19. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. und B.A. gegen C.A. und D.A. sowie D.A. gegen A.A. und Mitb. (Beschwerde in Zivilsachen) | |
5A_425/2020 / 5A_435/2020 vom 15. Dezember 2022 | |
Art. 241, 308 ff., 328 Abs. 1 lit. c ZPO; Rechtsmittel im Fall eines Klagerückzugs. | |
Art. 2, 626 Abs. 2 ZGB; Ausgleichung lebzeitiger Zuwendungen; Durchgriff. | |
Sachverhalt | |
A.a B.A., C.A., A.A., D.A. und E.A. sind die Nachkommen von F.A. (1910-1997) und G.A. (1917-1982). Im Nachlass befindet sich unter anderem die H. AG. Deren Aktienkapital von Fr. 500'000.- ist in 1'200 Namenaktien mit einem Nennwert von Fr. 100.- (Stimmrechtsaktien) und in 380 Namenaktien mit einem Nennwert von Fr. 1'000.- (Stammaktien) aufgeteilt. F.A. war Alleinaktionär der H. AG.
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A.b Am 30. Juni 1971 schlossen die Eltern mit den vier erstgenannten Kindern einen Erbvertrag ab. E.A. war beim Abschluss dieses Vertrags minderjährig und daran nicht beteiligt. In Ziffer II/B des Vertrags wurde unter anderem Folgendes festgehalten:
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"4.
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Das Aktienkapital der H. AG von CHF 500'000.- wird zu gleichen Teilen auf die überlebenden Kinder, bzw. Kindesstämme verteilt, d.h. die Aktien werden den Erben so zugewiesen, dass jeder kapitalmässig gleich beteiligt ist.
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5.
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Die im Geschäft mitarbeitenden Familienmitglieder (Nachkommen) erhalten jedoch stimmrechtsmässig die Aktienmehrheit."
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A.c Mit Vertrag vom 26. Januar 1999 trat E.A. ihren Erbteil gegen Zahlung von Fr. 3,5 Mio. an C.A. ab. ![]() | |
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A.e Am 19. Mai 1997 starb F.A. (Erblasser). Am 10. Oktober 2001 verteilte der Willensvollstrecker die Aktien der H. AG wie folgt unter die Erben: C.A. erhielt (unter Berücksichtigung des von E.A. erworbenen Erbteils) 200 Stammaktien (Nominalwert Fr. 200'000.-) und D.A. deren 100 (Nominalwert Fr. 100'000.-). A.A. und B.A. erhielten je 40 Stammaktien und je 600 Stimmrechtsaktien (Nominalwert total je Fr. 100'000.-).
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B.
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B.a Am 7. Oktober 2003 reichten C.A. und D.A. beim Bezirksgericht Baden gegen A.A. und B.A. eine Erbteilungsklage ein. Die Kläger beantragten unter anderem, die Beklagten zu verurteilen, die Stimmrechts- und die Stammaktien in die Erbmasse einzuwerfen und der Klägerin je 2/5 und dem Kläger je 1/5 der beiden Aktienkategorien zuzuteilen (Antrag Ziff. 3). Subeventualiter sei festzustellen, dass die Stimmrechtsaktien einen Kontrollwert von Fr. 8 Mio. hätten. Unter Berücksichtigung ihrer Erbquoten von je 1/5 hätten die Beklagten je Fr. 2,4 Mio. auszugleichen. C.A. und D.A. seien gemäss ihrer jeweiligen Erbquote von 2/5 bzw. 1/5 Fr. 3,2 Mio. bzw. Fr. 1,6 Mio. zuzuweisen (Anträge Ziff. 4 und 5).
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B.b Die Beklagten schlossen auf Abweisung der Klage. Sie beantragten festzustellen, dass die Aktienzuteilung des Willensvollstreckers (Bst. A.e) rechtsgültig erfolgte (Ziff. 1.1), die Zuteilung der auf den Erbteil von E.A. entfallenden 100 Stammaktien an C.A. einen Vorkaufsfall darstellt (Ziff. 1.2) und der ausgleichungspflichtige Betrag Fr. 476'075.- beträgt (Ziff. 1.3). Weiter verlangten die Beklagten, C.A. zu verpflichten, den das Vorkaufsrecht ausübenden Miterben je 25 Stammaktien der H. AG zur statutarischen Bewertung von Fr. 10'886.- pro Aktie zu übertragen (Ziff. 3.2). Sie stellten auch Anträge zu den Ausgleichsbeträgen, die sich die vier beteiligten Geschwister anrechnen zu lassen hätten (Ziff. 4).
