung kleiner Bestellungen durch im Ausland ansässige Buchhändler.
8. Im Laufe des Jahres 1992 fragte die Société internationale de diffusion et d'édition (SIDE), ein Konkurrenzunternehmen des CELF, bei der Kommission an, ob die dem CELF gewährten Beihilfen gemäß Art. 93 Abs. 3 EG-Vertrag (jetzt Art. 88 Abs. 3 EG) angemeldet worden seien.
9. Die Kommission erkundigte sich bei der französischen Regierung und erhielt von ihr Auskünfte über die Maßnahmen zugunsten des CELF.
10. Sie bestätigte SIDE, dass es Beihilfen gebe, und teilte ihr mit, dass die betreffenden Maßnahmen nicht angemeldet worden seien.
11. In ihrer Entscheidung NN 127/92 vom 18. Mai 1993, die im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Juni 1993 unter dem Titel "Beihilfen für Exporteure französischer Bücher" (ABl. C 174, S. 6) veröffentlicht wurde, vertrat die Kommission die Auffassung, dass angesichts der besonderen Wettbewerbssituation im Buchhandel und angesichts des kulturellen Zwecks der fraglichen Beihilfensysteme auf diese Beihilfen die in Art. 92 Abs. 3 Buchst. d EG-Vertrag (jetzt Art. 87 Abs. 3 Buchst. d EG) vorgesehene Ausnahme anzuwenden sei.
12. SIDE erhob gegen diese Entscheidung Nichtigkeitsklage vor dem Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften.
13. Mit Urteil vom 18. September 1995, SIDE/Kommission (T-49/93, Slg. 1995, II-2501), erklärte das Gericht die Entscheidung für nichtig, soweit sie die Beihilfe betraf, die ausschließlich dem CELF gewährt wurde, um die Mehrkosten für die Bearbeitung kleiner Bestellungen französischsprachiger Bücher durch im Ausland ansässige Buchhändler auszugleichen.
14. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die Kommission die Wettbewerbsbedingungen in dem betreffenden Sektor hätte eingehend prüfen müssen, bevor sie sich zur Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt äußerte. Die Kommission hätte daher das kontradiktorische Verfahren nach Art. 93 Abs. 2 EG-Vertrag (jetzt Art. 88 Abs. 2 EG) einleiten müssen.
15. Am 30. Juli 1996 beschloss die Kommission, wegen der fraglichen Beihilfen das förmliche Prüfverfahren einzuleiten.
16. Nach Abschluss ihrer Untersuchung erließ sie die Entscheidung 1999/133/EG vom 10. Juni 1998 über die staatliche Beihilfe zugunsten der Coopérative d'exportation du livre français (CELF) (ABl. L 44, S. 37), mit der sie zum einen feststellte, dass die Beihilfen rechtswidrig seien, da sie ihr nicht mitgeteilt worden seien, und zum anderen die fraglichen Beihilfen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärte, weil sie die Voraussetzungen erfüllten, um unter die Ausnahme nach Art. 92 Abs. 3 Buchst. d EG-Vertrag zu fallen.
17. Gegen diese Entscheidung wurden zwei Nichtigkeitsklagen erhoben.
18. Die erste Klage, die von der Französischen Republik beim Gerichtshof mit der Begründung erhoben wurde, dass die Kommission die Anwendung von Art. 90 Abs. 2 EG-Vertrag (jetzt Art. 86 Abs. 2 EG) ausgeschlossen habe, wies der Gerichtshof mit Urteil vom 22. Juni 2000, Frankreich/Kommission (C-332/98, Slg. 2000, I-4833), ab.
19. Der zweiten Klage, die SIDE vor dem Gericht erhob, wurde mit Urteil vom 28. Februar 2002, SIDE/Kommission (T-155/98, Slg. 2002, II-1179), stattgegeben. Das Gericht hob die Entscheidung der Kommission mit der Begründung, dass in Bezug auf die Bestimmung des Marktes ein offensichtlicher Beurteilungsfehler vorliege, auf, soweit die Beihilfen damit für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt worden waren.
20. Nach dieser Nichtigerklärung erklärte die Kommission die Beihilfen mit ihrer Entscheidung 2005/262/EG vom 20. April 2004 betreffend die Beihilfe, die Frankreich zugunsten der Coopérative d'exportation du livre français (CELF) durchgeführt hatte (ABl. L 85, S. 27), erneut für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar.
