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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
1. Gemäss Art. 261bis StGB wird wegen Rassendiskriminierung  ...
Erwägung 3
Erwägung 3.2
Erwägung 4
5. Zu prüfen ist im vorliegenden Verfahren einzig, wie das M ...
Erwägung 5.2
6. Die vom Beschwerdegegner 1 organisierte Veranstaltung, an welc ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server
 
19. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. General-prokurator des Kantons Bern gegen X. und Y. (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
6S.318/2003 vom 27. Mai 2004
 
 
Regeste
 
Rassendiskriminierung (Art. 261bis StGB); Begriff der Öffentlichkeit.
 
Öffentlich im Sinne von Art. 261bis StGB sind Äusserungen, die nicht im privaten Rahmen erfolgen. Privat sind Äusserungen im Familien- und Freundeskreis oder sonst in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägten Umfeld. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hängt von den konkreten Umständen ab, wobei insoweit auch die Zahl der anwesenden Personen eine Rolle spielen kann (Änderung der Rechtsprechung; E. 5.2).
 
Öffentlichkeit bejaht im Falle von Äusserungen an einem Vortrag, der im Rahmen einer geschlossenen Veranstaltung in einer Waldhütte gehalten wurde, an welcher 40 bis 50 geladene Skinheads teilnahmen, die verschiedenen Gruppierungen angehörten (E. 6).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 130 IV 111 (112)A. Am 26. September 1999 fand in einer Waldhütte eine von X. im Namen der Vereinigung Z. organisierte Veranstaltung statt. X. lud dazu die Mitglieder der genannten Gruppierung sowie einige weitere ihm persönlich bekannte Kollegen schriftlich ein. Er engagierte als Referenten Y., der einen Vortrag zum Thema "Die Entstehung der SS und der Waffen-SS" halten sollte. Y., der selbst nicht Mitglied der Vereinigung Z. war, lud seinerseits einige ihm bekannte Personen zur Veranstaltung ein. In die Waldhütte wurde nur eingelassen, wer eine schriftliche Einladung vorweisen konnte. Es waren etwa 40-50 Personen anwesend, die alle der "Skinhead"-Szene angehörten. Y. sprach in der Waldhütte vor diesen Personen zum genannten Thema.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern erhob gegen X. und Y. Anklage unter anderem wegen Rassendiskriminierung.
B. Am 3. Juni 2003 sprach das Obergericht des Kantons Bern in Bestätigung des Urteils des Gerichtspräsidenten 3 des Gerichtskreises III Aarberg-Büren-Erlach vom 24. Oktober 2002 Y. und X. frei von der Anschuldigung der Rassendiskriminierung durch Verharmlosung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Y.) beziehungsweise von der Anschuldigung der Rassendiskriminierung durch Organisation einer Propagandaaktion (X. ), angeblich begangen am 26. September 1999.
C. Der stellvertretende Generalprokurator des Kantons Bern führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde verzichtet.BGE 130 IV 111 (112)
BGE 130 IV 111 (113)E. X. und Y. beantragen in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.
F. Der stellvertretende Bundesanwalt beantragt in seinen Bemerkungen sinngemäss die Gutheissung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Nichtigkeitsbeschwerde gut.
 
Die erste Instanz hat die Beschwerdegegner freigesprochen mit der Hauptbegründung, die vom Beschwerdegegner 1 organisierte Veranstaltung sei nicht öffentlich gewesen, und mit der Eventualbegründung, dass der Beschwerdegegner 2 durch die inkriminierten Äusserungen an dieser Veranstaltung entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers den Holocaust beziehungsweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit weder geleugnet noch gröblich verharmlost noch zu rechtfertigen gesucht habe. Die Vorinstanz hat den Freispruch der Beschwerdegegner allein mit dem Fehlen der Öffentlichkeit begründet und sich mit den weiteren Tatbestandsmerkmalen von Art. 261bis StGB nicht befasst.
Zu prüfen ist somit einzig, ob das Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit objektiv erfüllt ist.
(...)
 
