29. Urteil des Kassationshofes vom 28. April 1995 i.S. Staatsanwaltschaft des Mittellandes des Kantons Bern gegen L. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste | |
Art. 185 Ziff. 2 StGB; qualifizierte Geiselnahme; Drohung, das Opfer zu töten; Einsatz einer Scheinwaffe.
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Sachverhalt | |
Dem Schuldspruch wegen Geiselnahme liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Im Sommer 1993 lernte L. auf der Gasse in B. den inzwischen verstorbenen M. kennen. Beide verkehrten im Drogenmilieu, waren arbeitslos und befanden ![]() ![]() | |
B.- Die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil der Kriminalkammer aufzuheben und die Sache zur Verurteilung wegen qualifizierter Geiselnahme gemäss Art. 185 Ziff. 2 StGB sowie zur Neubemessung der Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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1. Gemäss Art. 185 Ziff. 1 Abs. 1 StGB wird mit Zuchthaus bestraft, wer jemanden der Freiheit beraubt, entführt oder sich seiner sonstwie bemächtigt, um einen Dritten zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung zu nötigen. Die Strafe ist Zuchthaus nicht unter drei Jahren, wenn der Täter droht, das Opfer zu töten, körperlich schwer zu verletzen oder grausam zu behandeln (Art. 185 Ziff. 2 StGB). In besonders schweren Fällen, ![]() ![]() | |
a) Die Vorinstanz nimmt an, der Beschwerdegegner habe sich, auch wenn er in der Bank nicht anwesend gewesen sei, als Mittäter zu verantworten. Da M. beim Überfall nicht von dem abgewichen sei, was der gemeinsamen Vorstellung über den Ablauf der Tat entsprochen habe, müsse sein gesamtes Handeln in vollem Ausmass dem Beschwerdegegner angerechnet werden.
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Die Vorinstanz bejaht den Grundtatbestand der Geiselnahme nach Art. 185 Ziff. 1 Abs. 1 StGB in objektiver wie subjektiver Hinsicht. Da M. die Waffe Frau R. an den Hinterkopf gehalten habe und diese von der Echtheit der Pistole überzeugt gewesen sei, habe er - wenn zufolge des kurzen Zeitablaufs allenfalls keine Freiheitsberaubung anzunehmen sei - sich ihrer zumindest bemächtigt.
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Zur Frage der Qualifikation nach Art. 185 Ziff. 2 StGB führt die Vorinstanz aus, auch wenn M. nicht ausdrücklich gedroht habe, er werde Frau R. erschiessen, könne sein Verhalten nur so interpretiert werden. Ein solches konkludentes Drohen reiche für die Qualifikation grundsätzlich aus. Es stelle sich jedoch die Frage, ob eine Drohung mit einer für die Geisel objektiv vollkommen ungefährlichen "Käpslipistole" als Drohung mit dem Tode angesehen werden könne, was mit einer massiven Erhöhung der Mindeststrafe verbunden wäre. Für den Grundtatbestand drohe das Gesetz eine Zuchthausstrafe von mindestens einem Jahr an. Bei Bejahung der Qualifikation betrage die Mindeststrafe dagegen drei Jahre Zuchthaus. Es stelle sich die Frage, ob eine Drohung, die der Täter weder wahrmachen wolle noch könne, eine solche massive Erhöhung der Mindeststrafe rechtfertige. Ausgehend davon, dass es beim Tatbestand der Geiselnahme in erster Linie um den Schutz der Rechtsgüter der Geisel und erst in zweiter Linie um den Schutz der Willensbildungs- und Betätigungsfreiheit des Dritten gehe, sei der Lehrmeinung zu folgen, wonach für die Qualifikation eine weitergehende Einschränkung der Willensbildungs- und Betätigungsfreiheit des Dritten allein nicht ausreiche, sondern zusätzlich eine gewisse Erhöhung der objektiven Gefährdung der Geisel verlangt werden müsse. Diese letztere Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Der Beschwerdegegner sei deshalb lediglich in Anwendung des Grundtatbestandes zu verurteilen.
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b) Die Beschwerdeführerin wendet ein, nach dem Gesetzeswortlaut komme es nicht darauf an, ob der Täter die Drohung ernst meine. Qualifikationsgrund sei nicht die wirkliche Situation der Geisel, sondern die ausserordentliche ![]() ![]() | |
Gemäss Art. 185 Ziff. 2 StGB steigt die Mindeststrafe auf drei Jahre Zuchthaus unter anderem dann, wenn der Täter droht, das Opfer zu töten. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es nicht darauf an, ob die Geisel von der Drohung weiss und ob der Täter diese ernst meint; danach ist Qualifikationsgrund allein die ausserordentliche Zwangslage, in die der Nötigungsadressat versetzt wird. Ob das ausreicht, um das hohe Strafmass zu rechtfertigen, wird im Schrifttum allerdings bezweifelt (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. Aufl., § 5 N 59). Es wird die Auffassung vertreten, Ziff. 2 sei insofern zu weit gefasst, als auch die nicht ernst gemeinte Drohung, welche für die Geisel kein zusätzliches Risiko berge, darunter falle (HANS-PETER EGLI, Freiheitsberaubung, Entführung und Geiselnahme, Diss. Zürich 1986, S. 200). REHBERG/SCHMID (a.a.O., S. 355) schlagen vor, Ziff. 2 auf jene Fälle einzuschränken, in denen der Geiselnehmer gewillt ist, die Drohung wahrzumachen. Andernfalls würde sein Verhalten lediglich den Druck auf den Adressaten seiner Forderung verstärken, nicht aber die im Vordergrund stehenden Rechtsgüter der Geisel zusätzlich gefährden. ![]() | |
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Die Bejahung der Qualifikation wirkt sich im übrigen nur auf die Mindeststrafe aus. Die Höchststrafe beträgt in jedem Fall 20 Jahre Zuchthaus. Auch bei Verneinung der Qualifikation können somit erschwerende Umstände im Rahmen der Strafdrohung des Grundtatbestandes von einem bis zu 20 Jahren Zuchthaus angemessen gewichtet werden.
