21. Urteil des Kassationshofes vom 12. Mai 1964 i.S. Bracher gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich. | |
Regeste | |
Art. 76 MFV, 49 Abs. 4 Verordnung über die Strassensignalisation vom 31. Mai 1963.
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Sachverhalt | |
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B.- Der Polizeirichter der Stadt Zürich verurteilte Bracher wegen Nichtbeachtung des Haltezeichens der Verkehrsregelungsanlage gestützt auf Art. 76 Abs. 2 und 5 MFV und § 15 der kantonalen Verordnung über die Strassensignalisation vom 30. April 1953 zu einer Busse von Fr. 10.-.
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Auf Einsprache des Verurteilten bestätigte der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich am 7. November 1963 die Bussenverfügung.
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2. Wie der Kassationshof in seinem Urteil vom 14. September 1959 i.S. Biedermann ausgeführt hat, soll das gelbe Zwischensignal, das vor dem Wechsel vom grünen zum roten Licht eingeschaltet wird, die Fahrzeugführer auf das bevorstehende Fahrverbot aufmerksam machen und verhindern, dass sie nach der Umschaltung auf rotes Licht, womit in der Regel gleichzeitig dem Querverkehr die Fahrt frei gegeben wird, sich noch in der Kreuzung befinden und mit Fahrzeugen aus anderer Richtung zusammentreffen können. Diese Gefahr besteht auch dann, wenn noch unmittelbar vor Beendigung des nur wenige Sekunden aufleuchtenden gelben Zwischensignals in die Kreuzung eingefahren wird. Das gelbe Zwischenlicht hat daher grundsätzlich den Sinn, dass an der Signalanlage angehalten werden muss. Eine Ausnahme wurde im erwähnten Entscheid nur für den Fall gemacht, dass ein Fahrzeugführer beim Aufleuchten des gelben Lichts sich der Signalanlage bereits so weit genähert hat, dass er überhaupt nicht mehr oder nur noch mittels einer Stoppbremsung anhalten könnte (BGE 85 IV 156 ff.). Damit stimmt die Verordnung über die Strassensignalisation vom 31. Mai 1963, in Kraft seit 1. August 1963, im wesentlichen ![]() ![]() | |
a) Dem Beschwerdeführer kann insoweit zugestimmt werden, als er annimmt, zum Anhalten wäre eine Bremsstrecke von 13 m erforderlich gewesen. Er anerkennt, dass sein Wagen (Alfa Romeo) mit sehr guten Bremsen ausgerüstet ist, und es ist auch unbestritten, dass die Fahrbahn eben, trocken und asphaltiert war. Eine mittlere Bremsverzögerung von nahezu 7,6 m/sec2, wie sie der Beschwerdeführer bei einem Bremsweg von 13 m und bei einer Geschwindigkeit von 50 km/Std erreichte, ist unter günstigen Verhältnissen, jedenfalls in den Bereichen geringer und mittlerer Geschwindigkeiten, bei Fahrzeugen neuerer Bauart durchaus möglich. Schon im Jahre 1937 wurde für die Zulassung leichter Motorwagen mit Vierradbremsen zum Verkehr von der Kommission der kantonalen amtlichen Automobilexperten eine Mindestverzögerung von 5 m/sec2 vorgeschrieben, die nicht unterschritten werden durfte (BRÜSTLEIN, Strassenverkehrsrecht 1960, S. 106). Seither ist sowohl die Wirksamkeit der Bremsen als auch die Strassenhaltung der Fahrzeuge durch Verlagerung des Schwergewichtspunktes nach unten verbessert worden. In neueren Bremswegtabellen wird denn auch bei guten bis sehr guten Bremsen auf ebenen, trockenen und guten Fahrbahnen allgemein mit einer mittleren Bremsverzögerung von 6-7 m/sec2 und darüber gerechnet (vgl. BADERTSCHER/SCHLEGEL, Kommentar zum SVG (1964), S. 86; ![]() ![]() | |
b) Dagegen kann dem Beschwerdeführer nicht eine Reaktionszeit von einer vollen Sekunde zugebilligt werden. Der Kassationshof hat schon wiederholt erklärt, dass der Motorfahrzeugführer in Lagen, in denen er mit Gefahren oder Hindernissen zu rechnen hat und daher zu besonderer Aufmerksamkeit verpflichtet ist, nicht die allgemein übliche Reaktionszeit von einer Sekunde beanspruchen darf, sondern in dem Augenblick, in dem die vermutete Gefahr erkennbar wird, imstande sein muss, innert einem Bruchteil einer Sekunde zu reagieren, z.B. die Fussbremse wirksam zu betätigen (ebenso SORDET a.a.O. S. 549), wobei dieser Sekundenbruchteil beim Bremsen naturgemäss dann am kleinsten ist, wenn dem Führer nach den Umständen zuzumuten war, den Fuss schon vor Eintritt der Gefahr vom Gashebel wegzunehmen und vorsorglich auf das Bremspedal zu legen. Jedenfalls zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet aber war der Beschwerdeführer i m Hinblick auf die Signalanlage am Bürkliplatz, die er ![]() ![]() | |
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, die Reaktionszeit könne nicht weiter als auf 0,5 sec (SCHWARZ, Der Motorfahrzeugführer, S. 312; MOSER, a.a.O. S. 36) oder auf 0,6 sec (FLOEGEL/HARTUNG, Strassenverkehrsrecht (14. Aufl.), S. 90; LAVES/BITZEL/BERGER, Der Strassenverkehrsunfall (1956), S. 36) verkürzt werden. Andere Autoren nehmen an, dass die Reaktionszeit des durchschnittlichen Fahrzeugführers stets weniger als eine Sekunde betrage; sie legen ihren Tabellen einen mittleren Wert von 0,6 sec (BEDOUR, a.a.O. S. 108) oder von 0,75 sec (PERRAUD-CHARMANTIER, Code de la route (1962), S. 79) zugrunde. Wird davon ausgegangen, der Beschwerdeführer hätte bei pflichtgemässer Vorsicht und Anspannung auf das Haltezeichen innert 0,6-0,7 sec die Bremse betätigen können, so wäre sein Fahrzeug während dieser Zeit 8,3-9,7m ungebremst weitergerollt, und er hätte infolgedessen bei einem Bremsweg von 13 m höchstens eine Strecke von 23 m zum Anhalten benötigt.
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c) Stand demnach dem Beschwerdeführer zum Anhalten ![]() ![]() | |
Demnach erkennt der Kassationshof:
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