Erwägung 3
 
3.1 Öffentlich ist eine Äusserung nach allgemeiner Auffassung, wenn sie von unbestimmt vielen Personen oder von einem grösseren, nicht durch persönliche Beziehungen zusammenhängenden Personenkreis wahrgenommen werden kann (BGE 111 IV 151 E. 3;BGE 130 IV 111 (113) BGE 130 IV 111 (114) BGE 123 IV 202 E. 3d; BGE 126 IV 176 E. 2; STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., 1997, Art. 259 StGB N. 3a, Art. 261 StGB N. 3, Art. 261bis StGB N. 15; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil. II, 5. Aufl., 2000, § 38 N. 15; MARCEL ALEXANDER NIGGLI, Rassendiskriminierung, Ein Kommentar zu Art. 261bis StGB und Art. 171c MStG, 1996, N. 696, 704; DORRIT SCHLEIMINGER, Basler Kommentar, StGB II, 2003, Art. 261bis StGB N. 21; ähnlich die Rechtsprechung und herrschende Lehre in Deutschland, siehe statt vieler SCHÖNKE/ SCHRÖDER/LENCKNER, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Aufl., 2001, § 186 StGB N. 19). Diese allgemeine Begriffsumschreibung gilt, wie sich aus den zitierten Entscheiden ergibt, auch für den Tatbestand der Rassendiskriminierung (Art. 261bis StGB) im Besonderen und die Tatbestandsvariante der Leugnung von Völkermord (Art. 261bis Abs. 4 zweite Hälfte StGB) im Speziellen.
 
Erwägung 3.2
 
Demgegenüber hat das Bundesgericht Öffentlichkeit im Sinne von Art. 261bis StGB verneint im Fall eines Beschuldigten, der einBGE 130 IV 111 (114) BGE 130 IV 111 (115)rassendiskriminierende Ideologien enthaltendes Buch eines Dritten per Post an sieben ihm bekannte Personen verschickt hatte (BGE 126 IV 176; zustimmend GUIDO JENNY, ZBJV 139/2003 S. 379). Gemäss den Erwägungen im zitierten Entscheid sind sieben Adressaten in einer solchen Konstellation nicht als Öffentlichkeit zu qualifizieren. Daher stelle sich die - in der Lehre umstrittene - Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Risiko der Weiterverbreitung der Äusserungen durch die Adressaten Öffentlichkeit im Sinne von Art. 261bis begründe, ob etwa Öffentlichkeit zu bejahen sei, wenn der Absender keine Kontrolle über die Weiterverbreitung durch die Adressaten und damit keine Kontrolle über den Wirkungskreis der Äusserungen habe. Das Bundesgericht hat im zitierten Entscheid die Frage verneint. Zwar könne das Risiko der Weiterverbreitung an einen grösseren Personenkreis je nach den Umständen grösser oder kleiner sein, doch bestehe insoweit im Prinzip nie eine Kontrollmöglichkeit; diese sei daher - allenfalls von Grenzfällen abgesehen - kein taugliches Kriterium. Öffentlichkeit sei somit nicht schon gegeben, wenn ein erhebliches Risiko der Weiterverbreitung an einen grösseren Personenkreis bestanden, sondern erst, wenn sich dieses Risiko verwirklicht habe, welche Voraussetzung im beurteilten Fall nicht erfüllt war. Das Ausmass des Risikos der Weiterverbreitung sei nur in Bezug auf den subjektiven Tatbestand von Bedeutung (BGE 126 IV 176 E. 2e; ablehnend und kritisch MARCEL ALEXANDER NIGGLI/GERHARD FIOLKA, Das Private und das Politische: Der Begriff der Öffentlichkeit im Strafrecht am Beispiel der Bundesgerichtsentscheide vom 21. Juni 2000 und vom 23. August 2000 betreffend Rassendiskriminierung, in: AJP 2001 S. 533 ff.). Das Bundesgericht hat Öffentlichkeit im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB auch verneint im Fall eines Buchhändlers, der ein den Holocaust leugnendes Buch eines Dritten in beschränkter Anzahl (weniger als zehn Exemplare) an einem für Kunden nicht einsehbaren Ort aufbewahrt, hiefür keinerlei Werbung gemacht und es nur auf Verlangen verkauft hatte (BGE 126 IV 230; zustimmend GUIDO JENNY, ZBJV 139/2003 S. 379; ablehnend und kritisch MARCEL ALEXANDER NIGGLI/GERHARD FIOLKA, a.a.O., S. 533 ff.).
3.2.2 Mit der Frage der Öffentlichkeit von mündlichen Äusserungen hatte sich das Bundesgericht nur relativ selten zu befassen. Im Urteil 6S.635/2001 vom 30. Mai 2002 (auszugsweise wiedergegeben in Medialex 2002 S. 158) wurde Öffentlichkeit im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 erste Hälfte StGB bejaht im Fall einesBGE 130 IV 111 (115) BGE 130 IV 111 (116)Beschuldigten, der die Äusserung gegenüber dem Betroffenen auf der Strasse eines Wohnquartiers in Anwesenheit von sechs Personen getan hatte. Das Bundesgericht hat festgehalten, die kantonale Instanz habe die unmittelbar anwesenden sechs Personen zu Recht nicht als Öffentlichkeit im Sinne des Gesetzes qualifiziert. Öffentlichkeit sei gemäss den zutreffenden Ausführungen der kantonalen Instanz aber deshalb gegeben, weil sich der Vorfall an einem sonnigen Juniabend zwischen 18.00 und 20.00 Uhr auf der Strasse eines Einfamilienhausquartiers ereignet habe. Daher hätte eine Vielzahl von unbestimmten und mit dem Beschuldigten in keiner persönlichen Beziehung stehenden Drittpersonen potentielle Zeugen der lautstarken Äusserungen werden können. Das Bundesgericht hat Öffentlichkeit sodann bejaht im Fall von Äusserungen eines Beschuldigten in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung wegen Ehrverletzung, an welcher Medienschaffende zugegen waren, welche über die Gerichtsverhandlung und die Äusserungen des Beschuldigten zusammenfassend in Presseerzeugnissen berichteten (Urteil 6S.698/2001 vom 22. Januar 2003, E. 3.3).
BGE 130 IV 111 (116)
 