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B.d Am 17. Juni 2008 fällte das Bezirksgericht sein Urteil. Es verpflichtete C.A., 100 Stammaktien der H. AG in die Erbmasse einzuwerfen, und stellte fest, dass den Parteien gemäss dem Erbvertrag vom 30. Juni 1971 (Bst. A.b) davon je 1/4 unter Anrechnung an ihren Erbanteil zusteht (Dispositiv-Ziff. 1.1-1.3). Im Übrigen wies das Bezirksgericht die Begehren beider Parteien ab. Allfällige Ausgleichungsansprüche der Kläger aus der Zuweisung der Stimmrechtsaktien an die Beklagten behielt das Bezirksgericht einer gerichtlichen Begutachtung nach Rechtskraft seines Urteils über die Zuweisung der Aktien vor. Die Ausgleichungsansprüche der Kläger aus lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers an die Beklagten wurden abgewiesen.
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B.e C.A. und D.A. erhoben beim Obergericht des Kantons Aargau je Appellation. A.A. und B.A. reichten je Anschlussappellation ein. Mit Urteil vom 16. September 2010 hiess das Obergericht die Appellation teilweise gut. Was die Ausgleichungsansprüche infolge der Zuweisung von Aktien angeht, wies es das Verfahren zum Entscheid über die Höhe des Anrechnungswertes der 25 neu zuzuweisenden Stammaktien und zur Beantwortung der Frage, ob und allenfalls in welcher Höhe die Stimmrechtsaktien einen Mehrwert haben, sowie zur Ausfällung eines entsprechenden Endentscheids an das Bezirksgericht zurück (Dispositiv-Ziff. 1). Im Übrigen wurden die Rechtsmittel abgewiesen, soweit darauf einzutreten war (Dispositiv-Ziff. 3). Das Obergericht bestätigte sowohl die von C.A. angefochtene Zuweisung der Stimmrechtsaktien an die beiden Beklagten als auch die von den Klägern angefochtene Verteilung der Stammaktien (vgl. Bst. A.e). Die Klagebegehren auf Ausgleichung lebzeitiger Zuwendungen des Erblassers an die Beklagten wies es ab, soweit es darauf eintrat.
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B.f Auf die separat gegen dieses Urteil erhobenen Beschwerden der Kläger trat das Bundesgericht nicht ein (Urteil 5A_883/2010 / 5A_887/ 2010 vom 18. April 2011).
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C.
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C.a In der Folge ordnete das Bezirksgericht ein Gutachten zur Bestimmung des aktuellen Verkehrswerts der Stammaktien und des allfälligen Mehrwerts der Stimmrechtsaktien der H. AG an. Am 7. April 2017 erstattete Prof. Dr. oec. J. das Gutachten, mit Eingabe vom 11. Dezember 2017 äusserte er sich zu den Fragen der Parteien. ![]() | |
C.c In ihrer Stellungnahme vom 23. April 2018 erklärte C.A., ihre Ansprüche in der Erbteilungsklage vom 7. Oktober 2003, Ziff. 3, Antrag und Eventualantrag, zurückzuziehen; der Subeventualantrag werde aufrechterhalten (vgl. Bst. B.a). D.A. schloss sich dem Rückzug der Anträge betreffend Aktienzuteilung gleichentags an.
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C.d Am 22. August 2018 fällte das Bezirksgericht sein neues Urteil. Die Begehren (Hauptantrag und Eventualanträge) gemäss Ziff. 3 der Klage (s. Bst. B.a) schrieb es zufolge Rückzugs als erledigt ab (Dispositiv-Ziff. 1). Laut Dispositiv-Ziff. 4 beträgt der Anrechnungswert einer Stammaktie Fr. 14'154.- für die Kläger und Fr. 28'308.- für die Beklagten; derjenige einer Stimmrechtsaktie beläuft sich auf Fr. 2'831.-. Soweit mehr oder anderes verlangt wurde, wies das Bezirksgericht die Begehren ab, soweit es darauf eintrat (Dispositiv-Ziff. 5).
