2. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. und B. gegen C., D. AG und E. (Beschwerde in Zivilsachen) | |
5A_87/2022 vom 2. November 2022 | |
Art. 519 ff. und 540 ZGB; Art. 71 und 206 Abs. 2 ZPO; Ungültigkeitsklage und Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit; Schlichtungsverfahren. | |
Art. 52, 201, 204, 206 und 209 ZPO; Art. 2 Abs. 2 ZGB; Art. 5 Abs. 3, Art. 29 Abs. 1 BV; Schlichtungsversuch; Gültigkeit der Klagebewilligung. | |
Rechtsfolge bei fehlendem Schlichtungsversuch (E. 3.1.4). | |
Berufung auf den Mangel des Schlichtungsverfahrens im gerichtlichen Verfahren und Gebot von Treu und Glauben (E. 3.2). | |
Kein Verstoss gegen das Verbot des überspitzten Formalismus im vorliegenden Fall (E. 3.3). | |
Sachverhalt | |
A.a Am 2. Oktober 2020 stellten fünf Kläger, unter ihnen A. und B., beim Friedensrichteramt Zürich Kreise 3 und 9 ein Schlichtungsgesuch, in welchem sie zwölf Parteien, darunter C., E. und die D. AG, als Beklagte bezeichneten. Sie begehrten die Feststellung, dass die von der am xx.yy.2020 verstorbenen F. errichtete letztwillige Verfügung nichtig, eventuell ungültig ist. Ausserdem beantragten die Kläger die Feststellung, dass C. infolge Erbunwürdigkeit von der Erbschaft der F. ausgeschlossen ist. Die Schlichtungsverhandlung wurde auf den 19. November 2020 angesetzt. Das Protokoll der Verhandlung hat folgenden Wortlaut:
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"Mit Schreiben vom 12. Oktober 2020 (Kläger 1 und Klägerin 2), 15. Oktober 2020 (Klägerin 5) und 16. Oktober 2020 (Kläger 3 und Klägerin 4) verzichten die Klägerinnen und Kläger gestützt auf Art. 199 Abs. 2 lit. a ZPO einseitig auf das Schlichtungsverfahren gegenüber dem Beklagten 4.
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Am 23. Oktober 2020 teilte die Beklagte 11 mit, dass sie nicht zur Schlichtungsverhandlung erscheint.
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Nachdem die beklagten Parteien nicht vollständig anwesend sind, stellt der Friedensrichter fest, dass die Schlichtungsverhandlung gescheitert ist.
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Die klagenden Parteien verlangen die Ausstellung der Klagebewilligung.
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Die Klagebewilligung wird ausgestellt."
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Der Friedensrichter stellte noch gleichentags die Klagebewilligung aus.
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Mit Schreiben vom 20. November 2020 wandte sich C.s Rechtsvertreter an den Friedensrichter; er monierte in mehrfacher Hinsicht die Ordnungsmässigkeit der Schlichtungsverhandlung, weshalb die Klagebewilligung nicht ausgestellt werden dürfe.
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Der Friedensrichter berichtigte die Klagebewilligung am 25. November 2020 und am 3. Dezember 2020.
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A.b Mit Klage vom 9. März 2021 reichten A. und B. beim Bezirksgericht Zürich eine Klage gegen C., E. und die D. AG ein. In ihrer Eingabe vom 25. Mai 2021 machten die Beklagten unter anderem die Ungültigkeit der Klagebewilligung geltend. Das Bezirksgericht wies die von den Beklagten erhobenen Einwendungen gegen die Gültigkeit der Klagebewilligung in einem selbständig eröffneten Zwischenentscheid ab (Entscheid vom 8. Juli 2021).
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B. C., die D. AG und E. gelangten daraufhin mit Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich. Das Obergericht hiess die Berufungen gut und trat auf die Klage vom 9. März 2021 nicht ein; die Kosten auferlegte es den Klägern und verpflichtete diese zur Leistung von Parteientschädigungen (Entscheid vom 30. Dezember 2021).
