12. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. und B. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (Beschwerde in Strafsachen) | |
6B_636/2020 / 6B_637/2020 vom 10. März 2022 | |
Art. 261bis Abs. 1 und Abs. 4 erster Teilsatz StGB; Rassendiskriminierung; Aufruf zu Hass oder Diskriminierung; Herabsetzung oder Diskriminierung. | |
Definition der Begriffe "Fahrende" und "Zigeuner" (E. 4.3 und 4.4). | |
Art. 16 BV; Art. 10 EMRK; Art. 19 UNO-Pakt II; Meinungsäusserungsfreiheit. | |
Sachverhalt | |
"JSVP-Kandidaten wählen - Transitplätze für Zigeuner verhindern!
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Die neue Legislatur wird eine wichtige Weichenstellung sein. Im Seeland und im Berner Mittelland macht man sich Sorgen um die geplanten Transitplätze für ausländische Zigeuner. Wollen wir im Kanton Bern solch teure und schädliche Transitplätze, welche die Lebensqualität in der entsprechenden Region verschlechtern?
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Genau diese Frage wird sich in den nächsten vier Jahren stellen. Die Junge SVP Kanton Bern ist bisher die einzige Kantonalpartei, welche sich klipp und klar gegen solche Pläne ausgesprochen hat. Umso wichtiger, dass ihre Kandidaten unterstützt werden. Das Motto lautet also: JSVP wählen - Transitplätze verhindern!
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#bernstark".
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Auf diesen Text folgte eine farbige Abbildung im Stil eines Cartoons. Darauf ist ein Transitplatz für Fahrende zu sehen, auf dem sich stinkender Abfall türmt und eine leicht dunkelhäutige Person ihre Notdurft im Freien verrichtet. Im Hintergrund ist ein Dorf mit einem Glockenturm zu erblicken. Im Vordergrund ist ein Mann mit verärgertem Gesichtsausdruck, mit einer Tracht und einer Kappe mit dem Schweizerkreuz zu sehen, der sich angewidert die Nase zuhält. Darüber steht: "Millionenkosten für Bau und Unterhalt, Schmutz, Fäkalien, Lärm, Diebstahl, etc. Gegen den Willen der Gemeindebevölkerung". Unter der Abbildung steht der grossbuchstabige Text: "Wir sagen NEIN zu Transitplätzen für ausländische Zigeuner! Wählen Sie JSVP-Kandidaten in den Grossen Rat!"
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C. Das Regionalgericht Bern-Mittelland sprach A. und B. mit Urteil vom 14. Januar 2019 der Rassendiskriminierung schuldig. Es verurteilte A. zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 110.- und B. zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 120.-, jeweils unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren.
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D. Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte den Schuldspruch von A. und B. mit Urteil vom 6. Dezember 2019. Es verurteilte A. zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 160.- und B. zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 120.-, jeweils unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren. Das Obergericht widerrief den mit Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Bern-Mittelland, vom 23. Juni 2016 für eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je Fr. 100.- A. bedingt gewährten Vollzug nicht, sondern verwarnte ihn.
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E. A. und B. beantragen mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und sie seien vom Vorwurf der Rassendiskriminierung freizusprechen. Eventualiter beantragen sie, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache sei zur Fortsetzung des Verfahrens und Vervollständigung der Sachverhaltsermittlung an das Obergericht zurückzuweisen. Ferner ersuchen sie um Gewährung der aufschiebenden Wirkung.
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Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 10. März 2022 in einer öffentlichen Sitzung beraten.
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Das Bundesgericht vereinigt die Verfahren 6B_636/2020 und 6B_637/2020.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab, soweit es darauf eintritt.
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3. Wegen "Rassendiskriminierung" (Randtitel) wird gemäss Art. 261bis StGB unter anderem bestraft, (Absatz 1) wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, ![]() ![]() | |
Welches der Inhalt einer Äusserung ist, ist Tatfrage. Welcher Sinn einer Äusserung zukommt, ist hingegen Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei prüft. Massgebend ist dabei der Sinn, welchen der unbefangene Durchschnittsleser der Äusserung unter den gegebenen Umständen beilegt (BGE 145 IV 462 E. 4.2.3; BGE 143 IV 193 E. 1; BGE 140 IV 67 E. 2.1.2; Urteil 6B_1126/2020 vom 10. Juni 2021 E. 2.1.1; je mit Hinweisen). Äusserungen im Rahmen politischer Auseinandersetzungen sind nicht strikt nach ihrem Wortlaut zu messen, da bei solchen Auseinandersetzungen Vereinfachungen und Übertreibungen üblich sind (BGE 143 IV 193 E. 1; BGE 131 IV 23 E. 2.1 mit Hinweisen). Bei der Auslegung von Art. 261bis StGB ist der Freiheit der Meinungsäusserung (Art. 16 BV, Art. 10 EMRK, Art. 19 UNO-Pakt II [SR 0.103.2]) Rechnung zu tragen. In einer Demokratie ist es von zentraler Bedeutung, dass auch Standpunkte vertreten werden können, die einer Mehrheit missfallen oder für viele schockierend wirken (BGE 143 IV 193 E. 1; BGE 131 IV 23 E. 3.1; je mit Hinweisen).
