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BVerfGE 150, 1 - Zensus 2011


Zitiert selbst:
BVerfGE 60, 175 - Startbahn West
BVerfGE 13, 54 - Neugliederung Hessen


A.
I.
II.
1. Am 17. Dezember 1993 reichten der Beschwerdeführer zu 2.  ...
2. Mit Bescheid vom 16. März 1994 lehnte der Bundesminister  ...
III.
IV.
1. Nach Ansicht des Bundesministeriums des Innern ist die Beschwe ...
2. Die Landesregierung von Baden-Württemberg und die Bayeris ...
B. -- I.
1. Der angegriffene Bescheid verletzt den Beschwerdeführer z ...
2. Der Beschwerdeführer zu 2. ist beschwerdeberechtigt. Er h ...
II.
1. Das Bundesministerium des Innern hat - entgegen der Ansicht de ...
2. Der Begriff des zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs ...
3. Der Bundesminister des Innern hat zutreffend angenommen, da&sz ...
4. Schon aus den vorstehend zu 3. genannten Gründen ist der  ...
Bearbeitung, zuletzt am 02.08.2022, durch: A. Tschentscher
 
BVerfGE 96, 139 (139)Beschluß
 
des Zweiten Senats vom 24. Juni 1997 gemäß § 24 BVerfGG
 
-- 2 BvP 1/94 --  
in dem Verfahren über die Beschwerden gegen die Nichtzulassung eines Volksbegehrens auf Herstellung eines Landes Franken (Bescheid des Bundesministeriums des Innern vom 16. März 1994 -- VI 1-110 920/15 --), Beschwerdeführer: 1. Fränkischer Bund e.V., vertreten durch den ersten Vorsitzenden Georg Dieter Ludwig, Frommannstraße 9, Nürnberg, 2. Georg Dieter Ludwig als Vertrauensmann der Antragsteller für die Durchführung des Volksbegehrens, ebenda -- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Christian Bissel und Partner, Nürnberger Straße 71, Erlangen -- Beteiligte: 1. Der Bundesminister des Innern, 2. Die Bayerische Staatsregierung, 3. Die Landesregierung von Baden-Württemberg, 4. Die Thüringer Landesregierung.
 
Entscheidungsformel:
 
Die Beschwerden werden verworfen.BVerfGE 96, 139 (139)
 
 
BVerfGE 96, 139 (140)Gründe:
 
 
A.
 
Die Beschwerden betreffen die Ablehnung eines Antrags auf Durchführung eines Volksbegehrens zur Bildung eines Landes Franken aus den Bezirken Ober-, Mittel- und Unterfranken des Freistaates Bayern, des Main-Tauber-Kreises des Landes Baden-Württemberg sowie der ehemaligen Kreise Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg und Neuhaus am Rennweg des Freistaates Thüringen.
I.
 