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C.e In ihrer Berufung verlangte C.A. unter anderem, die Anrechnungswerte abzuändern: Derjenige einer Stammaktie sei für die Kläger auf Fr. 32'000.-, jedoch auf maximal 50 % des Anrechnungswertes der Beklagten, und für die Beklagten auf mindestens Fr. 64'000.- festzusetzen, derjenige einer Stimmrechtsaktie auf mindestens Fr. 6'400.- zu bestimmen (Antrag Ziff. 3).
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Auch D.A. erhob Berufung. Er beantragte festzustellen, dass ihm gegenüber ein Betrag von Fr. 1'918'211.- auszugleichen ist. Die Beklagten seien unter Berücksichtigung ihrer Erbquote von je 1/5 zu verpflichten, ihm gegenüber Fr. 962'315.60 (A.A.) und Fr. 955'895.40 (B.A.) auszugleichen (Antrag Ziff. 3).
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A.A. und B.A. legten ebenfalls Berufung ein. In Aufhebung des bezirksgerichtlichen Urteils habe C.A. 150 Stammaktien in die Erbmasse einzuwerfen. Sie, die Beklagten, hätten je 25 Stammaktien einzuwerfen. In der Folge sei festzustellen, dass ihnen von den 200 Stammaktien je 1/3 unter Anrechnung an ihren Erbteil zustehe. Eventualiter beantragten die Beklagten, Dispositiv-Ziff. 1 des Urteils des Bezirksgerichts vom 17. Juni 2008 (Bst. B.d) zum Urteil zu erheben und C.A. zu verpflichten, 100 Stammaktien in die Erbmasse einzuwerfen. Infolgedessen sei festzustellen, dass davon jeder Partei 25 Aktien unter Anrechnung an den Erbteil zustehen (Antrag Ziff. 1). Auch Dispositiv-Ziff. 4 des erstinstanzlichen Urteils sei ersatzlos ![]() ![]() | |
C.f Mit Entscheid vom 31. März 2020 wies das Obergericht alle drei Berufungen ab, soweit es darauf eintrat.
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D.
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D.a Mit Beschwerde vom 26. Mai 2020 wenden sich A.A. und B.A. an das Bundesgericht (Verfahren 5A_425/2020). Am Folgetag reichte auch D.A. eine Beschwerde ein (Verfahren 5A_435/2020). C.A. hat den Berufungsentscheid (Bst. C.f) nicht angefochten. A.A. und B.A. werden fortan als Beschwerdeführer und Beschwerdeführerin oder - entsprechend ihren ursprünglichen Parteirollen (Bst. B.a) - als Beklagter und Beklagte, C.A. und D.A. als Beschwerdegegnerin und Beschwerdegegner oder als Klägerin und Kläger bezeichnet.
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D.b Die Beschwerdeführer verlangen, den ihre Berufung abweisenden Rechtsspruch der Vorinstanz aufzuheben. Dispositiv-Ziff. 1 des Urteils des Bezirksgerichts vom 17. Juni 2008 (Bst. B.d), bestätigt durch den Rückweisungsentscheid des Obergerichts vom 16. September 2010 (Bst. B.e), sei wieder in Kraft zu setzen. Die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, 100 Stammaktien der H. AG in die Erbmasse einzuwerfen, und es sei festzustellen, dass ihnen, den Beschwerdeführern, je 25 dieser Aktien unter Anrechnung an ihren Erbteil zustehen. Weiter seien sie, die Beschwerdeführer, zu verpflichten, die Parteien entsprechend im Aktienbuch der H. AG einzutragen. Eventualiter sei die Angelegenheit an das Obergericht zurückzuweisen und dieses anzuweisen, auf ihren Berufungsantrag Ziff. 1 einzutreten und in der Sache über das Rechtsmittel zu entscheiden (Antrag Ziff. 1).
