19. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Jugendanwaltschaft des Kantons Bern (Beschwerde in Strafsachen) | |
6B_115/2015 vom 22. April 2015 | |
Regeste | |
Art. 5, 15 und 18 JStG; vorsorgliche Anordnung von Schutzmassnahmen während des Massnahmenvollzugs im Verfahren betreffend Änderung einer Massnahme.
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Sachverhalt | |
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Die Jugendanwaltschaft Emmental-Oberaargau leitete am 26. November 2014 ein nachträgliches Verfahren zwecks Massnahmenänderung ein. Am 3. Dezember 2014 ordnete sie die vorsorgliche Unterbringung von X. in die offene Erziehungseinrichtung Stiftung Z. an. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Bern am 9. Januar 2015 ab.
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B. Mit Beschwerde in Strafsachen vom 30. Januar 2015 beantragt X., es sei der Beschluss des Obergerichts aufzuheben und er ![]() ![]() | |
C. Das Obergericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die Jugendanwaltschaft des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. X. repliziert innert Frist.
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Erwägung 3 | |
3.2 Schutzmassnahmen nach Art. 12 ff. JStG sollen den Bedürfnissen des jugendlichen Rechtsbrechers nach Erziehung und Schutz Rechnung tragen. Sie sind daher periodisch auf ihre Wirkungen in Bezug auf die Persönlichkeit und Entwicklung des Jugendlichen und damit auf ihre Zweckmässigkeit zu überprüfen und bei Bedarf anzupassen. Im Verlaufe des Vollzugs kann sich zeigen, dass die ursprünglich angeordnete Schutzmassnahme ihren Zweck aufgrund geänderter Verhältnisse nicht mehr erreicht und eine andere Schutzmassnahme als erforderlich oder jedenfalls als zweckmässiger erscheint. Art. 18 Abs. 1 Satz 1 JStG erlaubt daher, eine Massnahme nachträglich zu ändern, d.h. durch eine andere zu ersetzen, wenn sich die Verhältnisse geändert haben (vgl. Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das ![]() ![]() | |
3.3 Schutzmassnahmen gemäss Art. 12 ff. JStG können nicht nur in einem Endentscheid, sondern auch schon während des Verfahrens und insofern "vorsorglich" angeordnet werden (vgl. Art. 5 JStG). Das Gesetz trägt damit der Tatsache Rechnung, dass der Schutz und die Erziehung des Jugendlichen unter Umständen rasches Eingreifen gebieten. Bei vorsorglichen Schutzmassnahmen handelt es sich mit andern Worten um provisorische Sofortmassnahmen zur umgehenden Gewährleistung des Schutzes und der Erziehung des Jugendlichen. Es geht um eine Krisenintervention. Voraussetzung dafür sind namentlich ein dringliches Schutzbedürfnis auf Seiten des Jugendlichen im Sinne einer psychischen, physischen oder erzieherischen Gefährdungslage sowie die Notwendigkeit einer unverzüglichen Intervention zur Gefahrenabwehr und -verhinderung. Überdies muss jede vorsorgliche Schutzmassnahme den Verfassungsgrundsatz der ![]() ![]() | |
3.4 Der das Jugendstrafrecht beherrschende Schutz- und Erziehungsgedanke soll frühestmöglich zum Tragen kommen. Schutzmassnahmen im Sinne von Art. 12 ff. StGB können daher gemäss Art. 5 JStG bereits während der Untersuchung, also vor einer allfälligen Hauptverhandlung und Verurteilung, vorsorglich angeordnet werden (siehe Botschaft, a.a.O., 2223 Ziff. 422.1; HOLDEREGGER, a.a.O., S. 392 N. 759). Das Rechtsinstitut der vorsorglichen Anordnung von Schutzmassnahmen soll aber nicht auf das Untersuchungsverfahren beschränkt bleiben, sondern muss - über den Wortlaut von Art. 5 JStG hinaus - erst recht auch während des Massnahmenvollzugs im Hinblick auf eine Änderung der Massnahme Anwendung finden. So kann aus Sorge um die gedeihliche Entwicklung des Jugendlichen - wenn die bestehende Massnahme ihren Zweck nicht erreicht und Gefahr im Verzuge ist - auch im Massnahmenänderungsverfahren unter Umständen nicht zugewartet werden, bis die ursprüngliche Schutzmassnahme durch die neue erforderliche und zweckmässige Massnahme definitiv ersetzt wird. Wenn es das Wohl des Jugendlichen oder allenfalls Dritter gebietet, muss es daher vielmehr auch im Verfahren nach Art. 18 JStG betreffend Änderung einer Massnahme möglich und zulässig sein, sofort im Sinne einer Krisenintervention vorsorglich einzuschreiten. Die Frage nach der Gewährleistung des Jugendschutzes stellt sich hier nicht anders als im Untersuchungsverfahren. Wegleitend für die Anwendung des Gesetzes müssen stets die Prinzipien des Schutzes und der Erziehung des Jugendlichen sein (Art. 2 Abs. 1 JStG). Vorsorgliche Schutzmassnahmen im Massnahmenvollzug nicht zulassen zu wollen, widerspräche dem Sinn und Zweck des Jugendstrafrechts. Sofern das Verfahren auf Massnahmenänderung nach Art. 18 JStG eingeleitet ist, muss die zuständige Behörde daher in sinngemässer Anwendung von Art. 5 JStG die neue Schutzmassnahme vorsorglich anordnen können, wenn der Jugendliche in seiner bisherigen Umgebung einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt ist oder er selber eine Gefahr für seine Umgebung ![]() ![]() | |
3.5 Die zuständige Behörde kann somit Schutzmassnahmen auch während des Massnahmenvollzugs im Verfahren betreffend Änderung einer Massnahme im Sinne von Art. 18 sinngemäss gestützt auf Art. 5 JStG vorsorglich anordnen. Ob auch Art. 9 JStG, welcher u.a. die vorsorgliche stationäre Beobachtung eines Jugendlichen im Hinblick auf die allfällige Anordnung einer Massnahme regelt, als gesetzliche Grundlage zur vorsorglichen Unterbringung im Rahmen eines Massnahmenänderungsverfahrens herangezogen werden könnte, liegt nahe, braucht im vorliegenden Zusammenhang aber nicht beantwortet zu werden. ![]() |