21. SIDE focht diese Entscheidung beim Gericht an. Das Verfahren (Rechtssache T-348/04) ist noch anhängig.
Die nationalen Verfahren und die Vorlagefragen
 
22. Neben den Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten wurden Verfahren bei den nationalen Behörden und Gerichten eingeleitet.
23. Nach dem Urteil vom 18. September 1995, SIDE/Kommission, beantragte SIDE beim französischen Ministre de la Culture et de la Communication, die Beihilfe zugunsten des CELF einzustellen und die bereits gezahlten Beihilfen zurückzufordern.
24. Dieser Antrag wurde mit Entscheidung vom 9. Oktober 1996 zurückgewiesen.
25. SIDE erhob gegen diese Entscheidung beim Tribunal administratif de Paris Nichtigkeitsklage.
26. Mit Urteil vom 26. April 2001 hob dieses Gericht die angefochtene Entscheidung auf.
27. Der Ministre de la Culture et de la Communication und das CELF legten gegen dieses Urteil bei der Cour administrative d'appel de Paris Rechtsmittel ein.
28. Mit Urteil vom 5. Oktober 2004 bestätigte die Cour administrative d'appel de Paris das angefochtene Urteil und gab dem französischen Staat unter Androhung eines Zwangsgelds von 1 000 Euro für jeden Tag der Verspätung auf, die Beträge, die an das CELF für die Ausführung kleiner Buchbestellungen ausländischer Buchhändler gezahlt worden waren, binnen drei Monaten nach Zustellung des Urteils beizutreiben.
29. Das CELF und der Ministre de la Culture et de la Communication legten beim Conseil d'Etat Rechtsmittel ein, um dieses Urteil sowie das Urteil des Tribunal administratif de Paris aufheben zu lassen.
30. Mit diesen Rechtsmitteln machen die Kläger insbesondere geltend, dass die Cour administrative d'appel einen Rechtsfehler und einen Fehler bei der rechtlichen Würdigung begangen habe, indem sie nicht für Recht erkannt habe, dass im vorliegenden Fall die Tatsache, dass die Kommission die Beihilfen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt habe, der Verpflichtung zur Rückforderung dieser Beihilfen entgegenstehe, die sich grundsätzlich daraus ergebe, dass die Durchführung der Beihilfemaßnahmen unter Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 EG durch den Mitgliedstaat rechtswidrig sei.
31. Da die Entscheidung des Rechtsstreits nach Ansicht des Conseil d'Etat von einer Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängt, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
    1. Erlaubt es Art. 88 EG einem Staat, dessen Beihilfe für ein Unternehmen rechtswidrig ist, wobei die Rechtswidrigkeit von den Gerichten dieses Staates mit der Begründung festgestellt worden ist, dass die Beihilfe nicht Gegenstand einer vorherigen Anmeldung bei der Kommission nach Maßgabe dieses Art. 88 Abs. 3 war, diese Beihilfe von dem Wirtschaftsteilnehmer, der sie erhalten hat, nicht zurückzufordern, weil die Kommission nach Anrufung durch einen Dritten die Beihilfe für mit den Vorschriften des Gemeinsamen Marktes vereinbar erklärt und damit die ausschließliche Kontrolle, die sie hinsichtlich dieser Vereinbarkeit ausübt, wirksam vorgenommen hat?
    2. Sind, falls diese Rückzahlungspflicht bestätigt wird, bei der Berechnung der Höhe der zu erstattenden Beträge die Zeiträume zu berücksichtigen, in denen die fragliche Beihilfe von der Kommission für mit den Vorschriften des Gemeinsamen Marktes vereinbar erklärt worden ist, bevor diese Entscheidungen vom Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften für nichtig erklärt wurden?
 
Zur ersten Frage
 
32. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht verpflichtet ist, die Rückforderung einer unter Verstoß gegen diese Vorschrift gewährten Beihilfe anzuordnen, wenn die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat, mit der die genannte Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar im Sinne von Art. 87 EG erklärt wird.
33. Art. 88 Abs. 3 Satz 1 EG erlegt den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auf, die Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen betreffende Vorhaben mitzuteilen.
34. Nach Art. 88 Abs. 3 Satz 2 EG leitet die Kommission, wenn sie der Auffassung ist, dass das mitgeteilte Vorhaben mit dem Gemeinsamen Markt nicht vereinbar im Sinne von Art. 87 EG ist, unverzüglich das Verfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG ein.
35. Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG bestimmt, dass der Mitgliedstaat, der eine Beihilfe gewähren will, die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen darf, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat.
36. Das mit dieser Vorschrift erlassene Verbot soll gewährleisten, dass die Wirkungen einer Beihilfe nicht eintreten, bevor die Kommission innerhalb einer angemessenen Frist das Vorhaben im Einzelnen prüfen und gegebenenfalls das in Art. 88 Abs. 2 EG vorgesehene Verfahren einleiten konnte (Urteil vom 14. Februar 1990, Frankreich/Kommission, "Boussac Saint Frères", C-301/87, Slg. 1990, I-307, Randnr. 17).
37. Art. 88 Abs. 3 EG unterwirft somit die beabsichtigte Einführung neuer Beihilfen einer vorbeugenden Prüfung (Urteil vom 11. Dezember 1973, Lorenz, 120/73, Slg. 1973, 1471, Randnr. 2).
38. Während die Kommission verpflichtet ist, die Vereinbarkeit der beabsichtigten Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt selbst dann zu prüfen, wenn der Mitgliedstaat das Verbot der Durchführung der Beihilfemaßnahmen verletzt, schützen die nationalen Gerichte die Rechte der Einzelnen gegen eine mögliche Verletzung des in Art. 88 Abs. 3 EG enthaltenen Verbots durch die staatlichen Stellen nur bis zu einer abschließenden Entscheidung der Kommission (Urteil vom 21. November 1991, Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat national des négociants et transformateurs de saumon, "FNCE", C-354/90, Slg. 1991, I-5505, Randnr. 14). Es geht nämlich darum, die Interessen derjenigen zu schützen, die von der Wettbewerbsverzerrung, die durch die Gewährung der rechtswidrigen Beihilfe hervorgerufen wurde, betroffen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 2006, Transalpine Ölleitung in Österreich u. a., C-368/04, Slg. 2006, I-9957, Randnr. 46).
39. Die nationalen Gerichte müssen grundsätzlich einer Klage auf Rückzahlung von unter Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 EG gezahlten Beihilfen stattgeben (vgl. insbesondere Urteil vom 11. Juli 1996, SFEI u. a., C-39/94, Slg. 1996, I-3547, Randnr. 70).
40. Die abschließende Entscheidung der Kommission hat nämlich nicht die Heilung der unter Verstoß gegen das Verbot dieses Artikels ergangenen und deshalb ungültigen Durchführungsmaßnahmen zur Folge. Jede andere Auslegung würde die Missachtung von Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG durch den betreffenden Mitgliedstaat begünstigen und dieser Vorschrift ihre praktische Wirksamkeit nehmen (Urteil FNCE, Randnr. 16).
41. Die nationalen Gerichte sind also verpflichtet, entsprechend ihrem nationalen Recht aus einer Verletzung von Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG sämtliche Folgerungen sowohl bezüglich der Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch bezüglich der Rückforderung der finanziellen Unterstützungen, die unter Verletzung dieser Bestimmung gewährt wurden, zu ziehen (Urteile FNCE, Randnr. 12, und SFEI u. a., Randnr. 40, sowie Urteile vom 21. Oktober 2003, van Calster u. a., C-261/01 und C-262/01, Slg. 2003, I-12249, Randnr. 64, und Transalpine Ölleitung in Österreich u. a., Randnr. 47).
42. Es können jedoch außergewöhnliche Umstände auftreten, unter denen es nicht sachgerecht wäre, die Rückzahlung der Beihilfe anzuordnen (Urteil SFEI u. a., Randnr. 70).
43. Der Gerichtshof hat in dieser Hinsicht bereits in einem Fall, in dem die Kommission eine abschließende negative Entscheidung erlassen hatte, entschieden, dass nicht auszuschließen ist, dass sich der Empfänger einer rechtswidrigen Beihilfe ausnahmsweise auf Umstände berufen kann, aufgrund deren sein Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit dieser Beihilfe geschützt ist, so dass er sie nicht zurückzuzahlen braucht. In einem solchen Fall ist es Sache des nationalen Gerichts, so es befasst wird, die Umstände zu würdigen und dem Gerichtshof gegebenenfalls Auslegungsfragen vorzulegen (Urteil vom 20. September 1990, Kommission/Deutschland, C-5/89, Slg. 1990, I-3437, Randnr. 16).