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C. Hiergegen wenden sich A. und B. (Beschwerdeführer) an das Bundesgericht. Sie beantragen, den Entscheid des Obergerichts vom 30. Dezember 2021 aufzuheben und die Sache zur Weiterführung des Verfahrens und materiellen Beurteilung an das Bezirksgericht zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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3.1.1.1 Gemäss Art. 201 Abs. 1 ZPO besteht die Aufgabe der Schlichtungsbehörde darin, in formloser Verhandlung zu versuchen, die Parteien zu versöhnen. Die Verhandlung hat innert zwei Monaten seit Eingang des Gesuchs stattzufinden (Art. 203 Abs. 1 ZPO), wobei mit Zustimmung der Parteien weitere Verhandlungen durchgeführt werden können (Art. 203 Abs. 4 ZPO). Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen (Art. 204 Abs. 1 ZPO) und können sich von einer Rechtsbeiständin, einem Rechtsbeistand oder einer Vertrauensperson begleiten lassen (Art. 204 Abs. 2 ZPO). Hintergrund dieser Spezialregel für das Schlichtungsverfahren war die Überlegung, dass eine Schlichtungsverhandlung meist dann am aussichtsreichsten ist, wenn die Parteien persönlich erscheinen, da nur so eine wirkliche Aussprache stattfinden kann. Auch wenn sich die Parteien begleiten lassen dürfen, sollen sie sich an der Verhandlung doch primär selber äussern (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7331; BGE 140 III 70 E. 4.3). Durch die Pflicht zum persönlichen Erscheinen soll mithin ein persönliches Gespräch zwischen den Parteien vor der allfälligen Klageeinreichung ermöglicht werden. Art. 204 Abs. 1 ZPO zielt in diesem Sinne - wie das ![]() ![]() | |
3.1.1.2 Die Gültigkeit der Klagebewilligung nach Art. 209 ZPO ist, sofern dem Prozess ein Schlichtungsversuch vorauszugehen hat, eine Prozessvoraussetzung. Diese hat das Gericht gemäss Art. 60 ZPO von Amtes wegen zu prüfen (BGE 141 III 159 E. 2.1; BGE 139 III 273 E. 2.1). Es hat somit selbst ohne Einwand des Beklagten zu beurteilen, ob eine gültige Klagebewilligung vorliegt (BGE 146 III 185 E. 4.4.2). Letztere ist - abgesehen vom Spruch über die Kosten - kein anfechtbarer Entscheid (BGE 141 III 159 E. 2.1 mit Hinweisen). Die beklagte Partei kann die Gültigkeit der Klagebewilligung von vornherein erst im erstinstanzlichen Klageverfahren bestreiten. Das Gericht hat alsdann im Rahmen der Klärung der Prozessvoraussetzungen zu prüfen, ob der geltend gemachte Mangel des Schlichtungsverfahrens die Ungültigkeit der Klagebewilligung bewirkt (vgl. BGE 146 III 185 E. 4.4.2; Urteil 4A_135/2018 vom 27. April 2018 E. 2.2). Ist die Klagebewilligung ungültig, darf das Gericht auf die Klage nicht eintreten (BGE 140 III 70 E. 5).