BGE 130 IV 111 (117)Erwägung 4
 
Für diese Auffassung gibt es indessen keine zwingenden Gründe. In Anbetracht der Verschiedenartigkeit der Tatbestände, die Öffentlichkeit als strafbegründendes Element voraussetzen, liegt im Gegenteil eine tatbestandsbezogene Auslegung des Merkmals der Öffentlichkeit nahe.
BGE 130 IV 111 (117)
BGE 130 IV 111 (118)5.1 Art. 261bis StGB ("Rassendiskriminierung") ist im Zwölften Titel des Strafgesetzbuches betreffend die "Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden" eingeordnet. Strafbar sind grundsätzlich - ausser bei der Tatbestandsvariante der Leistungsverweigerung im Sinne von Art. 261bis Abs. 5 StGB - nur öffentliche Handlungen. Gemäss den Ausführungen in der Botschaft des Bundesrates stellt Rassendiskriminierung eine Gefährdung des öffentlichen Friedens dar. Der Angriffspunkt sei allerdings die Menschenwürde eines jeden Einzelnen der betroffenen Gruppe. Der Zusammenhang sei jedoch eindeutig. In einem Staat, in dem Teile der Bevölkerung ungestraft verleumdet oder herabgesetzt werden könnten, wo zu Hass und Diskriminierung gegen Angehörige bestimmter rassischer, ethnischer oder religiöser Gruppen aufgestachelt werden dürfte, wo einzelne Menschen auf Grund ihrer rassischen, ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit in ihrer Menschenwürde angegriffen werden könnten, wo aus derartigen Gründen einem Menschen oder einer Gruppe von Menschen eine Leistung verweigert werden dürfte, wäre der öffentliche Friede gefährdet, das Vertrauen in die Rechtsordnung erschüttert und sehr häufig die Gewährleistung anderer Grundrechte gefährdet (Botschaft des Bundesrates, BBl 1992 III 269 ff., S. 309 f.).
Auch nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung schützen Art. 261bis Abs. 1 und 4 StGB in erster Linie - unmittelbar oder zumindest mittelbar (siehe BGE 129 IV 95 E. 3 zu Art. 261bis Abs. 4 zweite Hälfte StGB) - die Würde des einzelnen Menschen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer Rasse, Ethnie oder Religion. Dieser Schutz des Einzelnen in seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe dient zugleich der Wahrung des öffentlichen Friedens (BGE 123 IV 202 E. 2 und 3a; siehe auch BGE 128 I 218 E. 1.4).
 