44. Was die Kommission angeht, sieht Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. [88 EG] (ABl. L 83, S. 1) ausdrücklich vor, dass sie im Fall von Negativentscheidungen nicht die Rückforderung der Beihilfe verlangt, wenn dies gegen einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts verstoßen würde.
45. In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren, wo ein auf Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG gestützter Antrag geprüft wird, nachdem die Kommission eine positive Entscheidung erlassen hat, muss das nationale Gericht trotz der Feststellung der Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt über die Gültigkeit der Durchführungshandlungen und über die Rückforderung der gewährten Finanzhilfen entscheiden.
46. In einem solchen Fall gebietet das Gemeinschaftsrecht, dass das Gericht diejenigen Maßnahmen ergreift, die geeignet sind, die Auswirkungen der Rechtswidrigkeit wirksam zu beseitigen. Selbst dann, wenn keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, verlangt das Gemeinschaftsrecht von ihm jedoch nicht, die Rückzahlung der gesamten rechtswidrigen Beihilfe anzuordnen.
47. Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG liegt nämlich der Sicherungszweck zugrunde, zu gewährleisten, dass eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe niemals durchgeführt wird. Diese Zielsetzung wird zunächst vorläufig mit Hilfe des von der Kommission verhängten Verbots und sodann endgültig durch deren abschließende Entscheidung erreicht, die, wenn sie negativ ist, einer zukünftigen Einführung der mitgeteilten Beihilfe entgegensteht.
48. Die damit geschaffene Verhütungsregelung ist also darauf gerichtet, dass nur mit dem Gemeinsamen Markt vereinbare Beihilfen durchgeführt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Einführung eines Beihilfevorhabens ausgesetzt, bis die Zweifel an seiner Vereinbarkeit durch die abschließende Entscheidung der Kommission beseitigt sind.
49. Erlässt die Kommission eine positive Entscheidung, erweist sich, dass das in den Randnrn. 47 und 48 des vorliegenden Urteils genannte Ziel durch die vorzeitige Zahlung der Beihilfe nicht in Frage gestellt wurde.
50. In diesem Fall hatte die Rechtswidrigkeit einer solchen Beihilfe aus der Sicht der anderen Wirtschaftsteilnehmer als des Beihilfeempfängers die Wirkung, sie zum einen der -- letztlich nicht eingetretenen -- Gefahr auszusetzen, dass eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe eingeführt wird, und sie zum anderen gegebenenfalls früher den Auswirkungen einer mit dem Gemeinsamen Markt vereinbaren Beihilfe auszusetzen, als sie es unter Wettbewerbsbedingungen hätten hinnehmen müssen.
51. Aus der Sicht des Beihilfeempfängers besteht der nicht gerechtfertigte Vorteil zum einen in der Nichtzahlung von Zinsen, die er auf den Betrag der fraglichen, mit dem Gemeinsamen Markt vereinbaren Beihilfe gezahlt hätte, wenn er sich diesen Betrag bis zum Erlass der Kommissionsentscheidung auf dem Markt hätte leihen müssen, und zum anderen in der Verbesserung seiner Wettbewerbsposition gegenüber den anderen Marktteilnehmern während der Dauer der Rechtswidrigkeit.
52. In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren ist das nationale Gericht somit nach dem Gemeinschaftsrecht verpflichtet, dem Beihilfeempfänger aufzugeben, für die Dauer der Rechtswidrigkeit Zinsen zu zahlen.
53. Im Rahmen seines nationalen Rechts kann es gegebenenfalls außerdem die Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfe anordnen, unbeschadet des Rechts des Mitgliedstaats, diese später erneut zu gewähren. Es kann auch veranlasst sein, Anträgen auf Ersatz von durch die Rechtswidrigkeit der Beihilfemaßnahme verursachten Schäden stattzugeben (vgl. in diesem Sinne Urteile SFEI u. a., Randnr. 75, und Transalpine Ölleitung in Österreich u. a., Randnr. 56).
54. Was die Beihilfe selbst angeht, ist hinzuzufügen, dass eine nur in einer Verpflichtung zur Rückforderung ohne Zinsen bestehende Maßnahme grundsätzlich nicht geeignet wäre, die Auswirkungen der Rechtswidrigkeit zu beseitigen, wenn der Mitgliedstaat die genannte Beihilfe nach der endgültigen positiven Entscheidung der Kommission erneut gewährt. Wenn nämlich der Zeitraum zwischen der Rückzahlung und der erneuten Gewährung der Beihilfe kürzer wäre als der zwischen der ersten Beihilfegewährung und der endgültigen Entscheidung, hätte der Beihilfeempfänger, falls er den zurückgezahlten Betrag als Darlehen aufnehmen müsste, einen niedrigeren Zinsbetrag zu zahlen als den, den er entrichtet hätte, wenn er von vornherein einen Betrag in Höhe der rechtswidrig gewährten Beihilfe hätte aufnehmen müssen.
