13. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. Kroatischer Kulturverein der Schweiz gegen A., B. und C. (Berufung) | |
5C.136/2004 vom 9. Dezember 2004 | |
Regeste | |
Ausschliessung eines Mitglieds aus dem Verein (Art. 72 ZGB).
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Sachverhalt | |
C. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte am 13. Juni 2004 eidgenössische Berufung erhoben, im Wesentlichen mit dem Begehren um dessen Aufhebung. Mit Berufungsantwort vom 29. Oktober 2004 haben die Kläger auf Abweisung geschlossen, soweit auf die Berufung einzutreten sei.
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In Gutheissung der Berufung hat das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid aufgehoben und die Klage abgewiesen.
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Der definitiven Fassung von Art. 72 ZGB ging eine wechselhafte Entstehungsgeschichte voraus. Art. 89 des Vorentwurfs zum ZGB von 1900 lautete wie folgt: Die Ausschliessung eines Mitglieds kann, auch wenn die Statuten darüber keine Bestimmung enthalten, aus wichtigen Gründen durch Vereinsbeschluss erfolgen (Abs. 1). Das ausgeschlossene Mitglied kann jedoch innerhalb Monatsfrist, von der Mitteilung der Ausschliessung an gerechnet, diesen Beschluss auf dem Rechtsweg anfechten (Abs. 2). Die Erläuterungen zum ![]() ![]() ![]() ![]() | |
Die Entstehungsgeschichte von Art. 72 ZGB macht deutlich, dass es dem historischen Gesetzgeber ein Anliegen war, das Prinzip der Vereinsautonomie, insbesondere auch bei der Frage der Ausschliessung von Mitgliedern, in möglichst umfassender Form umzusetzen; entsprechend beschränkte er auch den Rechtsmittelweg der ausgeschlossenen Mitglieder für die materielle Anfechtung des Ausschliessungsentscheides. In Einklang mit den erwähnten Materialien ist das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung davon ausgegangen, dass eine Ausschliessung immerhin wegen vereinsinternen Verfahrensmängeln, mithin aus formellen Gründen, angefochten werden kann (BGE 51 II 237 E. 2 S. 242; 123 III 193 E. 2c/aa S. 196); zudem steht jede Ausschliessung unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs (BGE 51 II 237 E. 2 S. 242; 85 II 525 E. 8 S. 541; 90 II 346 E. 1 S. 347; 123 III 193 E. 2c/aa S. 196). Hingegen hat das Bundesgericht eine Anfechtung aus materiellen Gründen stets abgelehnt (zur Ausnahme bei Wirtschaftsverbänden vgl. E. 3).
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Ausgehend vom Gedanken der Vereinsautonomie und der vom historischen Gesetzgeber bewusst angelegten Einschränkung der richterlichen Überprüfungsbefugnis, hat das Bundesgericht sodann in einer Reihe von Entscheiden festgehalten, dass eine statutarische Generalklausel der Ausschliessung ohne Angabe der Gründe gleichzusetzen sei (BGE 51 II 237 E. 2 S. 241 f.; BGE 85 II 525 E. 8 S. 541; BGE 90 II 346 E. 3 S. 349; sinngemäss auch BGE 123 III 193 E. 2c/aa S. 197). Instruktiv ist der Entscheid BGE 90 II 346, bei dem die Ausschliessung aus einem Veterinärverein vorgesehen war für den Fall, dass Mitglieder "causeraient du préjudice à la société ou au corps des vétérinaires". Das Bundesgericht erachtete diese statutarische Norm als nicht hinreichend bestimmt und hielt fest, dass in einem solchen Fall die Norm jener gleichzustellen sei, die den Ausschluss eines Mitgliedes ohne Grundangabe gestattet. Diese Praxis wurde vereinzelt kritisiert mit dem Argument, wenn die vorhandene Vorschrift nicht als Grundangabe gelten könne, fehle eine solche eben und es komme Art. 72 Abs. 3 ZGB zum Zug (LIVER, in: ZBJV 101/ 1965 S. 371 sowie ZBJV 96/1960 S. 397 f.). Diese ![]() ![]() | |
