69. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. B. AG und C. AG gegen D. AG (Beschwerde in Zivilsachen) | |
4A_125/2017 vom 20. November 2017 | |
Regeste | |
Art. 89 SIA-Norm 118; Art. 374 OR; Werkvertrag mit Pauschalpreis, Preisfestsetzung bei Änderungen.
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Sachverhalt | |
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Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies diese Forderungen, soweit nicht von der Gegenseite anerkannt, mit der Begründung ab, die Preise für die geltend gemachten Arbeiten seien analog Art. 374 OR anhand des effektiven Aufwands zu bestimmen, da die SIA-Norm 118 insofern lückenhaft sei. Die Beschwerdeführerinnen, die diese Preise teilweise anders festgesetzt hätten, würden keine genügenden Angaben zu ihrem effektiven Aufwand machen, womit es an erforderlichen rechtserheblichen Behauptungen fehle.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen:
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4.4 Die Vorinstanz beurteilte durch Auslegung der SIA-Norm 118 sowie unter Anwendung des OR, wie bei einem Werkvertrag mit Pauschalpreis die Preise für Nachtragsarbeiten wegen einseitigen Bestellungsänderungen (Art. 84 SIA-Norm 118) resp. aufgrund vom ![]() ![]() | |
Gemäss OR ist zu unterscheiden, ob die Vergütung im Voraus genau bestimmt worden ist oder nicht. Im ersten Fall ist der Unternehmer grundsätzlich verpflichtet, das Werk zum vereinbarten Preis fertigzustellen (Art. 373 Abs. 1 OR). Liegen jedoch ausserordentliche Umstände vor, welche die Fertigstellung hindern oder übermäsig erschweren, kann das Gericht nach seinem Ermessen eine Erhöhung des Preises bewilligen (Art. 373 Abs. 2 OR). Wurde der Preis hingegen im Voraus nicht oder nur ungefähr bestimmt, ist er nach Massgabe des Wertes der Arbeit und der Aufwendungen des Unternehmers festzusetzen (Art. 374 OR).
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Das Urteil 4A_183/2010 vom 27. Mai 2010 ist - entgegen der Vorinstanz - nicht vergleichbar. Zwar war die SIA-Norm 118 dort ![]() ![]() | |
Das zit. Urteil 4A_234/2014 liegt dem vorliegenden Fall insofern näher. Dort galt es, bei einem Vertrag mit Pauschalpreis einen Minderpreis aufgrund einer Leistungsreduktion zu berechnen. Das Bundesgericht hielt fest, wenn diesbezüglich keine Einigung zwischen den Parteien zustande gekommen sei, habe das Gericht den Minderpreis sinngemäss nach Art. 89 SIA-Norm 118 zu bestimmen (E. 5.2). Es schützte dabei die Vorgehensweise der Vorinstanz, die den Minderpreis anhand eines auf der Basis der Pauschale umgerechneten Quadratmeterpreises bestimmte. Dass dies bundesrechtswidrig sei und stattdessen auf die "Budgetpreise" hätte abgestellt werden müssen, wie von der dortigen Beschwerdeführerin begehrt, sei nicht dargetan (E. 5.3). In seiner Urteilsanmerkung bezweifelt SIEGENTHALER, ob diese Lösung kalkulatorisch richtig sei, auch wenn sie den "Charme der Einfachheit" habe (THOMAS SIEGENTHALER, Bestellungsänderung bei Pauschalpreisen - die Tücke der Lücke, BR 2015 S. 149).
