34. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Republik Indien gegen Aa. AG (Revisionsgesuch) | |
4A_184/2022 vom 8. März 2023 | |
Regeste | |
Art. 190a IPRG; internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Revisionsobjekt, Revisionsfrist.
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Grundsätze der Revision nach Art. 190a Abs. 1 lit. a IPRG sowie der Fristwahrung nach Art. 190a Abs. 2 IPRG (E. 4.1). Beurteilung des Zeitpunkts der Kenntnis des Revisionsgrundes in einem Fall, in dem sich die Gesuchstellerin auf ein neu ergangenes Gerichtsurteil einer Rechtsmittelinstanz beruft (E. 4.2 und 4.3).
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Sachverhalt | |
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Am 28. Januar 2005 schloss B. mit C. Corporation Limited (nachfolgend: C.), einer staatlichen Gesellschaft indischen Rechts, einen Vertrag (nachfolgend: B.-Vertrag) ab, der die Nutzung eines Teils des S-Band-Spektrums durch B. zum Gegenstand hatte. Dies sollte durch die geplante Beförderung eines ersten und anschliessend eines zweiten Satelliten in die Umlaufbahn ermöglicht werden. B. verpflichtete sich, C. neben den Kosten für den Erwerb wesentlicher Komponenten eine Reservierungsgebühr von USD 20 Mio. pro Satellit sowie eine Nutzungsgebühr in der Höhe von USD 9 Mio. pro Jahr zu bezahlen.
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Im Oktober 2007 kontaktierte der Vertreter von B. den Vorstandsvorsitzenden der Ab. AG, einer Tochtergesellschaft der Aa. AG (Schiedsklägerin, Gesuchsgegnerin), um über eine mögliche Partnerschaft zu sprechen. Zu diesem Zeitpunkt hatte B. bereits Gelder von zwei Risikokapitalgesellschaften erhalten, die diese über ihre mauritischen Tochtergesellschaften an B. weitergeleitet hatten. Da das Projekt ihrer Strategie entsprach, ihr Know-how in der Planung und Gestaltung von terrestrischen Netzwerken an neue Akteure in ![]() ![]() | |
Das Projekt, das Gegenstand des B.-Vertrags war, wurde in der Folge aus verschiedenen Gründen nie verwirklicht. Am 25. Februar 2011 kündigte C. schliesslich den B.-Vertrag und berief sich dabei auf höhere Gewalt, da der Sicherheitsausschuss des indischen Kabinetts am 17. Februar 2011 beschlossen hatte, ihr keine S-Band-Orbitalposition für kommerzielle Aktivitäten zur Verfügung zu stellen.
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B.
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B.a Die Aa. AG warf der Republik Indien in der Folge vor, in verschiedener Hinsicht gegen das Abkommen vom 10. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen (Bilaterales Investitionsschutzabkommen, nachfolgend: BIT) verstossen zu haben, woraus sie schadenersatzpflichtig werde.
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Am 2. September 2013 leitete die Aa. AG gestützt auf die im BIT enthaltene Schiedsklausel beim Permanent Court of Arbitration (PCA) ein Schiedsverfahren nach den Arbitration Rules of the United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL Rules) gegen die Republik Indien ein. Sie beantragte, die Schiedsbeklagte sei wegen Verletzung der Bestimmungen des BIT zur Zahlung von Schadenersatz im Betrag von USD 270 Mio. zuzüglich Zins zu verpflichten.
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In der Folge wurde ein Schiedsgericht mit drei Mitgliedern konstituiert, wobei Genf als Sitz bestimmt wurde.
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Die Schiedsbeklagte bestritt die Zuständigkeit des Schiedsgerichts und erhob verschiedene prozessuale Einwände. Das Schiedsgericht beschloss in der Folge, das Verfahren zunächst auf die Fragen seiner Zuständigkeit und des Grundsatzes der Haftung der Schiedsbeklagten zu beschränken.
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B.b Mit Zwischenschiedsspruch (Interim Award) vom 13. Dezember 2017 erklärte sich das Schiedsgericht mit Sitz in Genf für zuständig und stellte fest, dass die Schiedsbeklagte den Standard der gerechten und billigen Behandlung (Fair and Equitable Treatment) im Sinne von Artikel 3(2) BIT verletzt habe.
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Mit Eingabe vom 29. Januar 2018 erhob die Schiedsbeklagte gegen den Zwischenschiedsspruch vom 13. Dezember 2017 beim ![]() ![]() | |
Mit Urteil 4A_65/2018 vom 11. Dezember 2018 wies das Bundesgericht die Beschwerde ab, soweit es auf sie eintrat.
