51. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG und Mitb. gegen C. S.A. (Beschwerde in Zivilsachen) | |
4A_465/2022 / 4A_467/2022 vom 30. Mai 2023 | |
Regeste | |
Art. 260 SchKG; bedingte Abtretung.
| |
Sachverhalt | |
![]() | |
Am 25. April 2018 wurde über die E. AG der Konkurs eröffnet. Die Klägerin meldete im Konkurs eine Forderung von Fr. 5'883'942.33 im dritten Rang zur Kollokation an. Mit Verfügung vom 10. Februar 2020 trat das Konkursamt F. die Verantwortlichkeitsansprüche gegen die Organe der E. AG und mit Verfügung vom 22. Juni 2020 die Rückforderungsansprüche gegen die Aktionäre der E. AG an die Klägerin ab.
| |
B. Am 30. September 2020 reichte die Klägerin als Abtretungsgläubigerin der E. AG eine Klage am Handelsgericht des Kantons Zürich ein. Die Klage richtete sich gegen drei Beklagte:
| |
(1) Die A. AG (bis Ende 2016: E. Holding AG; Beklagte 1; Beschwerdeführerin 1), die Alleinaktionärin der E. AG,
| |
(2) B. (Beklagter 2; Beschwerdeführer 2), Verwaltungsratspräsident bzw. einziger Verwaltungsrat und Geschäftsführer der E. AG und gleichzeitig einziger Verwaltungsrat und Geschäftsführer der Beklagten 1, sowie
| |
(3) die D. AG (Beklagte 3; Beschwerdeführerin 3), die Revisionsstelle der E. AG.
| |
Die Klägerin stellte sich vor Handelsgericht zusammengefasst auf den Standpunkt, die E. AG habe verschiedene Geschäfte in den Geschäftsbüchern nicht korrekt abgebildet. Insbesondere habe sie (1) für die von der Klägerin bei der ICC eingereichte Schiedsklage zu wenig Rückstellungen gebildet, (2) den Kostenvorschuss für das Schiedsverfahren unzulässigerweise erfolgsneutral verbucht und (3) eine Forderung von USD 1'845'980.64 gegenüber G. Ltd., einer vermögenslosen Zweckgesellschaft, aktiviert, die keinerlei Erfolgsaussichten hatte. Vor diesem Hintergrund hätten der Beklagte 2 als Verwaltungsrat und die Beklagte 3 als Revisionsstelle der E. AG in den ![]() ![]() | |
Mit Urteil vom 13. September 2022 hiess das Handelsgericht die Klage teilweise gut. Es verpflichtete die Beklagten 1, 2 und 3 solidarisch, der Klägerin Fr. 1'805'495.45 samt Zinsen zu bezahlen (Dispositivziffer 1). Im Mehrbetrag wies es die Klage ab (Dispositivziffer 2), setzte die Gerichtsgebühr auf Fr. 57'800.- fest (Dispositivziffer 3), auferlegte die Kosten je zur Hälfte der Klägerin und den Beklagten (Dispositivziffer 4) und schlug die Parteientschädigungen wett (Dispositivziffer 5).
| |
Das Handelsgericht kam zusammengefasst zum Schluss, die E. AG habe für das hängige Schiedsverfahren zu wenig Rückstellungen gebildet, sie habe den Kostenvorschuss an das ICC Schiedsgericht unzulässigerweise erfolgsneutral verbucht und sie hätte die Forderung gegenüber der G. Ltd. nicht aktivieren dürfen. Der Beklagte 2 und die Beklagte 3 hafteten dafür aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit im Sinne von Art. 754 Abs. 1 bzw. Art. 755 Abs. 1 OR. Ebenso seien die Voraussetzungen von Art. 678 OR erfüllt: Die an die Beklagte 1 für das Geschäftsjahr 2015 und 2016 ausgeschütteten Dividenden überschritten in Verletzung von Art. 675 Abs. 2 OR die Grenze des Zulässigen, und die Beklagte 1 habe die Dividenden ungerechtfertigt sowie im bösen Glauben bezogen.
