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Informationen zum Dokument  BGer 5A_395/2008  Materielle Begründung
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BGer 5A_395/2008 vom 12.08.2008
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5A_395/2008/don
 
Urteil vom 12. August 2008
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
 
Gerichtsschreiber Möckli.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Advokat Erik Wassmer,
 
gegen
 
Y.________,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Ehescheidung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 6. Mai 2008.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Parteien heirateten am 20. November 1998. Sie haben die gemeinsamen Kinder A.________ (1999) und B.________ (2002). Seit 15. März 2002 leben sie getrennt.
 
B.
 
Am 21. Dezember 2005 reichte die Ehefrau die Scheidungsklage ein. Die Parteien konnten sich mit einer Teilvereinbarung einigen, mit Ausnahme der Unterhaltsfrage.
 
Mit Urteil vom 20. August 2007 schied das Bezirksgericht Z.________ die Ehe und regelte unter Genehmigung der Teilvereinbarung die Nebenfolgen. Es verpflichtete den Ehemann weder zu nachehelichem noch zu Kindesunterhalt.
 
Betreffend den Kindesunterhalt erhob die Ehefrau Appellation, welche das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Urteil vom 6. Mai 2008 abwies.
 
C.
 
Gegen dieses Urteil hat die Ehefrau am 19. Juni 2008 Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit dem Begehren um dessen Aufhebung und um Verpflichtung des Ehemannes zu Unterhaltsbeiträgen von Fr. 750.-- pro Kind (zuzüglich allfälliger Kinderzulagen). Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Es geht um den Kinderunterhalt von total Fr. 1'500.-- pro Monat im Rahmen eines Scheidungsverfahrens; sowohl der Streitwert als auch die übrigen Eintretensvoraussetzungen sind offensichtlich erfüllt (Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 lit. b, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG).
 
Die Rechtsanwendung überprüft das Bundesgericht mit freier Kognition (Art. 106 Abs. 1 BGG). Hingegen ist es an die kantonalen Sachverhaltsfeststellungen gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich kann einzig vorgebracht werden, der Sachverhalt sei offensichtlich unrichtig festgestellt worden (Art. 97 Abs. 1 BGG), wobei "offensichtlich unrichtig" mit "willkürlich" gleichzusetzen ist (Botschaft, BBl 2001 IV 4338; BGE 133 II 249 E. 1.2.2 S. 252; 133 III 393 E. 7.1 S. 398). Diesbezüglich gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG), wie es für die frühere staatsrechtliche Beschwerde gegolten hat (BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254).
 
Was die Annahme eines hypothetischen Einkommens anbelangt, ist die effektive Erzielbarkeit (in Anbetracht des Alters, der Gesundheit, der Ausbildung und persönlichen Fähigkeiten, der Arbeitsmarktlage, etc.) Tatfrage, hingegen Rechtsfrage, ob die Erzielung angesichts der Tatsachenfeststellungen als zumutbar erscheint (vgl. BGE 126 III 10 E. 2b S. 13 oben; 128 III 4 E. 4c/bb und cc S. 7).
 
2.
 
Gemäss den kantonalen Sachverhaltsfeststellungen arbeitete der Ehemann in Tunesien in der Küche, besitzt aber weder Diplom noch Abschluss. Bis März 2003 arbeitete er in der Schweiz ebenfalls als Küchengehilfe. Als der Betrieb gemäss den Aussagen des Ehemannes nur noch Pizzas gemacht habe, sei ihm gekündigt worden, weil er keine Pizzas herstellen könne. Danach erzielte er gemäss eigenen Aussagen kleine Zwischenverdienste im Gastgewerbe oder beim Putzen. Gemäss Schreiben der Caisse d'assurance-chômage bezog er bis 29. Juli 2005 Arbeitslosengelder und bemühte sich während dieser Zeit gemäss Schreiben des Office régional de placement erfolglos um viele Arbeitsstellen, was auch aktenkundig dokumentiert ist. Ab dem 1. März 2004 bezog er zusätzlich Sozialhilfe und lebt seit seiner Aussteuerung vollständig von der Fürsorge.
 
Das Obergericht hat daraus, wie schon das Bezirksgericht, den Schluss gezogen, dass eine reale Möglichkeit der Einkommenserzielung fehle. Den Akten lasse sich nicht entnehmen, dass der Ehemann den Auflagen der Behörden zur Arbeitssuche nicht nachgekommen wäre, vielmehr ergebe sich das Gegenteil, und es lägen auch keine Beweismittel vor, dass er nicht rechtmässig Sozialhilfe beziehen würde. Es treffe zwar zu, dass er jung und über seinen Gesundheitszustand nichts Nachteiliges bekannt sei. Hingegen verfüge er über keine relevante berufliche Qualifikation und sei nunmehr seit über vier Jahren arbeitslos.
 
