10. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B. AG (Beschwerde in Zivilsachen) | |
4A_496/2021 vom 3. Dezember 2021 | |
Regeste | |
Art. 731b Abs. 1 OR; Art. 699 Abs. 2 OR; Art. 710 Abs. 1 OR; nicht durchgeführte Generalversammlung; Ende des Verwaltungsratsmandats.
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Sachverhalt | |
A.a Die B. AG (Beschwerdegegnerin) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in U. und einem Aktienkapital von Fr. 999'999.- bestehend aus 999'999 Namenaktien à Fr. 1.-. Sie vermarktet Rohrverbindungselemente, die in der Fernwärme, in der Klimatechnik, im Anlagebau sowie in der Gas- und Ölindustrie verwendet werden.
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Die A. AG (Beschwerdeführerin) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in U. Ihr Aktienkapital von Fr. 100'000.- besteht aus 100'000 Namenaktien mit einem Nennwert von Fr. 1.-. Sie wurde 2017 als Joint Venture von der Beschwerdegegnerin und zwei chinesischen Geschäftsleuten gegründet und hat die Realisierung von lukrativen Geschäften in der Volksrepublik China zum Ziel.
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Gemäss dem Gründungsbericht vom 28. Juni 2017 sind als Gründer und Aktionäre folgende Personen aufgeführt:
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- Die Beschwerdegegnerin mit 51'000 Namenaktien zu je Fr. 1.-,
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- C. mit 24'500 Namenaktien zu je Fr. 1.- und
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- D. mit 24'500 Namenaktien zu je Fr. 1.-.
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Als Verwaltungsräte der Beschwerdegegnerin werden im Gründungsbericht folgende Personen genannt:
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- E. (Präsident)
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- F. (Vizepräsident)
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- C. (Mitglied)
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- D. (Mitglied)
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An einer ausserordentlichen Generalversammlung vom 8. November 2017 wurde der Rücktritt von F. als Vizepräsident des Verwaltungsrates bekannt gegeben. An dessen Stelle wurde G. in den Verwaltungsrat gewählt. ![]() | |
- H. (Präsident)
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- G. (Mitglied)
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- C. (Mitglied)
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- I. (Mitglied)
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Bereits am 16./17. September 2019 traten H. und I. wieder aus dem Verwaltungsrat zurück. Ab diesem Zeitpunkt setzt sich der Verwaltungsrat der Beschwerdeführerin wie folgt zusammen:
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- G. (Präsident)
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- C. (Mitglied)
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A.b Mit Schreiben vom 12. April 2021 wies die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin darauf hin, dass die letzte - ausserordentliche - Generalversammlung am 16. April 2019 stattgefunden habe. Da nie eine ordentliche Generalversammlung stattgefunden habe, sei den Aktionären auch nie eine Jahresrechnung der beiden einzigen Geschäftsjahre 2018 und 2019 präsentiert worden. Aus diesem Grund verlangte die Beschwerdegegnerin die unverzügliche Einberufung der ordentlichen Generalversammlungen für die Geschäftsjahre 2018 und 2019; ferner sei eine Revisionsstelle zu bestellen (Durchführung einer ordentlichen Revision) und es sei Auskunft über die Investitionen der Gesellschaft in der Volksrepublik China zu erteilen.
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Eine Einladung zu einer Generalversammlung blieb aus.
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B. Am 21. Mai 2021 gelangte die Beschwerdegegnerin an das Handelsgericht des Kantons Zürich und verlangte im Wesentlichen die Einsetzung eines Sachwalters, dessen Amtsdauer zeitlich zu befristen und als beendet zu erklären sei, wenn und sobald eine ausserordentliche Generalversammlung inkl. Traktanden und Beschlussanträge (Wahl der Revisionsstelle; Auskunftserteilung über die Investitionen und Geschäftsbeziehungen der Gesellschaft in der Volksrepublik China) durchgeführt und ein Verwaltungsrat und eine Revisionsstelle ernannt und im Handelsregister eingetragen sind. Es sei für die Beschwerdeführerin eine ausserordentliche Generalversammlung mit mindestens den genannten Traktanden und Beschlussanträgen einzuberufen. ![]() | |
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C. Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Handelsgerichts vom 13. August 2021 aufzuheben und das Gesuch der Beschwerdegegnerin vollumfänglich abzuweisen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Auszug)
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Zu entscheiden ist mithin die Frage, ob die Verwaltungsräte auch nach Ablauf von sechs Monaten nach dem letzten Geschäftsjahr ihrer Amtszeit weiter im Amt bleiben, wenn entgegen Art. 699 Abs. 2 OR innert dieser sechs Monate keine Generalversammlung durchgeführt oder die Wahl des Verwaltungsrates nicht traktandiert wurde.
