1. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und Schweizerische Eidgenossenschaft, Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) (Beschwerde in Strafsachen) | |
6B_978/2020 vom 16. November 2022 | |
Regeste | |
Art. 23 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 lit. u UWG (in den bis 31. Dezember 2020 und seit 1. Januar 2021 geltenden Fassungen); Art. 88 Abs. 1 FDV; unlautere Handlung durch Nichtbeachtung eines sog. Sterneintrags im Telefonverzeichnis; Ausnahmeklausel der bestehenden Geschäftsbeziehung.
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Gerade angesichts des immer bedeutsameren Onlinehandels von Konsumgütern muss der Begriff der "Geschäftsbeziehung" unter anderem in zeitlicher Hinsicht eng genug ausgelegt werden, um dem Schutzzweck (Eindämmung von Auswüchsen im Telemarketing) zu genügen. Die Frage, wie lange eine nicht regelmässig erneuerte Geschäftsbeziehung aktuell bleibt, ist namentlich anhand einer allfälligen Vertragslaufzeit und der Natur des beworbenen Produkts zu beantworten (E. 4).
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Sachverhalt | |
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Die für die strafrechtliche Verfolgung von Widerhandlungen gegen das UWG zuständige Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern warf A. unlautere Werbe- und Verkaufsmethoden vor. Als Verwaltungsratspräsident der B. AG sei er für die Geschäftstätigkeit und damit für die Einhaltung der Gesetze verantwortlich. Das Handeln der Mitarbeiter in den Callcentern sei ihm zuzurechnen (Art. 29 lit. a StGB). In der Zeit vom 21. Dezember 2012 bis 11. September 2014 seien in 27 Fällen von Telefonnummern der B. AG aus Personen zu Werbezwecken angerufen worden, die im Telefonverzeichnis eine Werbesperre (Sterneintrag) hätten vermerken lassen.
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Das Regionalgericht Bern-Mittelland sprach A. in allen angeklagten Fällen vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG; SR 241) frei (Urteil vom 29. März 2019).
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B. Das SECO erhob Berufung in 15 Fällen. Das Obergericht des Kantons Bern sprach A. in elf Fällen vom Vorwurf der mehrfachen Widerhandlung gegen das UWG frei; in vier Fällen aus dem Jahr 2013 sprach es ihn schuldig. In zwölf Fällen waren erstinstanzliche Freisprüche unangefochten geblieben und damit rechtskräftig geworden. Von einer Bestrafung sah das Obergericht infolge des sehr leichten Tatverschuldens ab (Art. 52 StGB; Urteil vom 24. Juni 2020).
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C. A. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und er sei freizusprechen. Eventuell sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. ![]() | |
Erwägung 1 | |
Diese Ausnahme ist für die Beurteilung eines Teils der strittigen Schuldsprüche relevant (siehe E. 4). Nachdem sich die strittig gebliebenen Vorgänge im Jahr 2013 abgespielt haben und das vorinstanzliche Urteil vom 24. Juni 2020 datiert, ist die bis Ende 2020 geltende Fassung von Art. 3 Abs. 1 lit. u UWG massgebend. Deren Wortlaut sah den Ausnahmetatbestand der bestehenden Geschäftsbeziehung noch nicht ausdrücklich vor. Vor Bundesgericht kann sich der Beschwerdeführer zwar nicht auf das ab 2021 geltende, für ihn günstigere Recht (lex mitior; vgl. Art. 2 Abs. 2 StGB in Verbindung mit Art. 1 und 2 des Bundesgesetzes vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht [VStrR; SR 313.0]) berufen, weil die bundesgerichtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils nicht als Beurteilung im Sinn von Art. 2 Abs. 2 StGB gilt (BGE 145 IV 137). ![]() ![]() | |