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3.1.1.3 Klagen mehrere Kläger gegen mehrere Beklagte auf Ungültigkeit bzw. Nichtigkeit einer letztwilligen Verfügung (Art. 519 ZGB), liegen in der Regel sowohl aktiv- wie auch passivseitig einfache Streitgenossenschaften im Sinn von Art. 71 Abs. 1 ZPO vor (BGE 146 III 1 E. 4.2.2; BGE 136 III 123 E. 4.4.1; sowie GROLIMUND, in: Zivilprozessrecht, ![]() ![]() | |
3.1.1.4 Richtet sich die Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit (Art. 540 ZGB) einer bestimmten Person, die bei gegebenen Voraussetzungen von Gesetzes wegen eintritt, von Behörden und Gerichten von Amtes wegen zu berücksichtigen ist (Urteil 5A_204/2007 vom 16. Oktober 2007 E. 7.1) und zur Folge hat, dass die erbunwürdige Person im Verhältnis zum betreffenden Erblasser dieselbe Stellung hat, wie wenn sie vorverstorben wäre (BGE 132 III 315 E. 2.1), so kann diese ebenfalls von jeder Person, die die Erbberechtigung bzw. die Erbfähigkeit einer anderen Person bestreitet, ![]() ![]() | |
3.1.4 Sodann beanstanden die Beschwerdeführer die Erkenntnis des Obergerichts, wonach eine Klagebewilligung unter einem schweren Mangel leidet und nicht gültig ist, wenn kein effektiver Schlichtungsversuch unternommen wurde (so auch PAHUD, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Bd. II, Brunner/Gasser/Schwander ![]() ![]() | |
Mit Bezug auf die Frage, wann (noch) Gelegenheit besteht, einen prozessualen Einwand vorzutragen, gilt es Folgendes zu berücksichtigen: Hat das Gericht seinen Entscheid gefällt, ist es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr mit der Sache befasst und kann es seinen Entscheid - unter Vorbehalt einer Berichtigung - nicht mehr ![]() ![]() | |
3.2.3 An diesem Ergebnis vermag auch der Umstand, dass die Beschwerdegegner "zu keinem Zeitpunkt eine Wiederholung der Schlichtungsverhandlung" verlangt haben sollen, nichts zu ändern. Zum einen war das Schlichtungsverfahren mit der mündlichen Mitteilung des Friedensrichters, er stelle die Klagebewilligung aus, beendet, und das Gesetz sieht in diesem Zusammenhang eine Wiederholung eines bereits abgeschlossenen Verfahrens nicht vor. Zum anderen hat der Rechtsvertreter des Beschwerdegegners, der zufolge seiner (angekündigten) Verspätung erst am Versammlungsort eintraf, als der Friedensrichter die Verhandlung bereits geschlossen hatte, jenem bereits am nächsten Tag schriftlich mitgeteilt, dass die Schlichtungsverhandlung seines Erachtens nicht ordnungsgemäss verlaufen ![]() ![]() | |
Bei diesem Ergebnis braucht nicht geprüft zu werden, ob der Vorwurf des treuwidrigen Verhaltens auch auf die Beschwerdeführer zurückfallen würde, sollte man von ihrer Sichtweise ausgehen, denn sie hatten ein eigenes Interesse an der korrekten Durchführung der Schlichtungsverhandlung und haben es dennoch unterlassen, ihrerseits auf eine Aussprache zwischen den Parteien zu pochen.
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3.3.2 Das Bundesgericht hat sich in BGE 146 III 185 eingehend zur Bedeutung des Schlichtungsverfahrens im Allgemeinen und des Schlichtungsversuchs im Besonderen geäussert (E. 3.1.3). Die Möglichkeit des Gerichts, jederzeit im Verlauf des Hauptsacheverfahrens ![]() ![]() | |
Freilich kann man sich fragen, ob Fallkonstellationen, in welchen Art. 63 ZPO, wonach ein Kläger seine Eingabe innert eines Monats seit dem Nichteintretensentscheid beim zuständigen Gericht neu einreichen kann und diesfalls als Zeitpunkt der Rechtshängigkeit das Datum der ersten Einreichung gilt, zum Zug kommt, von anderen Fallgruppen zu unterscheiden sind, namentlich von Fällen, in denen zwischenzeitlich eine materiell-rechtliche Verwirkungsfrist abgelaufen ist und der Nichteintretensentscheid zu einem Rechtsverlust führt (vgl. BASTONS BULLETTI, Note relative à l'arrêt rendu le 14 juin 2016 par le Tribunal cantonal du canton de Fribourg, ZPO Online vom 6. April 2017, in fine). In der Tat erfasst Art. 63 ZPO nur den Nichteintretensentscheid zufolge fehlender (örtlicher oder sachlicher) Zuständigkeit (Abs. 1) und zufolge Klageeinleitung im unrichtigen Verfahren (Abs. 2), nicht aber Nichteintretensentscheide zufolge Fehlens anderer Prozessvoraussetzungen - wie hier die Ungültigkeit der Klagebewilligung - oder zufolge formeller Mängel der Eingabe (BGE 141 III 481 E. 3.2.4). Dieser Gedanke braucht indes vorliegend nicht vertieft weiterverfolgt zu werden, denn die Beschwerdeführer behaupten nicht, der angefochtene Entscheid führe für sie letztlich zu einem Rechtsverlust. ![]() |