11. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Erster Staatsanwalt und B. (Beschwerde in Strafsachen) | |
6B_101/2022 vom 30. Januar 2023 | |
Regeste | |
Art. 312 StGB; Amtsmissbrauch; besondere Nachteilsabsicht.
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Sachverhalt | |
Mit Anklageschrift vom 24. Januar 2018 wirft die Staatsanwaltschaft Graubünden A. unter dem Titel des Amtsmissbrauchs i.S.v. Art. 312 StGB u.a. vor:
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Ziffer 1.1, Abs. 2:
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"B. drehte sich um und machte einen Schritt ins Innere des Lokals. Daraufhin drehte er sich nochmals zu den Polizisten um. In diesem Moment sprühte A. aus einer Distanz von ca. 50 cm einmal Pfefferspray gegen B. und traf diesen im Bereich zwischen Brust und Stirn, v.a. in den Mund. Er tat dies, obwohl in diesem Moment kein unmittelbarer Angriff von B. gegen die beiden Polizisten stattfand oder drohte und auch sonst keine Veranlassung dazu bestand, was A. wusste."
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Ziffer 1.4:
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"A. und C. übten durch ihr Vorgehen unverhältnismässigen Zwang aus und sie wussten dabei, dass sie B. durch ihr Vorgehen Nachteile zufügten. Sie verursachten bei B. Prellungen mit Schleifspuren am ganzen Körper, eine Kontusion des Daumens, eine Schulterdistorsion, eine leichte ![]() ![]() | |
B.
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B.a Mit Urteil vom 17. Mai 2018 sprach das Regionalgericht Plessur A. von den Vorwürfen des Amtsmissbrauchs und der einfachen Körperverletzung frei.
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B.b Mit Berufungsurteil vom 9. Juni 2021 sprach das Kantonsgericht von Graubünden A. betreffend die Anklageziffer 1.1 schuldig des Amtsmissbrauchs gemäss Art. 312 StGB und auferlegte ihm hierfür eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 150.- sowie eine Busse von Fr. 450.-. Den Vollzug der Geldstrafe schob es auf bei einer Probezeit von 2 Jahren.
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C. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A. dem Bundesgericht, es sei das Berufungsurteil in den ihn belastenden Teilen aufzuheben und er sei vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs freizusprechen. Weiter sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
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Mit Verfügung vom 2. Februar 2022 wies die Abteilungspräsidentin das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung ab.
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Die Staatsanwaltschaft und das Kantonsgericht verzichteten auf Vernehmlassung.
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1.1 Er führt aus, beim Amtsmissbrauch nach Art. 312 StGB handle es sich um ein Absichtsdelikt: Gefordert sei die Absicht, sich oder einem Dritten einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem anderen einen unrechtmässigen Nachteil zuzufügen. Die Anklageschrift vom 24. Januar 2018 umschreibe nun aber nicht, welche unrechtmässigen Vorteile oder unrechtmässigen Nachteile der Beschwerdeführer durch den Einsatz des Pfeffersprays im Innern des Lokals beabsichtigt haben soll. In der Anklageschrift in Ziffer 1.1, Abs. 2 sei eine solche Absicht schlicht kein Thema. Es werde nichts zum subjektiven Tatbestand ausgeführt. In Ziffer 1.4 heisse es sodann einzig, die Polizisten hätten gewusst, dass sie dem Beschwerdegegner 2 durch ihr Vorgehen Nachteile zufügten. Alsdann folge eine Auflistung von Verletzungen, welche angeblich effektiv ![]() ![]() | |
