4. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. AG (Beschwerde in Zivilsachen) | |
5A_383/2020 vom 22. Oktober 2021 | |
Art. 79, Art. 80 und Art. 82 Abs. 1 SchKG; Art. 59 Abs. 2 lit. d ZPO. Verhältnis der Anerkennungsklage zur Rechtsöffnung. | |
Art. 80 Abs. 2 Ziff. 1 SchKG; Art. 88, Art. 65 und Art. 241 Abs. 2 ZPO. Wirkung des Rückzugs einer negativen Feststellungsklage. | |
Sachverhalt | |
A.a A. betrieb die B. AG mit Zahlungsbefehl Nr. x des Betreibungsamtes St. Gallen vom 13. Oktober 2016 für eine Forderung von Fr. 1,1 Mio. nebst Zins zu 5 % seit dem 16. September 2016. Die B. AG erhob Rechtsvorschlag.
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Mit Zahlungsbefehl Nr. y des Betreibungsamtes St. Gallen vom 16. November 2016 betrieb A. die B. AG für eine Forderung von Fr. 113'000.- nebst Zins zu 5 % seit dem 15. November 2016. Die B. AG erhob Rechtsvorschlag.
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A.b Mit zwei separaten Klagen vom 25. Oktober 2016 und 22. Dezember 2016 ersuchte die B. AG beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen um Feststellung, dass sie nicht Schuldnerin der in Betreibung (Betreibung Nr. x) gesetzten Forderung von Fr. 1,1 Mio. zuzüglich Zins zu 5 % seit 16. September 2016 bzw. der in Betreibung (Betreibung Nr. y) gesetzten Forderung von Fr. 113'000.- zuzüglich Zins zu 5 % seit 15. November 2016 sei. Das Handelsgericht vereinigte die beiden Klagen und setzte A. Frist zur Erstattung einer Klageantwort. Am 6. Februar 2017 reichte A. ein Gesuch um Leistung einer Parteikostensicherheit ein und beantragte die Erhöhung des Gerichtskostenvorschusses. Mit Verfügung vom 16. Februar 2017 wurde A. die Frist zur Einreichung der Klageantwort abgenommen und die B. AG aufgefordert, sich zum Gesuch um Leistung einer Parteikostensicherheit zu äussern. Am 13. März 2017 zog die B. AG die beiden Klagen zurück. Das Handelsgericht schrieb die Verfahren daraufhin mit Verfügung vom 31. Mai 2017 ab.
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A.c Am 21. Juli 2017 stellte A. beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen ein Gesuch um Rechtsschutz in klaren Fällen mit dem Antrag, die B. AG zu verurteilen, ihm Fr. 1,1 Mio. und Fr. 113'000.- zu bezahlen, jeweils zuzüglich Zins. Zudem verlangte er, in den zwei Betreibungen sei jeweils der Rechtsvorschlag zu beseitigen und die definitive Rechtsöffnung zu erteilen. Das Handelsgericht trat mit Entscheid vom 1. Dezember 2017 auf das Gesuch nicht ein. Das Bundesgericht wies eine dagegen gerichtete Beschwerde von A. ab (Urteil 4A_24/2018 vom 15. Juni 2018).
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A.d Mit Klage vom 25. September 2018 beantragte A. beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen im ordentlichen Verfahren, die B. AG sei zu verpflichten, ihm Fr. 1,1 Mio. und Fr. 113'000.- zu bezahlen, jeweils zuzüglich Zins. Zudem sei der Rechtsvorschlag in den beiden Betreibungen zu beseitigen und es sei die definitive Rechtsöffnung zu erteilen. ![]() | |
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Mit Entscheid vom 4. November 2019 trat das Bezirksgericht Lenzburg auf das Rechtsöffnungsgesuch nicht ein.
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C. Gegen diesen Entscheid erhob A. am 18. November 2019 Beschwerde an das Obergericht des Kantons Aargau. Er verlangte dessen Aufhebung und hielt an seinen Anträgen in der Sache fest.
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Die B. AG beantragte, die Beschwerde und eventuell das Rechtsöffnungsgesuch abzuweisen.
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Mit Entscheid vom 16. März 2020 wies das Obergericht die Beschwerde ab.
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D. Gegen diesen Entscheid hat A. (Beschwerdeführer) am 19. Mai 2020 Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht erhoben. Er verlangt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und hält an seinen Anträgen in der Sache fest. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
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Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die B. AG (Beschwerdegegnerin) beantragt die Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Zusammenfassung)
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Erwägung 2 | |
Das vom Beschwerdeführer am Handelsgericht angehobene Verfahren hat eine sog. Anerkennungsklage im Sinne von Art. 79 SchKG zum Gegenstand. Die Anerkennungsklage ist eine materiellrechtliche Klage wie etwa auch die Aberkennungsklage nach Art. 83 Abs. 2 SchKG (BGE 133 III 645 E. 5.2 S. 652; BGE 119 III 63 E. 4b S. 67). Mit der Anerkennungsklage soll geklärt werden, ob die eingeklagte Forderung materiellrechtlich existiert und die beklagte Partei zu ihrer Erfüllung verpflichtet ist. Ist dies der Fall, wird sie zur entsprechenden Leistung verurteilt. Das Urteil im Anerkennungsverfahren entfaltet materielle Rechtskraft. Im Vergleich zu Klagen, die ausserhalb des betreibungsrechtlichen Kontexts stehen, weist sie als Besonderheit allerdings ein vollstreckungsrechtliches Element auf, nämlich den Umstand, dass mit ihr zusätzlich zur materiellen Rechtsfolge die Beseitigung des Rechtsvorschlags angestrebt wird (Art. 79 SchKG).
