31. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Beschwerde in Strafsachen) | |
6B_911/2021 vom 19. Juni 2023 | |
Regeste | |
Art. 19b BetmG; Art. 69 StGB; Einziehbarkeit von Betäubungsmitteln des Wirkungstyps Cannabis in Zusammenhang mit straflosen Konsumvorbereitungshandlungen.
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Sachverhalt | |
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B. Mit Entscheid vom 24. Januar 2020 sprach das Kreisgericht Rheintal A. vom Vorwurf der mehrfachen Übertretung nach Art. 19a Ziff. 1 ![]() ![]() | |
C. Auf Berufung von A. und Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft hin bestätigte das Kantonsgericht St. Gallen mit Entscheid vom 8. April 2021 den erstinstanzlichen Freispruch. Es ordnete an, dass die sichergestellten Betäubungsmittel (2.7 Gramm Marihuana sowie 0.6 Gramm Haschisch) und Filtertips eingezogen und vernichtet werden. Weiter stellte es fest, dass die erkennungsdienstliche Erfassung rechtswidrig erfolgt sei. Die Genugtuungsforderung sowie die Entschädigungsforderungen von A. für das Untersuchungs-, das erstinstanzliche und das Berufungsverfahren von je Fr. 300.- wies es ab. Die Kosten des Berufungsverfahrens verlegte es teilweise zulasten von A.
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D.
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D.a A. wendet sich mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht. Er beantragt, in teilweiser Aufhebung des Berufungsentscheids seien die sichergestellten Betäubungsmittel auf erste Aufforderung hin an ihn herauszugeben. Es sei festzustellen, dass die Entnahme des Wangenschleimhautabstrichs rechtswidrig erfolgt sei. Eventualiter sei ihm für die rechtswidrige Entnahme eines Wangenschleimhautabstrichs eine Genugtuung von Fr. 1.- zulasten der Staatskasse des Kantons St. Gallen zuzusprechen. Die Kosten des Berufungsverfahrens seien vollumfänglich aus der Staatskasse zu nehmen. Für das erstinstanzliche Verfahren und das Berufungsverfahren sei ihm sodann eine Prozessentschädigung von je Fr. 300.- zuzusprechen. In prozessualer Hinsicht ersucht A. um aufschiebende Wirkung.
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D.b Der Beschwerde wurde mit Verfügung vom 21. September 2021 die aufschiebende Wirkung zuerkannt. ![]() | |
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
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Erwägung 2.1 | |
Auf der einen Seite wird die Einziehbarkeit mit Verweis auf die von Art. 19b Abs. 1 BetmG vorgesehene Straflosigkeit des Besitzes sowie auf den Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 2. September 2011 zur Parlamentarischen Initiative Betäubungsmittelgesetz, Revision (Ordnungsbussenverfahren) (nachfolgend: Kommissionsbericht), BBl 2011 8210, verneint (HANS MAURER, in: StGB, JStG, Kommentar, Andreas Donatsch und andere [Hrsg.], 20. Aufl. 2018, N. 5 zu Art. 28e BetmG). ALBRECHT teilt diese Auffassung und fügt als kurze Begründung an, Art. 69 StGB verlange als Anknüpfungspunkt ein strafrechtlich bedeutsames Unrecht, d.h. ein tatbestandsmässiges und rechtswidriges Delikt (PETER ALBRECHT, Die Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes [Art. 19-28l BetmG] [nachfolgend: Kommentar], 3. Aufl. 2016, Fn. 1 N. 1 zu Art. 19b BetmG).