1.2 Nach dem Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion; Art. 9 und 325 StPO; Art. 29 Abs. 2 sowie Art. 32 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Zugleich bezweckt das Anklageprinzip den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 144 I 234 E. 5.6.1; BGE 143 IV 63 E. 2.2; BGE 141 IV 132 E. 3.4.1; je mit Hinweisen). Solange klar ist, welcher Sachverhalt der beschuldigten Person vorgeworfen wird, kann auch eine fehlerhafte und unpräzise Anklage nicht dazu führen, dass es zu keinem Schuldspruch kommen darf. Die nähere Begründung der Anklage erfolgt an Schranken; es ist Sache des Gerichts, den Sachverhalt verbindlich festzustellen. Dieses ist an den in der Anklage ![]() ![]() | |
Erwägung 1.3 | |
Der subjektive Tatbestand verlangt vorsätzliches Verhalten, zumindest Eventualvorsatz, und eine besondere Absicht, die in zwei alternativen Formen in Erscheinung treten kann, nämlich die Absicht, sich oder einem Dritten einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, oder die Absicht, einem andern einen Nachteil zuzufügen (Urteile 6B_518/2021 vom 8. Juni 2022 E. 1.1; 6B_825/2019 / 6B_845/2019 vom 6. Mai 2021 E. 7.2; 6B_433/2020 vom 24. August 2020 E. 1.2.1; je mit Hinweisen). Die Nachteilsabsicht ist verwirklicht, sobald der Täter durch Vorsatz oder Eventualvorsatz eine nicht unerhebliche Benachteiligung verursacht (Urteile 6B_987/2015 vom ![]() ![]() | |
1.3.2 Die Frage, ob der vom Täter beabsichtigte Nachteil auch in der Zwangshandlung selbst liegen kann, wird von der aktuellen Literatur - soweit sie sich dazu äussert - einhellig bejaht (vgl. STEFAN HEIMGARTNER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2019, N. 23 zu Art. 312 StGB; STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II: Straftaten gegen Gemeininteressen, 7. Aufl. 2013, § 59 Rz. 12; DONATSCH/THOMMEN/WOHLERS, Strafrecht IV, Delikte gegen die Allgemeinheit, 5. Aufl. 2017, § 120 S. 554; MARK PIETH, Strafrecht, Besonderer Teil, 2. Aufl. 2018, S. 341; FREY/OMLIN, Amtsmissbrauch - die Ohnmacht der Mächtigen, AJP 2005 S. 85 ff.; implizit BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Bd. II, 3. Aufl. 2010, N. 10 zu Art. 312 StGB, MARIO POSTIZZI, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. II, 2017, N. 31 zu Art. 312 StGB sowie DUPUIS UND ANDERE, CP, Code pénal, 2. Aufl. 2017, N. 25 zu Art. 312 StGB, wonach der Täter andere schädige, sobald er unverhältnismässige Mittel einsetze, auch wenn er ein legitimes Ziel verfolge; wohl auch TRECHSEL/VEST, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Trechsel/Pieth [Hrsg.], 4. Aufl. 2021, N. 7 ![]() ![]() | |
1.4 Die Vorinstanz hat die Problematik der Umschreibung des subjektiven Tatbestands in der Anklageschrift erkannt. So führt sie aus, die Anklageschrift äussere sich "nur knapp zum subjektiven Tatvorwurf", nähere Ausführungen fehlten. Allerdings sei davon auszugehen, dass für den Beschwerdeführer keine Zweifel darüber ![]() ![]() | |
1.5 Die Ausführungen der Vorinstanz sind im Ergebnis nicht zu beanstanden. In der Anklageschrift wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe aus einer kurzen Distanz einmal Pfefferspray gegen den Beschwerdegegner 2 eingesetzt und diesen im Bereich zwischen Brust und Stirn, v.a. in den Mund, getroffen. Er habe dies getan, obwohl in diesem Moment kein unmittelbarer Angriff des Beschwerdegegners 2 gegen ihn und C. vorgelegen oder gedroht und auch sonst keine Veranlassung dazu bestanden habe, was er gewusst habe. Durch sein Vorgehen habe er unverhältnismässigen Zwang ausgeübt und dabei gewusst, dass er dem Beschwerdegegner 2 dadurch Nachteile zugefügt habe. Die Nachteilsabsicht ist damit genügend umschrieben, zumal die Vorinstanz nachfolgend davon ausgeht, der (tatsächlich erlittene) Nachteil habe in der Zwangshandlung selbst bestanden. Dass in der Anklageschrift nicht festgehalten ist, der Beschwerdeführer hätte damit rechnen müssen, der Einsatz des Pfeffersprays würde den Beschwerdegegner 2 - darüber hinaus - erschrecken und demütigen, ist unbeachtlich. Inwieweit dem Beschwerdeführer ein schwerwiegender Informationsmangel entstanden sein soll, ist nicht ersichtlich. Der Anklagegrundsatz wurde nicht verletzt; die Rüge erweist sich als unbegründet. ![]() |