55. Daher ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG dahin auszulegen ist, dass das nationale Gericht nicht verpflichtet ist, die Rückforderung einer unter Verstoß gegen diese Vorschrift gewährten Beihilfe anzuordnen, wenn die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat, mit der die genannte Beihilfe gemäß Art. 87 EG für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wird. Nach dem Gemeinschaftsrecht ist es verpflichtet, dem Beihilfeempfänger aufzugeben, für die Dauer der Rechtswidrigkeit Zinsen zu zahlen. Im Rahmen seines nationalen Rechts kann es gegebenenfalls außerdem die Rückzahlung der rechtswidrigen Beihilfe anordnen, unbeschadet des Rechts des Mitgliedstaats, diese später erneut zu gewähren. Es kann auch veranlasst sein, Anträgen auf Ersatz von durch die Rechtswidrigkeit der Beihilfemaßnahme verursachten Schäden stattzugeben.
Zur zweiten Frage
 
56. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob sich in einer Verfahrenssituation wie der des Ausgangsverfahrens die aus Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG resultierende Verpflichtung, die Auswirkungen der Rechtswidrigkeit einer Beihilfe zu beseitigen, für die Zwecke der Berechnung der vom Empfänger zu zahlenden Beträge auch auf den Zeitraum zwischen der Entscheidung, mit der die Kommission die Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt hat, und der Nichtigerklärung dieser Entscheidung durch das Gemeinschaftsgericht erstreckt.
57. Diese Frage betrifft entweder die Beihilfen, die zwischen den beiden fraglichen Zeitpunkten gewährt wurden, und die Zinsen, wenn nach nationalem Recht die Folge der Rechtswidrigkeit einer Beihilfe selbst in dem Fall, dass sie für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wird, deren Rückforderung ist, oder, wenn das nationale Recht die Rückzahlung einer mit dem Gemeinsamen Markt vereinbaren rechtswidrigen Beihilfe nicht vorsieht, nur die Zinsen für die im selben Zeitraum erhaltenen Beihilfen.
58. Beim gegenwärtigen Stand des Ausgangsverfahrens geht es um zwei Zeiträume, nämlich die zwischen den Entscheidungen der Kommission vom 18. Mai 1993 und vom 10. Juni 1998 und den Urteilen des Gerichts vom 18. September 1995 und vom 28. Februar 2002, mit denen es diese Entscheidungen für nichtig erklärt hat (siehe Randnrn. 11 bis 21 des vorliegenden Urteils).
59. Die vorgelegte Frage stellt den Grundsatz der Vermutung der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane und die in Art. 231 Abs. 1 EG aufgestellte Regel einander gegenüber.
60. Der Grundsatz der Vermutung der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane besagt, dass diese Akte Rechtswirkungen entfalten, solange sie nicht zurückgenommen, im Rahmen einer Nichtigkeitsklage für nichtig erklärt oder auf ein Vorabentscheidungsersuchen oder eine Rechtswidrigkeitseinrede hin für ungültig erklärt worden sind (Urteil vom 5. Oktober 2004, Kommission/Griechenland, C-475/01, Slg. 2004, I-8923, Randnr. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).
61. Gemäß Art. 231 Abs. 1 EG erklärt das Gemeinschaftsgericht, wenn eine Nichtigkeitsklage begründet ist, die angefochtene Handlung für nichtig. Daraus folgt, dass das Nichtigkeitsurteil des Gemeinschaftsgerichts die angefochtene Handlung mit Wirkung für und gegen alle Rechtsbürger rückwirkend beseitigt (Urteil vom 1. Juni 2006, P & O European Ferries [Vizcaya] und Diputacion Foral de Vizcaya/Kommission, C-442/03 P und C-471/03 P, Slg. 2006, I-4845, Randnr. 43).
62. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens kommen die Vermutung der Rechtmäßigkeit und die Regel der Rückwirkung einer Nichtigerklärung nacheinander zur Anwendung.
