14. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. GmbH gegen Oberzolldirektion (OZD) (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
2C_890/2019 vom 21. Dezember 2022 | |
Regeste | |
Art. 85 ZG; Art. 22 Abs. 8 Protokoll Nr. 3 zum FHA; Fehlen gültiger Ursprungserklärungen auf Rechnungen im Zeitpunkt der Zollanmeldung; für niedrige Warenwerte ist es jedoch erforderlich, innerhalb von zwei Jahren nach der Einfuhr im Einfuhrland vorgelegte Erklärungen zu berücksichtigen.
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Dem Zollgesetz bleiben völkerrechtliche Verträge vorbehalten (Art. 2 Abs. 1 ZG). Im Anwendungsbereich des Freihandelsabkommens zwischen der Schweiz und der Europaïschen Wirtschaftsgemeinschaft müssen im Zeitpunkt der definitiven Veranlagungen noch nicht existierende, erst nachträglich ausgestellte Ursprungserklärungen jedoch Berücksichtigung finden: Gestützt auf Art. 22 Abs. 8 Protokoll Nr. 3 2005 zum FHA ist es für niedrige Warenwerte unter 6'000 EUR ausdrücklich zulässig, die Ursprungserklärungen auf der Rechnung auch nach der definitiven Zollanmeldung vorzulegen, sofern sie im Einfuhrland spätestens zwei Jahre nach der Einfuhr der betroffenen Erzeugnisse vorgelegt werden (E. 4, 6.1 und 6.2). Die erhobenen Nachforderungen wegen ungerechtfertigt erfolgter Präferenzabfertigung sind vorliegend unzulässig, soweit die Erklärungen fristgemäss vorgelegt wurden.
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Sachverhalt | |
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Die EZV entdeckte nachträglich das Fehlen gültiger Ursprungsnachweise. Sie verlangte Nachleistung wegen unrechtmässig erfolgter Präferenzabfertigung. Im Rahmen des Verfahrens reichte die A. GmbH nachträglich erstellte Rechnungsursprungserklärungen ein, welche die EZV aber nicht zuliess.
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Mit Verfügung vom 12. Oktober 2016 forderte die Zollkreisdirektion Schaffhausen gegenüber der A. GmbH Einfuhrabgaben von insgesamt Fr. 1'013'184.15 (Fr. 938'133.50 Zoll und Fr. 75'050.65 Einfuhrmehrwertsteuern) sowie Verzugszinsen von Fr. 27'468.55 wegen ungerechtfertigt erfolgter Präferenzabfertigung nach.
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B. Mit Beschwerdeentscheid vom 30. November 2018 hob die Oberzolldirektion die erstinstanzliche Verfügung teilweise auf und setzte den Nachforderungsbetrag (inkl. Verzugszins) auf Fr. 938'416.70 fest. Die Zolldirektion hatte ihre Forderung hinsichtlich Einfuhren reduziert, die einen Wert von CHF 6'000.- und mehr verzeichneten. Dagegen gelangte die betroffene Gesellschaft erfolglos an das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 17. September 2019). ![]() | |
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(Auszug)
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3.2 Jede Überführung in ein Zollverfahren - als solches gilt beispielsweise auch die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr - bedarf unabhängig vom Status einer Ware einer Zollanmeldung (vgl. Art. 47 Abs. 1 und 2 ZG). Bei der Zollanmeldung (Deklaration) handelt es sich um eine Erklärung, mit welcher die anmeldepflichtige Person (vgl. dazu Art. 21 Abs. 1, Art. 26 lit. a und b ZG; Art. 75 der Zollverordnung vom 1. November 2006 [ZV; SR 631.01]) einerseits ihr Wissen über die jeweilige Ware mitteilt und andererseits formgerecht ihren Willen bekundet, die Ware nach ![]() ![]() | |
Lautet das Selektionsergebnis auf "frei ohne", so gelten die Waren als freigegeben (Art. 17 Abs. 4 ZV-EZV). Mit der Freigabe der gestellten Waren durch die Zollstelle endet der Gewahrsam der Zollverwaltung (Art. 78 ZV). Dementsprechend dürfen die Waren abtransportiert werden (Art. 40 Abs. 2 ZG).
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Lautet das Selektionsergebnis auf "frei mit", so muss die anmeldepflichtige Person der Zollstelle einen Ausdruck der Zollanmeldung und die erforderlichen Begleitdokumente vorlegen (Art. 17 Abs. 3 erster Satz ZV-EZV).
