119. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen)
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4A_203/2012 vom 17. Oktober 2012
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Regeste
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Art. 404 Abs. 1 und Art. 405 Abs. 1 ZPO; aArt. 273 Abs. 4 und aArt. 274f Abs. 1 OR; Schlichtungsverfahren betreffend Streitigkeiten aus der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen; Übergangsrecht.
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Aus den Erwägungen:
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Erwägung 2
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2.3 Ein Teil der Lehre vertritt die Meinung, das Schlichtungsverfahren sei ein selbstständiges Verfahren, das durch die Schlichtungsbehörde als betroffene Instanz im Sinne von Art. 404 Abs. 1 ZPO abgeschlossen werde, weshalb für das anschliessende gerichtliche Verfahren nach dem Inkrafttreten der ZPO diese anwendbar sei (FRIDOLIN WALTHER, Das Übergangsrecht zur neuen ZPO, offene Fragen und mögliche Antworten, SZZP 2010 S. 409 ff., 412 f.; FRANCESCO TREZZINI, in: Commentario al Codice di diritto processurale civile svizzero [CPC], Bruno Cocchi und andere [Hrsg.], 2011, N. 2 zu Art. 404ZPO; TANJA DOMEJ, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Paul Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 2 zu Art. 404 ZPO; DOMINIK GASSER, Schweizerische ZPO, Checkliste für Tag 1, Anwaltsrevue 13/2010 S. 255 ff., 256; SUTTER-SOMM/SEILER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Thomas Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 9 zu Art. 404 ZPO).Zum Teil wird angenommen, auch wenn sich nach einem altrechtlichen Schlichtungsverfahren das gerichtliche Verfahren nach neuem Recht richte, sei eine Klagebewilligung mit altrechtlicher Gültigkeitsdauer zu erteilen (GASSER, a.a.O., S. 256; ZINON KOUMBARAKIS, Das Schlichtungsverfahren in Mietsachen nach der neuen Zivilprozessordnung, in: Aktuelle Fragen zum Mietrecht, Beat Rohrer [Hrsg.], 2012, S. 117 ff.und 122 f.; Kreisschreiben des Obergerichts des Kantons Bern vom 30. September 2010, SZZP 2011 S. 164; WALTHER, a.a.O., S. 414 f., der jedoch hinsichtlich des Stillstands der altrechtlichen Frist die Anwendung des neuen Rechts befürwortet). Schliesslich wird die Meinung vertreten, unter der Instanz, welche das Verfahren nach Art. 404  Abs. 1 ZPO abschliesse, sei bloss eine gerichtliche Instanz mit Entscheidkompetenz, nicht jedoch eine Schlichtungsbehörde zu verstehen. Führe ein unter altem Recht rechtshängiges Schlichtungsverfahren zu keiner Einigung, sei daher das anschliessende Gerichtsverfahren nach altem Recht durchzuführen (FREI/WILLISEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 10 f. zu Art. 404 ZPO; ANDREAS FREI, Knifflige Fragen zum Übergangsrecht, Plädoyer 2011 1 S. 33; DAVID LACHAT, Procédure civile en matière de baux et loyers, 2011, S. 34; IVO SCHWANDER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung ZPO, Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.],2011, N. 28 zu Art. 404 ZPO; DENIS TAPPY, in: Code de procédure civile commenté, François Bohnet und andere [Hrsg.], 2011, N. 11 f.und 18 zu Art. 404 ZPO; derselbe: Le droit transitoire applicable lors de l'introduction de la nouvelle procédure civile unifiée, JdT 2010 III S. 11 ff., 18 ff.; im Ergebnis ebenso: HOFMANN/LÜSCHER, Le Code de procédure civile, 2009, S. 236).