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Das Verfahren auf (provisorische oder definitive) Rechtsöffnung ist demgegenüber ein reines Vollstreckungsverfahren bzw. ein rein betreibungsrechtliches Verfahren. Geurteilt wird nicht über den materiellrechtlichen Bestand einer Forderung, sondern einzig darüber, ob die Betreibung fortgesetzt werden kann (BGE 136 III 566 E. 3.3 S. 569; BGE 133 III 645 E. 5.3 S. 653; BGE 120 Ia 82 E. 6c S. 85). Zu diesem Zweck befindet das Gericht darüber, ob ein für die Rechtsöffnung genügender Titel (Art. 80 bzw. Art. 82 Abs. 1 SchKG) vorliegt (BGE 136 III 583 E. 2.3 S. 586 f. mit Hinweisen). Das Rechtsöffnungsurteil entfaltet keine materielle Rechtskraft für den Forderungsprozess (BGE 136 III 566 E. 3.3 S. 569, BGE 136 III 583 E. 2.3 S. 586 f.; Urteil 5A_467/ 2015 vom 25. August 2016 E. 4.3).
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2.3 Am Gesagten ändern die Vorbringen der Beschwerdegegnerin nichts und sie bilden auch keinen Anlass, auf die dargestellte, konstante Rechtsprechung zurückzukommen. Die Beschwerdegegnerin bringt einerseits vor, der Beschwerdeführer stütze seinen Anspruch in beiden Verfahren auf den Rückzug der negativen Feststellungsklagen, woraus sie ableitet, der Klage und dem Gesuch liege derselbe Lebenssachverhalt zugrunde. An der Unterschiedlichkeit der Prozessthemen ändert jedoch nichts, wenn den beiden Verfahren dasselbe Forderungsverhältnis zwischen den Parteien zugrunde liegt (BGE 120 Ia 82 E. 6c S. 85). Selbst wenn man davon sprechen mag, dass insofern derselbe Lebenssachverhalt vorliegt, so ist er doch in den beiden Prozessen unter einer unterschiedlichen Optik zu betrachten, ähnlich wie es sich etwa im Verhältnis zwischen einem Hauptprozess und dem dazugehörenden Verfahren auf vorsorgliche Massnahmen verhält. Andererseits beruft sich die Beschwerdegegnerin auf die angebliche Identität der Anträge in den beiden Verfahren. Selbst nach ihren eigenen Behauptungen liegt jedoch ein deutlicher Unterschied vor, denn im Verfahren vor Handelsgericht klagt der Beschwerdeführer in erster Linie darauf, sie zur Bezahlung der strittigen Beträge zu verpflichten. Weitgehend deckungsgleich ist nach ihrer Darstellung einzig der Antrag auf Beseitigung des Rechtsvorschlags und auf definitive Rechtsöffnung, der in beiden Verfahren gestellt wird. Dies ist jedoch nicht massgeblich. Das Ziel der beiden Verfahren stimmt zwar zumindest teilweise überein, nämlich dahingehend, dass mit beiden die Beseitigung des Rechtsvorschlags in einer konkreten Betreibung angestrebt wird. In der Folge gleichen sich in diesem Punkt zwangsläufig auch die Anträge. Dieses gemeinsame Ziel soll jedoch auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden, im einen Fall gestützt auf eine vorgängige, umfassende materiellrechtliche Prüfung, im andern gestützt auf eine blosse Prüfung der vorgelegten Titel. Wie dargelegt, schliessen diese Wege ![]() ![]() | |
Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 145 III 324 E. 6.1 S. 326; BGE 142 II 49 E. 9.2 S. 65; BGE 137 II 266 E. 3.2 S. 270; BGE 136 I 229 E. 5.2 S. 236).
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Das Obergericht hat unter Hinweis auf die Lehre dargelegt, dass einem Klagerückzug Rechtskraftwirkung nur in dem beschränkten Sinne zukomme, dass eine identische Klage künftig ausgeschlossen sei (Art. 65 ZPO), nicht aber, dass das Gegenteil der mit der Klage aufgestellten Behauptung verbindlich gelte (vgl. unten E. 3.4). Das Obergericht hat damit dargelegt, wie es Art. 65 ZPO versteht. Unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs genügt diese Begründung. Der Beschwerdeführer war denn auch ohne Weiteres in der Lage, den obergerichtlichen Entscheid sachgerecht anzufechten.