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Andererseits wird geltend gemacht, auch wenn Konsumvorbereitungshandlungen straflos blieben, seien die verbotenen Substanzen einzuziehen, da sonst die Gefahr bestehe, dass sie vom Besitzer dennoch konsumiert oder an Dritte weitergegeben würden (GUSTAV HUG-BEELI, in: Basler Kommentar, Betäubungsmittelgesetz, 2016, N. 59 zu Art. 19b BetmG). Ergänzend führt der genannte Autor aus, auch der Besitz einer geringfügigen Menge Cannabis mit einem ![]() ![]() | |
Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird gemäss Art. 19 Abs. 1 BetmG namentlich bestraft, wer Betäubungsmittel unbefugt anbaut, herstellt oder auf andere Weise erzeugt (lit. a), ![]() ![]() | |
Wer nur eine geringfügige Menge eines Betäubungsmittels für den eigenen Konsum vorbereitet oder zur Ermöglichung des gleichzeitigen und gemeinsamen Konsums einer Person von mehr als 18 Jahren unentgeltlich abgibt, ist nach Art. 19b Abs. 1 BetmG nicht strafbar. Für Betäubungsmittel des Wirkungstyps Cannabis gelten gemäss Art. 19b Abs. 2 BetmG zehn Gramm als geringfügige Menge. Nach der Praxis des Bundesgerichts fällt der Konsum von geringfügigen Drogenmengen unter Art. 19a Ziff. 2 BetmG, der blosse Besitz von geringfügigen Drogenmengen zu Konsumzwecken hingegen unter Art. 19b BetmG (BGE 145 IV 320 E. 1.5; BGE 108 IV 196 E. 1c; je mit Hinweisen). Von Art. 19b BetmG erfasst werden jene Beschaffungshandlungen, die ausschliesslich dem eigenen Gebrauch dienen, insbesondere der Erwerb und der Besitz mit dem Ziel, das Betäubungsmittel zu konsumieren. Die Bestimmung bezieht sich mit anderen Worten auf Vorbereitungshandlungen, die im Hinblick auf einen möglichen, aber nicht ausgeführten Eigenkonsum des Betäubungsmittels erfolgt und somit straflos sind (BGE 145 IV 320 E. 1.4.1 und 1.7.3 mit Hinweisen).
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Die Einführung des Ordnungsbussenverfahrens im Jahr 2012 erfolgte vor dem Hintergrund, dass sich die Sanktionierung des ![]() ![]() | |
2.4.1 Die Sicherungseinziehung befasst sich mit der Einziehung von Gegenständen, die einen Konnex zu einer Straftat aufweisen und angesichts ihrer Gefährdung für öffentliche Rechtsgüter ihrem Inhaber entzogen werden sollen. Sie hat keinen Strafcharakter, sondern ist eine sachliche Massnahme zum Schutz der Allgemeinheit vor rechtsgutgefährdender Verwendung gefährlicher Gegenstände (BGE 130 IV 143 E. 3.3.1; Urteil 6B_217/2021 vom 26. Mai 2021 E. 5.1). Mithin stellt sie ein Verfahren gegen Sachen oder Werte dar (BGE 132 II 178 E. 4; Urteil 6B_217/2021 vom 26. Mai 2021 E. 4 mit Hinweisen). Die einzuziehenden Gegenstände müssen einen Bezug ![]() ![]() | |
2.5 Mit der Einführung des Ordnungsbussenverfahrens wurde wie bereits gesehen eine einfache Möglichkeit geschaffen, das cannabishaltige Produkt bei Konsumwiderhandlungen einzuziehen (siehe E. 2.3 oben). Im Kommissionsbericht wird hierzu ausgeführt, dass nur das Cannabisprodukt eingezogen werden könne, das im Moment der Feststellung des Cannabiskonsums tatsächlich konsumiert wird. Weiter wird festgehalten: "Nicht eingezogen werden kann eine geringfügige Menge von Cannabis, die die Täterin oder der Täter nur bei sich trägt, da der Besitz von geringfügigen Mengen eines Betäubungsmittels nach Artikel 19b Absatz 1 nBetmG straflos ist" (BBl 2011 8210). Die vorliegend zu klärende Frage nach der Einziehbarkeit von geringfügigen, zum Eigenkonsum bestimmten Mengen ![]() ![]() | |
Zu betonen ist, dass nebst dem objektiven auch der subjektive Tatbestand erfüllt sein muss. Fehlt das subjektive Element, ist die Einziehung ausgeschlossen, es sei denn, der fragliche Besitz an sich ist verboten und die Einziehung ist aufgrund einer spezialgesetzlichen Bestimmung, die Art. 69 StGB vorgeht, zulässig (Urteil 6B_1277/ 2018 vom 21. Februar 2019 E. 3.2 mit Hinweisen). Wie sogleich näher dargelegt wird, geht es bei Art. 19b BetmG um legalen Besitz (siehe E. 2.6.1 unten). Anders als etwa im Urteil 6B_274/2020 vom 27. August 2020 E. 4.2 mit Hinweisen kann auf das Erfordernis des subjektiven Tatbestands im Hinblick auf die Einziehung daher nicht mit der Begründung verzichtet werden, dass der Besitz des fraglichen Betäubungsmittels an sich ja verboten ist.