2.2 Der Beklagte hat die Kläger unbestrittenermassen aufgrund der statutarischen Generalklausel in Ziff. 12 der Statuten ausgeschlossen. Dabei hat er ihnen im Wesentlichen eine Verletzung der Treuepflicht vorgeworfen. Vieles spricht dafür, dass diese objektiv-rechtliche Mitgliedschaftspflicht (RIEMER, Berner Kommentar, N. 189 zu Art. 70 ZGB) im vorliegenden Fall zugleich eine statutarische ist, verlangt doch Ziff. 17 der Statuten des Beklagten von den Mitgliedern, "im Geist dieser Statuten zu wirken", was vom Inhalt her nichts anderes als eine Umschreibung der Treuepflicht ist. Die Frage muss jedoch nicht abschliessend beurteilt werden, weil sich der Beklagte bei seinem Ausschliessungsentscheid auf die vom Obergericht zu Recht als "sehr wenig bestimmt" charakterisierte statutarische Generalklausel berufen hat und dies nach konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung dem Tatbestand gleichzustellen ist, dass die Statuten die Ausschliessung ohne Grundangabe gestatten. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten, fehlt es doch an den für eine Praxisänderung notwendigen Voraussetzungen (dazu BGE 126 I 122 E. 5 S. 129; BGE 127 II 289 E. 3a S. 292 f.). Es wäre abwegig, die Anfechtungsmöglichkeit allein deshalb zu eröffnen, weil dem auszuschliessenden Mitglied - nur schon aus Höflichkeitsgründen - erklärt wird, warum sich der Verein von ihm trennen will.
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2.3 Zu prüfen bleibt, ob der Beklagte mit der Ausschliessung der drei Kläger rechtsmissbräuchlich gehandelt hat. Die Abklärungen der kantonalen Instanzen haben ergeben, dass die an die Kläger gerichteten Vorwürfe in entscheidenden Punkten unzutreffend waren (insbesondere missbräuchliche Verwendung von Vereinsmitteln). ![]() ![]() | |
3.1 Wie die Erwägung 2.1 zeigt, ging der historische Gesetzgeber vom Leitbild einer möglichst umfassenden Vereinsautonomie aus, ![]() ![]() | |
Die Rechtspraxis hat sich über diese dem Institut des Vereins zugedachte Funktion teilweise hinweggesetzt und namentlich Berufsorganisationen sowie Wirtschaftsverbände in die Rechtsform des Vereins gekleidet. Das Bundesgericht hat diese Entwicklung, die für den historischen Gesetzgeber nicht voraussehbar war (BGE 90 II 333 E. 2 S. 335), in seiner Rechtsprechung als Realität anerkannt, zumal dieser den betreffenden Institutionen kein geeignetes rechtliches Gefäss zur Verfügung gestellt hat (in Frage käme am ehesten die Genossenschaft). Indem aber die Rechtsform des Vereins, entgegen dem eigentlichen Wortlaut des Gesetzes für die Wirtschaftsverbände, als statthaft erklärt wurde, ist auch mit Bezug auf die Frage der Ausschliessungsfreiheit Bedarf entstanden, vom Gesetzeswortlaut abzuweichen (HEINI, a.a.O., S. 65; KUMMER, a.a.O., S. 54 ff.). Das Bundesgericht hat die erforderlichen Konsequenzen im bereits erwähnten Entscheid BGE 123 III 193 gezogen und die vereinsrechtliche Ausschliessungsfreiheit für den Bereich der Berufsorganisationen und Wirtschaftsverbände limitiert. Rechtsdogmatisch liegt diesem Entscheid eine teleologische Reduktion der Norm von Art. 72 Abs. 2 ZGB zu Grunde (LOSER, Vereinsmitgliedschaft im Spannungsfeld von Ausschlussautonomie und Handels- und Gewerbefreiheit, in: recht 16/1998 S. 33 ff., insb. S. 35; HEINI, a.a.O., S. 65 Fn. 113). Bemerkenswert ist, dass bereits in den Diskussionen der Expertenkommission die Ansicht vertreten wurde, eine Regelung, wonach die Ausschliessung immer nur aus wichtigem Grund erfolgen dürfe, könnte höchstens bei Vereinen angenommen werden, die neben idealen auch noch wirtschaftliche Zwecke verfolgten (Protokoll der Expertenkommission, Voten Wirz und Schmid, S. 53).