| |
C. Dagegen erheben die Beschwerdeführerin 1 und der Beschwerdeführer 2 (Verfahren 4A_467/2022) sowie die Beschwerdeführerin 3 (Verfahren 4A_465/2022) Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht.
| |
(Zusammenfassung)
| |
![]() | |
Im vorliegenden Fall verlangten die beklagten Beschwerdeführer, nicht hingegen die klagende Beschwerdegegnerin (die Abtretungsgläubigerin), vor der Vorinstanz die Sistierung des Verfahrens bis zur definitiven Kollokation. Mit Zwischenverfügung vom 25. März 2021 lehnte die Vorinstanz die Sistierung des Verfahrens ab. In dieser Zwischenverfügung ging die Vorinstanz von auflösend bedingten Abtretungen nach Art. 260 SchKG aus, was die Beschwerdeführer vor Bundesgericht nicht in Frage stellen, zumindest nicht hinreichend (nicht publ. E. 2.1).
| |
Die Vorinstanz kam in der Zwischenverfügung zum Schluss, es sei unbestritten, dass die Konkursforderung der Beschwerdegegnerin (noch) nicht definitiv kolloziert sei. Es lägen aber keine Anhaltspunkte vor, welche eine definitive Kollokation unwahrscheinlich erscheinen liessen. Das Prozessführungsrecht der klagenden Beschwerdegegnerin würde erst dann entfallen, wenn sie in einem den Konkurs ![]() ![]() | |
Diese Zwischenverfügung wurde nicht angefochten, weshalb die Vorinstanz das Verfahren fortsetzte. Im angefochtenen Entscheid lehnte die Vorinstanz die Sistierung unter Verweis auf die Zwischenverfügung erneut ab und erwog, der Umstand, dass die Beschwerdegegnerin im Konkurs der E. AG mit ihrer Forderung (weiterhin) nicht definitiv kolloziert sei, stehe dem Eintreten auf die Klage nicht entgegen.
| |
3.3 Vor Bundesgericht machen die Beschwerdeführer nicht mehr geltend, die Vorinstanz hätte das Verfahren sistieren müssen oder das bundesgerichtliche Verfahren sei zu sistieren, sodass diese Fragen nicht beurteilt zu werden brauchen. Vielmehr stellen sie sich vor Bundesgericht auf den Standpunkt, dass der Beschwerdegegnerin die Aktivlegitimation bzw. die Prozessführungsbefugnis fehle, weil ihre Konkursforderung nicht definitiv kolloziert sei. Werde, wie vorliegend, die Klage gutgeheissen, so seien die beklagten Beschwerdeführer zur Leistung an die Beschwerdegegnerin verpflichtet, die ihren Sitz in Polen habe. Würde nun nachträglich die Konkursforderung der Beschwerdegegnerin dahinfallen und wäre die Zahlung nach Polen bereits erfolgt, ginge die Konkursmasse leer aus, obwohl ein gutheissendes Urteil in Prozessstandschaft für die Konkursmasse vorliegen würde. Die Konkursmasse müsste also gegen die polnische Gesellschaft klagen, was aufgrund der aktuellen Lage in Polen "aussichtslos" sei. Dies sei nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen und widerspreche dem Sinn und Zweck von Art. 260 SchKG. Die Abtretung diene dazu, das zur Masse gehörende Vermögen im Interesse der Gesellschaftsgläubiger erhältlich zu machen. Mit diesem Zweck lasse es sich nicht vereinbaren, dass ein Dritter, dessen Kollokation nachträglich wegfallen könne, einen zur Masse gehörenden Vermögenswert erhalte. Hinzu komme das Interesse der Beschwerdeführer, das Risiko einer Doppelzahlung zu vermeiden. Sie ![]() ![]() | |
Erwägung 3.4 | |
3.4.3 In diesem Sinn hat das Bundesgericht bereits im Jahr 1922 entschieden, dass einem abgewiesenen Gläubiger eine bedingte Abtretung nach Art. 260 SchKG nicht verwehrt werden kann, wenn er ![]() ![]() | |