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Die Strafbestimmung betreffend die Rassendiskriminierung bezweckt unter anderem, die angeborene Würde und Gleichheit aller Menschen zu schützen. Im Lichte dieser Zielsetzung erscheinen als Herabsetzung oder Diskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 erster Teilsatz StGB alle Verhaltensweisen, durch welche den Angehörigen einer Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung die Gleichwertigkeit als menschliche Wesen oder die Gleichberechtigung in Bezug auf die Menschenrechte abgesprochen oder zumindest in Frage gestellt wird (BGE 143 IV 193 E. 1; BGE 140 IV 67 E. 2.1.1; BGE 133 IV 308 E. 8.2; je mit Hinweisen). Der Begriff des "Aufrufens" (zu Hass oder Diskriminierung) im Sinne von Art. 261bis Abs. 1 StGB umfasst auch das "Aufreizen". Erfasst werden damit auch die allgemeine Hetze oder das Schüren von Emotionen, die auch ohne hinreichend expliziten Aufforderungscharakter Hass und Diskriminierung hervorrufen können (BGE 143 IV 193 E. 1; BGE 123 IV 202 E. 3b).
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Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine Ethnie im Sinne von Art. 261bis StGB ein Segment der Bevölkerung, das sich selbst als abgegrenzte Gruppe versteht und das vom Rest der ![]() ![]() | |
Der Tatbestand der Rassendiskriminierung setzt Vorsatz voraus, wobei Eventualvorsatz genügt (BGE 145 IV 23 E. 2.3; Urteil 6B_1126/2020 vom 10. Juni 2021 E. 2.1.3; je mit Hinweisen).
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Erwägung 4 | |
4.2 Die Vorinstanz erwägt, die Gemeinschaft der Fahrenden in der Schweiz werde auch "Zigeuner" genannt. Das Nomadentum sei eines der wesentlichen Elemente der kulturellen Identität der Fahrenden und sei unmittelbar mit der Ausübung ihrer verschiedenen Erwerbstätigkeiten verbunden. Mit Verweis auf das Konzept des Regierungsrates des Kantons Bern vom Juni 2011 hält sie fest, dass der Begriff "Fahrende" ein Sammelbegriff für die Gruppen der ![]() ![]() | |
4.3 Das vorinstanzliche Urteil stellt den Begriff der "Fahrenden" demjenigen der "Zigeuner" gleich und setzt sich weitgehend mit dem Begriff "Fahrende" auseinander. Das Bundesgericht hat sich unter verschiedenen Gesichtspunkten mit der Gemeinschaft der Fahrenden befasst. Im Hinblick auf die Bemessung des Invalideneinkommens hat es festgehalten, dass "Fahrende" auch "Zigeuner" genannt werden und dass das Nomadentum ein bestimmendes Merkmal der kulturellen Identität der Fahrenden sei, wenn auch ein bedeutender Teil von ihnen sesshaft lebe (BGE 138 I 205 E. 4 mit Hinweisen). Im Zusammenhang mit der Überprüfung kantonaler Regelungen von Transitplätzen hat das Bundesgericht unter anderem festgehalten, dass die Minderheit der Fahrenden in der Schweiz durch mehrere Staatsverträge, wie auch durch die Verfassung, in verschiedener Hinsicht geschützt ist (BGE 147 I 103 E. 11.1; BGE 145 I 73 E. 4; BGE 138 I 205 E. 6.1). Das Bundesgericht hatte sich nicht dazu zu äussern, ob die Gemeinschaft der Fahrenden als kulturelle oder ethnische Minderheit zu qualifizieren ist. Aus dem von den ![]() ![]() | |
Der Begriff "Fahrende" wurde als neutraler Begriff eingeführt, der sich vom abwertend wahrgenommenen Begriff "Zigeuner" unterschied und mit dem eine Ethnisierung vermieden werden sollte (www.bak.admin.ch/bak/de/home/sprachen-und-gesellschaft/jenische-und-sinti-als-nationale-minderheit/weiterfuehrende-informationen.html [zuletzt konsultiert am 10. März 2022]). In der Schweiz nimmt der Begriff Bezug auf die fahrende Lebensweise (www.bak. admin.ch/bak/de/home/sprachen-und-gesellschaft/jenische-und-sinti-als-nationale-minderheit/weiterfuehrende-informationen.html [zuletzt konsultiert am 10. März 2022]). Demnach sollte mit dem Begriff "Fahrende" die ethnische Komponente entfallen und lediglich die Art der Lebensweise in den Vordergrund gestellt werden. Unter Berücksichtigung dessen ist für die vorliegend massgebende Frage, ob mit dem Begriff "Zigeuner" eine Ethnie bezeichnet wird, nicht primär auf den Ausdruck "Fahrende", sondern direkt auf den von den Beschwerdeführern verwendeten Begriff "Zigeuner" abzustellen.
