52. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Republik Südsudan gegen A. Ltd. und B. Limited (Beschwerde in Zivilsachen) | |
4A_575/2022 vom 7. August 2023 | |
Art. 192 Abs. 1 Satz 1 IPRG; Verzicht auf Rechtsmittel; subjektive Tragweite der Schiedsklausel. | |
Art. 178 Abs. 2 IPRG; materielle Gültigkeit der Schiedsklausel. | |
Art. 177 Abs. 2 IPRG; Schiedsfähigkeit; Staat als Partei. | |
Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG; Bindung an eine Schiedsvereinbarung bei Staatennachfolge. | |
Sachverhalt | |
A.a Die B. Limited (Klägerin 2, Beschwerdegegnerin 2) ist eine nach dem Recht der heutigen Republik Südsudan organisierte Gesellschaft mit Sitz in U. (heute: Republik Südsudan).
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Die A. Ltd. (Klägerin 1, Beschwerdegegnerin 1) ist eine nach dem Recht der W. organisierte Gesellschaft mit Sitz in V. (W.). Ihr einziger Zweck ist die Investition in die Klägerin 2.
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A.b Am 15. Oktober 2003 schlossen die C. Corporation (nachfolgend: C.) als Lizenzgeberin und die Klägerin 2 als Lizenznehmerin einen Lizenzvertrag (sog. "Initial Licence") für den Betrieb eines Telekommunikationsnetzwerks in einem Teil der südlichen Republik Sudan (heute: Republik Südsudan) für die Dauer von 15 Jahren. Der Vertrag wurde gleichentags mit Amendment No. 1 ergänzt.
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Am 6. Oktober 2007 vereinbarten das Ministry of Technology and Postal Services for the Government of Southern Sudan und die Klägerin 2 ein Amendment No. 2 zur Initial Licence. Artikel 10 von Amendment No. 2 enthält folgende Schiedsklausel:
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"All disputes arising out of, or in connection with the present License shall be amicably settled. Failing such an amicable settlement within a period of 3 (Three) months as from the date of notification by one Party to the other that a dispute has arisen, such dispute shall be finally settled under the Rules of Arbitration of the International Chamber of Commerce by one arbitrator appointed in accordance with the said Rules. The language of the arbitration shall be the English language and the place of arbitration shall be Geneva, Switzerland.
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The arbitral award shall be final and binding and both Parties hereby waive any right they may have to appeal by any mean or nature or request the cancellation of any such award." ![]() | |
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A.d Am 9. Juli 2011 erlangte die Republik Südsudan (Beklagte, Beschwerdeführerin) die Unabhängigkeit von der Republik Sudan.
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B. Am 26. Juli 2018 leiteten die Klägerinnen ein Schiedsverfahren nach den Regeln der Internationalen Handelskammer (ICC) gegen die Beklagte ein. Sie behaupteten, Verletzungen der Lizenzverträge hätten zu Verspätungen geführt und den Betrieb sowie die Entwicklung des Telekommunikationsnetzwerks beeinträchtigt. Sie seien gezwungen gewesen, den Betrieb des Telekommunikationsnetzwerks einzustellen, und die Lizenzverträge seien widerrechtlich beendet worden. (...)
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Die Beklagte bestritt die Zuständigkeit des Schiedsgerichts, die Gültigkeit der Lizenzverträge und ihre Haftung sowohl im Grundsatz als auch bezüglich der Schadensberechnung. (...)
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Mit "Teilschiedsspruch" vom 10. November 2022 erklärte sich der Einzelschiedsrichter für zuständig zur Beurteilung der Streitigkeit zwischen den Klägerinnen und der Beklagten (...). Er stellte verschiedene Vertragsverletzungen resp. die Haftung der Beklagten fest (...), wies die Schiedsklage indes auch in verschiedenen Punkten ab (...) und äusserte sich zu Zinsen (...). Im Übrigen - insbesondere in Bezug auf die Schadensberechnung und Kosten - behielt der Einzelschiedsrichter den Endentscheid vor (...). (...)
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Das Bundesgericht weist die von der Beklagten erhobene Beschwerde in Zivilsachen ab, soweit es darauf eintritt.
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(Auszug)
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2.3.1 Hat keine der Parteien ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihren Sitz in der Schweiz, so können sie durch eine Erklärung in der Schiedsvereinbarung oder in einer späteren ![]() ![]() | |
(...)
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(...)
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4.2 Der Einzelschiedsrichter ging in zwei Schritten vor: Er bejahte (i) zunächst den Bestand der im Jahr 2003 abgeschlossenen und im Jahr 2007 ergänzten Lizenzverträge mit gültiger Schiedsklausel und ![]() ![]() | |
(...)
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Wohl hat der Einzelschiedsrichter in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich Bestimmungen einer bestimmten staatlichen Rechtsordnung zitiert. Er erwog aber einleitend, dass das Schiedsverfahren und die Schiedsvereinbarung selbst - darunter (wie aus den Nachweisen im Schiedsspruch deutlich wird) auch Bestand, Gültigkeit und Ausdehnung der Schiedsklausel - schweizerischem Recht unterstünden, wohingegen materiell das Recht der Republik Südsudan für die Entscheidung in der Sache massgebend sei.
