8. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, B. und Verein C. (Beschwerde in Strafsachen) | |
6B_440/2019 vom 18. November 2020 | |
Regeste | |
Art. 28 Abs. 1 StGB; Strafbarkeit der Medien; keine Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 1 StGB beim "Teilen" und Kommentieren eines fremden Beitrags auf Facebook.
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Die Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 1 StGB erfordert zunächst, dass das Medienerzeugnis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Das gilt grundsätzlich für Beiträge auf Social Media-Plattformen, soweit sie nicht durch persönliche Einstellungen nur für einen beschränkten Personenkreis verfügbar sind (E. 5.4.4).
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Die Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 1 StGB bedingt zusätzlich, dass sich die strafbare Handlung in der Veröffentlichung erschöpft. Art. 28 Abs. 1 StGB privilegiert dabei alle innerhalb der für das Medium typischen Herstellungs- und Verbreitungskette tätigen Personen. Der weite Medienbegriff setzt voraus, dass im Einzelfall geprüft werden muss, wer Teil der medientypischen Kette ist. Vorliegend verneint beim "Teilen" und Kommentieren eines fremden bereits veröffentlichten Beitrags auf Facebook (E. 5.5 und 5.6).
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Sachverhalt | |
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"Die Swissveg und D. machen es sich meiner Ansicht nach sehr sehr einfach. Antisemitismus: Mö. Ficht uns nicht an. Nicht das Thema hier! Nichts zu sehen, weitergehen! Die esoterisch-religiöse-irrationale-schädigende Vereinigung (andere sagen 'Sekte') 'Universales Leben': Mö. Kein Problem. Wer sind wir denn, da irgendwie draufzuschauen, dass die gegen Impfungen uns so sind...? GENAU aus solchen Gründen haben es ![]() | |
B. Das Regionalgericht Bern-Mittelland sprach A. am 13. November 2017 der üblen Nachrede schuldig, hinsichtlich des Weiterverbreitens der Behauptung, B. sei ein Antisemit, dagegen frei. Es verurteilte A. zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 80.-.
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C. Auf Berufung von A. bestätigte das Obergericht des Kantons Bern am 16. Januar 2019 den Schuldspruch wegen übler Nachrede, wobei es die Höhe des Tagessatzes auf Fr. 70.- reduzierte. Den Teilfreispruch hob es auf.
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D. Gegen dieses Urteil führt A. Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt einen Freispruch vom Vorwurf der üblen Nachrede. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Obergericht und die Generalstaatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Beschwerdegegner 2 und 3 haben innert erstreckter Frist zur Beschwerde Stellung genommen. Sie beantragen die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer reichte Gegenbemerkungen ein.
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5.2 Art. 16 Abs. 2 BV garantiert jeder Person das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu ![]() ![]() | |
5.4.1 Art. 28 StGB (aArt. 27 StGB) wurde zu einem Zeitpunkt konzipiert, als Fernsehen und Radio noch nicht existierten bzw. in ihren ![]() ![]() | |
5.4.2 In seiner Grundkonzeption ist die in Art. 28 StGB verankerte Sonderregelung auch mit der Revision des Medienstraf- und Verfahrensrechts (in Kraft seit 1. April 1998; AS 1998 852) unverändert geblieben (ZELLER, a.a.O., N. 24 zu Art. 28 StGB). Beabsichtigt war allerdings, die vom Strafrecht gesetzten Bedingungen für die Arbeit der Medienschaffenden den mit dem technischen Wandel einhergehenden Veränderungen anzupassen. Die auf Veröffentlichung in der Presse beschränkte Bestimmung sollte auf weitere Medien, namentlich Radio, Fernsehen sowie weitere "neue Kommunikationsmittel" ausgedehnt werden (BBl 1996 549 Ziff. 211.11). Dementsprechend geht auch die Lehre von einem weiten Medienbegriff aus (DONATSCH/TAG, Verbrechenslehre, Strafrecht I, 9. Aufl. 2013, S. 204 f.; BARRELET/WERLY, Droit de la communication, 2. Aufl. 2011, Rz. 1361; JOSÉ HURTADO POZO, Droit pénal, Partie générale, 2. Aufl. 2008, Rz. 1277; MICHEL DUPUIS UND ANDERE, in: CP Code ![]() ![]() | |
