2. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. Ltd. SPC gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) | |
4A_36/2021 vom 1. November 2021 | |
Regeste | |
Art. 754 ff. OR; aktienrechtliche Verantwortlichkeit; Klagebefugnis.
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Sachverhalt | |
A.a Die A. Ltd. SPC (Klägerin, Beschwerdeführerin) ist eine in T. als sogenannte "open ended investment Company" domizilierte Investmentfondsgesellschaft, die verschiedene Unterfonds hält. Diese Unterfonds sind nicht als juristische Personen ausgestaltet. Sie verwalten ihr Vermögen separat und damit von den übrigen Unterfonds getrennt. Es handelt sich hierbei um eine Art Sondervermögen, auf das weder die Gläubiger der Klägerin noch die Gläubiger anderer Unterfonds zugreifen können. Vorliegend von Bedeutung ist der Unterfonds der Klägerin mit der Bezeichnung "X.-Fonds", der primär die Beteiligung an Immobilienprojekten in Afrika bezweckt.
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B. (Beklagter, Beschwerdegegner) war bis am 1. März 2016 Verwaltungsratspräsident der C. AG, deren Hauptzweck die Erbringung von Dienstleistungen für und im Zusammenhang mit ausländischen kollektiven Kapitalanlagen ist.
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A.b Am 17. Mai 2011 schloss die Klägerin mit der C. AG ein Administrative Services Agreement, worin die C. AG zum Administrator des X.-Fonds ernannt und mit dessen Verwaltung beauftragt wurde. Zu diesem Zweck wurde sie bevollmächtigt, Zahlungen von den Konti der Klägerin zu tätigen (insbesondere solche, die auf vertraglicher Vereinbarung beruhen oder mit dem Investment Manager abgesprochen werden).
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Die D. AG verwaltet als Investment Managerin das Vermögen der Nationalbank von U. Sie zeichnete im Rahmen dieser Tätigkeit für die Nationalbank von U. 25'000 Einheiten am X.-Fonds zu je USD 1'000.- und überwies entsprechend am 29. Juli 2011 USD 25 Mio. in den X.-Fonds der Klägerin. In der Folge wurden seitens der C. AG die Klägerin und die D. AG regelmässig mit Kontoauszügen des X.-Fonds dokumentiert.
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A.c Anfang Oktober 2015 entschieden die Klägerin und die D. AG, die Rückzahlung der X.-Fonds-Anteile zu verlangen. Der von der C. AG der Klägerin zugestellte Kontoauszug für den X.-Fonds wies ![]() ![]() | |
B. Am 7. November 2017 reichte die Klägerin beim Handelsgericht des Kantons Zürich Klage ein und beantragte, der Beklagte sei zu verpflichten, ihr den Betrag von USD 25'800'000.- nebst Zins zu bezahlen. Mit der Replik reduzierte sie den geltend gemachten Betrag auf USD 25'688'901.30 nebst Zins. Die Klägerin machte geltend, der Beklagte habe Gelder aus dem X.-Fonds veruntreut und sein Handeln mittels gefälschter Bankauszüge verheimlicht. Dafür hafte er, namentlich aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit.
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Mit Urteil vom 1. Dezember 2020 schrieb das Handelsgericht die Klage im Umfang von USD 111'098.70 nebst Zins als durch Rückzug erledigt ab. Im übrigen Umfang von USD 25'668'901.30 wies es die Klage kostenfällig ab. Es wies die Einwände des Beklagten gegen die Aktivlegitimation der Klägerin sowie gegen seine Passivlegitimation zurück. Weiter erwog es, die Klägerin komme ihrer Behauptungs- und Substanziierungslast hinsichtlich des Schadens aus mehreren Gründen nicht nach, weshalb die Klage abzuweisen sei. ![]() | |
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut. Es hebt das Urteil des Handelsgerichts auf und weist die Sache zur Neubeurteilung an dieses zurück.