Art. 29 Abs. 1 GG läßt die Neugliederung des Bundesgebietes zu, um zu gewährleisten, daß die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben erfüllen können. Dabei sind u.a. die landsmannschaftliche Verbundenheit und die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge zu berücksichtigen. Diese Neugliederungsmaßnahmen ergehen gemäß Art. 29 Abs. 2 und 3 GG durch Bundesgesetz, das der Bestätigung durch Volksentscheid bedarf. Art. 29 Abs. 4 GG sieht daneben vor, daß Wahlberechtigte durch Volksbegehren fordern können, die einheitliche Landeszugehörigkeit eines "zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraums" herbeizuführen, "dessen Teile in mehreren Ländern liegen und der mindestens eine Million Einwohner hat". Unterstützt ein Zehntel der in dem Raum zum Bundestag Wahlberechtigten dieses Volksbegehren, so ist durch Bundesgesetz innerhalb von zwei Jahren entweder zu bestimmen, ob die Landeszugehörigkeit geändert wird, oder daß in den betroffenen Ländern eine Volksbefragung stattfindet. Art. 29 Abs. 6 GG sieht vor, daß ein Bundesgesetz das Nähere hierzu regelt. Dieses Gesetz über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Artikel 29 Abs. 6 des Grundgesetzes (G Artikel 29 Abs. 6) vom 30. Juli 1979 (BGBl. I S. 1317) enthält u.a. folgende Regelungen:
    § 18
    Gegenstand des Volksbegehrens
    In einem zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum, dessen Teile in mehreren Ländern liegen und der mindestens eine Million Einwohner hat (Neugliederungsraum), wird auf AnBVerfGE 96, 139 (140)BVerfGE 96, 139 (141)trag ein Volksbegehren nach Artikel 29 Abs. 4 des Grundgesetzes durchgeführt. Das Volksbegehren muß darauf gerichtet sein, für den Neugliederungsraum eine einheitliche Landeszugehörigkeit herbeizuführen.
    § 19
    Zulassungsantrag
    (1) Die Durchführung eines Volksbegehrens ist beim Bundesminister des Innern zu beantragen. Der Antrag muß von mindestens eins vom Hundert der bei der letzten Wahl zum Bundestag wahlberechtigten Einwohner des Raumes, für den das Volksbegehren beantragt wird, jedoch von nicht mehr als 7.000 Einwohnern persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein.
    (2) Unterschriftsberechtigt ist jeder Einwohner des Raumes, der bei der Stellung des Antrages zum Bundestag wahlberechtigt ist und seit mindestens drei Monaten in dem Raum eine Wohnung, bei mehreren Wohnungen seine Hauptwohnung, innehat oder sich sonst gewöhnlich aufhält.
    § 23
    Vertrauensmänner
    (1) Im Antrag sind ein Vertrauensmann und ein Stellvertreter zu bezeichnen. Fehlt eine solche Angabe, so gilt der erste Unterzeichner als Vertrauensmann, der zweite als sein Stellvertreter.
    (2) Soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, sind nur der Vertrauensmann und sein Stellvertreter jeder für sich berechtigt, verbindliche Erklärungen zu dem Antrag abzugeben und entgegenzunehmen. Bei unterschiedlichen Erklärungen gilt die Erklärung des Vertrauensmannes.
    ...
    § 24
    Entscheidung über den Zulassungsantrag
    (1) Über den Antrag entscheidet der Bundesminister des Innern innerhalb von drei Monaten nach Eingang des mängellosen Antrags. Vor der Entscheidung gibt er den Regierungen der betroffenen Länder Gelegenheit zur Äußerung innerhalb eines Monats.
    (2) ...
    (3) ...
    (4) Der Bundesminister des Innern hat dem Antrag stattzugeben, wenn die Voraussetzungen der §§ 18 bis 20 vorliegen und der Antrag nicht nach § 21 Abs. 1 unzulässig ist.
    (5) Die Entscheidung ist den Antragstellern und den Regierungen der betroffenen Länder zuzustellen. Sie ist, wenn der Antrag abgelehnt wird,BVerfGE 96, 139 (141) BVerfGE 96, 139 (142)mit Gründen zu versehen. Gegen die Ablehnung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig. Die Regierungen der betroffenen Länder können gegen die Zulassung des Antrags innerhalb der gleichen Frist Beschwerde einlegen. Über die Beschwerde entscheidet der Zweite Senat.
II.
 