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In BGE 113 II 513 waren Einheitspreise - nicht wie hier ein Pauschalpreis - vereinbart, wobei sich die Menge wesentlich änderte. Da Angaben zur ursprünglichen Kostengrundlage fehlten, um die neuen Einheitspreise gemäss Art. 86 Abs. 2 SIA-Norm 118 zu bestimmen, wurde die SIA-Norm als nicht anwendbar erachtet und die Entschädigung nach dem OR festgesetzt ( BGE 113 II 513 E. 3a S. 515 f. = Pra 1989 Nr. 17 S. 81 f.; kritisch zu dieser Vorgehensweise PEDRAZZINI/PRADER, A propos de l'augmentation de la ![]() ![]() | |
In Anbetracht dieser divergierenden Lehrmeinungen überrascht es wenig, wenn in der Lehre moniert wird, die Art. 85-91 SIA-Norm 118 seien "nicht leicht zu verstehen, jedenfalls aber auslegungsbedürftig" (GAUCH, Werkvertrag, a.a.O., S. 321 f. Rz. 796), resp. sie seien "sehr kompliziert[e] und sehr abstrakt[e]" (SCHUMACHER/KÖNIG, Die Vergütung im Bauwerkvertrag, 2. Aufl. 2017, S. 256 Rz. 700); es wird gar "eine erneute Revision der Norm" als angezeigt erachtet (so ANTON EGLI, in: Kommentar zur SIA-Norm 118, Gauch/Stöckli [Hrsg.], 2. Aufl. 2017, N. 116 Vorbem. Art. 84-91 SIA-Norm 118).
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Erwägung 4.4.4 | |
4.4.4.1 Seinem Wortlaut nach regelt Art. 89 SIA-Norm 118 den vorliegenden Fall nicht. Denn Abs. 1 und 2 sehen vor, dass die Parteien einen Mehr- oder Minderpreis vereinbaren . Was gilt, wenn sie sich nicht einigen, ist in diesen Absätzen bei einem wörtlichen Verständnis nicht geregelt. Abs. 3 betrifft zwar die Nichteinigung, regelt diese aber bloss teilweise. Zum einen betrifft er nur "zusätzliche[n] Arbeiten". Zum anderen sind die Handlungsmöglichkeiten,die er dem Bauherrn bei Nichteinigung einräumt (Anordnung der Ausführung in Regie oder Vergabe an Dritte unter Schadloshaltung), dazu bestimmt, vor Ausführung der Arbeiten ausgeübt zu werden. Geschieht dies aber nicht und werden die Arbeiten dennoch ausgeführt, fehlt es wiederum an einer Regelung.
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Ein derart auf den Wortlaut abstellendes Verständnis überzeugt allerdings nicht (vgl. auch Art. 18 Abs. 1 OR). Art. 84 SIA-Norm 118 räumt dem Bauherrn ein einseitiges Änderungsrecht ein. Dass gestützt darauf erfolgende Bestellungsänderungen hinsichtlich der Vergütung nicht folgenlos bleiben, ist selbstverständlich. Würden Abs. 1 ![]() ![]() | |
Entgegen der Vorinstanz ist Art. 89 SIA-Norm 118, insbesondere deren Absätze 1 und 2, nicht bereits deshalb unbeachtlich, weil sich die Parteien nicht auf einen Mehr- oder Minderpreis einigten. Vielmehr hat diesfalls das Gericht den Mehr- oder Minderpreis in sinngemässer Anwendung dieser Norm zu bestimmen, eine Lücke liegt insofern nicht vor. ![]() | |
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In einem gewissen Widerspruch dazu sieht allerdings Art. 18 Abs. 2 SIA-Norm 118 vor, Preisanalysen würden "bei der Festlegung von Nachtragspreisen (Art. 86-89) mitberücksichtigt". Denn damit wird nicht auf den Marktpreis, sondern auf die vereinbarten Preise Bezug genommen, was für eine Preisfortschreibung spricht (vgl. EGLI, a.a.O., N. 9 zu Art. 18 SIA-Norm 118). Preisanalysen können zwar im Einzelfall bestehen, müssen aber nicht. Und anders als bei Werkverträgen mit Einheitspreisen muss bei solchen mit einem Pauschalpreis den Parteien, insbesondere dem Bauherrn, auch nicht ein mit Preisen versehenes Leistungsverzeichnis des Unternehmers vorliegen, an dem sich die Preise für eine Fortschreibung orientieren könnten (vgl. Art. 87 Abs. 2 SIA-Norm 118). Infolgedessen ist vorbehältlich einer anderslautenden Vereinbarung bei der Bestimmung von Nachtragspreisen bezüglich Werkverträgen mit Pauschalpreis nicht von einer Preisfortschreibung auszugehen - es ist vielmehr, wie ausgeführt, auf die allgemeinen Marktpreise abzustellen. ![]() | |
