35. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. und C. (Beschwerde in Zivilsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
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5A_665/2022 vom 4. April 2023
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Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG; Art. 49 Abs. 1 BV; Beschwerde in Zivilsachen; Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung; Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts.
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Art. 670 und Art. 686 Abs. 2 ZGB; Miteigentumsvermutung bei Vorrichtungen auf der Grundstücksgrenze; Rechtsetzungsvorbehalt zugunsten der Kantone.
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Sachverhalt
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 A.
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A.a A. ist seit 2015 Eigentümerin des Grundstücks D. Gbbl. Nr. x. 1988 erwarb E. das topographisch tiefer liegende Nachbargrundstück D. Gbbl. Nr. y. Sie ist im Verlauf des kantonalen Verfahrens verstorben. Ihre Erben, B. und C., traten an ihrer Stelle in den Prozess ein.
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A.b Die beiden Grundstücke wurden 1980 überbaut. Im damaligen Zeitpunkt befand sich zwischen den Grundstücken der Parteien eine Böschung. Zu einem späteren Zeitpunkt, jedenfalls aber vor 1988, wurde zur Sicherung der zwecks Raumgewinnung auf dem höher gelegenen Grundstück Nr. x vorgenommenen Aufschüttung und dem Niveauunterschied zum Grundstück Nr. y eine Holzpalisadenwand erstellt. Seither hat sich diese um einige Zentimeter nach unten, d.h. in Richtung des Grundstücks Nr. y verschoben. Einzelne Holzpfosten wurden morsch und haben keine tragende Funktion mehr. A. brachte an der Holzpalisadenwand provisorisch Schaltafeln an.
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 A.c Auf Klage vom 8. Februar 2018 von E. verpflichtete das Regionalgericht Berner Jura-Seeland A. mit Entscheid vom 30. Juni 2020, innert 60 Tagen nach Rechtskraft seines Entscheids das Grundstück Nr. y mittels Böschung oder einer neuen Stützmauer entlang der Parzellengrenze zum Grundstück Nr. x zu sichern oder auf eigene Kosten sichern zu lassen und die angebrachten Schaltafeln zu entfernen.
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B. Das Obergericht des Kantons Bern wies die von A. dagegen ergriffene Berufung kostenfällig ab.
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C.
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C.a Mit Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 5. September 2022 gelangt A. (Beschwerdeführerin) an das Bundesgericht. Sie beantragt, die Klage vom 8. Februar 2018 sei kostenfällig abzuweisen.
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C.b Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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Erwägung 1
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1.2 Die Beschwerdeführerin behauptet allerdings, es stelle sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, weshalb die Beschwerde in Zivilsachen in Anwendung von Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG das zulässige Rechtsmittel sei. Der Kanton Bern habe mit Art. 79i des Gesetzes vom 28. Mai 1911 betreffend die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (EG ZGB; BSG 211.1), wonach auf der Grenze stehende Stützmauern als Bestandteil desjenigen Grundstücks  gelten, dessen Eigentümer sie erstellt hat, eine Eigentumsordnung geschaffen, die im Widerspruch zu Art. 642 Abs. 2 (Bestandteil einer Sache) i.V.m. Art. 675 Abs. 1 (Baurecht) sowie Art. 779 Abs. 1 ZGB (Baurechtsdienstbarkeit) stehe. Es stelle sich die Frage, ob der Kanton Bern überhaupt legitimiert sei, in diesem Bereich zu legiferieren. Nebst der Verletzung der vorgenannten Bestimmungen des ZGB rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV). Dieser Grundsatz kann als verfassungsmässiges Individualrecht angerufen werden (BGE 148 I 251 E. 3.4.1; BGE 144 IV 240 E. 2.3.2; BGE 144 I 113 E. 6.2). Wird es - wie hier - angerufen, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition, ob die kantonale Norm mit dem Bundesrecht im Einklang steht (BGE 147 III 352 E. 6.1.1; BGE 143 I 352 E. 2.2; BGE 131 I 394 E. 3.2 mit Hinweisen). Um zu entscheiden, ob ein Konflikt zwischen einer bundesrechtlichen Bestimmung und einer kantonalen Norm vorliegt, sind diese Regeln vorerst auszulegen (BGE 144 IV 240 E. 2.3.2; BGE 138 I 356 E. 5.4.2 in fine mit Hinweis). Mit Bezug auf die aufgeworfene Frage hat das Bundesgericht mithin unabhängig von der Beschwerdeart die gleiche Kognition; für die Anwendung von Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG bleibt folglich kein Raum. Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist nach dem Gesagten nicht einzutreten.