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3.2 Da die Begrenzung der Ausschliessungsfreiheit in BGE 123 III 193 an das Persönlichkeitsrecht der Mitglieder geknüpft ![]() ![]() | |
Die Materialien (dazu E. 2.1) machen deutlich, dass die Ermächtigung der Vereine, Mitglieder frei ausschliessen zu dürfen, auf einer bewussten Wertung des Gesetzgebers beruht. Dieser hat mithin die Ausschliessungsautonomie des Vereins über das Persönlichkeitsrecht der Mitglieder gestellt und dies namentlich mit der Beitrittsfreiheit begründet: "Wer einem Verein mit einer solchen statutären Bestimmung beitritt, darf sich nicht beklagen, wenn er später davon betroffen wird" (Erläuterungen, a.a.O., S. 90).
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Was das Persönlichkeitsrecht anbelangt, ist schliesslich zu beachten, dass nicht jede Persönlichkeitsverletzung, sondern nach dem Wortlaut von Art. 28 Abs. 1 ZGB allein die widerrechtliche eine richterliche Intervention rechtfertigt. Nun ist aber gerade der auf eine entsprechende Statutenbestimmung gestützte Vereinsausschluss nicht widerrechtlich, weil Art. 72 Abs. 1 ZGB dem Verein grundsätzlich das Recht zur Ausschliessung und damit das Recht zur damit verbundenen Persönlichkeitsverletzung gibt (LOSER, a.a.O., S. 35 oben).
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Wenn aufgrund der Ausführungen in E. 3.1 auch nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass nebst den Berufs- und Standesorganisationen bzw. den Wirtschaftsverbänden weitere Fallgruppen denkbar wären, bei denen die Ausschliessungsfreiheit nicht schrankenlos sein kann, müsste die in E. 3.2 erörterte teleologische Reduktion von Art. 72 Abs. 2 ZGB jedenfalls auf solche beschränkt bleiben, bei denen Vereine in einer für den historischen Gesetzgeber nicht voraussehbaren Weise andere als die ihnen zugedachten Zwecke verfolgen. Ob dies für den Beklagten zutrifft, ist im Folgenden zu prüfen.
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3.3 Gemäss seinen Statuten pflegt der Beklagte die kroatische Sprache und Kultur, den Gemeinschaftsgeist, die gegenseitige Hilfeleistung sowie die Geselligkeit und fördert die Tätigkeit der kroatischen Ergänzungsschule (Ziff. 2). Er arbeitet mit kulturellen, künstlerischen, sportlichen, wohltätigen und religiösen ![]() ![]() | |
Auch wenn in den Statuten sinngemäss von Hilfeleistung in Notlagen die Rede ist, handelt es sich nicht um einen Verein, der wichtige wirtschaftliche Belange seiner Mitglieder betreffen oder gar in entscheidender Weise deren wirtschaftliches Fortkommen und Ansehen prägen würde. Als Bindeglied zwischen dem kroatischen Heimat- und dem schweizerischen Gastland mag er zwar für die Pflege und das Knüpfen individueller Kontakte, aber auch für das Wohlbefinden und die Integration seiner Mitglieder grosse Bedeutung haben und damit auch wichtige Aspekte des Persönlichkeitsrechts der Mitglieder betreffen. Dies allein genügt jedoch, wie in E. 3.2 ausgeführt worden ist, nicht, um die Ausschliessungsfreiheit einzuschränken. In erster Linie, wenn nicht sogar ausschliesslich, widmet sich der Beklagte dem Kulturaustausch, der binationalen Verständigung und der Geselligkeit unter den Mitgliedern; er verfolgt damit typische ideale Ziele.
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An der grundsätzlichen Ausschliessungsautonomie ändert schliesslich auch der Umstand nichts, dass das Protokoll der Generalversammlung vom 21. März 1999 (KB 2a und 2b) die Anwesenheit des kroatischen Botschafters in der Schweiz und des kroatischen Generalkonsuls in Zürich erwähnt, was dem Beklagten geradezu offiziösen Charakter verleiht. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen kann die mit BGE 123 III 193 begründete Rechtsprechung nicht auf den Beklagten angewandt werden. ![]() |