25. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
8C_701/2021 vom 4. Mai 2022 | |
Regeste | |
Art. 5 und 15 UVG; Art. 24 Abs. 2 und Art. 138 UVV; Anpassung des versicherten Verdienstes bei verzögertem Rentenbeginn in der freiwilligen Versicherung.
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Sachverhalt | |
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B. Die hiergegen erhobene Beschwerde des A. hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft in dem Sinne gut, als es den angefochtenen Einspracheentscheid vom 22. Oktober 2020 aufhob und die Angelegenheit zu weiteren Abklärungen im Sinne der Erwägungen und zum Erlass einer neuen Verfügung an die Suva zurückwies (Urteil vom 1. Juli 2021). ![]() | |
Während A. auf Beschwerdeabweisung schliesst, äussert sich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ausführlich zur Sache, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.
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Dabei dreht sich der Streit einzig um die Bestimmung des versicherten Verdienstes für die Bemessung der Invalidenrente. Zu prüfen ist, ob die Suva den versicherten Verdienst zu Recht nach Massgabe der 1997 getroffenen Vereinbarung über die freiwillige Versicherung auf Fr. 48'600.- festsetzte. Dagegen machte der im vorinstanzlichen Verfahren Beschwerde führende Versicherte geltend, für die Berechnung seiner Rente sei in sinngemässer Anwendung von Art. 24 Abs. 2 UVV (SR 832.202) der im Zeitpunkt des Rentenbeginns nach Art. 22 Abs. 1 UVV geltende Höchstbetrag des versicherten Verdienstes von Fr. 148'200.- massgebend. Ohne Unfallfolgen hätte er 2019 (im Jahr vor dem Rentenbeginn) Fr. 291'106.- verdient. Das kantonale Gericht erkannte in der Folge mit angefochtenem Rückweisungsurteil, das Abstellen auf den ursprünglich vereinbarten Verdienst in Höhe von Fr. 48'600.- sei unter den besonderen Umständen der gegebenen Verhältnisse stossend. Die Suva habe deshalb angesichts der krassen Diskrepanz zwischen dem versicherten Verdienst und dem tatsächlich erzielten Einkommen - schon im Zeitpunkt des Unfalles und bis zum Rentenbeginn anhaltend - den versicherten Verdienst in analoger Anwendung von Art. 24 Abs. 2 UVV anzupassen.
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5. Fest steht, dass die Suva dem Beschwerdegegner datierend vom 25. November 1997 eine Offerte für eine Unternehmerversicherung mit zwei Deckungsvarianten unterbreitete, wobei er sich am 26. November 1997 für die Variante A mit dem tieferen versicherten Verdienst von Fr. 48'600.- entschied. Die Variante B beruhte auf einem ![]() ![]() | |
Erwägung 7 | |
7.1 In der Schweiz wohnhafte Selbstständigerwerbende und ihre nicht obligatorisch versicherten mitarbeitenden Familienglieder können sich gemäss Art. 4 Abs. 1 UVG freiwillig versichern. Nach Art. 5 Abs. 1 UVG gelten die Bestimmungen über die obligatorische Versicherung sinngemäss für die freiwillige Versicherung. Zwar entsprach es nicht dem Willen des Gesetzgebers, freiwillig und ![]() ![]() | |
8.2 Nach Abs. 3 des Art. 15 UVG erlässt der Bundesrat Bestimmungen über den versicherten Verdienst in Sonderfällen (vgl. dazu DOROTHEA RIEDI HUNOLD, KOSS UVG, a.a.O., N. 9 f. zu Art. 15 UVG). Gestützt darauf hat der Bundesrat in Art. 24 UVV unter dem Titel "massgebender Lohn für Renten in Sonderfällen" ergänzende Vorschriften erlassen. Abs. 2 dieser Bestimmung lautet: "Beginnt die Rente mehr als fünf Jahre nach dem Unfall oder dem Ausbruch der Berufskrankheit, so ist der Lohn massgebend, den der Versicherte ohne den Unfall oder die Berufskrankheit im Jahre vor dem Rentenbeginn bezogen hätte, sofern er höher ist als der letzte vor dem Unfall oder dem Ausbruch der Berufskrankheit erzielte Lohn." Gemäss ![]() ![]() | |