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Erwägung 2
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2.2 Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht vor, nicht festgestellt zu haben, dass die Holzpalisadenwand auf der March stehe bzw. auf der March erstellt worden sei. Diese Rüge ist indes nur dann relevant, wenn es im Ergebnis darauf ankommt, ob die Holzpalisadenwand seinerzeit an oder auf die March gestellt wurde. Gegen die Erkenntnis, für den Fall, dass die Holzpalisadenwand an die March gestellt wurde, ergebe sich das Alleineigentum der Beschwerdeführerin aus Art. 667 Abs. 2 ZGB, erhebt diese keine Verfassungsrüge. Bleibt also zu prüfen, ob das Obergericht bei der Unterstellung, die Holzpalisadenwand sei auf die March gestellt worden, die massgeblichen Bestimmungen des Bundesrechts verfassungswidrig angewandt hat. Bejahendenfalls wäre die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, damit es dieses Tatsachenelement feststelle, denn entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kann das Bundesgericht den diesbezüglichen Sachverhalt nicht gestützt auf Art. 105 Abs. 2 BGG von Amtes wegen ergänzen.
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3.1 Art. 670 ZGB erfasst Vorrichtungen, die auf der Grenze zweier Grundstücke stehen. Damit sind nicht nur Vorrichtungen gemeint, die allein der Abgrenzung dienen. Vielmehr ergibt sich aus der ratio legis dieser Bestimmung, dass sie grundsätzlich auf alle Vorrichtungen Anwendung findet, die auf der Grenze zweier Grundstücke stehen und der Nutzung beider Grundstücke dienen (BGE 59 II 221 E. 1; HAAB/SIMONIUS/SCHERRER/ZOBL, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 1977, N. 1 zu Art. 670 ZGB; MARCHAND, in: Commentaire romand, Code civil, Bd. II, 2016, N. 6 zu Art. 670 ZGB; MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, 3. Aufl. 1964, N. 4 zu Art. 670 ZGB; REY/STREBEL, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. II, 7. Aufl. 2022, N. 2 zu Art. 670 ZGB; a.M. scheinbar GRAHAM-SIEGENTHALER, Berner Kommentar, 2022, N. 46 und Fn. 144 zu Art. 642 ZGB unter Hinweis auf das Urteil des Kantonsgerichts Graubünden vom 15. Dezember 1942, in: Die Praxis des Kantonsgerichts von Graubünden [PKG]  1942 Nr. 8, wonach Art. 670 ZGB auf Stützmauern nicht anwendbar sei [das Bundesgericht hat diesen Entscheid am 8. Juni 1943 zwar bestätigt, ist dabei allerdings anders als das Kantonsgericht davon ausgegangen, die streitgegenständliche Stützmauer stehe gar nicht auf der - nicht vermarchten - Grundstückgrenze]).
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3.2 Unter Vorbehalt abweichenden kantonalen Privatrechts oder Ortsgebrauchs erstreckt sich das Eigentum an einer Vorrichtung im Sinn von Art. 670 ZGB ausschliesslich auf die Vorrichtung selbst, nicht aber auf den unterliegenden Grund und Boden (GÖKSU, in: Sachenrecht, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Breitschmid/ Jungo [Hrsg.],3. Aufl. 2016, N. 4 zu Art. 670 ZGB; HAAB/SIMONIUS/ SCHERRER/ZOBL, a.a.O., N. 8 zu Art. 670 ZGB; MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 10 zu Art. 670 ZGB; REY/STREBEL, a.a.O., N. 5 zu Art. 670 ZGB; STEINAUER, Les droits réels, Bd. II, 5. Aufl. 2020, Rz. 2238). Insofern bewirkt Art. 670 ZGB eine Durchbrechung des Akzessionsprinzips gemäss Art. 667 bzw. Art. 671 ZGB (BGE 59 II 221 E. 1; GÖKSU, a.a.O., N. 4 zu Art. 670 ZGB; REY/STREBEL, a.a.O., N. 5 zu Art. 670 ZGB; SCHMID/VON GRAFFENRIED, in: ZGB, Kommentar, Kren Kostkiewicz/Wolf/Amstutz/Fankhauser [Hrsg.],4. Aufl. 2021, N. 3 zu Art. 670 ZGB; STEINAUER, a.a.O., Rz. 2238; SUTTER-SOMM, Eigentum und Besitz, SPR Bd. V/1, 2. Aufl. 2014, Rz. 654). Das Eigentum an der Vorrichtung ist unselbständig, denn es hängt vom Grundeigentum ab, auf dem sie errichtet wurde (GÖKSU, a.a.O., N. 4 zu Art. 670 ZGB; REY/STREBEL, a.a.O., N. 5 zu Art. 670 ZGB; SCHMID/VON GRAFFENRIED, a.a.O., N. 3 zu Art. 670 ZGB).