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B.c Mit Endschiedsspruch (Final Award) vom 27. Mai 2020 verurteilte das Schiedsgericht mit Sitz in Genf die Schiedsbeklagte zur Zahlung von Schadenersatz in der Höhe von USD 93.3 Mio. zuzüglich Zins.
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Der Schiedsentscheid blieb unangefochten.
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C. Mit Eingabe vom 2. Mai 2022 ersucht die Schiedsbeklagte das Bundesgericht unter Berufung auf nachträglich entdeckte Tatsachen und Beweismittel (Art. 190a Abs. 1 lit. a IPRG) um Revision des Zwischenschiedsspruchs vom 13. Dezember 2017 und des Endschiedsspruchs vom 27. Mai 2020 des Schiedsgerichts mit Sitz in Genf. Sie beantragt, es seien die beiden Schiedssprüche aufzuheben und es sei die Streitsache zu neuer Beurteilung an das Schiedsgericht mit Sitz in Genf zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht tritt auf das Revisionsgesuch nicht ein.
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(Zusammenfassung)
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Erachtet das Bundesgericht das Revisionsgesuch demgegenüber als zulässig, tritt es darauf ein und prüft, ob der geltend gemachte Revisionsgrund gegeben ist. Ob tatsächlich ein Grund zur Revision ![]() ![]() | |
Im zu beurteilenden Fall ist jedoch zu beachten, dass die Gesuchstellerin den Zuständigkeitsentscheid vom 13. Dezember 2017 beim Bundesgericht anfocht und dieses die Beschwerde mit Urteil 4A_65/ 2018 vom 11. Dezember 2018 abwies, soweit es auf sie eintrat. Aufgrund dieses Urteils, mit dem das Bundesgericht die Zuständigkeitsfrage in rechtlicher Hinsicht frei überprüfen konnte und diesbezüglich auch reformatorisch hätte entscheiden können (BGE 136 III 605 E. 3.3.4 mit Hinweisen), wäre einzig der bundesgerichtliche Entscheid 4A_65/2018 einer Revision (nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG) zugänglich (vgl. BGE 147 III 238 E. 3.2). Gegen den schiedsgerichtlichen ![]() ![]() | |
Soweit sich das Revisionsgesuch gegen den Endschiedsspruch vom 27. Mai 2020 richtet, liegt hingegen ein zulässiges Revisionsobjekt vor.
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Erwägung 4.1 | |
4.1.2 Das Revisionsgesuch ist innert 90 Tagen seit Entdeckung des Revisionsgrundes einzureichen. Nach Ablauf von zehn Jahren seit Eintritt der Rechtskraft des Entscheids kann die Revision nach Art. 190a Abs. 1 lit. a IPRG nicht mehr verlangt werden (Art. 190a Abs. 2 IPRG). Es handelt sich dabei um eine Frage der Zulässigkeit und nicht der Begründetheit des Revisionsgesuchs. Es obliegt der gesuchstellenden Partei, die für die Prüfung der Fristwahrung ![]() ![]() | |
Werden mehrere Revisionsgründe geltend gemacht, beginnt die Frist für jeden einzelnen gesondert zu laufen (zit. Urteil 4A_69/2022 E. 4.2.1, nicht publ. in: BGE 148 III 436; Urteil 4A_666/2012 vom 3. Juni 2013 E. 5.1).
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In Bezug auf Art. 190a Abs. 1 lit. a IPRG bedeutet die Entdeckung des Revisionsgrundes, dass die gesuchstellende Partei hinreichend sichere Kenntnis von der neuen Tatsache hat, um sich darauf berufen zu können, auch wenn sie keinen sicheren Beweis dafür erbringen kann. Blosse Vermutungen reichen nicht aus, um den Lauf der Revisionsfrist in Gang zu setzen (zit. Urteile 4A_69/2022 E. 4.2.1, nicht publ. in: BGE 148 III 436; 4A_422/2021 E. 4.4.2; Urteil 4A_247/ 2014 vom 23. September 2014 E. 2.3). Was das entscheidende Beweismittel betrifft, so muss die gesuchstellende Partei über eine Urkunde verfügen oder hinreichende Kenntnis davon haben, um die Beweisabnahme zu beantragen (zit. Urteile 4A_69/2022 E. 4.2.1, nicht publ. in: BGE 148 III 436; 4A_666/2012 E. 5.1).