Nach Art. 23 Abs. 2 UWG kann Strafantrag stellen, wer nach den Artikeln 9 und 10 zur Zivilklage berechtigt ist. Dazu gehört der Bund, wenn er es zum Schutz des öffentlichen Interesses als nötig erachtet, so wenn bestimmte Kollektivinteressen bedroht oder verletzt sind (vgl. Art. 10 Abs. 3 lit. b UWG). Die Klagelegitimation und die damit einhergehende Befugnis des SECO, in seiner Eigenschaft als Oberaufsichtsbehörde (Art. 20 Abs. 1 UWG) Strafanträge zu stellen, ermöglicht es dem Bundesamt, seine Aufgaben beim Vollzug des UWG wahrzunehmen. Art. 3 Abs. 1 lit. u UWG bezweckt, Auswüchse des Telefonmarketings einzudämmen (RETO HEIZMANN, in: Wettbewerbsrecht II, Kommentar, 2. Aufl. 2021, N. 2 zu Art. 3 Abs. 1 lit. u UWG; SUTTER, a.a.O., N. 4 zu Art. 3 Abs. 1 lit. u UWG mit Hinweisen). Dabei handelt es sich um ein Interesse überindividueller Natur. Solange der angezeigte Sachverhalt eine spezifische Widerhandlung im Sinn von Art. 3 Abs. 1 lit. u UWG offenbart, kann es deshalb nicht darauf ankommen, woran sich der Anzeigesteller konkret gestört hat. Im Hinblick auf die Gültigkeit des Strafantrags spielt also keine Rolle, ob C. tatsächlich nur eine Belästigung durch Anrufe, bei denen jeweils nur ein Piepton zu vernehmen war, ![]() ![]() | |
(...)
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Erwägung 4 | |
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Der Begriff der "Geschäftsbeziehung" muss unter anderem in zeitlicher Hinsicht eng genug ausgelegt werden, um dem Schutzzweck - der Eindämmung von Auswüchsen im Telemarketing - zu genügen. Vor allem angesichts des immer bedeutsamer werdenden ![]() ![]() | |
Solange eine allfällige Vertragslaufzeit anhält - beispielsweise während der Abonnementsdauer eines Schlüsselfundservices -, bleibt eine Geschäftsbeziehung regelmässig aktuell. Dies mag auch während der Lebensdauer eines beständigen Investitionsgutes gelten. Anders verhält es sich aber im Fall von Kunden, die ein kurzlebiges, zum Verbrauch bestimmtes Konsumgut ein- oder mehrmalig bezogen haben, das Produkt dann aber über einen Zeitraum hinweg, der einem Vielfachen der gewöhnlichen Verbrauchsdauer entspricht, nicht mehr neu kauften. In solchen Fällen muss davon ausgegangen werden, dass die mit dem früheren Kauf begründete Geschäftsbeziehung dahingefallen ist. Die Ausnahmeklausel einer bestehenden Geschäftsbeziehung beruht auf der Vermutung, im betreffenden speziellen Zusammenhang bestehe ein Interesse an Werbemitteilungen. Diese Übersteuerung des Sperrvermerks ist nicht mehr gerechtfertigt, nachdem der Kunde während einer längeren Zeit kein entsprechendes Interesse mehr angemeldet hat.
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4.3.3 Für den Anruf bei der Kundin J. hält die Vorinstanz zutreffend fest, dass angesichts der sieben Jahre zurückliegenden Bestellung eines Nahrungsergänzungsmittels keine andauernde Geschäftsbeziehung mehr besteht. In objektiver Hinsicht liegt eine Widerhandlung im Sinn von Art. 3 Abs. 1 lit. u UWG vor. Was den subjektiven Tatbestand anbelangt, durfte die B. AG resp. der Beschwerdeführer unter den gegebenen Bedingungen nicht in guten Treuen davon ausgehen, die Kundenbeziehung sei noch aktuell. Somit kann es nicht darauf ankommen, dass es zum Tatzeitpunkt dazu noch keine definierte behördliche Praxis gab. Die Frage eines Verbotsirrtums (Art. 21 StGB) stellt sich nicht. Vielmehr handelte die B. AG resp. der Beschwerdeführer diesbezüglich mit direktem Vorsatz. ![]() |