1. Am 17. Dezember 1993 reichten der Beschwerdeführer zu 2. als Vertrauensmann und Frau B. beim Bundesminister des Innern einen "Antrag auf Zulassung des Fränkischen Volksbegehrens" ein. In der Kopfzeile des diese Angaben enthaltenden Deckblatts sind außerdem der Beschwerdeführer zu 1. (Fränkischer Bund e.V.) und der Beschwerdeführer zu 2. als dessen Vorsitzender aufgeführt. Dem Deckblatt nachgeheftet sind Antragsschreiben folgenden Inhalts:
    Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens
    (nach Artikel 29 des Grundgesetzes)
    Die Unterzeichneten, die zum Deutschen Bundestag wahlberechtigt sind, beantragen die Durchführung eines Volksbegehrens folgenden Inhalts:
    Für den zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum, bestehend aus:
    1. a) Bezirk Oberfranken,
    b) Bezirk Mittelfranken,
    c) Bezirk Unterfranken des Freistaates Bayern;
    2. Main-Tauber-Kreis des Landes Baden-Württemberg;
    3. a) Kreis Meiningen,
    b) Kreis Hildburghausen,
    c) Kreis Sonneberg,
    d) Kreis Neuhaus am Rennweg des Landes Thüringen;
    soll eine einheitliche Landeszugehörigkeit herbeigeführt werden, indem aus den unter Nummer 1 bis 3 genannten Gebietsteilen der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen ein Land Franken in der Bundesrepublik Deutschland gebildet wird.
    ...
    Vertrauensleute sind:
    1. G. D. L., F.-Straße - 8500 Nürnberg,
    2. G. G., V.-B.-Straße - 8700 Würzburg.BVerfGE 96, 139 (142)
BVerfGE 96, 139 (143)Diesen Antragsschreiben waren insgesamt 8.016 Unterschriften nachgeheftet; von diesen Unterschriften erkannte der Bundesminister des Innern 7.184 als gültig an.
2. Mit Bescheid vom 16. März 1994 lehnte der Bundesminister des Innern "den Antrag des Fränkischen Bundes e.V. auf Durchführung eines Volksbegehrens nach Artikel 29 Abs. 4 GG ..." ab. Der Bescheid war gerichtet an den "Fränkischen Bund e.V. z. Hd. des Ersten Vorsitzenden und Vertrauensmannes ...".
Der Bescheid bejaht die formellen Voraussetzungen des Zulassungsverfahrens und geht auch davon aus, daß der Antrag ein an sich gemäß Art. 29 Abs. 4 GG zulässiges Begehren enthalte; die nach dieser Regelung mögliche Herbeiführung einer einheitlichen Landeszugehörigkeit könne auch durch Bildung eines neuen Landes hergestellt werden.
Die Ablehnung des Antrags wird darauf gestützt, daß die von Art. 29 Abs. 4 GG verlangten Voraussetzungen eines zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraums nicht gegeben seien.
Leitbild des Art. 29 Abs. 4 GG seien großräumige oder dicht besiedelte Verflechtungsbereiche, deren Abgrenzung sich aus der funktionsräumlichen Gliederung der Bundesrepublik Deutschland in Teilräume ergebe. Anknüpfungspunkt seien nicht landsmannschaftliche, geschichtliche oder kulturelle Verbindungen, sondern die heutigen Siedlungs- und Wirtschaftsgrenzen, deren maßgebliches Kriterium nach Wissenschaft und Praxis die sogenannten Pendlerverflechtungen seien. Ein abgegrenzter Siedlungs- und Wirtschaftsraum könne nicht festgestellt werden, wenn diese Verflechtungen über die Grenze eines Gebietes sehr hoch seien. Art. 29 Abs. 4 GG verlange ein erhebliches Maß an siedlungsstruktureller und wirtschaftlicher Zusammengehörigkeit des Raumes sowie eine für die Bevölkerung und die Wirtschaft als Problem deutlich spürbare Beeinträchtigung durch die den Raum zerschneidenden Landesgrenzen. Es müsse sich daher um große grenzüberschreitende Ballungsräume handeln, die sozio-ökonomische Verflechtungsbereiche bildeten und durch unterschiedliche Landeszugehörigkeit beeinträchtigt seien. In Betracht kämen daher zentralörtliche VerflechBVerfGE 96, 139 (143)BVerfGE 96, 139 (144)tungsbereiche der höheren Stufe, Oberzentren und die ihnen zugeordneten Einzugsbereiche. Dahinstehen könne, ob es auch ausreiche, wenn sich das Neugliederungsgebiet aus mehreren oberzentralen Verflechtungsbereichen zusammensetze, zwischen denen interregionale, den Gesamtraum gegenüber dem Umland jedoch abhebende Beziehungen bestünden, wie es etwa bei einer polyzentralen Struktur möglich sei. Auch diese - weniger weitgehenden - Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Das Neugliederungsgebiet weise eine polyzentrale Raum- und Siedlungsstruktur auf. Wenn auch ausgeprägte Verflechtungen zwischen dem Regierungsbezirk Unterfranken und dem baden- württembergischen Main-Tauber-Kreis bestünden, so bilde dieser doch einen eigenständigen Arbeitsmarkt, er sei wirtschafts- und landesentwicklungspolitisch voll in das Land Baden-Württemberg integriert. Die im Bundesland Bayern gelegenen Bereiche des Volksbegehrensgebiets seien durch eine relativ ausgeprägte Eigenständigkeit der Teilräume gekennzeichnet; sie beruhe auf einer starken Ausrichtung auf die jeweiligen Oberzentren Würzburg und Nürnberg. Eine besondere interregionale Beziehung zwischen diesen oberzentralen Verflechtungsbereichen gebe es in dem betroffenen Raum nicht. Auch zwischen den thüringischen und bayerischen Teilen des Volksbegehrensgebietes bestünden nicht die erforderlichen interregionalen Beziehungen. Meiningen, Hildburghausen und Sonneberg erfüllten lediglich mittelzentrale Funktionen. Im übrigen ergebe sich aus der laufenden Raumbeobachtung der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung, daß die Pendlerverflechtungen über die Außengrenzen des Neugliederungsraumes hinaus sehr hoch seien. Beispielsweise sei die Zahl der Auspendler aus Teilen des Bezirks Unterfranken (Region Bayerischer Untermain) in die Region Untermain (Großraum Frankfurt/Hessen) wesentlich höher als die in anderen fränkischen Regionen. Insgesamt seien die Verflechtungen des Neugliederungsgebietes mit anderen Bezirken Bayerns sowie mit dem Großraum Frankfurt sehr ausgeprägt; es fehle daher dem Neugliederungsraum an der notwendigen Abgegrenztheit.BVerfGE 96, 139 (144)
BVerfGE 96, 139 (145)III.
 