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3.3.1 In der gesetzlichen Vermutung ( praesumptio iuris, présomption légale, presunzione legale) schliesst eine generell-abstrakte Norm losgelöst von einer konkreten Streitlage mit dem syllogistischen "Wenn-Dann-Prinzip" von einer festgestellten Grundlage auf ein Vermutetes. Hat der Vermutungsträger die Vermutungsbasis bewiesen, hat das Gericht in seiner Rechtsanwendung die Vermutungsfolge ohne weiteres von Amtes wegen festzustellen, solange es nicht vom Gegenteil überzeugt, d.h. die Vermutung widerlegt worden ist (WALTER, in: Berner Kommentar, 2012, N. 389 zu Art. 8 ZGB; s. auch GÖKSU, a.a.O., N. 18 zu Art. 8 ZGB; JUNGO, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2018, N. 269 f. zu Art. 8 ZGB; KUMMER, in: Berner Kommentar,  1962, N. 318 f. zu Art. 8 ZGB; PIOTET, in: Commentaire romand, Code civil, Bd. I [nachfolgend: Commentaire romand], 2010, N. 37und 41 zu Art. 8 ZGB; LARDELLI/VETTER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 7. Aufl. 2022, N. 67 zu Art. 8 ZGB).
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3.3.2 Die Vermutung nach Art. 670 ZGB lässt sich grundsätzlich auf zwei Arten widerlegen: Zum einen kann ein Rechtsgeschäft zwischen den Nachbarn vorliegen (z.B. durch Bestellung eines Überbaurechts), was vorliegend unbestrittenermassen nicht der Fall ist. Zum anderen kann die Vermutung durch den Nachweis entgegenstehenden Ortsgebrauchs im Sinn von Art. 5 Abs. 2 ZGB umgestossen werden, selbst wenn Art. 670 ZGB nicht direkt auf diese Bestimmung verweist (STEINAUER, a.a.O., Rz. 2239 ff.; s. auch GÖKSU, a.a.O., N. 7 zu Art. 670 ZGB; MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 21 zu Art. 670 ZGB; REY/ STREBEL, a.a.O., N. 6 f. zu Art. 670 ZGB; SCHMID/VON GRAFFENRIED, a.a.O., N. 5 zu Art. 670 ZGB).