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2.6.1 Bei einer straflosen Vorbereitungshandlung im Sinne von Art. 19b BetmG liegt keine tatbestandsmässige und rechtswidrige Anlasstat vor: Das Bundesgericht nahm im Urteil 6B_1273/2016 vom 6. September 2017 eine dogmatische Einordnung dieser Bestimmung vor und hielt fest, dass in ihrem Anwendungsbereich von allem Anfang an kein Straftatbestand erfüllt ist (E. 1.6.2 und 1.7.1). Dabei handelt es sich nicht (wie etwa bei Art. 19a Ziff. 2 BetmG) um einen blossen Strafverzicht aus prozessualen Opportunitätsüberlegungen oder um eine Privilegierung eines an sich deliktischen Verhaltens, sondern um eine ursprüngliche Straflosigkeit ![]() ![]() | |
In jedem Fall erfordert die Sicherungseinziehung einen unmittelbaren Zusammenhang zu einer konkreten Straftat (BGE 129 IV 81 E. 4.2; BGE 103 IV 76 E. 2; THOMMEN, a.a.O., N. 226 zu Art. 69 StGB; ferner MARTIN SCHUBARTH, Einziehung ohne Anlasstat? - Grenzen der Einziehung des "pretium sceleris", ZStrR 128/2010 S. 218 ff.). Der Staat hat sämtliche Voraussetzungen für eine Einziehung - und somit auch die konkrete Straftat - bei einer Drittperson zu beweisen (BGE 147 IV 479 E. 6.5.2.2; Urteile 6B_217/2021 vom 26. Mai 2021 E. 4; 6B_285/2018 vom 17. Mai 2019 E. 1.4.3; je mit Hinweisen). Im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln ist diese Beweislast vor dem Hintergrund zu sehen, dass Art. 19 BetmG nicht den "Handel mit Betäubungsmitteln" pauschal unter Strafe stellt, sondern verschiedene Verhaltensweisen als eigenständige Straftatbestände erfasst (BGE 133 IV 187 E. 3.2; Urteil 6B_474/2016 vom 6. Februar 2017 E. 3.1; je mit Hinweisen). Dies hat nicht zur Folge, dass im Einziehungsverfahren ein Deliktskonnex zu jeder einzelnen strafbaren Handlung im Sinne von Art. 19 BetmG nachzuweisen ist. Das Gericht muss aber in Abwägung sämtlicher relevanter Umstände zweifelsfrei zum Schluss gelangen, dass der einzuziehende Gegenstand oder Vermögenswert das Ergebnis eines in seiner Gesamtheit als illegal erfassten Handelns darstellt (vgl. für die Einziehung von Drogenerlös Urteil 6B_474/2016 vom 6. Februar 2017 E. 3.1 mit ![]() ![]() | |
In der vorliegend zu beurteilenden Konstellation ist ein derartiger Nachweis ohne weiterführende Ermittlungshandlungen nicht möglich. Zwar trifft es zu, dass der legalen Vorbereitungshandlung im Sinne von Art. 19b BetmG oftmals weitere betäubungsmittelrechtlich relevante Handlungen eines Dritten vorausgehen. Insbesondere ist die Weitergabe einer geringfügigen Menge Betäubungsmittel, wenn sie nicht mit dem Ziel des gleichzeitigen und gemeinsamen Konsums stattfindet, strafbar (Art. 19b Abs. 1 BetmG e contrario). Jedoch ist bereits fraglich, ob bei solch vorgelagerten Handlungen noch von einem unmittelbaren Zusammenhang zum Einziehungsobjekt, den geringfügigen Mengen Betäubungsmittel, ausgegangen werden kann. Vor allem aber ist die pauschale Annahme, dass diese Handlungen immer tatbestandsmässig und rechtswidrig sind, nicht haltbar. Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass Art. 19b Abs. 1 BetmG nicht nur den Besitz, sondern auch die unentgeltliche Abgabe einer geringfügigen Menge eines Betäubungsmittels an eine volljährige Person zwecks gleichzeitigem und gemeinsamem Konsum für straflos erklärt. Die Gehilfenschaft zu einer Widerhandlung gegen Art. 19a Ziff. 1 BetmG ist ebenfalls nicht strafbar (Art. 26 BetmG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 StGB; BGE 121 IV 293 E. 2b/bb). Nebst dem ist denkbar, dass es am subjektiven Tatbestand fehlt, beispielsweise, weil sich die Täterschaft in einem