Gegen diesen Bescheid richten sich die am 16. April 1994 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Beschwerden der Beschwerdeführer zu 1. und 2).
Der Bundesminister des Innern vertrete zu Unrecht die Auffassung, bei dem Neugliederungsraum handele es sich nicht um einen zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum im Sinne des Art. 29 Abs. 4 GG. In dem Ablehnungsbescheid werde dieser unbestimmte Rechtsbegriff in einer Weise ausgelegt, die sich weder aus dem Grundgesetz noch aus der historischen Entwicklung noch aus Ziel- und Zweckrichtung des Gesetzes ergebe. Art. 29 Abs. 4 GG setze für das Neugliederungsgebiet nicht große grenzüberschreitende Ballungsräume voraus. Der Volksbegehrensraum könne sich auch aus mehreren miteinander verbundenen, oberzentralen Verflechtungsbereichen zusammensetzen. Sofern man fordere, daß interregionale Beziehungen zwischen den Teilbereichen bestünden, dürfe man an deren Intensität nicht zu hohe Anforderungen stellen.
Fehlerhaft sei die Auffassung des Bundesministers des Innern, daß Art. 29 Abs. 4 GG unabhängig von der Vorgeschichte an die heutigen Siedlungs- und Wirtschaftsgrenzen anknüpfe und landsmannschaftliche Gesichtspunkte keine Rolle spielten. Art. 29 GG wolle vielmehr Neugliederungsmaßnahmen ermöglichen, die Gebietsteile nicht willkürlich, sondern gerade auch aufgrund des Zusammengehörigkeitsgefühls ihre Bewohner zusammenfaßten. Zu diesem Zweck sollten die Bewohner u.a. durch Volksbegehren an der Gebietsregelung beteiligt werden; die dabei geäußerte Meinung hänge davon ab, welche landsmannschaftliche Verbundenheit der Einzelne empfinde. Diese gründe sich hier auf Geschichte und Kultur des Landes Franken.
Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl der Bewohner des Neugliederungsgebiets könne sich nicht auswirken, wenn an die Voraussetzung des zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraums schon bei der Entscheidung über die Zulassung des Antrags gemäß §§ 18 ff. G Artikel 29 Abs. 6 überspannte Anforderungen gestellt würden. Der Bundesminister des Innern dürfe daherBVerfGE 96, 139 (145) BVerfGE 96, 139 (146)nur prüfen, ob Gebietsteile nicht willkürlich als zusammengehörend bezeichnet werden.
Selbst wenn es auf sozio-ökonomische Kriterien ankomme, erfülle der Neugliederungsraum die Anforderungen an einen dichtbesiedelten grenzüberschreitenden Großraum aus mehreren nahtlos miteinander zusammenhängenden oberzentralen Verflechtungsbereichen; er sei damit ein geschlossener Siedlungs- und Wirtschaftsraum im Sinne des Art. 29 Abs. 4 GG. Die Zahl der Ein- und Auspendler über die Außengrenzen des Neugliederungsgebietes hinaus betrage bei richtiger Berechnung lediglich etwa 1 vom Hundert der erwerbstätigen Bevölkerung. Weiter dürfe nicht außer acht gelassen werden, daß das Bruttoinlandsprodukt des Neugliederungsgebietes schätzungsweise 150 Milliarden Deutsche Mark betrage und in dem Raum über zwei Millionen Erwerbstätige beschäftigt seien. Die sieben oberzentralen Verflechtungsbereiche der Städte Nürnberg, Würzburg, Schweinfurt, Coburg, Bayreuth, Bamberg und Hof in Mittel-, Ober- und Unterfranken seien ein von den übrigen Landesteilen Bayerns deutlich abgegrenzter Siedlungs- und Wirtschaftsraum. Dieser Raum sei wiederum verflochten mit den Gebieten in Baden-Württemberg und Thüringen. Der Main-Tauber-Kreis sei nicht in das Land Baden-Württemberg integriert, sondern sozio-ökonomisch mehr dem Nordwesten des Neugliederungsraumes zugeordnet. Auch die Pendlerverflechtungen und Versorgungsbeziehungen der vier südthüringischen Kreise mit dem bayerisch-fränkischen Raum seien heute wieder äußerst eng. Lediglich aufgrund des Entwicklungsstandes der thüringischen Wirtschaft seien sie zwangsläufig noch durch eine gewisse Einseitigkeit in Richtung Bayern gekennzeichnet.
IV.
 