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c) Nach der zutreffenden Ansicht der Vorinstanz genügt in Anbetracht der hohen Mindeststrafe von 3 Jahren Zuchthaus der erhöhte Druck auf die Willensfreiheit des Dritten für die Annahme der Qualifikation nicht. Beim Tatbestand der Geiselnahme stehen, wie dargelegt, die Rechtsgüter der Geisel im Vordergrund. Die Qualifikation rechtfertigt sich nur, wenn diese Rechtsgüter in gesteigertem Mass betroffen sind. Dabei ist zu beachten, dass schon beim Grundtatbestand eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der Rechtsgüter der Geisel gegeben ist. Eine Geiselnahme ist für die Geisel stets mit einer Beschränkung der persönlichen Freiheit und einer mehr oder weniger starken psychischen Belastung verbunden. Die Bejahung der Qualifikation und die sich daraus ergebende Erhöhung der Mindeststrafe auf 3 Jahre Zuchthaus rechtfertigt sich nur dann, wenn die Rechtsgüter der Geisel objektiv erheblich stärker als beim Grundtatbestand beeinträchtigt worden sind. Diese objektiv erheblich stärkere Beeinträchtigung der Rechtsgüter der Geisel muss zudem vom Vorsatz des Täters umfasst sein.
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d) Diese Voraussetzung ist bei einer Geiselnahme wie hier dann zu bejahen, wenn der Täter die Drohung wahrmachen kann und will, er also die Geisel mit einer geladenen Schusswaffe bedroht und bereit ist, die Geisel zu erschiessen, falls seine Forderung nicht erfüllt wird. In einem solchen Fall besteht für die Geisel nebst der Beschränkung der persönlichen ![]() ![]() | |
e) Nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 BStP) bedrohte M. Frau R. mit einer objektiv ungefährlichen Spielzeugpistole. Er wollte nach dem mit dem Beschwerdegegner vereinbarten Tatplan niemanden verletzen. M. und der Beschwerdegegner wollten mit List, nicht mit Gewalt zum Ziel kommen. Die Geiselnahme dauerte einige Sekunden. Der ganze Überfall dauerte nach Ansicht von M. 20-30 Sekunden. Die Vorinstanz geht von einer Dauer von 39 Sekunden aus.
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Unter diesen Umständen verletzt die Verneinung der Qualifikation Bundesrecht nicht. Zwar genügte die kurze Drohung mit der Spielzeugpistole, um die Geisel, die von der Echtheit der Waffe ausging, in Todesangst zu versetzen. Insofern war für die Geisel durchaus das Risiko einer gesundheitlichen Belastung gegeben. Für die Geisel bestand jedoch keine Gefahr, durch eine gewaltsame Einwirkung des Täters zu Schaden zu kommen. ![]() | |
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Die Bestätigung des angefochtenen Entscheids rechtfertigt sich auch angesichts der Nähe der Tat zum Raub. Bei Überfällen wie dem vorliegenden sind die Übergänge zwischen Raub und Geiselnahme oft fliessend. Das zeigt etwa der BGE 113 IV 63 zugrunde liegende Fall, wo der Täter mit der Waffe zuerst die Schalterbeamtin bedrohte und, als dies nicht den gewünschten Erfolg zeitigte, die Waffe gegen eine Kundin richtete. Bedroht ein Bankräuber den Schalterbeamten mit einer Spielzeugpistole, so ist in der Regel keiner der in Art. 140 Ziff. 2-4 StGB genannten Qualifikationsgründe erfüllt. Denn der Täter hat keine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe mit sich geführt; er hat auch nicht durch die Art, wie er den Raub begeht, seine besondere Gefährlichkeit offenbart; schliesslich hat er das Opfer nicht in Lebensgefahr gebracht oder es grausam behandelt. Die Mindeststrafe beträgt für den Täter eines derartigen Bankraubes deshalb 6 Monate Gefängnis (Art. 140 Ziff. 1 StGB). Das spricht für Zurückhaltung bei der Annahme einer qualifizierten Geiselnahme und damit einer Mindeststrafe von 3 Jahren Zuchthaus in Fällen, wo der Täter die Spielzeugpistole anstatt gegen den Schalterbeamten gegen einen Kunden richtet und vom Schalterbeamten Geld verlangt.
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f) Da die Beschwerdeführerin die Strafzumessung nur beanstandet, falls von einer qualifizierten Geiselnahme auszugehen ist, hat sich das Bundesgericht dazu nicht zu äussern.
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