52. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
9C_282/2016 vom 12. September 2016 | |
Regeste | |
Art. 14 Abs. 4, 5 und 6 ELG; Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten.
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Bei Versicherten mit einem Einnahmenüberschuss kann dieser an die anerkannten, d.h. an die auf einen allfälligen kantonalrechtlichen Höchstbetrag im Sinne von Art. 14 Abs. 3 bis 5 ELG reduzierten Krankheits- und Behinderungskosten angerechnet werden (E. 4).
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Sachverhalt | |
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 29. März 2016 ab. ![]() | |
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Erwägung 1 | |
Personen, die auf Grund eines Einnahmenüberschusses keinen Anspruch auf eine jährliche Ergänzungsleistung haben, haben Anspruch auf die Vergütung der Krankheits- und Behinderungskosten, die den Einnahmenüberschuss übersteigen (Art. 14 Abs. 6 ELG).
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Erwägung 3 | |
3.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der massgeblichen Norm. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle Auslegungselemente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Entstehungsgeschichte ist zwar nicht unmittelbar entscheidend, dient aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Namentlich zur Auslegung neuerer Texte, die noch auf wenig veränderte Umstände und ein kaum gewandeltes Rechtsverständnis treffen, kommt den Materialien eine besondere Bedeutung zu. Vom Wortlaut darf abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Regelung wiedergibt. Sind mehrere Auslegungen möglich, ist jene zu wählen, die der Verfassung am besten entspricht. Allerdings findet auch eine ![]() ![]() | |
Nach dem klaren Wortlaut der Bestimmungen von Art. 14 Abs. 4 und 5 ELG (E. 1.1) ist eine Erhöhung des Mindestansatzes auf Fr. 90'000.- nur vorgesehen für Personen mit einem Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der Invaliden- oder der Unfallversicherung resp. für solche, die vorher eine Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung bezogen haben. Wird hingegen eine Hilflosenentschädigung "bloss" der AHV ausgerichtet, ist die Vergütung der Krankheits- und Behinderungskosten auf Fr. 25'000.- beschränkt. In der französischen und italienischen Version von Art. 14 Abs. 4 und 5 ELG ist die Regelung ebenso eindeutig formuliert wie in der deutschen Fassung.
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Erwägung 3.3 | |
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Eines der Hauptziele der 4. IV-Revision war es, die Autonomie von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen, was insbesondere durch Einführung einer "Assistenzentschädigung" erreicht werden sollte (Botschaft vom 21. Februar 2001 über die 4. Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung, BBl 2001 3244, 3209 Ziff. 1.1.2). Vor diesem Hintergrund wurde zusätzlich "bedürftigen Behinderten mit hohem Pflegebedarf, die ausserhalb einer stationären Institution leben wollen, [...] ein entsprechender Anspruch auf Ergänzungsleistungen zugebilligt - dank eines wesentlich erhöhten Maximalbetrages von 90 000 Franken pro Jahr" (AB 2001 N 1920;vgl. auch AB 2001 N 1923; AB 2002 S 751 und 753). Der Gesetzgeber wollte demnach mit der Erhöhung des Ansatzes Verbesserungen für Menschen mit invaliditäts- resp. unfallbedingten Einschränkungen, nicht aber für solche mit (vorwiegend) altersbedingter Hilflosigkeit schaffen. In diesem Sinn beinhaltet die Regelung von Art. 14 Abs. 5 ELG resp. Art. 3d Abs. 2ter aELG lediglich eine "Besitzstandwahrung", wenn die Hilflosenentschädigung der IV durch eine solche der AHV abgelöst wird (vgl. Art. 42 Abs. 4 IVG und Art. 43bis Abs. 4 AHVG).
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Erwägung 3.4 | |
3.4.1 Aus Art. 8 BV und Art. 14 EMRK - soweit diesbezüglich überhaupt von einer genügend substanziierten Rüge (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 49 E. 1.4.1 S. 53) auszugehen ist - ergibt sich nichts für die Beschwerdeführerin: Entscheidend für die umstrittene Differenzierung (E. 2.1) ist, ob die Hilflosigkeit bereits vor Erreichen des Rentenalters oder erst zu einem Zeitpunkt, in dem üblicherweise keine Berufstätigkeit mehr ausgeübt wird, eingetreten ist. Während die Hilflosigkeit jüngerer Menschen die Ausnahme darstellt, ist es die Regel, dass mit fortschreitendem Alter die Fähigkeiten zur Selbstsorge abnehmen und der Bedarf an Hilfeleistungen steigt. Die gesetzliche Regelung ist somit sachlich begründet und stellt keine unzulässige Ungleichbehandlung resp. Diskriminierung ![]() ![]() | |
Erwägung 4 | |
Im Wortlaut von Art. 14 Abs. 6 ELG ist die Rede von "Krankheits- und Behinderungskosten, die den Einnahmenüberschuss übersteigen" ("frais de maladie et d'invalidité qui dépassent la part des revenus excédentaires"; "spese di malattia e d'invalidità che superano l'eccedenza dei redditi"). Als Vergleichsgrösse zum Einnahmenüberschuss können somit entweder die tatsächlichen oder lediglich die anerkannten, d.h. auf einen allfälligen kantonalrechtlichen Höchstbetrag im Sinne von Art. 14 Abs. 3 bis 5 ELG reduzierten Kosten gemeint sein; die Formulierung (auch in der französischen und italienischen Version) lässt beide Möglichkeiten zu.
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Erwägung 4.2 | |
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Anerkannte Ausgaben gemäss Art. 10 ELG - mit Ausnahme von jenen für den allgemeinen Lebensbedarf - müssen nachgewiesen werden (vgl. BGE 138 V 218 E. 6 S. 221). Die Kosten für den ![]() ![]() | |
4.5 Insgesamt ergibt die Auslegung von Art. 14 Abs. 6 ELG, dass unter den darin genannten Krankheits- und Behinderungskosten lediglich die anerkannten, d.h. die auf einen allfälligen kantonalrechtlichen Höchstbetrag im Sinne von Art. 14 Abs. 3 bis 5 ELG reduzierten Kosten zu verstehen sind. Dem stehen auch die Weisung (zur Bedeutung von Verwaltungsweisungen vgl. BGE 140 V 543 E. 3.2.2.1 S. 547 f.; vgl. auch BGE 140 V 343 E. 5.2 S. 346; je mit Hinweisen) in Rz. 5310.06 der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherungen über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL; www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/view/1638/lang:deu/category:59) und das Beispiel in Anhang 13 WEL nicht entgegen. Beides lässt sich ohne Weiteres im soeben dargelegten Sinn präzisieren, wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat. Den Kantonen bleibt es unbenommen, den Vergütungsanspruch grosszügiger zu gestalten (E. 4.2 in initio). Damit bleibt es in concreto bei der vorinstanzlichen Berechnungsweise; die Beschwerde ist auch in diesem Punkt unbegründet. (...) ![]() |