Die Beteiligten haben Stellung genommen:
1. Nach Ansicht des Bundesministeriums des Innern ist die Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2., sofern sie als selbständige Beschwerde anzusehen sei, unzulässig. Antragsteller sei die Gesamtheit der Unterzeichner. Somit sei nur die Beschwerde des Fränkischen Bundes e.V. (Beschwerdeführer zu 1.), der hier durch seiBVerfGE 96, 139 (146)BVerfGE 96, 139 (147)nen Bevollmächtigten, den Beschwerdeführer zu 1., handele, zulässig. Die Differenzierung zwischen dem Beschwerdeführer zu 2. als Vertreter des Beschwerdeführers zu 1. und als Vertrauensmann sei nicht nachvollziehbar.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers zu 1. sei aus den im Bescheid vom 16. März 1994 dargelegten Gründen unbegründet. Für das Erfordernis eines zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraumes reiche das Vorhandensein mehrerer oberzentraler Verflechtungsbereiche mit interregionalen Beziehungen nicht aus.
2. Die Landesregierung von Baden-Württemberg und die Bayerische Staatsregierung halten die Beschwerden für unbegründet. Die Thüringer Landesregierung vertritt die Auffassung, im Hinblick auf § 23 Abs. 2 G Artikel 29 Abs. 6 sei lediglich der Beschwerdeführer zu 1., an den sich der angegriffene Bescheid gerichtet habe und der durch den Vertrauensmann vertreten werde, nicht jedoch der Vertrauensmann selbst beschwerdeberechtigt. Soweit die Beschwerde zulässig sei, sei sie allerdings unbegründet.
 