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Im Übrigen genügt es, wenn die Schiedsvereinbarung wenigstens einer der drei alternativ genannten Rechtsordnungen gemäss Art. 178 Abs. 2 IPRG - zwischen denen keine Hierarchie besteht - entspricht (BGE 129 III 727 E. 5.3.2 [dort S. 736]). Unzulässig wäre eine Vermischung der verschiedenen Rechtsordnungen für unterschiedliche Einzelaspekte (BERGER/KELLERHALS, a.a.O., S. 134 Rz. 396; GABRIEL/LANDBRECHT, in: Berner Kommentar, Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht [IPRG], 2023, N. 231 zu Art. 178 IPRG; DIETER GRÄNICHER, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2021, N. 49 zu Art. 178 IPRG; PIERRE-YVES TSCHANZ, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, Convention de Lugano, 2011, N. 73 zu Art. 178 IPRG). Dass indes der Einzelschiedsrichter so vorgegangen wäre, bringt die Beschwerdeführerin nicht vor.
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(...)
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4.3.4 Die Beschwerdeführerin beklagt, der Einzelschiedsrichter habe es "unterlassen, überhaupt festzustellen, auf welcher Rechtsgrundlage die Handlungen der von ihm zitierten Akteure [...] überhaupt dem Staat Sudan zuzuordnen wären". Sie bestreitet, dass die C. respektive das Ministry of Technology and Postal Services for the Government of Southern Sudan - welche "angeblich" für die Republik ![]() ![]() | |
Die Beschwerdeführerin belässt es diesbezüglich bei dieser allgemeinen Kritik, ohne sie näher zu erläutern. Darauf ist nicht einzutreten. Immerhin ist auf Art. 177 Abs. 2 IPRG hinzuweisen, wonach es einem Staat untersagt ist, unter Berufung auf sein eigenes Recht seine Parteifähigkeit im Schiedsverfahren oder die Schiedsfähigkeit einer Streitsache in Frage zu stellen. Nach der herrschenden Lehre schliesst dies auch aus, dass sich ein Staat gestützt auf innerstaatliches Recht auf die mangelnde Befugnis der Person respektive Institution beruft, welche für den betreffenden Staat die Schiedsvereinbarung unterzeichnet hat, zumindest wenn die nichtstaatliche Gegenpartei die fehlende Befugnis der für den Staat unterzeichnenden Person bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätte erkennen können (BERGER/KELLERHALS, a.a.O., S. 130 Rz. 380; MEIER/TERRAPON CHASSOT, in: Berner Kommentar, Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht [IPRG], 2023, N. 75 zu Art. 177 IPRG; CHRISTIAN OETIKER, in: Zürcher Kommentar zum IPRG, Bd. II, 3. Aufl. 2018, N. 93 zu Art. 177 IPRG; POUDRET/BESSON, Comparative Law of International Arbitration, 2. Aufl. 2007, S. 189 Rz. 234; TSCHANZ, a.a.O., N. 34 zu Art. 177 IPRG; nicht abschliessend entschieden im Urteil 4P.126/1992 / 4P.128/1992 vom 13. Oktober 1992 E. 7c/aa; anders LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, 1989, N. 10 zu Art. 177 IPRG; MABILLARD/BRINER, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2021, N. 38 zu Art. 177 IPRG).
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Soweit die Beschwerdeführerin mit ihrer Kritik die Vertretungsbefugnis der involvierten Akteure nach sudanesischem Recht beurteilt haben möchte, geht sie nach dem Gesagten fehl.
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Erwägung 4.4 | |
4.4.2 Nach dem Grundsatz der Relativität vertraglicher Verpflichtungen bindet eine Schiedsklausel in einem Schuldvertrag grundsätzlich nur die Vertragsparteien. Allerdings bejaht das Bundesgericht ![]() ![]() | |
4.4.5 Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, wie die Nachfolge in Verträge nach generellen völkerrechtlichen Grundsätzen zu behandeln wäre. Denn der Einzelschiedsrichter stellte auf einen Vertrag zwischen der Republik Sudan und der Beschwerdeführerin ab ("Economic Agreement" vom 27. September 2012), der die Verteilung von Vermögen und Verbindlichkeiten zwischen diesen beiden Staaten regelte, wie auch auf eine ministerielle Verfügung der Beschwerdeführerin. Aus alledem ergibt sich laut dem Einzelschiedsrichter "klar und unzweifelhaft" ("clear and unequivocal"), dass die Beschwerdeführerin als Staatennachfolgerin in die streitgegenständlichen Lizenzverträge samt Schiedsklausel eingetreten ist und sich im Übrigen selbst als solche betrachtet hat. In der Tat kamen die Republik Sudan und die Beschwerdeführerin überein, dass sämtliche Vermögenswerte und Verbindlichkeiten nach dem ![]() ![]() | |
Die Beschwerdeführerin wendet weiter ein, dass die Beschwerdegegnerinnen als private Unternehmen nicht Vertragsparteien des Economic Agreement waren. Dies tut den vorgenannten Überlegungen aber nicht Abbruch, sondern ist einem zwischenstaatlichen Abkommen über die Staatennachfolge inhärent. Jedenfalls hat die Beschwerdeführerin (nach ihrer Unabhängigkeit) die Geschäftsbeziehung mit der Beschwerdegegnerin 2 aufrechterhalten, und zwar ausdrücklich gestützt auf die Lizenzverträge einschliesslich Amendment No. 2, welches die Schiedsklausel enthält (so etwa in einem Schreiben der Beschwerdeführerin an die Beschwerdegegnerin 2 vom 17. Mai 2013, worin es heisst "the Ministry honours the license agreement issued and the amendment done on 6th, Oct, 2007 [Amendment No. 2] respectively").
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Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, in welcher Hinsicht es bei dieser Ausgangslage unrichtig sein sollte, wenn der ![]() ![]() ![]() |