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Lautet das Selektionsergebnis "gesperrt", muss die anmeldepflichtige Person der Zollstelle einen Ausdruck der Zollanmeldung und die erforderlichen Begleitdokumente vorlegen. Die Waren dürfen erst abtransportiert werden, wenn die Zollstelle sie freigegeben hat (Art. 17 Abs. 2 ZV-EZV).
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3.4.2 Zur elektronischen Veranlagung zugelassene Zollbeteiligte müssen die Zollanmeldung elektronisch erfassen und vor Übermittlung auf Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit überprüfen. Zwar führt das Datenverarbeitungssystem der Zollverwaltung - wie bereits erwähnt (vgl. hiervor E. 3.3.2) - automatisch eine summarische Plausibilitätskontrolle durch. Doch sind die Möglichkeiten des elektronischen Systems beschränkt; so kann es beispielsweise weder prüfen, ob die zugeführte Ware mit der Zollanmeldung ![]() ![]() | |
3.5.2 Der provisorischen Veranlagung kommt bei Präferenzansprüchen eine besondere Bedeutung zu, da das nationale Zollrecht eine nachträgliche Präferenzverzollung für Waren, welche bereits aus der Zollkontrolle entlassen worden sind, - unter Vorbehalt einer ![]() ![]() | |
Eine Leistungspflicht im Sinne von Art. 12 VStrR hängt weder von einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit noch von einem Verschulden oder gar der Einleitung eines Strafverfahrens ab (BGE 106 lb 218 E. 2c; Urteil 2A.242/2006 vom 2. Februar 2007 E. 2.1 m.H.). Vielmehr genügt es, dass der durch die Nichterhebung der entsprechenden Abgabe entstandene unrechtmässige Vorteil auf einer objektiven Widerhandlung gegen die Verwaltungsgesetzgebung des Bundes gründet (vgl. BGE 129 II 160 E. 3.2; 115 lb 358 E. 3; Urteile 2C_32/2011 vom 7. April 2011 E. 3.2 und 3.3; 2C_355/2007 vom 19. November 2007 E. 2.4; 2A.461/2003 vom 20. Januar 2004 E. 3.1).
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Strittig sind vorliegend die Ursprungserklärungen vom 3. Januar 2012 bis zum 9. Februar 2016. Eine nähere Diskussion der Neufassung des Protokolls (oder von Anlage I PEMPU) erübrigt sich schon deshalb, weil der Inhalt der hier massgeblichen Bestimmungen mit demjenigen in Prot. 3 2005 übereinstimmt.
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In der Bescheinigung hat der Ausführer zu erklären, dass die Waren Ursprungserzeugnisse des Vertragsgebiets sind (Art. 1 Prot. Nr. 3; ![]() ![]() | |
Für Rechnungserklärungen bestimmt Art. 25 Prot. 3 2005 schliesslich, dass die Ursprungsnachweise den Zollbehörden des Einfuhrstaates nach den dort geltenden Verfahrensvorschriften vorzulegen sind.
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- es sich nicht um Sendungen unter Privatpersonen handelte,
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- die jeweilige Zollanmeldung elektronisch, über das System "e-dec", erfolgte,
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- jeweils kein Antrag auf eine provisorische Veranlagung gestellt, sondern um definitive Präferenzverzollung ersucht wurde,
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- das Selektionsergebnis jeweils auf "frei ohne" lautete, so dass ohne weitere Kontrolle eine antragsgemässe definitive Präferenzveranlagung erfolgte und
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- innert der dafür vorgesehenen Frist jeweils kein Begehren um Berichtigung oder Rückzug der Zollanmeldung im Sinne von Art. 34 ZG gestellt wurde.
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Nach gefestigter Rechtsprechung sei - so die Vorinstanz weiter - zudem davon auszugehen, das Fehlen des gültigen ![]() ![]() | |
6.1.2 Gemäss Art. 31 Abs. 1 VRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag nach dem Vertragswortlaut auszulegen, d.h. nach Treu und Glauben, in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung sowie im Lichte seines Ziels und Zwecks (BGE 138 II 524 E. 3.1). Art. 31 Abs. 1 VRK bestimmt eine Reihenfolge der Berücksichtigung der ![]() ![]() | |
Diese gewöhnliche Bedeutung ist nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs und des Ziels und Zwecks des Vertrags zu bestimmen (BGE 144 II 130 E. 8.2.1; BGE 143 II 202 E. 6.3.1, BGE 143 II 136 E. 5.2.2). Ziel und Zweck des Vertrags ist dabei, was mit dem Vertrag erreicht werden sollte. Zusammen mit der Auslegung nach Treu und Glauben stellt die teleologische Auslegung den " effet utile " des Vertrags sicher (BGE 144 II 130 E. 8.2.1; BGE 143 II 136 E. 5.2.2; BGE 142 II 161 E. 2.1.3; BGE 141 III 495 E. 3.5.1).