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3.2 Ausgangspunkt der Beurteilung, ob ein definitiver Rechtsöffnungstitel vorliegt, bildet Art. 80 SchKG. Nach Art. 80 Abs. 1 SchKG kann der Gläubiger beim Richter die Aufhebung des Rechtsvorschlags (definitive Rechtsöffnung) verlangen, wenn die Forderung ![]() ![]() | |
Gemäss Art. 241 Abs. 2 ZPO hat ein Vergleich, eine Klageanerkennung oder ein Klagerückzug die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheides ("...un désistement d'action a les effets d'une décision entrée ![]() ![]() | |
3.4 In der Sache der Parteien hat das Bundesgericht bereits festgehalten, dass aus dem Wortlaut von Art. 241 Abs. 2 ZPO und Art. 65 ZPO nicht ohne Weiteres folgt, welche Rechtsfolge der Rückzug einer negativen Feststellungsklage hinsichtlich einer später erhobenen Leistungsklage hat (Urteil 4A_24/2018 vom 15. Juni 2018 E. 3.4). An diese Diskussion, die in erster Linie im Zusammenhang ![]() ![]() | |
Eine mögliche Auffassung über das gegenseitige Verhältnis der beiden Normen geht im Ergebnis dahin, Art. 65 ZPO stelle eine lex specialis zu Art. 241 Abs. 2 ZPO dar und gehe der letztgenannten Norm im Hinblick auf den Klagerückzug vor bzw. Art. 241 Abs. 2 ZPO sei für den Klagerückzug einschränkend auszulegen. Diese Auffassung wird von denjenigen Autoren vertreten, die auf den Rückzug einer Klage und insbesondere einer negativen Feststellungsklage einzig die in Art. 65 ZPO erwähnte Ausschlusswirkung (negative Rechtskraftwirkung; ne bis in idem; Einmaligkeits- oder Sperrwirkung; dazu BGE 142 III 210 E. 2.1 S. 212 mit Hinweisen) anwenden wollen, d.h. die einzige Wirkung des Klagerückzugs darin sehen, dass dem seinerzeitigen Kläger eine erneute Klage in derselben Sache versagt wird. Positive Rechtskraftwirkung (Präjudizialitäts- oder Bindungswirkung; dazu BGE 142 III 210 E. 2 S. 212 mit Hinweisen) kommt dem Klagerückzug nach dieser Auffassung nicht zu (in diesem Sinne PAUL OBERHAMMER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 29 f. zu Art. 241 ZPO; STEPHEN V. BERTI, Einführung in die schweizerische Zivilprozessordnung, 2011, Rz. 490; ders., in: ZPO, Kurzkommentar, 2. Aufl. 2014, N. 4 zu Art. 65 ZPO; NAEGELI/RICHERS, in: ZPO, Kurzkommentar, 2. Aufl. 2014, N. 35 zu Art. 241 ZPO; PASCAL LEUMANN LIEBSTER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 18 zu Art. 241 ZPO; LORENZ DROESE, SZZP 2018 S. 349 ff.; ders., Res iudicata ius facit, 2015, S. 160 Fn. 847, S. 321 ff.). Nach dieser Auffassung bestimmt Art. 65 ZPO die Wirkungen des Klagerückzugs inhaltlich. Das Obergericht hat sich dieser Auffassung im angefochtenen Entscheid angeschlossen. Auch wenn die Vertreter dieser Auffassung es in der Regel nicht ausdrücklich sagen, liegt auf der Hand, dass bei dieser Lesart der Klagerückzug keinen definitiven Rechtsöffnungstitel darstellen kann, da mit dem Klagerückzug keine verbindlichen inhaltlichen Wirkungen verbunden sind. ![]() | |
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3.5 Feststellungsurteile enthalten keinen Leistungsbefehl und sind in der Folge nicht vollstreckbar (MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 211). Feststellungsurteile stellen somit keinen Titel für die definitive Rechtsöffnung dar (STAEHELIN, a.a.O., N. 6 zu Art. 80 SchKG; ABBET, a.a.O., N. 14 zu Art. 80 SchKG). Das gilt grundsätzlich auch für die Abweisung einer negativen Feststellungsklage (GUT, a.a.O., S. 162; ABBET, a.a.O., N. 14 zu Art. 80 SchKG; MICHEL HEINZMANN, in: CPC, Code de procédure civile, 2021, N. 25 zu Art. 88 ZPO). Das Bundesgericht hat für das abweisende Aberkennungsurteil - d.h. eine Sonderform eines negativen Feststellungsurteils - jedoch eine Ausnahme zugelassen und entschieden, dass ein solches Urteil einen definitiven Rechtsöffnungstitel ![]() ![]() | |
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Der Rückzug einer negativen Feststellungsklage stellt somit keinen definitiven Rechtsöffnungstitel dar. Der Wortlaut von Art. 80 Abs. 2 Ziff. 1 SchKG, welcher den Klagerückzug nicht erwähnt, erweist sich insofern als zutreffend. Wie es sich mit dem Verhältnis von Art. 65 ZPO zu Art. 241 Abs. 2 ZPO verhält, kann angesichts dieses Ergebnisses offenbleiben. Die Beschwerde ist abzuweisen. ![]() |