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D.c Der Beschwerdegegner verlangt, in entsprechender Aufhebung des angefochtenen Entscheids festzustellen, dass ein Betrag von Fr. 9'905'976.- auszugleichen ist. Die Beschwerdeführer hätten unter Berücksichtigung ihrer Erbquote von je 1/5 Fr. 3'248'213.40 (Beschwerdeführer) und Fr. 2'876'213.40 (Beschwerdeführerin) auszugleichen; davon seien ihm entsprechend seiner Erbquote von 1/5 Fr. 2'041'475.60 zuzuweisen (Antrag Ziff. 5). Die Beschwerdeführer seien zu verpflichten, ihm Fr. 1'082'737.80 zuzüglich Zins zu 5 % seit 7. Oktober 2003 (Beschwerdeführer) und Fr. 958'737.60 (Beschwerdeführerin) zu bezahlen (Antrag Ziff. 5.1). Die eventualiter ![]() ![]() | |
D.d Im vom Bundesgericht angeordneten Schriftenwechsel beantragten die Parteien je die Abweisung der gegnerischen Beschwerde. Das Bundesgericht heisst beide Beschwerden teilweise gut.
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(Zusammenfassung)
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Für die Rechtsmittel gilt nach Art. 405 Abs. 1 ZPO das Recht, das bei der Eröffnung des Entscheids in Kraft ist. Nach diesem Recht bestimmt sich, ob ein bestimmtes Rechtsmittel überhaupt zur Verfügung steht und unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist. Dem Eröffnungsrecht untersteht namentlich auch die Qualifikation des Anfechtungsobjekts (DANIEL WILLISEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 11 zu Art. 405 ZPO). Um eine Anfechtung nach neuem Recht zu gewährleisten, hat der Verfahrensabschluss, insbesondere der Inhalt des Entscheids und dessen Eröffnung, den Voraussetzungen des neuen Rechts zu ![]() ![]() | |
2.6.3 Nach Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO kann eine Partei beim Gericht, das als letzte Instanz in der Sache entschieden hat, die Revision verlangen, wenn geltend gemacht wird, dass die Klageanerkennung, der Klagerückzug oder der gerichtliche Vergleich unwirksam ist. Die genannten Entscheidsurrogate haben selbst die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheides (Art. 241 Abs. 2 ZPO). Als Rechtsmittel dagegen steht ausschliesslich die Revision nach Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO zur Verfügung (BGE 139 III 133 E. 1.3 zum gerichtlichen Vergleich; BGE 141 III 489 E. 9.3 zur Klageanerkennung; Urteil 4A_562/2014 vom 20. Februar 2015 E. 1.1 zum Klagerückzug). Anfechtungsobjekt der Revision ist nicht der deklaratorische Abschreibungsbeschluss (Art. 241 Abs. 3 ZPO), der nur hinsichtlich des allenfalls darin enthaltenen Kostenentscheids anfechtbar ist (Art. 110 ZPO; BGE 139 III 133 E. 1.2), sondern der Dispositionsakt selbst (Urteil 4A_441/2015 vom 24. November 2015 E. 3.2 mit Hinweisen). Im Falle des Klagerückzugs ist das die einseitige ![]() ![]() | |
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2.7.1 Soweit für diesen Teil des Streits relevant, fochten die Beschwerdeführer mit ihrer Berufung die Dispositiv-Ziff. 5, eventualiter die Dispositiv-Ziff. 1 und 5 des erstinstanzlichen Urteils vom 22. August 2018 (s. Sachverhalt Bst. C.d) an. Für welches Rechtsmittel diese Urteilssprüche taugliche Anfechtungsobjekte bilden, ist nach dem Gesagten (E. 2.6.1) nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung zu beurteilen. Mithin tut für die Zulässigkeit der Berufung (Art. 308 ff. ZPO) nichts zur Sache, dass nach Massgabe der alten kantonalen Zivilprozessordnung im Falle eines Vergleichs, eines Klagerückzugs oder einer Anerkennung erst der Abschreibungsbeschluss den Prozess beendete und als Endentscheid Anfechtungsobjekt des ordentlichen Rechtsmittels der Appellation war (§ 317 i.V.m. § 285 ff. ZPO/AG; ANDREAS EDELMANN, in: Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Bühler/Edelmann/Killer [Hrsg.], 2. Aufl. 1998, N. 10 zu § 285 ZPO/AG und N. 1 ff. zu § 287 ZPO/AG). In diesem Sinne ist der Vorinstanz beizupflichten, wenn sie den Standpunkt der Beschwerdeführer, dass Rechtsnatur und ![]() ![]() | |
Das Gesagte gilt auch für die Argumentation, wonach die Berücksichtigung des Klagerückzugs im bezirksgerichtlichen Urteil vom 22. August 2018 einer reformatio in peius gleichkomme und ein venire contra factum proprium bedeute. Auch diese Argumente betreffen im Ergebnis die Frage, ob das Bezirksgericht angesichts des obergerichtlichen Entscheids vom 16. September 2010 den Rückzug der erwähnten Begehren überhaupt noch entgegennehmen und damit auf sein Urteil vom 17. Juni 2008 zurückkommen durfte, mithin die Dispositionsfähigkeit des Streitgegenstandes. Abermals bleiben die ![]() ![]() | |
Nicht anders verhält es sich mit der von den Beschwerdeführern in der Berufung erhobenen Beanstandung, das Urteil vom 22. August ![]() ![]() | |
(...)