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"if on an application made by the Registrar or any other person authorised by the Central Government by notification under this Act, the Tribunal is of the opinion that the affairs of the company have been conducted in a fraudulent manner or the company was formed for fraudulent and unlawful purpose or the persons concerned in the formation or management of its affairs have been guilty of fraud, misfeasance or misconduct in connection therewith and that it is proper that the company be wound up."
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Dieses Auflösungsverfahren sei mit Urteil des indischen Supreme Court vom 17. Januar 2022 abgeschlossen worden, mit dem der Supreme Court festgehalten habe, dass B. zu betrügerischen und illegalen Zwecken gegründet und das Geschäft der Gesellschaft in betrügerischer Weise geführt worden sei. Entsprechend habe der Supreme Court erwogen, dass die Auflösung der Gesellschaft gestützt auf Artikel 271(c) des Company Act gerechtfertigt sei. ![]() | |
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Die erwähnten Auflösungsverfahren hätten aufgedeckt, dass die Gesellschaft B. in betrügerischer Absicht gegründet und geführt worden sei. Das Urteil des indischen Supreme Court vom 17. Januar 2022 markiere den Endpunkt der Auflösungsverfahren betreffend B. Der Supreme Court habe keine rechtsfehlerhaften oder willkürlichen Feststellungen im Rahmen der vorangegangenen Verfahren erkennen können, sondern habe die Befunde des NCLT sowie des NCLAT über die betrügerischen Machenschaften vielmehr bestätigt. So habe er unter anderem festgehalten, dass der B.-Vertrag auf betrügerische Weise zustandegekommen und vor der indischen Regierung verborgen worden sei. Zudem habe der Supreme Court betont, dass auch die Aktionäre von B., darunter die Gesuchstellerin, für die betrügerische Gründung der Gesellschaft und deren illegale Machenschaften mitverantwortlich seien. Dies führe zur Rechtswidrigkeit der von der Gesuchsgegnerin in Indien getätigten Investition, die Gegenstand des zu revidierenden Schiedsspruchs sei.
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Die Gesuchstellerin bringt zur Frage der Fristwahrung vor, sie habe hinreichende Kenntnis des Revisionsgrundes gemäss Art. 190a Abs. 1 lit. a IPRG am 17. Januar 2022 erlangt, als der indische Supreme Court sein Urteil erlassen habe, mit dem er die Liquidation von B. aufgrund einer Verletzung von Artikel 271(c) des Companies Act anordnete. Es handle sich beim Urteil vom 17. Januar 2022 um ein neu entdecktes entscheidendes Beweismittel. Zudem habe sie mit diesem Entscheid nachträglich erhebliche Tatsachen erfahren. Die Gesuchstellerin sei am Urteilstag in den Besitz des höchstgerichtlichen Urteils gelangt und habe daher erst zu diesem Zeitpunkt hinreichende Kenntnis von dessen Inhalt erhalten.
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Das Vorbringen der Gesuchstellerin, sie habe von den angeblich entdeckten Tatsachen rund um die Gesellschaft B. erst mit Urteil des indischen Supreme Court vom 17. Januar 2022 erfahren, überzeugt nicht. Sie vermag damit nicht nachzuweisen, dass sie das Revisionsgesuch hinsichtlich der ins Feld geführten neuen Tatsachen nach Art. 190a Abs. 2 Satz 1 IPRG fristgerecht eingereicht hat.
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Soweit die Gesuchstellerin das Urteil des Supreme Court vom 17. Januar 2022 als nachträglich entdecktes Beweismittel im Sinne von Art. 190a Abs. 1 lit. a IPRG anführt, wäre die 90-tägige Revisionsfrist (unter Berücksichtigung des Fristenstillstands nach Art. 46 Abs. 1 lit. a BGG) zwar gewahrt. Weil sie damit jedoch nicht etwa ![]() ![]() | |
Ohnehin ist das eingereichte Urteil des indischen Supreme Court vom 17. Januar 2022 erst nach dem Schiedsentscheid vom 27. Mai 2020 entstanden, womit eine Revision gestützt darauf nach dem klaren Wortlaut von Art. 190a Abs. 1 lit. a IPRG von vornherein unzulässig ist (so bereits zit. Urteil 4A_69/2022 E. 4.4, nicht publ. in: BGE 148 III 436; vgl. auch BGE 147 III 238 E. 4.2 Ziff. 3; BGE 143 III 272 E. 2.2 a.E. Ziff. 3). ![]() |