5.4.3 Aus dem offenen Wortlaut ("Medium"; "média"; "mezzo di comunicazione sociale") wie auch aus der Botschaft (BBl 1996 549: "gesamtmediale Betrachtungsweise" im Sinne von aArt. 55bis BV) ergibt sich, dass Art. 28 StGB nicht nur sämtliche Kommunikationsträger (Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen usw.), sondern auch Kommunikationsmittel (Video, Teletext, Videotext, E-Mail, Internet usw.) erfassen soll. Die offene Formulierung ist auf das Bestreben des Gesetzgebers zurückzuführen, die Medienlandschaft in ihrer gesamten Vielfalt zu erfassen (BBl 1996 526 ff.; Protokoll der Sitzung der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats vom 14./15. Mai 1997, S. 3 f.; AB 1997 S 573 f.; AB 1997 N 389 f.). Freilich konnte der Gesetzgeber damals - an der Schwelle zum Informationszeitalter - nicht voraussehen, dass sich die Grenze zwischen Produzenten- und Konsumentenrolle bei der medialen Kommunikation in gewissen Bereichen nicht mehr leichthin ziehen lässt. SCHWARZENEGGER weist zutreffend darauf hin, dass heute jede Person auf eine "Produktionsstätte für Medienveröffentlichungen" zurückgreifen kann (SCHWARZENEGGER, Anwendungsbereich, a.a.O., S. 171; vgl. auch Eidg. Justiz- und Polizeidepartement, Bericht der Expertenkommission "Netzwerkkriminalität", 2003, S. 62 f.; Rechtliche Basis für Social Media: Erneute Standortbestimmung, Nachfolgebericht des Bundesrates zum Postulatsbericht Amherd 11.3912 "Rechtliche Basis für Social Media" vom 10. Mai 2017[nachfolgend: Nachfolgebericht des Bundesrates],S. 7 ff.). Dass der Gesetzgeber Art. 28 StGB auf Formen direkter Kommunikation ausdehnen wollte, lässt sich den Materialien nicht entnehmen und widerspräche ![]() ![]() | |
Umgekehrt können Social Media nicht als blosse Form der Individualkommunikation bezeichnet werden (so aber SCHWAIBOLD, a.a.O., S. 126 f.). Auch lässt sich die Anwendbarkeit von Art. 28 StGB nicht generell auf jene Berufskategorien (Redaktoren, Verleger, Drucker) beschränken, wie sie in der früheren Gesetzesfassung privilegiert wurden (so aber FRANZ RIKLIN, Kaskadenhaftung - quo vadis?, Medialex 2000 S. 206). Beide Ansätze greifen zu kurz. Denn das Medienprivileg gilt für alle Personen, die an der Herstellung oder Verbreitung eines Medienerzeugnisses mitwirken. Sie müssen - anders als beim "periodisch erscheinenden Medium" nach Art. 28a Abs. 1 StGB oder beim "Medienunternehmen" nach Art. 322 Abs. 1 StGB - nicht Teil eines Medienunternehmens sein (BGE 128 IV 53 E. 5e "partie d'une entreprise de media"; ZELLER, a.a.O., N. 47 zu Art. 28 StGB; TRECHSEL/JEAN-RICHARD, a.a.O., N. 3 zu Art. 28 StGB; a.A. RIKLIN, Kaskadenhaftung - quo vadis?, a.a.O., S. 206; SCHWARZENEGGER, Anwendungsbereich, a.a.O., S. 187). Dies ist historisch zu begründen. Denn bereits aArt. 27 Abs. 2 StGB (in Kraft ab 1. Januar 1942; AS 54 757) regelte ausdrücklich die Verantwortlichkeit bei "nicht periodischen Druckschriften", namentlich die Publikation eines Inserats im Anzeigeteil einer Zeitung durch Aussenstehende (BBl 1918 IV 11; CARL LUDWIG, Schweizerisches Presserecht, 1964, S. 156 f.). Insofern sollen alle Personen über die Presse bzw. heute über ein "Medium" ihre Meinung in der Öffentlichkeit möglichst wirksam zur Geltung bringen können.