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Erwägung 4.3 | |
Soweit - wie hier - die Ausgleichungspflicht nach Art. 626 Abs. 2 ZGB in Frage steht, fallen nur Zuwendungen mit Ausstattungs- oder Versorgungscharakter in Betracht. Das sind Verfügungen des Erblassers, die den Zweck haben, dem Empfänger eine Existenz zu verschaffen oder ihm die vorhandene Existenz zu sichern oder zu verbessern (BGE 131 III 49 E. 4.1.2; BGE 116 II 667 E. 3; BGE 98 II 352 E. 3a; 76 II 188 E. 6). Massgebend ist der vom Erblasser verfolgte Zweck, ![]() ![]() | |
In subjektiver Hinsicht muss der Erblasser einen Zuwendungswillen (animus donandi) gehabt haben. Bei einer gemischten Schenkung müssen die Parteien eine unentgeltliche Zuwendung in dem Sinn beabsichtigen, dass sie den Preis bewusst unter dem wahren Wert des Kaufgegenstandes ansetzen, um die Differenz dem Käufer unentgeltlich zukommen zu lassen (BGE 145 III 1 E. 3.1; BGE 126 III 171 E. 3a). Es muss mithin nicht nur der Erblasser einen Schenkungswillen haben, sondern der Beschenkte die Leistung auch als gemischte Schenkung empfangen wollen (vgl. BGE 98 III 352 E. 3b). Es liegt in der Natur der Sache, dass das, was der Erblasser gewusst, was er gewollt hat, als innere Tatsache einem direkten Beweis nicht zugänglich ist, sondern sich (nach dem Tod des Erblassers) nur mehr indirekt beweisen lässt, etwa durch (dokumentierte) Aussagen des Erblassers oder anderer Personen, durch Folgerungen aus deren äusseren Verhalten oder anhand der Umstände. Die Folgen der Beweislosigkeit trägt dabei derjenige, der aus der Erfüllung des Ausgleichungs- oder Herabsetzungstatbestands Rechte ableitet (Art. 8 ZGB; vgl. BGE 145 III 1 E. 3.3). Mithin muss der Ausgleichungsgläubiger den objektiven und subjektiven Schenkungscharakter einer ![]() ![]() | |
In einem anderen Urteil kam das Bundesgericht im Kontext des Auskunftsrechts des amtlichen Liquidators zum Schluss, dass die Übertragung von Vermögenswerten von einer Gesellschaft, deren wirtschaftlich Begünstigter der Erblasser ist, ebenso wie die Übertragung von Vermögenswerten, die dem Erblasser gehören oder an denen er wirtschaftlich berechtigt ist, zugunsten eines Trusts eine lebzeitige Verfügung an die Begünstigten des Trusts darstelle (Urteil 5A_620/2007 vom 7. Januar 2010 E. 7.2). Das Urteil 5A_789/2016 vom 9. Oktober 2018 handelt von einer Aktiengesellschaft, deren Grossaktionär und Direktor der Erblasser war. Die Aktiengesellschaft hatte an eigenen Grundstücken (Dritt-)Pfänder bestellt, um ![]() ![]() | |