Zulässig ist nur die Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2. Der Beschwerdeführer zu 1. ist nicht beschwerdebefugt.
1. Der angegriffene Bescheid verletzt den Beschwerdeführer zu 1. nicht in eigenen Rechten. An ihn ist der Bescheid zwar seinem Wortlaut nach gerichtet. Der Bescheid ist aber - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Beteiligten zu 1. in diesem Verfahren - dahin auszulegen, daß er sich an die Gesamtheit der Antragsteller richtet, deren Antrag er ablehnt. Dies wird auch dadurch bestätigt, daß der Bescheid den Beschwerdeführer zu 2. auch als Vertrauensmann aufführt; als solcher handelt er aber nur für die Gesamtheit der Antragsteller.
Antragsteller waren alle Unterzeichner des Zulassungsantrages. Der Beschwerdeführer zu 1. konnte kraft Gesetzes weder Antragsteller sein, noch ist er als Antragsteller gegenüber dem Bundesminister des Innern in Erscheinung getreten.
Das Ausführungsgesetz zu Art. 29 Abs. 6 des GrundgesetzesBVerfGE 96, 139 (147) BVerfGE 96, 139 (148)kennt nur natürliche Personen als Antragsteller, die in bestimmter Anzahl den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens unterschreiben müssen (vgl. auch BVerfGE 13, 54 [82 f.]). Mit der Initiative zu einem Volksbegehren machen sie Rechte geltend, die aus dem aktiven Status des Bürgers fließen (vgl. BVerfGE 60, 175 [201 f.]); ihr Antragsrecht ist daher Bestandteil des Stimmrechts (vgl. dazu die Begründung zu § 19 des Regierungsentwurfs zum Ausführungsgesetz, BTDrucks. 8/1646, S. 15). Eine Vereinigung als juristische Person hat daher kein Antragsrecht.
Aus den Antragsformularen ergibt sich, daß der Beschwerdeführer zu 1. auch nicht als Antragsteller aufgetreten ist. Die Durchführung des Volksbegehrens haben "die Unterzeichneten" beantragt; sie bilden die Gesamtheit der wahlberechtigten Unterzeichner des Zulassungsantrags.
2. Der Beschwerdeführer zu 2. ist beschwerdeberechtigt. Er hat die Beschwerde als Vertrauensmann der Antragsteller eingelegt und macht damit ähnlich einer Prozeßstandschaft die Rechte der Gesamtheit der Unterzeichner des Zulassungsantrags im eigenen Namen geltend. Dies entspricht auch seiner Stellung im Zulassungsverfahren; gemäß § 23 Abs. 2 G Artikel 29 Abs. 6 sind nur er oder sein Stellvertreter berechtigt, verbindliche Erklärungen zu dem Zulassungsantrag abzugeben oder entgegenzunehmen.
 