Grundsätzlich kann somit jeder Gläubiger, der seine Forderung im Konkurs angemeldet hat, und dessen Forderung noch nicht definitiv abgewiesen wurde, die Abtretung der Forderung im Sinne von Art. 260 SchKG verlangen. Da die Forderung in diesen Fällen aber noch nicht rechtskräftig anerkannt ist, darf die Abtretung im Sinne von Art. 260 SchKG nicht unbedingt erfolgen. Vielmehr wird die Abtretung entsprechend der rechtlichen Situation unter einer Bedingung ausgestellt, nämlich unter einer resolutiven Bedingung (vgl. BGE 48 III 88 S. 90; Urteil 7B.206/2005 vom 2. Februar 2006 E. 4; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, 2001, N. 42 zu Art. 260 SchKG). Wird dem Gläubiger das Abtretungsrecht nach Art. 260 SchKG resolutiv bedingt eingeräumt, ist die Abtretung sofort (voll) wirksam. Sie verliert ihre Wirksamkeit im Zeitpunkt des Bedingungseintritts (vgl. Art. 154 Abs. 1 OR), d.h. vorliegend im Zeitpunkt der definitiven Nichtkollokation. Bis zum rechtskräftigen Entscheid über die Kollokation ist die resolutiv bedingte Abtretung nicht anders zu behandeln als eine unbedingte (MATTHIAS HÄUPTLI, in: Kommentar zur Verordnung über die Geschäftsführung der Konkursämter [KOV], Milani/Wohlgemuth [Hrsg.], 2016, N. 23 zu Art. 80 KOV).
| |
3.4.4 Ein Gläubiger, der gestützt auf eine solche bedingte Abtretung nach Art. 260 SchKG als Prozessstandschafter im obigen Sinn prozessiert, tut dies auf eigenes Risiko (Urteil 7B.94/2003 vom 24. Juni 2003 E. 5.1): Wird die Konkursforderung des Abtretungsgläubigers im Kollokationsprozess rechtskräftig abgewiesen, entfällt nachträglich seine Prozessführungsbefugnis im Abtretungsprozess zur weiteren Verfolgung des abgetretenen Rechtsanspruchs (BGE 109 III 27 E. 1a; 55 II 63 E. 2 S. 65; Urteil 5A_769/2013 vom 13. März 2014 E. 3). Hat der rechtskräftig abgewiesene Gläubiger den Prozess ![]() ![]() | |
![]() | |
Immerhin ist Folgendes zu bemerken: Die Abtretung nach Art. 260 SchKG ist eine besondere Verwertungsart bestrittener Rechtsansprüche. Sie setzt voraus, dass die Gesamtheit der Gläubiger auf die Geltendmachung des betreffenden Rechts durch die Masse verzichtet (Art. 260 Abs. 1 SchKG) und ein Gläubiger bereit ist, das Risiko einzugehen, das die Mehrheit für die Masse ablehnt (AMONN/WALTHER, a.a.O., § 47 Rz. 45). Die Konkursmasse bzw. die Gläubigergesamtheit hat damit eine Kosten/Nutzen-Abwägung für die Verwertung einer solchen bestrittenen Forderung vorzunehmen (BACHOFNER, a.a.O., N. 2 zu Art. 260 SchKG): Sie kann die Ansprüche selbst durchsetzen. Wenn sie das Risiko oder den Aufwand scheut, kann sie den Anspruch einem Gläubiger abtreten, der bereit ist, das Risiko auf sich zu nehmen. Eine solche Abwägung wurde im vorliegenden Fall vorgenommen und die Forderung wurde in Kenntnis der Umstände an die Beschwerdegegnerin mit Sitz in Polen abgetreten, obwohl deren Konkursforderung noch nicht definitiv kolloziert war. Die Konkursmasse bzw. die Gläubigergesamtheit hat damit auch das Risiko zu tragen, dass sie allenfalls eine Forderung gegen die Abtretungsgläubigerin im Ausland geltend machen müsste.
| |
Dieses Risiko ist im Übrigen kein Sonderproblem der bedingten Abtretung, sondern dem Institut der Abtretung von Art. 260 SchKG ![]() ![]() | |