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Hingegen ist bei der Bestimmung der Nachtragspreise durch das Gericht bei einem Werkvertrag mit Pauschalpreis grundsätzlich nicht auf eine Ausführung in Regie abzustellen (nach Art. 89 Abs. 3 i.V.m. Art. 87 Abs. 4 SIA-Norm 118). Erstens könnte dies von vornherein nur für "zusätzliche[n] Arbeiten" gelten, wodurch eine dahingehende Unterscheidung erforderlich würde und das Gericht womöglich im selben Fall zwei unterschiedliche Preisbestimmungsmethoden parallel anwenden müsste. Und zweitens geht diese Norm von einer vorgängigen Anordnung von Regiearbeiten durch die Bauherrin aus (vgl. auch Art. 44 Abs. 3 SIA-Norm 118), damit dem Unternehmer bewusst ist, dass er diese Arbeiten entsprechend erfassen und dokumentieren muss (siehe auch Art. 47 SIA-Norm 118). Unterblieb eine solche Anordnung jedoch und ist es nunmehr am Gericht, die Nachtragspreise zu bestimmen, ist es offenkundig zu spät für eine zeitnahe Erfassung und Dokumentation dieser Arbeiten. Entsprechend lässt sich eine nachträgliche Preisbestimmung nicht darauf ![]() ![]() | |
4.4.4.3 Bei der Bestimmung der Nachtragspreise durch das Gericht nach Art. 89 Abs. 2 SIA-Norm 118 anhand der unbestimmten, nicht näher konkretisierten "allgemeinen Marktpreise" kann es nicht das Ziel sein, das einzig richtige Ergebnis zu ermitteln, dürfte es ein solches doch gar nicht erst geben. Wäre den Parteien wichtig gewesen, dass ein Gericht bei der nachträglichen Bestimmung der Nachtragspreise an eine exakte Bemessungsmethode gebunden wäre, hätten sie eine entsprechend präzisere vertragliche Regelung treffen können und müssen. Indem sie sich stattdessen für die Übernahme der SIA-Norm 118 entschieden haben, die zur Frage, wie bei einem Vertrag mit Pauschalpreis die Preise für Nachtragsarbeiten wegen einseitigen Bestellungsänderungen resp. aufgrund vom Bauherrn verschuldeter besonderer Verhältnisse zu bilden sind, bloss eine vage Vorgabe enthält, räumen sie dem Gericht einen erheblichen Beurteilungsspielraum ein. Das Gericht hat infolgedessen bei der Festsetzung der Nachtragspreise einen Ermessensentscheid zu treffen und dabei alle Preiselemente zu berücksichtigen, die aufgrund der Parteibehauptungen vorhanden sind (im Ergebnis einen Ermessensentscheid herbeiführend, wenn auch ausserhalb der SIA-Norm und unter Heranziehung von Art. 373 Abs. 2 OR, bereits BGE 113 II 513 E. 5b S. 520 f.; vgl. dazu auch GAUCH, Werkvertrag, a.a.O., S. 316 f. Rz. 787). Das Gericht hat dieses Ermessen pflichtgemäss wahrzunehmen und die Nachtragspreise sachgerecht und mit Augenmass zu bestimmen (im Ergebnis dahingehend auch zit. Urteil 4A_234/2014 E. 5.3).
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Soweit die Vorinstanz die Mehrforderungen zufolge Bestellungsänderungen bzw. besonderen Verhältnissen einzig mit der Begründung abgewiesen hat, es fehle an den erforderlichen rechtserheblichen Behauptungen bezüglich deren Berechnung, da der effektive Aufwand nachzuweisen gewesen wäre, ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen - es betrifft dies die Mehrforderungen aus Zusatzleistungen Nr. 5, 8, 9, 11, 15, 16 und 22. Von der Vorinstanz werden diesbezüglich einerseits, soweit erforderlich, die bislang noch nicht behandelten Punkte zu prüfen sein (etwa, ob überhaupt zu vergütende Bestellungsänderungen vorliegen) und andererseits die ![]() ![]() ![]() |