Sachverhaltsirrtum nach Art. 13 StGB befindet. Lediglich der Vollständigkeit halber sei sodann auf die spezialgesetzlichen Bestimmungen hingewiesen: Sofern Betäubungsmittel des Wirkungstyps Cannabis medizinische Verwendung finden, gelten sie nicht als verbotene Betäubungsmittel (Art. 8 Abs. 1 lit. d BetmG). Wenn Betäubungsmittel des Wirkungstyps Cannabis der wissenschaftlichen Forschung dienen, kann das Bundesamt für Gesundheit (BAG) für deren Anbau, die Einfuhr, die Herstellung und das Inverkehrbringen Ausnahmebewilligungen erteilen (Art. 8 Abs. 5 lit. b BetmG). Auch kann das BAG unter gewissen Voraussetzungen wissenschaftliche Pilotversuche mit Betäubungsmitteln des Wirkungstyps Cannabis bewilligen (Art. 8a BetmG). Der studienkonforme Umgang mit Cannabisprodukten, mithin Handlungen, die im Rahmen einer bewilligten Studie vorgenommen werden und mit den Vorgaben dieser Studie im Einklang stehen, sind straflos ![]() ![]() | |
Abgesehen davon, dass der Erwerb geringfügiger Mengen Cannabis zwecks Eigenkonsum von Art. 19b Abs. 1 BetmG erfasst wird, ist den vorstehenden Ausführungen zufolge nicht ausgeschlossen, dass sich der allfällige Betäubungsmittellieferant oder die -lieferantin ebenfalls im legalen Bereich bewegt. Dass sich in der Kaskade der verschiedenen Handlungen, die zum legalen Besitz geführt haben, mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch eine oder mehrere tatbestandsmässige und rechtswidrige Widerhandlungen gegen das BetmG finden, reicht für den Nachweis einer Anlasstat, wie sie Art. 69 StGB verlangt, nicht aus.
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2.6.3 Nach der Rechtsprechung kommt im Anwendungsbereich von Art. 19b BetmG das Ordnungsbussenverfahren nicht zur Anwendung (BGE 145 IV 320 E. 1.7.3 mit Hinweisen). Die Einziehung müsste somit in einem selbstständigen Einziehungsverfahren nach Art. 376 ff. StPO oder allenfalls im Rahmen einer Nichtanhandnahme (Art. 310 Abs. 2 i.V.m. Art. 320 Abs. 1 StPO) durch die Staatsanwaltschaft oder das Gericht angeordnet werden. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, lässt sich die Frage, ob eine tatbestandsmässige und rechtswidrige Anlasstat vorliegt, nicht an Ort und Stelle durch die Polizei restlos klären, sondern bedarf weiterführender Ermittlungshandlungen. Es kann aber nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, dass die Polizei in Bezug auf ein strafloses Verhalten weitere Untersuchungen tätigen und einzig im Hinblick auf eine Einziehung an die zuständige Behörde rapportieren muss. Ein derartiger administrativer Aufwand ist angesichts der geringen Tragweite der fraglichen Einziehung nicht verhältnismässig (so auch SCHLEGEL/JUCKER, Urteilsbesprechung, a.a.O., S. 278). Insbesondere scheint es nicht sachgerecht, dass für die Einziehung im Zusammenhang mit straflosen Vorbereitungshandlungen ein aufwändigeres Verfahren durchzuführen ist als bei der Ahndung eines strafbaren Verhaltens, nämlich des Konsums, für den der Gesetzgeber bewusst das einfache und rasche Ordnungsbussenverfahren vorgesehen hat (siehe E. 2.3 oben). Ausserhalb dieses Verfahrens fehlt insbesondere auch die effiziente Regelung von Art. 8 Abs. 2 OBG, wonach die ![]() ![]() | |
2.9.1 Nach Art. 5 Abs. 1 lit. b des Übereinkommens vom 20. Dezember 1988 der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen (SR 0.812.121.03) trifft jede Vertragspartei die gegebenenfalls notwendigen Massnahmen, ![]() ![]() | |
2.11 Bei diesem Ergebnis kann die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob die sichergestellten Betäubungsmittel tatsächlich ![]() ![]() ![]() |