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5.4.4 Social Media treten in den verschiedensten Formen auf, etwa als soziale Netzwerke (z.B. Facebook), Mikroblogs (z.B. Twitter), Newsgroups (Foren), Instant-Messaging-Dienste (z.B. WhatsApp), audiovisuelle Medienseiten (z.B. Youtube) oder entsprechende Mischformen (z.B. Instagram). Ihr Inhalt reicht von journalistischen Beiträgen, Kommentaren aus der Leserschaft bis hin zur blossen Alltagskommunikation in Wort, Schrift, (bewegtem) Bild und Ton (vgl. Nachfolgebericht des Bundesrates, a.a.O., S. 6 ff.). Die Weite des Medienbegriffs führt allerdings nicht dazu, Social Media gemeinhin als "Medium" zu qualifizieren. Vielmehr ergibt sich die konkrete Anwendbarkeit von Art. 28 StGB im Einzelfall aus dem Erfordernis, dass das Medienerzeugnis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I: Die Straftat, 4. Aufl. 2011, § 13 Rz. 167; ![]() ![]() | |
5.5 Die Anwendbarkeit von Art. 28 StGB bedingt zusätzlich, dass sich die strafbare Handlung in der Veröffentlichung erschöpft ("consommée"; "consumato"). Darunter ist die Deliktsvollendung zu verstehen (DONATSCH/TAG, a.a.O., S. 206; WOHLERS, a.a.O., N. 3 zu Art. 28 StGB; SCHWARZENEGGER, Anwendungsbereich, a.a.O., S. 178 f.). Art. 28 StGB privilegiert dabei alle innerhalb der für das Medium typischen Herstellungs- und Verbreitungskette notwendigerweise tätigen Personen (BGE 128 IV 53 E. 5e; BGE 86 IV 145 E. 1; 73 IV 65; BBl 1996 550 f.; STÉPHANIE MUSY, La répression du discours de haine sur les réseaux sociaux, SJ 2019 II S. 14; WERLY, a.a.O., N. 22 ff. zu Art. 28 StGB; einschränkend SCHWARZENEGGER, Anwendungsbereich, a.a.O., S. 176 f.). Ohne diese im Einzelfall weitreichende Erfassung gewisser mit der Veröffentlichung zusammenhängender Beiträge und Hilfstätigkeiten, könnten Medienschaffende ihre Aufgaben nicht in angemessener Weise erfüllen. So sind nach der Rechtsprechung Mitglieder einer politischen Partei von der Strafbarkeit ausgenommen, die sich als Plakatierer im Rahmen eines Abstimmungskampfes beteiligen (BGE 128 IV 53) oder Broschüren verteilen (BGE 74 IV 129). Übernimmt dagegen ein Redaktor die ehrverletzende Meldung einer Nachrichtenagentur und veröffentlicht er sie in seiner Zeitung, begeht er ein eigenständiges Delikt (BGE 82 IV 71 E. 4). Er ist nicht Teil der ersten Herstellungs- und Verbreitungskette und das erste Delikt ist bereits vollendet (vgl. MUSY, a.a.O., S. 15). Insofern wird zwar der Verbreiter, nicht aber der Weiterverbreiter nach Art. 173 StGB von Art. 28 StGB erfasst. Der weite Medienbegriff bedingt, dass im Einzelfall geprüft werden muss, wer Teil der medientypischen Herstellungs- und Verbreitungskette ist. ![]() | |
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