8.4 Demgegenüber entschied das Eidg. Versicherungsgericht (heute: sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts) im Urteil U 167/95 vom 5. September 1996 (SVR 1997 UV Nr. 83 S. 299, U 167/95 E. 6b), in der freiwilligen Versicherung stelle in jedem Fall der vereinbarte Verdienst die Grundlage für die Bemessung der Rente dar, weshalb eine Erhöhung in Analogie zu Art. 24 UVV nicht erfolge. Zur Begründung führte es aus, im Gegensatz zum Lohnbezüger könne der Selbstständigerwerbende im Rahmen der Vereinbarung über den versicherten Verdienst vorübergehenden oder dauernden Einkommensverminderungen Rechnung tragen. Dabei könne er innerhalb der von Art. 22 Abs. 1 und Art. 138 UVV vorgegebenen Grenzen jenen Verdienst versichern, den er bei Wegfall des Grundes der Verdiensteinbusse realistischerweise erzielen würde. Er könne zwar unter Berücksichtigung des in Art. 138 UVV vorgeschriebenen Minimums auch einen tieferen Verdienst versichern, hingegen - wegen des Verbots des Versicherungsgewinns (RKUV 1994 Nr. U 183 S. 49, U 59/92 E. 5a) - nicht dauerhaft einen wesentlich höheren als das tatsächliche Erwerbseinkommen (vgl. Urteil 8C_50/2008 vom 28. April 2008 E. 3.2 mit Hinweisen). Der Entscheid, ob und inwiefern der Selbstständigerwerbende im Rahmen der ![]() ![]() | |
9.1 Das kantonale Gericht erwog in Bezug auf die Frage nach einer analogen Anwendung von Art. 24 Abs. 2 UVV in der freiwilligen Versicherung, diese Sonderregel bezwecke praxisgemäss, allfällige Nachteile als Folge einer Verzögerung in der Rentenfestsetzung auszugleichen. Sie gelange auch bei Rückfällen und Spätfolgen zur Anwendung, jedoch nur bei der erstmaligen Rentenfestsetzung, nicht aber bei der revisionsweisen Neufestsetzung. Die Nichtanwendbarkeit von Art. 24 UVV auf den Bereich der freiwilligen Versicherung sei bisher massgebend unter Verweis auf das Äquivalenzprinzip begründet worden. Die gestützt auf Art. 15 Abs. 3 Satz 3 UVG statuierten Sonderfälle gemäss Art. 24 UVV stellten jedoch gerade Ausnahmeregeln dar, welche das Äquivalenzprinzip durchbrechen würden. Diese Ausnahmeregeln zielten nach der Marginale zu Art. 24 UVV auf die Bestimmung des massgebenden Lohnes für Renten in Sonderfällen ab, weil das Abstellen auf die Grundregel in solchen Fällen stossend wäre. Dass diese Ausnahmeregeln restriktiv auszulegen seien, finde in der Rechtsprechung keine Stütze und gelte in ![]() ![]() ![]() ![]() | |
Erwägung 9.3 | |
9.3.2 In seiner differenzierten Stellungnahme schliesst sich das BAG - abweichend von der Auffassung der früher zuständig gewesenen Aufsichtsbehörde des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV; vgl. BGE 127 V 165 E. 2c) - zumindest teilweise der vorinstanzlichen Argumentation an. Zu Recht verweist das BAG darauf, es erscheine - entgegen dem in SVR 1997 UV Nr. 83 S. 299, U 167/95 E. 6b, thematisierten Missbrauchspotenzial - nicht realistisch, dass eine freiwillig versicherte Person bei Vertragsabschluss (vgl. Art. 138 UVV) mit Blick auf eine Verzögerung zwischen einem inskünftig möglichen Unfall und dem erst mehr als fünf Jahre späteren Rentenbeginn auf die analoge Anwendbarkeit von Art. 24 Abs. 2 UVV vertraue, um dannzumal bei der Rentenbemessung von einer Erhöhung des versicherten Verdienstes profitieren zu können, jedoch dank des gezielt tief vereinbarten versicherten Verdienstes ![]() ![]() | |
9.3.3 Mit der Vorinstanz und dem BAG ist auch angesichts der Praxisänderung gemäss BGE 140 V 41 (vgl. dazu nachfolgend E. 9.3.5) nicht einzusehen, weshalb der versicherte Verdienst im Bereich der freiwilligen - im Gegensatz zur obligatorischen - Versicherung in besonderen Ausnahmefällen nur zu Ungunsten, nicht aber zu Gunsten der versicherten Person angepasst werden soll. So genügt es zwar praxisgemäss, bei langanhaltenden grossen Unterschieden zwischen dem vereinbarten versicherten Verdienst und dem tatsächlich erzielten Einkommen diesem Umstand im Versicherungsfall im Rahmen der Leistungsbemessung Rechnung zu tragen, indem zur Vermeidung eines grundsätzlich nicht zulässigen Versicherungsgewinns eine Leistungskürzung vorgenommen wird, auch wenn zuvor von der in Art. 138 UVV vorgesehenen Anpassungsmöglichkeit kein Gebrauch gemacht wurde (RKUV 1994 Nr. U 183 S. 49, U 59/92 E. 6c). Steht jedoch - wie hier - fest, dass die den Ausnahmecharakter begründende krasse und langandauernde Diskrepanz zwischen dem tiefen versicherten Verdienst und dem tatsächlich erzielten deutlich höheren Einkommen schon seit dem Vorunfalljahr 1999 vorlag, der Rentenanspruch jedoch erst rund zwanzig Jahre später nach dem Wechsel von der freiwilligen in die obligatorische Versicherung als ![]() ![]() | |