Die erwähnten Urteile haben im Schrifttum Diskussionen darüber ausgelöst, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Zuwendungen, die nicht auf dem direkten Weg vom Erblasser an den Erben vollzogen werden, der Ausgleichung (und der Herabsetzung) unterstehen sollen. Unter dem Stichwort der "indirekten Zuwendung" wird postuliert, dass Zuwendungen einer vom Erblasser beherrschten juristischen Person an einen Erben (z.B. der von der Einmann-Aktiengesellschaft des Erblassers ausbezahlte überhöhte Lohn) und solche an eine von einem Erben beherrschte juristische Person (z.B. Teilnahme des Erblassers an einer Kapitalerhöhung mit überhöhtem Ausgabepreis) losgelöst von den herkömmlichen Voraussetzungen des Durchgriffs als lebzeitige Zuwendungen des Erblassers ausgleichungspflichtig sind, sofern bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise der Erbe dadurch bereichert wird und der Erblasser eine Vermögenseinbusse erleidet (BURCKHARDT BERTOSSA, a.a.O., N. 46 ff. zu Art. 626 ZGB; s. auch PIUS KOLLER, Durchgriff und indirekte Zuwendungen im Erbrecht, AJP 2021 S. 19 ff., S. 27 ff.; ANTOINE EIGENMANN, L'obligation de rapporter en pratique, Une source de conflit posthume, 2018, S. 13 f.; RALPH STRAESSLE, Die erbrechtliche Berücksichtigung der lebzeitigen familieninternen Unternehmensnachfolge, Diss. Zürich 2019, S. 113 f.; EITEL/BIERI, Der ![]() ![]() | |
Für KOLLER und STRAESSLE steht fest, dass das Bundesgericht im Urteil 5A_620/2007 im beschriebenen Sinne von indirekten Zuwendungen ausgeht. Es rechne dem Erblasser die Zuwendungen der von ihm beherrschten Gesellschaft an den Trust (und von dort weiter an dessen Begünstigte) an und lasse so letztlich ausser Acht, dass die Zuwendung nicht vom Erblasser selbst, sondern von der von ihm beherrschten Gesellschaft ausgeht (KOLLER, a.a.O., S. 30; STRAESSLE, a.a.O., S. 113 f.). Im Zusammenhang mit dem Urteil 5A_994/2014 bzw. dem Durchgriffsprinzip wird sodann darauf hingewiesen, dass es wenig Sinn mache, auf Seiten des Erblassers nach einem Rechtsmissbrauch zu suchen, da der Erblasser seine Nachkommen mit einem ausdrücklichen Ausgleichungsdispens ohnehin von der Ausgleichungspflicht befreien könne. Auch den begünstigten Nachkommen, die einem Ausgleichungsanspruch entgegenhalten, dass die Zuwendungen nicht vom Erblasser selbst geleistet wurden, könne kein missbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden, da die Ursache des Rechtsmissbrauchs nicht durch sie verantwortet werde und sich die wirtschaftliche Identität von juristischer und natürlicher Person nicht auf sie, sondern auf den Erblasser beziehe. Angesichts dessen dürfe ein "erbrechtlicher" Durchgriff nicht allein von einem Rechtsmissbrauch abhängen, sondern müsse sich aus den Gerechtigkeits- und Gleichbehandlungsüberlegungen ergeben, die der gesetzlichen Ausgleichung nach Art. 626 Abs. 2 ZGB zugrunde liegen (KOLLER, a.a.O., S. 24 f.; EITEL/BIERI, a.a.O., S. 13 ff.).