Das Obergericht hat mit diesen Ausführungen nicht die rechtliche Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit, sondern die reale Möglichkeit geprüft und damit eine Sachverhaltsfeststellung getroffen, die nur auf Willkür hin überprüft werden kann. Der Hinweis der Ehefrau auf die Tatsache, dass ihr Ehemann in der Schweiz eine Arbeitsstelle hatte und auch nach seiner Entlassung kleinere Aushilfstätigkeiten verrichten konnte, vermag keine Willkür zu begründen. Zwar wäre es ebenso wenig willkürlich, wenn das Kantonsgericht aufgrund dieser sowie der weiteren Tatsachenelemente, dass es sich um einen jungen gesunden Mann handelt, der fliessend die Sprache seines Wohnortes spricht, die umgekehrte Feststellung getroffen hätte, dass er eine Arbeitsstelle im bisherigen oder einem ähnlichen Tätigkeitsgebiet finden könnte. Indes liegt Willkür nicht schon vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder sogar vorzuziehen wäre (BGE 132 I 13 E. 5.1 S. 17; 133 I 149 E. 3.1 S. 153). Vielmehr ist Willkür in der Beweiswürdigung erst dann gegeben, wenn der Richter den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich nicht erkannt, ohne vernünftigen Grund ein entscheidendes Beweismittel ausser Acht gelassen oder aus den vorhandenen Beweismitteln einen unhaltbaren Schluss gezogen hat (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9). Dies trifft vorliegend nicht zu, hat sich doch das Kantonsgericht nicht etwa auf unbelegte Vermutungen gestützt oder Beweismittel übersehen, sondern zwischen den verschiedenen Beweiselementen abgewogen und dabei die Tatsache, dass der Ehemann trotz seinerzeitiger Bemühungen um eine Arbeitsstelle seit nunmehr über vier Jahren arbeitslos ist, stärker gewichtet als die für eine Arbeitsmöglichkeit sprechenden Elemente.
 
Ebenso wenig ist Willkür darzutun mit dem Hinweis der Ehefrau auf das Schreiben des RAV vom 10. Juni 2005, wonach der Ehemann seine Arbeitsbemühungen für den Vormonat noch nicht eingereicht habe, und auf die einen Monat später erfolgte Einstellung der Arbeitslosentaggelder, wurde doch dieser Hinweis bereits erstinstanzlich vorgebracht und hat das Bezirksgericht festgehalten, der Ehemann habe mit Schreiben vom 15. Juni 2005 Stellung genommen und die Arbeitsbemühungen offenbar nachgereicht. Zudem haben beide Instanzen festgehalten, es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Arbeitslosengelder wegen fehlender Arbeitsbemühungen eingestellt worden seien, und haben ausserdem auf das Schreiben des Sozialdienstes Lausanne vom 6. März 2007 verwiesen, wonach sich der Ehemann aktiv um Arbeit bemüht habe. Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht sagen, das Obergericht habe willkürlich die tatsächliche Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit verneint.
 
Nichts für ihren Standpunkt ableiten kann die Ehefrau sodann aus den schweizerischen Lohnstrukturerhebungen. Diese vermögen nicht die Tatsache der effektiv möglichen Beschäftigung zu begründen, sondern können einzig als Erfahrungssatz zur Ermittlung des zumutbaren hypothetischen Verdienstes herangezogen werden, wo im Zuge der Beweiswürdigung in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit eines Arbeitserwerbes als Voraussetzung für die Anwendung dieses Erfahrungssatzes festgestellt worden ist (vgl. BGE 128 III 4 E. 4c/bb S. 7).
 
Soweit schliesslich das Schreiben des Sozialdienstes Lausanne vom 29. Mai 2008, wonach der Ehemann die Schweiz per Ende 2007 verlassen habe, als Novum anzuerkennen wäre (Art. 99 Abs. 1 BGG), vermöchte die Tatsache des Verlassens des Landes mit Bezug auf die Feststellung, es sei diesem in der Schweiz keine Erwerbsarbeit möglich, bereits von der Logik her keine Willkür zu begründen.
 
3.
 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann. Zufolge offensichtlicher Prozessbedürftigkeit ist der Beschwerdeführerin die unentgeltliche Rechtspflege zu erteilen (Art. 64 Abs. 1 BGG), und es ist ihr Erik Wassmer als unentgeltlicher Rechtsanwalt beizugeben (Art. 64 Abs. 2 BGG). Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG), jedoch infolge der unentgeltlichen Rechtspflege einstweilen auf die Gerichtskasse zu nehmen. Der Gegenpartei ist kein Aufwand entstanden.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege erteilt.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, einstweilen aber auf die Gerichtkasse genommen.
 
4.
 
Rechtsanwalt Erik Wassmer wird aus der Gerichtskasse mit Fr. 2'000.-- entschädigt.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 12. August 2008
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Raselli Möckli
 
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