9.3.4 Grundsätzlich richtet sich der versicherte Verdienst nach den effektiven Einkommensverhältnissen (PRIBNOW, a.a.O., N. 15 zu Art. 4 UVG und N. 1 zu Art. 5 UVG; RIEDI HUNOLD, a.a.O., N. 6 zu Art. 15 UVG; vgl. auch Art. 22 Abs. 2 UVV). Dies gilt auch für die freiwillige Versicherung im Rahmen der Vereinbarung über den versicherten Verdienst (vgl. E. 7.3 hiervor). Längerandauernde massive Unterschiede zwischen dem vereinbarten versicherten Verdienst und den wirklichen Einkommensverhältnissen sollen vermieden und die Vereinbarung soll nötigenfalls den konkreten Umständen angepasst werden (VOLLENWEIDER/BRUNNER, BSK UVG, a.a.O., N. 16 zu Art. 15 UVG; CHEVALIER, a.a.O., N. 11 f. zu Art. 5 UVG; vgl. zur Vereinbarung des versicherten Verdienstes in der freiwilligen Versicherung Art. 138 UVV und Urteil 8C_665/2009 vom 22. Februar 2010 E. 6.1 mit Hinweisen). Bereits 1991 hatte die damals zuständige Aufsichtsbehörde des BSV in Bezug auf den Fall eines freiwillig Versicherten betont, bei längerandauernden massiven Unterschieden zwischen dem vereinbarten versicherten Verdienst und den wirklichen Einkommensverhältnissen seien "beide Vertragspartner, sowohl der Versicherte selbst wie auch der Versicherer, gehalten [...], ihre Vereinbarung nötigenfalls den konkreten Umständen anzugleichen" (RKUV 1994 Nr. U 183 S. 49, U 59/92 E. 5d). Weshalb eine Verletzung dieser - beidseitigen - Verpflichtung sich nur zu Lasten des freiwillig Versicherten auswirken soll, ist nicht einzusehen. Zudem steht fest, dass der ursprünglich freiwillig versicherte Beschwerdegegner nach seinem Unfall vom 26. April 2000 basierend auf der bisherigen Praxis der ausnahmslosen Nichtanwendbarkeit von Art. 24 Abs. 2 UVV (E. 8.4) - wie vom BAG ausgeführt (E. 9.3.2) - trotz regelmässiger Erhöhungen des versicherten Verdienstes zwecks Angleichung an die tatsächliche Einkommensentwicklung bei erheblich verzögerter Rentenfestsetzung auf seinem vereinbarten Vorunfallverdienst als Bemessungsgrundlage haften bleiben würde (vgl. E. 8.3 hiervor). Dies ist umso stossender, als der Beschwerdegegner per 1. Januar 2004 bei voller Arbeitsfähigkeit von der freiwilligen in die obligatorische Versicherung wechselte. Obwohl seither Art. 24 Abs. 2 UVV bei einem erneuten Unfall grundsätzlich anwendbar ![]() ![]() | |
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9.3.7 Nach dem Gesagten ist zusammenfassend festzuhalten: Tritt eine versicherte Person nach dem versicherten Ereignis von der freiwilligen in die obligatorische Unfallversicherung über und entsteht ein Rentenanspruch nach wiedererlangter voller Arbeitsfähigkeit erst mit erheblicher Verzögerung von mehr als fünf Jahren bei anhaltendem krassem Missverhältnis zwischen dem vereinbarten Vorunfallverdienst und dem seither ausgewiesenen AHV-beitragspflichtigen Einkommen, ist nicht ersichtlich, weshalb nach dem Grundsatz der Gleichwertigkeit der freiwilligen und der obligatorischen Versicherung (E. 7.1) nur die obligatorisch, nicht aber die ursprünglich ![]() ![]() | |
9.4 Der Beschwerdeführerin ist jedoch insoweit zu folgen, als eine eingehendere Abklärung der konkreten erwerblichen Verhältnisse des Beschwerdegegners - entgegen dem angefochtenen Urteil - nicht angezeigt ist. Denn ist unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles Art. 24 Abs. 2 UVV auch für die Rentenbemessung in der freiwilligen Versicherung analog anwendbar, bleibt der vom Beschwerdegegner vor dem Unfall bezogene Lohn an die geschlechtsspezifisch ausgewiesene Nominallohnentwicklung im angestammten Tätigkeitsbereich anzupassen (RUMO-JUNGO/HOLZER, a.a.O., S. 118; ANDRÉ PIERRE HOLZER, Der versicherte Verdienst in der obligatorischen Unfallversicherung, SZS 2010 S. 224 f.; BGE 127 V 165 E. 3b mit Hinweisen; Urteil 8C_316/2010 vom 6. August 2010 E. 4.3 mit Hinweisen). Angesichts der Bindungswirkung an das ![]() ![]() ![]() |