Die Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2. ist offensichtlich unbegründet. Der Bundesminister des Innern hat den Antrag nach einer Beurteilung der heutigen Siedlungs- und Wirtschaftsgrenzen zu Recht wegen Nichterfüllung der Voraussetzung eines zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraums abgelehnt. Dabei konnte der Bescheid auch offenlassen, ob es sich bei dem Neugliederungsgebiet des Art. 29 Abs. 4 GG um einen zentralörtlichen Verflechtungsbereich der höheren Stufe, also ein Ballungsgebiet mit dem ihm zugeordneten Einzugsbereich handeln muß, oder ob es schon genügt, wenn mehrere oberzentrale Verflechtungsbereiche vorliegen, zwischen denen interregionale Beziehungen bestehen.BVerfGE 96, 139 (148)
BVerfGE 96, 139 (149)1. Das Bundesministerium des Innern hat - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - bereits im Rahmen des Zulassungsverfahrens umfassend zu prüfen, ob das Erfordernis eines zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraumes erfüllt ist. Schon das Volksbegehren setzt einen solchen Siedlungs- und Wirtschaftsraum voraus. Diese nach dem Wortlaut der Verfassungsnorm naheliegende Deutung wird durch die Entstehungsgeschichte bekräftigt. Die Begründung des Regierungsentwurfs zum Ausführungsgesetz legt ausdrücklich dar, daß die Frage, ob es sich im konkreten Fall um einen den Anforderungen des Art. 29 Abs. 4 GG entsprechenden Raum handele, der Entscheidung im Antragsverfahren überlassen bleiben müsse und durch das Bundesverfassungsgericht überprüft werden könne (vgl. BTDrucks. 8/1646, S. 15).
2. Der Begriff des zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraumes ist im Grundgesetz nicht definiert und hat keine verfassungsrechtliche Tradition. Er verweist auf sozio- ökonomische Kriterien, die insbesondere in der Raumordnung und Landesplanung verwendet werden.
a) Der Begriff knüpft an objektive Gegebenheiten des Siedlungs- und Wirtschaftsraums an; die landsmannschaftliche Verbundenheit ist hier - anders als bei Art. 29 Abs. 1 Satz 2 GG - kein Tatbestandsmerkmal. Vielmehr erhalten die Bürger das Recht, den Anstoß zu einem Bundesgesetz über eine Neugliederung des Bundesgebietes zu geben, von vornherein nur unter der Voraussetzung, daß sie in einem - objektiv feststellbaren - abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum leben, der von Landesgrenzen zerschnitten ist.
b) Das Merkmal des Abgegrenztseins verweist auf einen Raum, der nach innen Gemeinsamkeiten aufweist, die ihn gegenüber umliegenden Räumen abheben und als Einheit erscheinen lassen. Der Gesetzgeber ging dabei von einer großräumigen Verflechtung aus, wobei der Neugliederungsraum eine zusammenhängende äußere Begrenzung haben müsse und keine Oberzentren durchschneiden dürfe (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum Ausführungsgesetz, BTDrucks. 8/1646, S. 15). Dieser Raum muß so verflochten sein, daß er sich weitgehend als Einheit darstellt. Dazu ist es nicht schon ausreichend, daß innerhalb des Neugliederungsraumes erBVerfGE 96, 139 (149)BVerfGE 96, 139 (150)hebliche Pendlerbewegungen festzustellen sind. Dieser Umstand mag zwar für eine gewisse innere Verflechtung des Gebietes sprechen. Er sagt aber nichts darüber aus, daß sich der Raum von seinem Umland abhebt. Dies ist erst bei fehlender Verflechtung mit dem Umland der Fall. Der Bundesminister des Innern geht daher zutreffend davon aus, daß der Neugliederungsraum nicht abgegrenzt ist, wenn zwischen ihm und Teilen seines Umlandes erhebliche Pendlerbewegungen stattfinden.
c) Das Merkmal der Abgegrenztheit nach außen muß dem neu zu gliedernden Siedlungs- und Wirtschaftsraum unabhängig davon zukommen, ob man für seine innere Verflechtung einen dichtbesiedelten, oberzentralen Verflechtungsbereich in großen grenzüberschreitenden Ballungsräumen verlangt (vgl. dazu Maunz/Herzog in: Maunz/Dürig, Grundgesetz [Bearb. 1977], Art. 29 Rn. 73) oder ob mehrere oberzentrale Verflechtungsbereiche im Rahmen einer polyzentralen Struktur ausreichen, wenn zwischen den fraglichen Teilräumen interregionale Beziehungen bestehen (vgl. dazu Evers in: Bonner Kommentar [Drittbearb. März 1980], Art. 29 Rn. 61 f.).