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(Zusammenfassung)
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(1) die unmittelbare bzw. direkte und ausschliesslich im Vermögen des Gläubigers bzw. des Aktionärs eintretende Schädigung ("dommage direct") (BGE 141 III 112 E. 5.2.1; BGE 132 III 564 E. 3.1.1; BGE 110 II 391 E. 1). Der Aktionär/Gläubiger allein ist klagelegitimiert innerhalb und ausserhalb des Konkurses (BGE 132 III 564 E. 3.2.1 mit Hinweis);
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(2) die mittelbare bzw. indirekte Schädigung, die primär im Vermögen der Gesellschaft und nur reflexartig - zufolge des Konkurses der Gesellschaft - im Vermögen des Gläubigers bzw. des Aktionärs eintritt ("dommage par ricochet [Reflexschaden]"). Die Gesellschaft ist klagelegitimiert (BGE 141 III 112 E. 5.2.2; BGE 132 III 564 E. 3.2.2 mit Hinweisen);
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(3) die Situation, in welcher sowohl die Gesellschaft als auch der Gläubiger und/oder Aktionär unmittelbar bzw. direkt geschädigt sind (BGE 141 III 112 E. 5.2.3; BGE 132 III 564 E. 3.1.3). Hinsichtlich dieser Konstellation hat das Bundesgericht die Klagebefugnis des direkt geschädigten Aktionärs bzw. Gläubigers - jedenfalls für bestimmte Fälle - insofern eingeschränkt, als dieser nur dann seinen direkten ![]() ![]() | |
3.2.1 Die Vorinstanz erwog, ausgehend von dem von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Schadenersatzanspruch sei deren Aktivlegitimation zu bejahen. Die durch die C. AG bzw. den Beschwerdegegner getätigten Transaktionen hätten sich direkt auf das Vermögen der Beschwerdeführerin ausgewirkt, womit der von ihr geltend gemachte Schaden als unmittelbarer Schaden im Sinne von BGE 132 III 564 E. 3.1.1 bis 3.1.3 zu qualifizieren sei. Strittig sei, ob nebst der Beschwerdeführerin auch die C. AG geschädigt sei. Generell berge jedes gläubigerschädigende Organverhalten eine latente Gefahr der Belangung der Gesellschaft mittels Schadenersatzklage. Würde aufgrund dieser latenten Gefahr nebst der unmittelbaren Schädigung des Gläubigers stets eine unmittelbare Schädigung der Gesellschaft bejaht, so wäre bei Vorliegen einer vertraglichen Beziehung eine unmittelbare und ausschliessliche Schädigung eines Gläubigers (gemäss der Konstellation 1) gar nicht mehr möglich. Denn der Gesellschaft entstünde stets auch ein direkter Schaden, weil sie aufgrund der Haftung für ihre Organe gegenüber dem Gläubiger dafür aufkommen müsse. Gegen die Bejahung einer direkten Schädigung der Gesellschaft (im Sinne der Konstellation 3) spreche, dass vorläufig für die Gesellschaft (hier die C. AG) nur die Gefahr einer Belangung bestehe. Konkret stehe die tatsächliche Schädigung unter der Bedingung einer Klageerhebung gegen die Gesellschaft mit erfolgreichem Ausgang. Für eine unmittelbare Schädigung spreche hingegen, dass ein Schadenersatzanspruch grundsätzlich mit der Entstehung des Schadens (vorliegend mit der Vornahme der angeblich pflichtwidrigen Transaktionen) begründet und fällig werde. Letztlich liess die Vorinstanz offen, ob auch die Gesellschaft (die C. AG) direkt geschädigt sei. Denn es handle sich bei der C. AG ohnehin nicht um eine konkursite Gesellschaft, weshalb die Beschwerdeführerin ihren unmittelbaren Schaden so oder anders direkt gegenüber den verantwortlichen Organen geltend machen könne. Im (dritten) Fall, wenn sowohl die Gesellschaft wie auch der Gläubiger ![]() ![]() | |
3.2.2.1 Er macht erstens geltend, wenn nur ein direkter Schaden der Beschwerdeführerin (Konstellation 1) vorläge, könnte die Beschwerdeführerin Ersatz lediglich auf der Grundlage von Art. 41 OR und nicht gestützt auf Art. 754 ff. OR fordern. Die Beschwerdeführerin habe ihre Klage zwecks Zuständigkeitsbegründung als Verantwortlichkeitsklage "verpackt". Die dadurch begründete Zuständigkeit des Handelsgerichts eröffne ihr aber nicht die Möglichkeit, ihren Anspruch (vor Handelsgericht) auf Art. 41 ff. OR zu stützen.
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3.2.2.2 Zweitens argumentiert der Beschwerdegegner, wenn ein Fall der Konkurrenz zwischen direktem Schaden der Gesellschaft und des Gläubigers (Konstellation 3) vorläge, hätte gemäss BGE 132 III 564 E. 3.2.3 sowie BGE 141 III 112 E. 5.2.3 stets die Klage der Gesellschaft Priorität, unabhängig davon, ob sich die Gesellschaft im Konkurs befinde oder nicht. Die Beschwerdeführerin könne also in jedem Fall nur dann auf Ersatz des direkten Schadens klagen, wenn sie ihre Klage mit Art. 41 OR, einer culpa in contrahendo oder einer ausschliesslich zum Schutz der Gläubiger konzipierten Bestimmung des Gesellschaftsrechts begründen könne.