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3.3.4 Als Ausdruck des Ortsgebrauchs gilt (namentlich) das bisherige kantonale Recht, solange nicht eine abweichende Übung nachgewiesen ist (Art. 5 Abs. 2 ZGB). Die überwiegende neuere Lehre vertritt den Standpunkt, es sei den Kantonen gestattet, tatsächlich vorhandener Übung und bestehendem Ortsgebrauch auch nach dem Inkrafttreten des ZGB durch entsprechendes kantonales Recht Ausdruck zu verschaffen. Sie könnten Übung und Ortsgebrauch im Sinn einer im Gesetzgebungsverfahren erlassenen tatsächlichen Feststellung neu umschreiben. Ein solches Vorgehen stelle keinen Rechtssetzungsakt dar, sondern werde als "Verlautbarung" bezeichnet: Übung und Ortsgebrauch würden nicht "geschrieben", sondern bloss "aufgeschrieben". Für eine derartige - freilich in der Form eines Gesetzes erfolgende - Umschreibung von Tatsachen bedürfe es keiner Gesetzesdelegation durch den Bund. Der kantonale Gesetzgeber habe also die Möglichkeit, auf die umschriebene Weise Tatsachen festzustellen. Dass den Kantonen gestattet werde, den - gegebenenfalls im Vergleich mit dem früheren Recht veränderten -  Ortsgebrauch zu umschreiben, erscheine namentlich auch unter praktischen Gesichtspunkten als sinnvoll, denn es lasse sich auf solche Weise die Rechtsanwendung erleichtern (zum Ganzen: WOLF, in: Berner Kommentar, 2012, N. 120 zu Art. 5 ZGB; s. auch HAUSHEER/JAUN, Die Einleitungsartikel des ZGB, 2003, N. 40 und 48 zu Art. 5 ZGB; HRUBESCH-MILLAUER/BOSSHARDT, Die Einleitungsartikel des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 2019, N. 59 zu Art. 5 ZGB; HÜRLIMANN-KAUP/SCHMID, Einleitungsartikel des ZGB und Personenrecht, 3. Aufl. 2016, Rz. 398; JAGMETTI, Vorbehaltenes kantonales Privatrecht, SPR Bd. I, 1969, S. 257 f.; LARDELLI/VETTER, a.a.O., N. 50 zu Art. 5 ZGB; LIVER, in: Berner Kommentar, 1962, N. 95 ff. zu Art. 5 ZGB; MARTI, in: Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1998, N. 5, 62 und 266 zu Art. 5 ZGB; PIOTET, Ergänzendes kantonales Recht, SPR I/2, 2001, Rz. 75; zurückhaltender STEINAUER, Le Titre préliminaire du Code civil, TDP II/1, 2009, Rz. 202).
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3.4 Nach Art. 686 ZGB sind die Kantone befugt, die Abstände festzulegen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind (Abs. 1); ausserdem bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen (Abs. 2). Es handelt sich um einen echten Rechtsetzungsvorbehalt im Sinn von Art. 5 Abs. 1 ZGB (BGE 132 III 49 E. 2.2; BGE 129 III 161 E. 2.4; GÖKSU, a.a.O., N. 1 zu Art. 686 ZGB; MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, 3. Aufl. 1975 [nachfolgend: Berner Kommentar 1975], N. 81 ff. zu Art. 685/686 ZGB; REY/STREBEL, a.a.O., N. 20 zu Art. 685/686 ZGB; VON FISCHER LEHMANN, in: ZGB, Kommentar, Kren Kostkiewicz/Wolf/Amstutz/Fankhauser [Hrsg.], 4. Aufl. 2021, N. 1 zu Art. 686 ZGB).
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Erwägung 3.5
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3.5.2 In BGE 59 II 221 E. 2 und 3 hat das Bundesgericht die Frage, ob der Vorbehalt nach Art. 686 Abs. 2 ZGB auch im Verhältnis zu Art. 670 ZGB gilt, aufgeworfen, die Antwort darauf aber offengelassen (weil die kantonale Regelung im konkreten Fall nicht von der  bundesrechtlichen abwich). In der Doktrin wird diese Frage einheitlich bejaht. STEINAUER leitet seine Antwort aus dem Umstand ab, dass Art. 670 ZGB lediglich eine Vermutung des Miteigentums statuiere (STEINAUER, a.a.O., Rz. 2638). DROUX erwägt, Art. 686 ZGB habe auch im Kontext von Art. 670 ZGB seinen Platz, zumal die Vermutung (auch) durch einen abweichenden kantonalen Ortsgebrauch widerlegt werden könne; wenn dem so sei, müsse dies erst recht für eine gesetzliche Regelung gelten (DROUX, Le mur mitoyen à l'exemple du droit fribourgeois, 1984, S. 28 f.). PIOTET erklärt ausdrücklich, der kantonale Gesetzgeber sei befugt, von Art. 670 ZGB abzuweichen oder diese Bestimmung zu präzisieren (PIOTET, in: Commentaire romand, a.a.O., N. 10 und 12 zu Art. 686 ZGB), und MEIER-HAYOZ meint unter diesem Titel, die Kantone könnten namentlich die Eigentumsverhältnisse an auf der Grenze stehenden Mauern regeln (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar 1975, a.a.O., N. 103 zu Art. 685/686 ZGB). Nach LIVER sind die Kantone befugt, kantonales "Stützmauerrecht" zu erlassen (LIVER, Das Eigentum, in: SPR Bd. V/1, 1977, S. 248, wo er in Fn. 22 Art. 79i EG ZGB ausdrücklich erwähnt). Andere Autoren bejahen diese Frage ebenfalls, teils ohne weitere Begründung, teils unter Hinweis auf hiervor erwähnte Lehrmeinungen (GÖKSU, a.a.O., N. 7 zu Art. 670 ZGB; MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 21 ff. zu Art. 670 ZGB; REY/STREBEL, a.a.O., N. 7 zu Art. 670 ZGB; SCHMID/VON GRAFFENRIED, a.a.O., N. 4 f. zu Art. 670 ZGB; WOLF, a.a.O., N. 73 zu Art. 5 ZGB).