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In der Doktrin sind die Meinungen geteilt:
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Erwägung 3.1 | |
3.1.1 Ein Teil der Lehre nimmt bei unterlassener oder vergessener Wahl des Verwaltungsrates an, dass das Verwaltungsratsmandat bis zur nächsten Generalversammlung, an welcher Wahlen durchgeführt werden, fortbestehe bzw. sich dieses stillschweigend ![]() ![]() | |
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In BGE 140 III 349 E. 2 hielt es fest, dass ein Organisationsmangel vorliegt, wenn eine Pattsituation im Aktionariat die Wahl eines obligatorischen Gesellschaftsorgans verhindert. Eine Statutenbestimmung, die zur Vermeidung einer allfälligen Blockadesituation im Aktionariat eine automatische Wiederwahl der Verwaltungsräte vorsieht, widerspreche dem unübertragbaren Recht der Generalversammlung, die Mitglieder des Verwaltungsrates zu wählen, und wäre demnach nichtig (vgl. Art. 706b Ziff. 3 OR). Erwähnt, aber nicht beantwortet hat das Bundesgericht in BGE 140 III 349 die hier interessierende Frage, ob das Verwaltungsratsmandat auch endet, wenn keine Generalversammlung durchgeführt oder die Wahl des Verwaltungsrats nicht traktandiert wurde (E. 2.5). Auch in einem späteren Entscheid hat das Bundesgericht die Frage unter Verweis auf BGE 140 III 349 offengelassen (Urteil 4A_141/2020 vom 4. September 2020 E. 3.1).
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Einige Entscheide, in denen das Bundesgericht diese Frage zwar ebenfalls nicht explizit behandelte, sprechen gegen eine stillschweigende Verlängerung: So hat das Bundesgericht im Urteil 4A_507/2014 vom 15. April 2015 E. 5.1 ausgeschlossen, eine stillschweigende Verlängerung des Verwaltungsratsmandats anzunehmen, wenn der Verwaltungsrat die Einberufung der Generalversammlung verhindert, um dadurch sein Mandat zu bewahren. Im Urteil 4A_279/2018 ![]() ![]() | |
Ebenso bleiben die Gesellschaft, Aktionäre und Gesellschaftsgläubiger geschützt, weil die Verantwortlichkeit nach Art. 754 OR auch für als faktische Organe (vgl. BGE 146 III 37 E. 6.1; BGE 128 III 29 E. 3a) handelnde Verwaltungsräte fortbesteht.
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Die Beschwerdeführerin befürchtet, dass bei Beendigung des Mandats nach Ablauf von sechs Monaten seit Schluss des Geschäftsjahres die Gesellschaft in einer Vielzahl von Fällen handlungsunfähig würde. Deshalb müsse sich das Mandat verlängern. Dem kann nicht gefolgt werden. Zum einen ist weder notorisch noch dargetan, dass effektiv eine grosse Zahl von Aktiengesellschaften die Generalversammlung nach Art. 699 Abs. 2 OR nicht durchführt oder die Wahl nicht traktandiert. Zum andern haben es die Verwaltungsräte in der Hand, dieser Folge durch ordnungsgemässe Durchführung der Generalversammlung vorzubeugen. Im Konfliktfall bleibt der Gang zum Gericht möglich. Schliesslich ist zu diesem Argument in grundsätzlicher Hinsicht zu bemerken, dass eine unliebsame Konsequenz einer regelwidrigen Situation (i.c. Nichtdurchführung der ordentlichen Generalversammlung nach Art. 699 Abs. 2 OR) dieselbe nicht zu legitimieren vermag, sondern vielmehr durch Beachtung der gesetzlichen Vorschriften zu verhindern ist.
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