3. Der Bundesminister des Innern hat zutreffend angenommen, daß der Neugliederungsraum jedenfalls nicht abgegrenzt ist und sich daher gegenüber dem Umland nicht abhebt.
a) Hierfür wird in dem angegriffenen Bescheid zu Recht maßgeblich auf die zwischen dem Neugliederungsgebiet und seinem Umland bestehenden erheblichen Pendlerverflechtungen abgestellt. Diese finden ihre Bestätigung in den Tabellen und Karten der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung, des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie des Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen.
So ist etwa die Zahl der Auspendler aus der Region Bayerischer Untermain in Gebiete außerhalb des Neugliederungsraums ungefähr zehnmal so hoch wie die Zahl derer, die aus dieser Region in andere Regionen des Neugliederungsraums pendeln (16.233 zu 1.677). Die Zahl der Einpendler in die Region Bayerischer Untermain aus Außengebieten ist ungefähr doppelt so hoch wie die ZahlBVerfGE 96, 139 (150) BVerfGE 96, 139 (151)der Einpendler aus dem übrigen Neugliederungsraum (3.042 zu 1.576).
Entsprechendes ergibt sich bei zusammenfassender Betrachtung der bayerischen und baden-württembergischen Gebiete: Im Jahre 1993 pendelten 37.267 Arbeitnehmer aus diesem Raum in das nicht im Neugliederungsgebiet liegende Umland. Innerhalb des Neugliederungsgebietes pendelte nur eine unwesentlich höhere Zahl von Arbeitnehmern (43.492). Die Einwände des Beschwerdeführers gegen diese von der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung ermittelten Zahlen sind unbegründet; die Pendler aus der baden-württembergischen Region Franken sind zu Recht einbezogen worden.
Aus den vom Bayerischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen erhobenen Strukturdaten ergeben sich ferner nicht unbeträchtliche Verflechtungen zwischen den bayerischen Neugliederungsbereichen und anderen Regionen des Freistaates Bayern. Das gilt insbesondere für Oberfranken-Ost und Oberpfalz-Nord sowie für die Regionen Mittelfranken und Oberpfalz-Nord. Demgegenüber sind die Verflechtungen innerhalb von Teilen des Neugliederungsgebietes, beispielsweise zwischen Würzburg und Westmittelfranken sowie den Bereichen Bayerischer Untermain und Würzburg, wesentlich geringer.
b) Da es somit schon den bayerischen Teilen des Neugliederungsraums an der notwendigen Abgegrenztheit zum Umland fehlt, kommt es nicht mehr darauf an, inwieweit der Main-Tauber-Kreis sowie die vier ehemaligen Thüringer Landkreise diesen Erfordernissen gerecht werden. Zu letzteren weist der angegriffene Bescheid etwa darauf hin, daß ab der zum 1. Juli 1994 wirksamen Gebietsreform diese vier Kreise mit anderen Thüringer Landkreisen zusammengelegt würden.
c) Substantiierte Einwendungen gegen diese zu a) und b) dargestellten Umstände hat der Beschwerdeführer zu 2. nicht erhoben. Er hat auch nicht weitere sozio-ökonomische Gesichtspunkte dargelegt, die auf die erforderliche Abgegrenztheit des Neugliederungsraumes hinweisen könnten. Solche Umstände sind auch nicht ersichtlich.BVerfGE 96, 139 (151)
BVerfGE 96, 139 (152)4. Schon aus den vorstehend zu 3. genannten Gründen ist der Antrag gemäß § 18 G Artikel 29 Abs. 6 zu Recht abgelehnt worden und die Beschwerde hiergegen offensichtlich unbegründet. Es kommt daher auf weitere Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 4 GG nicht mehr an. Das gilt für die Frage, ob diese Verfassungsnorm nur die Umgliederung oder auch die Bildung eines neuen Landes zuläßt, ebenso wie für weitere Merkmale des von Art. 29 Abs. 4 GG vorausgesetzten zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraumes.
Limbach, Graßhof, Kruis, Kirchhof, Winter, Sommer, Jentsch, HassemerBVerfGE 96, 139 (152)