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3.5.3 Die Beschwerdeführerin glaubt, in Art. 79i EG ZGB einen unzulässigen Widerspruch zur (bundes)gesetzlichen Regelung der Bestandteile als Teil des (Grund-)Eigentums (Art. 642 ZGB) zu erkennen. Sie führt aus, nach BGE 64 II 83 dürfe eine kantonale Regelung den aus Art. 642 ZGB fliessenden Begriffsmerkmalen zum Bestandteil nicht widersprechen. Es trifft zwar zu, dass mit dem Grund und Boden oberirdisch oder unterirdisch verbundene Bauten als Bestandteile eines Grundstücks gelten (vgl. BGE 92 II 227 E. 2b). Nun hat aber der Bundesgesetzgeber für alle Vorrichtungen, die auf der Grenze zweier Grundstücke stehen, also auch für unterirdisch mit dem Grund und Boden verbundene Mauern, eine Spezialregelung erlassen (vorne E. 3.1). Danach wird hierfür Miteigentum vermutet. Miteigentümer halten eine Sache nach (rechnerischen) Bruchteilen und ohne äusserliche Aufteilung in ihrem Eigentum (Art. 646 Abs. 1 ZGB). Sie haben gemeinschaftliches Eigentum am ganzen Gegenstand (BRUNNER/WICHTERMANN, in: Basler  Kommentar, Zivilgesetzbuch, 7. Aufl. 2022, N. 1 zu Art. 646 ZGB, die von einem Gesamtrecht an der Sache sprechen); nur die Ausübung des Eigentums und der Eigentumsrechte daran ist geteilt (GRAHAM-SIEGENTHALER, a.a.O., N. 1 zu Art. 646 ZGB; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, Sachenrecht, 6. Aufl. 2022, Rz. 723). Steht also eine Stützmauer auf der Grundstückgrenze, d.h. befindet sie sich sowohl auf dem einen wie auch dem anderen Grundstück, werden die Eigentümer der beiden Grundstücke - gestützt auf Art. 670 ZGB vermutungsweise - je auch (Mit-)Eigentümer jenes Teils der Mauer, der auf dem Grundstück des anderen steht. Insofern hat der Bundesgesetzgeber für Vorrichtungen zur Abgrenzung zweier Grundstücke eine Regelung vorgesehen, die von den Grundsätzen des Umfangs des Grundeigentums (Art. 667 und Art. 671 ZGB) abweicht. Lässt aber das Bundesrecht im Kontext von auf einer Grundstückgrenze stehenden Vorrichtungen Abweichungen vom Akzessionsprinzip zu, kann dieses nicht ein derart wesentliches Begriffsmerkmal des Bestandteils sein, von welchem der kantonale Gesetzgeber im Rahmen seiner Regelungskompetenz (Art. 686 ZGB) nicht abweichen dürfte. Art. 79i EG ZGB führt bloss - aber immerhin - dazu, dass nicht beide Grundeigentümer, sondern nur einer, nämlich jener, der die Grenzmauer gebaut hat, Eigentümer einer nicht ausschliesslich auf seinem Grundstück stehenden Vorrichtung wird. Insofern erweisen sich die Befürchtungen der Beschwerdeführerin, Art. 79i EG ZGB stehe in grundsätzlichem Widerspruch zu Bundesrecht, als unbegründet.
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