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4.3.3 Die Rechtsfigur des Durchgriffs, von der im Urteil 5A_994/2014 vom 11. Januar 2016 E. 5.4 die Rede ist, beschreibt nach überkommener Rechtsprechung eine Ausnahme vom Grundsatz, dass die rechtliche Selbständigkeit juristischer Personen zu beachten ist. Diese Ausnahme setzt die Abhängigkeit der juristischen Person von einer hinter ihr stehenden Person und damit die Identität der wirtschaftlichen Interessen der juristischen Person und der sie beherrschenden Person voraus. Die Berufung auf die rechtliche Selbständigkeit der juristischen Person muss zweitens dazu führen, dass Gesetzesvorschriften umgangen, Verträge nicht erfüllt oder sonstwie berechtigte Interessen Dritter offensichtlich verletzt werden. Die rechtliche Selbständigkeit der juristischen Person muss rechtsmissbräuchlich, das heisst in der Absicht geltend gemacht werden, einen ![]() ![]() | |
Was den hier in Frage stehenden ausgleichungsrechtlichen Durchgriff angeht, weist KOLLER zutreffend darauf hin, dass die Nachkommen mit der wirtschaftlichen Identität des Erblassers und der von ihm beherrschten Aktiengesellschaft nichts zu tun haben, weshalb sie nicht als Urheber einer (allenfalls) rechtsmissbräuchlichen Verwendung der Aktiengesellschaft in die Pflicht genommen werden können. Richtig ist auch, dass der Erblasser lebzeitige Zuwendungen an seine Nachkommen genauso gut mit einem ausdrücklichen Dispens von der Ausgleichungspflicht befreien kann, ohne sich hinter "seiner" Aktiengesellschaft verstecken zu müssen (KOLLER, a.a.O., S. 24 mit Hinweisen; s. oben E. 4.3.2). Das Obergericht folgert daraus, dass ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Erblassers kaum vorstellbar, die rechtliche Selbständigkeit der H. AG deswegen zu beachten und Art. 626 Abs. 2 ZGB nicht anwendbar sei (nicht publ. ![]() ![]() | |
Eingedenk dieses Gehalts von Art. 626 Abs. 2 ZGB besteht kein Grund, den gesetzlich verankerten Gleichbehandlungsgedanken wegen der rechtlichen Selbständigkeit der Einmanngesellschaft, derer sich der Erblasser bei der Ausrichtung der Zuwendungen bedient, zurückzustellen. Aus den dargelegten Gründen steht im gegebenen Kontext nicht der "Missbrauch" der rechtlichen Selbständigkeit der vom Erblasser beherrschten juristischen Person im Fokus, sondern die Tatsache, dass der Erblasser seinen Nachkommen einen geldwerten Vorteil unentgeltlich zukommen lässt und damit auch sein eigenes Vermögen schmälert: Indem er - beispielsweise durch die Auszahlung eines zu hohen Arbeitslohns an die bei der juristischen Person angestellte Tochter oder durch die (gemischte) Schenkung eines Grundstücks aus dem Vermögen der juristischen Person an den Sohn - in der Geschäftstätigkeit seiner Aktiengesellschaft auf Marktkonditionen verzichtet, nimmt er eine Gewinneinbusse der Gesellschaft, mithin eine Werteinbusse der von ihm gehaltenen (100 %-)Beteiligung in Kauf. Dass der Erblasser für diese Begünstigungen den Weg über die von ihm beherrschte juristische Person wählte, steht der (grundsätzlichen) Ausgleichungspflicht also nicht im Weg. Freilich müssen auch alle übrigen gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 626 Abs. 2 ZGB erfüllt sein. ![]() | |
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Erwägung 4.4 | |
4.4.1 Die vorinstanzliche Beurteilung, wonach die wirtschaftliche Identität der H. AG und des Erblassers ohne Bedeutung, Art. 626 Abs. 2 ZGB wegen der rechtlichen Selbständigkeit der H. AG nicht anwendbar und ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Erblassers durch Vorschieben der H. AG nicht vorstellbar sei, ist in ihrer Absolutheit somit bundesrechtswidrig. Die Beschwerde des Beschwerdegegners (Verfahren 5A_435/2020) ist in dieser Hinsicht begründet. Das Obergericht wird sich in einem neuen Entscheid mit den Voraussetzungen der erbrechtlichen Ausgleichung nach Art. 626 Abs. 2 ZGB auseinandersetzen müssen. Dazu gehört, wie gesehen (E. 4.3.1), nicht nur das subjektive Element des Schenkungswillens, sondern namentlich auch die Frage, ob der Erblasser die umstrittenen geldwerten Vorteile den Beschwerdeführern zum Zweck der Existenzbegründung, -sicherung oder -verbesserung zukommen liess. Sollte die Vorinstanz zum Schluss kommen, dass unentgeltliche lebzeitige Zuwendungen im Sinne der zitierten Norm erfolgt sind, wird sie in der Folge prüfen müssen, ob der Erblasser die ![]() ![]() ![]() |