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Erwägung 2.6
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2.6.1 Die Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung führt zum Übergangrecht aus, Prozesse, die bei Inkrafttreten der vereinheitlichten ZPO hängig seien, schlössen die Instanz nach bisherigem (kantonalem) Prozessrecht ab; für ein anschliessendes innerkantonales Rechtsmittel gelte dann aber die ZPO (BBl 2006 7407 Ziff. 5.26.2). Entsprechend erläuterte Ständerat Wicki als Kommissionssprecher, für Prozesse, die bei Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung hängig sind, sei bis zum Urteil das bisherige kantonale Prozessrecht massgebend (AB 2007 S 644). Die Botschaft und diese Erläuterungen zeigen, dass der Gesetzgeber bei der übergangsrechtlichen Regelung in Art. 404 Abs. 1 und Art. 405 Abs. 1 ZPO vom kantonalen Instanzenzug ausging und bei  rechtshängigen Verfahren die weitere Geltung des alten Prozessrechts für das erstinstanzliche Entscheid-, nicht jedoch das kantonale Rechtsmittelverfahren vorsah (vgl. TAPPY, Le droit transitoire, a.a.O., S. 18 ff. und 36 f.). Demnach ist unter "Abschluss des Verfahrens vor der betroffenen Instanz" im Sinne von Art. 404 Abs. 1 ZPO der Abschluss eines erstinstanzlichen Entscheid- oder allenfalls eines zweitinstanzlichen Rechtsmittelverfahrens zu verstehen. Nach diesem Konzept stellt das erfolglose Schlichtungsverfahren als Prozessvoraussetzung grundsätzlich die Einleitung des Entscheidverfahrens vor dem erstinstanzlichen Gericht dar.
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2.6.3 Aufgrund dieser Rechtsprechung ist davon auszugehen, das bundesrechtlich vorgesehene Mietschlichtungsverfahren, wie es vor dem Inkrafttreten der ZPO geregelt war, habe mit einem darin ergangenen Entscheid über die Gültigkeit einer Kündigung und die Erstreckung des Mietverhältnisses lediglich in einen prima facie-Vorentscheid gemündet, der keine "Instanz" im Sinne von Art. 404 Abs. 1 ZPO abschloss (FREI/WILLISEGGER, a.a.O., N. 11 zu Art. 404 ZPO; LACHAT, a.a.O., S. 34). In diesem Sinne erwähnt auch die Botschaft zur ZPO, die Vorentscheide der Schlichtungsbehörden in bestimmten Streitigkeiten aus Miete und Pacht seien im Grunde genommen nur Urteilsvorschläge gewesen (BBl 2006 7333 Ziff. 5.13). Die Vorinstanz hat somit bundesrechtskonform erkannt, dass sich die Anrufung des Gerichts nach einem solchen Vorentscheid nach altem Recht richtet.
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 2.6.4 Dies wird dadurch bestätigt, dass die ZPO bei Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen keine Vorentscheide der Schlichtungsbehörde und demgemäss auch keine entsprechende Regelung für die Anrufung des Gerichts mehr vorsieht. Als Ersatz dafür kann nach Art. 210 Abs. 1 lit. b ZPO die Schlichtungsbehörde Urteilsvorschläge unterbreiten, welche nach Art. 211 Abs. 1 ZPO als angenommen gelten, wenn keine Partei sie innert 20 Tagen seit der schriftlichen Eröffnung ablehnt (vgl. FLORENCE DOMINÉ BECKER, La procédure de conciliation en matière de bail au regard du Code de procédure civile suisse, Plaidoyer 2011 1 S. 39 ff., 43). Von dieser Kompetenzänderung geht auch der Beschwerdeführer aus, wenn er geltend macht, die Schlichtungsbehörde hätte richtigerweise eine Rechtsmittelbelehrung gemäss Art. 211 Abs. 1 ZPO vorsehen müssen. Er lässt jedoch ausser Acht, dass diese Regelung nach dem Gesagten übergangsrechtlich nicht anwendbar ist und ihm auch die analoge Anwendung der neu für Urteilsvorschläge vorgesehenen zwanzigtägigen Ablehnungsfrist nicht helfen könnte, da diese am 11. April 2011, d.h. noch vor dem Fristenstillstand gemäss Art. 145 Abs. 1 lit. a ZPO, abgelaufen wäre.
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