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3.2.3 Wie die Vorinstanz zutreffend darlegte, sind typische Fälle der Konstellation 1 (direkter Schaden nur des Gläubigers) solche, in denen ein Gläubiger einer überschuldeten Gesellschaft einen Kredit gewährt, den er bei rechtzeitiger Überschuldungsanzeige nicht gewährt hätte. Hier ist die Gesellschaft nicht nur nicht geschädigt, vielmehr profitiert sie sogar von der zusätzlichen Liquidität (Urteil 4C.198/2000 vom 28. September 2000 E. 4b; vgl. auch den Hinweis auf diesen Entscheid in BGE 142 III 23 E. 4.2.2). Mit der Vorinstanz ist sodann davon auszugehen, dass auch vorliegend die Beschwerdeführerin direkt geschädigt wurde. Dies scheint auch nicht mehr bestritten zu sein. Die Vorinstanz liess, wie erwähnt, lediglich offen, ob auch die Gesellschaft (die C. AG) direkt geschädigt sei. Das ist zu bejahen. Schaden ist gleich wie im übrigen Haftpflichtrecht die Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensstand ![]() ![]() | |
3.2.3.1 Das Bundesgericht erwähnte in BGE 131 III 306 diesbezüglich Folgendes: Wenn nebst den Aktionären und Gesellschaftsgläubigern auch die konkursite Gesellschaft direkt geschädigt ist, kann die Individualklage der Aktionäre und Gläubiger in Konkurrenz zu den Ansprüchen der Gesellschaft treten. Nur für diesen Fall hat die Rechtsprechung die Klagebefugnis der Aktionäre und Gläubiger zur Verhinderung eines Wettlaufs zwischen der Konkursverwaltung und den direkt klagenden Gläubigern bzw. Aktionären zur Geltendmachung von Verantwortlichkeitsansprüchen eingeschränkt (BGE 131 III 306 E. 3.1.2). Der Beschwerdegegner scheint davon auszugehen, dass das Bundesgericht in den beiden von ihm zitierten Entscheiden (BGE 132 III 564 E. 3.2.3 sowie BGE 141 III 112 E. 5.2.3) von dieser Aussage Abstand genommen hat.
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Das Bundesgericht hat sich in den beiden Entscheiden nicht explizit dazu geäussert, ob die Priorität der Klage der Gesellschaft in der Konstellation 3 (weiterhin) unabhängig davon gelten soll, ob sich die Gesellschaft im Konkurs befindet oder nicht. Vielmehr bezog sich die Formulierung auf eine Konkurrenz zwischen den Ansprüchen des direkt geschädigten Gläubigers und jenen der Gesellschaft oder der Konkursverwaltung ("compétition entre les actions en responsabilité exercées respectivement par la société ou l'administration de la faillite et par les créanciers directement touchés"; BGE 141 III 112 E. 5.2.3; BGE 132 III 564 E. 3.2.3). Die Formulierung unterscheidet somit nicht zwischen der Gesellschaft und der Konkursverwaltung, womit prima facie abgeleitet werden könnte, die Einschränkung solle auch dann bestehen, wenn die Gesellschaft aufrecht stehe. Eine eigentliche Abkehr von der eingangs zitierten Aussage in BGE 131 III 306 lässt sich aus dieser Formulierung aber - wie nachfolgend dargelegt - nicht ableiten.
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In dem auch von der Vorinstanz angeführten BGE 141 III 112 erwog das Bundesgericht, es bestehe sowohl ein Direktschaden des ![]() ![]() ![]() | |
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Auch aufgrund der Art des Schadens besteht kein Grund für eine Priorisierung der Gesellschaft. Vielmehr führte hier eine (angeblich) widerrechtliche Handlung zu zwei Schadenersatzforderungen (eine gegen das Organ und eine gegen die Gesellschaft) für ein und denselben Schaden. Der Schaden der Gläubigerin ist also kein blosser Reflexschaden, der von ihr ausserhalb des Konkurses nicht geltend gemacht werden könnte. Zwischen beiden Schadenersatzforderungen besteht unechte Solidarität. Der Gläubiger als Geschädigter kann wählen, ob er gegen das Organ oder gegen die Gesellschaft vorgehen will. Falls die Gesellschaft in der Folge leisten muss, hat sie einen Rückgriffsanspruch gegenüber dem verantwortlichen Organ (Art. 51 Abs. 2 OR; BERNARD CORBOZ, Le dommage dans les actions en responsabilité contre les organes sociaux, in: Développements récents en droit commercial II, Flavio-Gabriel Chabot [Hrsg.], 2013, S. 93 ff., 101; wohl gleich: vON DER CRONE/CARBONARA/HUNZIKER, Aktienrechtliche Verantwortlichkeit und Geschäftsführung, 2006, S. 15).
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3.2.3.2 Es besteht somit keine Einschränkung in dem Sinne, dass die Beschwerdeführerin (als Gläubigerin) nur aktivlegitimiert wäre, wenn sie ihre Klage mit einer unerlaubten Handlung (Art. 41 OR), einer culpa in contrahendo oder einer Verletzung einer ausschliesslich zum Schutz der Gläubiger konzipierten Bestimmung des Gesellschaftsrechts begründet (CEREGATO/BIERI, a.a.O., S. 300). Auch wenn diese Einschränkung nicht besteht, kann sich die Beschwerdeführerin aber nicht tel quel auf aktienrechtliche Bestimmungen berufen, die nur den Schutz der Gesellschaft bezwecken. Es ist zwar nicht erforderlich, dass sie sich auf eine ausschliesslich zum Schutz der Gläubiger konzipierte Bestimmung stützen kann, jedoch muss ![]() ![]() ![]() |