63. Die nach der positiven Entscheidung der Kommission gewährten Beihilfen gelten bis zur Entscheidung des Gemeinschaftsgerichts, mit der die Kommissionsentscheidung für nichtig erklärt wird, als rechtmäßig. Danach, mit dem Tag dieser gerichtlichen Entscheidung, werden die fraglichen Beihilfen gemäß Art. 231 Abs. 1 EG so behandelt, als seien sie nicht durch die für nichtig erklärte Entscheidung für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt worden, so dass ihre Gewährung als rechtswidrig anzusehen ist.
64. Damit zeigt sich, dass in diesem Fall die sich aus Art. 231 Abs. 1 EG ergebende Regel der Anwendung der Rechtmäßigkeitsvermutung rückwirkend ein Ende setzt.
65. Nach der Nichtigerklärung einer positiven Entscheidung der Kommission kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Empfänger einer rechtswidrig gewährten Beihilfe auf außergewöhnliche Umstände berufen kann, aufgrund deren sein Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe geschützt ist, so dass er sie nicht zurückzuzahlen braucht (vgl. entsprechend Urteil Kommission/Deutschland, Randnr. 16, hinsichtlich einer abschließenden negativen Entscheidung der Kommission).
66. Der Gerichtshof hat jedoch bereits in einem Fall, in dem die Kommission ursprünglich beschlossen hatte, keine Einwendungen gegen die streitigen Beihilfen zu erheben, festgestellt, dass ein solcher Umstand kein geschütztes Vertrauen des begünstigten Unternehmens begründen konnte, da diese Entscheidung fristgemäß mit einer Klage angefochten und sodann vom Gerichtshof für nichtig erklärt worden war (Urteil vom 14. Januar 1997, Spanien/Kommission, C-169/95, Slg. 1997, I-135, Randnr. 53).
67. Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Empfänger der Beihilfe, solange die Kommission keine Genehmigungsentscheidung erlassen hat und selbst solange die Klagefrist gegen eine derartige Entscheidung nicht abgelaufen ist, keine Gewissheit über die Rechtmäßigkeit der geplanten Beihilfe hat, die allein ein berechtigtes Vertrauen bei ihm wecken kann (vgl. Urteil vom 29. April 2004, Italien/Kommission, C-91/01, Slg. 2004, I-4355, Randnr. 66).
68. Es ist festzustellen, dass der Empfänger eine solche Gewissheit auch nicht haben kann, solange der Gemeinschaftsrichter keine endgültige Entscheidung getroffen hat.
69. Daher ist auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass sich in einer Verfahrenssituation wie der des Ausgangsverfahrens die aus Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG resultierende Verpflichtung, die Auswirkungen der Rechtswidrigkeit einer Beihilfe zu beseitigen, für die Zwecke der Berechnung der vom Empfänger zu zahlenden Beträge und sofern keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, auch auf den Zeitraum zwischen der Entscheidung, mit der die Kommission die Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt hat, und der Nichtigerklärung dieser Entscheidung durch das Gemeinschaftsgericht erstreckt.
 
Kosten
 
70. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht nicht verpflichtet ist, die Rückforderung einer unter Verstoß gegen diese Vorschrift gewährten Beihilfe anzuordnen, wenn die Kommission der Europäischen Gemeinschaften eine abschließende Entscheidung erlassen hat, mit der die genannte Beihilfe gemäß Art. 87 EG für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wird. Nach dem Gemeinschaftsrecht ist es verpflichtet, dem Beihilfeempfänger aufzugeben, für die Dauer der Rechtswidrigkeit Zinsen zu zahlen. Im Rahmen seines nationalen Rechts kann es gegebenenfalls außerdem die Rückzahlung der rechtswidrigen Beihilfe anordnen, unbeschadet des Rechts des Mitgliedstaats, diese später erneut zu gewähren. Es kann auch veranlasst sein, Anträgen auf Ersatz von durch die Rechtswidrigkeit der Beihilfemaßnahme verursachten Schäden stattzugeben.
 
2. In einer Verfahrenssituation wie der des Ausgangsverfahrens erstreckt sich die aus Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG resultierende Verpflichtung, die Auswirkungen der Rechtswidrigkeit einer Beihilfe zu beseitigen, für die Zwecke der Berechnung der vom Empfänger zu zahlenden Beträge und sofern keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, auch auf den Zeitraum zwischen der Entscheidung, mit der die Kommission die Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt hat, und der Nichtigerklärung dieser Entscheidung durch das Gemeinschaftsgericht.
 
Unterschriften