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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte [EGMR] hat festgehalten, dass es sich bei "Zigeunern" ("Tsiganes") um eine von ![]() ![]() | |
4.5 Es ist nicht davon auszugehen, dass der Durchschnittsadressat Kenntnis der dargestellten Komplexität des Begriffs "Zigeuner" hat oder in der Lage ist, eine klare Abgrenzung der verschiedenen vom Begriff "Zigeuner" erfassten Gruppen und Untergruppen vorzunehmen. Dies kann aber dahingestellt bleiben. Massgebend für die Frage, welchen Sinn der Durchschnittsadressat in dem von den Beschwerdeführern verwendeten Ausdruck "Zigeuner" erkannt hat, ist der Kontext, in dem ihn die Beschwerdeführer verwendet haben. Auf dem Bildelement ist unverkennbar eine dunkelhäutige Person zu sehen. Die gut sichtbare Überschrift enthält die Präzisierung, dass "ausländische Zigeuner" gemeint sind. Durch den mit dem Schweizerkreuz auf der Kappe der im Vordergrund stehenden Person geschaffenen Kontrast wird die ausländische Herkunft der "Zigeuner" zusätzlich betont. Dass der Durchschnittsadressat unter Berücksichtigung dieser Elemente bei dem Begriff "ausländische Zigeuner" ganz allgemein an nicht sesshafte Personen denkt, wie dies von den Beschwerdeführern geltend gemacht wird, ist auszuschliessen. Ebenfalls nicht anzunehmen ist, dass der Durchschnittsadressat unter Berücksichtigung der im Beitrag vorgenommenen ![]() ![]() | |
Die Beschwerdeführer haben demnach im dargelegten Kontext mit dem Ausdruck "ausländische Zigeuner" eine unter einem Sammelbegriff zusammengefasste Mehrheit von Ethnien, namentlich diejenigen der Roma und Sinti, bezeichnet. Der Begriff "ausländische Zigeuner" ist im dargelegten Kontext als Bezeichnung für eine "Ethnie" im Sinne von Art. 261bis StGB zu qualifizieren.
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5.3.1 Bei der Auslegung von Art. 261bis StGB ist der Freiheit der Meinungsäusserung (Art. 16 BV, Art. 10 EMRK, Art. 19 UNO-Pakt II) Rechnung zu tragen. Dass Missstände in einer im politischen Diskurs zulässigen zugespitzten Form dargestellt werden können und die Meinungsäusserungsfreiheit in einer politischen Debatte besonders stark zu gewichten ist, steht ausser Frage (vgl. Urteile des EGMR i.S. Féret gegen Belgien vom 16. Juli 2009, Nr. 15615/ 07, § 63; Feldek gegen Slovakei vom 12. Juli 2001, Nr. 29032/95, § 83). Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts und des EGMR Äusserungen zu politischen Fragen und Problemen des öffentlichen Lebens ein besonderer Stellenwert zukommt. In einer Demokratie ist es von zentraler Bedeutung, dass auch Standpunkte vertreten werden können, die einer Mehrheit missfallen und für viele schockierend wirken (BGE 143 IV 193 E. 1; BGE 131 IV 23 E. 3.1 mit Hinweisen; BGE 101 Ia 252 E. 3c S. 258; Urteil des EGMR Thorgeirson gegen Island vom 25. Juni 1992, Nr. 13778/88, Serie A Bd. 239 § 63). Dies ist unmittelbare Konsequenz des durch Pluralismus, Toleranz und ![]() ![]() | |
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5.3.2 Im Rahmen der damaligen politischen Auseinandersetzung und des Wahlkampfes durften die Beschwerdeführer selbstverständlich Kritik an bestehenden Missständen äussern. Dass Missstände auf Transitplätzen in einer im politischen Diskurs zulässigen zugespitzten Form dargestellt werden können und die Meinungsäusserungsfreiheit in der politischen Debatte besonders stark zu gewichten ist, steht ausser Frage. Wie dargelegt ist der Tatbestand der Rassendiskriminierung nicht bereits dann erfüllt, wenn jemand über eine von dieser Norm geschützte Gruppe etwas Unvorteilhaftes äussert, solange die Kritik insgesamt sachlich bleibt und sich auf objektive Gründe stützt. Mit der Kernbotschaft, wonach "ausländische Zigeuner" generell unhygienisch, ekelerregend und kriminell ![]() ![]() ![]() |