Erwägung 5.2
 
Von diesem Ausgangspunkt betrachtet erscheinen alle Äusserungen und Verhaltensweisen als öffentlich, die nicht dem erwähnten privaten Rahmen zugerechnet werden können. Es genügt also, um öffentliches Handeln anzunehmen, dass dieses nicht auf das engere private Umfeld beschränkt bleibt, das der Gesetzgeber von der Strafbarkeit ausnehmen wollte. So gesehen kann als öffentlich im Sinne von Art. 261bis StGB alles gelten, was nicht privat ist (vgl. NIGGLI/FIOLKA, a.a.O., S. 539 f.).
Die bisherige Rechtsprechung geht demgegenüber von einer Umschreibung der Öffentlichkeit aus, die mit dem Verweis auf einen grösseren Personenkreis insbesondere der Zahl der Adressaten ein ausschlaggebendes Gewicht beimisst. So hat das Bundesgericht den Versand eines Buchs an sieben Empfänger als nicht öffentliche Handlung qualifiziert, weil sieben Personen noch keine Öffentlichkeit zu begründen vermöchten (BGE 126 IV 176 E. 2d/aa; ähnlich auch BGE 126 IV 230 E. 2b/dd). Diese rein quantitative Betrachtung vermag nicht länger zu überzeugen. Auch unter wenigen Personen ausgetauschte rassistische Äusserungen können den privaten Rahmen überschreiten, den der Gesetzgeber von der Strafbarkeit ausnehmen wollte. Die Zahl der Personen, welche eine Äusserung wahrnehmen, ist ohnehin oft zufällig und erscheint daher nicht als geeignetes Kriterium, um über den öffentlichen Charakter einer Handlung zu entscheiden.
Der Entscheid, ob eine Handlung noch im privaten Kreis erfolgt, ist auf Grund der konkreten Umstände zu treffen. Es liegt auf derBGE 130 IV 111 (119) BGE 130 IV 111 (120)Hand, dass dabei die Zahl der anwesenden Personen ebenfalls eine Rolle spielen kann. Je enger diese miteinander verbunden sind, umso umfangreicher kann der Kreis sein, ohne den privaten Charakter zu verlieren. Umgekehrt ist etwa ein Gespräch unter vier Augen auf Grund der dadurch geschaffenen Vertraulichkeit auch dann dem privaten Kreis zuzurechnen, wenn sich die involvierten Personen nicht näher kennen. Die Zahl der Adressaten einer Äusserung kann daher den Entscheid über die Privatheit bzw. Öffentlichkeit mitbeeinflussen, ohne aber für sich allein ausschlaggebend zu sein.
Eine gemeinsame Gesinnung der Teilnehmer vermag den öffentlichen Charakter einer Veranstaltung im Sinne von Art. 261bis StGB nicht auszuschliessen, wenn die Gesinnungsgenossen nicht auch persönlich miteinander verbunden sind. Ebenso wenig können Versammlungen schon deshalb als privat gelten, weil eine Einlasskontrolle durchgeführt und der Zugang nur einem besonderen Publikum gestattet wird. Art. 261bis StGB will gerade auch verhindern, dass sich rassistisches Gedankengut in Zirkeln, die ihm zuneigen, weiter verfestigt und ausweitet.