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Der auszulegenden Bestimmung eines völkerrechtlichen Vertrags ist unter mehreren möglichen Interpretationen demnach derjenige Sinn beizumessen, welcher ihre effektive Anwendung gewährleistet und nicht zu einem Ergebnis führt, das dem Ziel und Zweck der eingegangenen Verpflichtungen widerspricht (BGE 147 II 13 E. 3.3; BGE 143 II 136 E. 5.2.2). Ausserdem sind die Vertragsstaaten nach Treu und Glauben gehalten, jedes Verhalten und jede Auslegung zu unterlassen, mittels welcher sie ihre vertraglichen Pflichten umgehen oder den Vertrag seines Ziels und Zwecks entleeren würden (BGE 147 II 13 E. 3.3; BGE 144 II 130 E. 8.2.1; BGE 143 II 202 E. 6.3.1).
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Daneben fragt sich unter Gesichtspunkten der der Bestimmung in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung, ob einer nachträglichen Einreichung innerhalb der Zweijahresfrist der Vorbehalt des Zollverfahrensrechts des Einfuhrstaates (Art. 25 Prot. 3 2005) entgegenstehen könnte. So bestimmt Art. 25 Prot. 3 2005 für Rechnungserklärungen, dass die Ursprungsnachweise den Zollbehörden des Einfuhrstaates "nach den dort geltenden Verfahrensvorschriften vorzulegen" sind (vgl. hiervor E. 4.6). Damit stellt sich die Frage, ob die prozeduralen Erfordernisse des schweizerischen Zollrechts, das eine nachträgliche Präferenzverzollung bei fehlenden Begleitdokumenten grundsätzlich nicht vorsieht (vgl. hiervor E. 3.5), zum Ausschluss der nachträglichen Einreichungsmöglichkeit (selbst innerhalb der Zweijahresfrist von Art. 22 Abs. 8 Prot. 3 2005) führen, wie dies die Vorinstanz annimmt. ![]() | |
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Im Gegensatz zu den bereits beurteilten Fällen erfolgten die Anmeldung und die Verzollung vorliegend indessen von Beginn weg präferenziell. Bei der nachträglichen Kontrolle wurde dann erst festgestellt, dass gültige Ursprungserklärungen auf der Rechnung fehlten. Genau solche Rechnungserklärungen dürfen gestützt auf Art. 22 Abs. 8 des Protokolls Nr. 3 2005 indessen gemäss seinem Wortlaut in seiner gewöhnlichen Bedeutung nachträglich vorgelegt werden. Art. 25 des Protokolls kann somit nicht so verstanden werden, dass er einen Globalvorbehalt zugunsten nationaler Präferenzvorschriften des Einfuhrlandes enthalten würde.
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Diese Auslegung der Norm steht auch im Einklang mit der systematischen Stellung von Art. 22 Abs. 8 Prot. 3 2005 als Sondervorschrift: Der Ursprungsnachweis durch Erklärung auf der Rechnung ist nur eine von drei Möglichkeiten zur Erbringung dieses Nachweises (vgl. Art. 16 Abs. 1 Bst. a-c Prot. 3 2005; siehe dazu hiervor E. 4.4). Dazu kommt, dass das System der Erklärung auf der Rechnung seinerseits nur in zwei Konstellationen zum Zuge kommt, nämlich zum einen dann, wenn die Erklärung durch einen Ausführer ausgefertigt wird, der häufig unter das Abkommen fallende Erzeugnisse ausführt und von der Zollverwaltung ermächtigt wurde, ![]() ![]() | |
Der in Art. 25 Prot. 3 2005 enthaltene (allgemeine) Vorbehalt betreffend nationale Verfahrensbestimmungen rechtfertigt insofern keine Abweichungen von konkreten, ausdrücklichen Normen mit (auch) materiellem Gehalt wie Art. 22 Abs. 8 des Protokolls. Entsprechend kann - entgegen der Vorinstanz - nicht eingewendet werden, mit der im schweizerischen Zollrecht vorgesehenen Möglichkeit einer provisorischen Veranlagung oder Berichtigung werde den Erfordernissen von Art. 22 Abs. 8 des Protokolls 3 2005 Genüge getan (vgl. E. 8.4.3.2 des angefochtenen Urteils A-321/2019 vom 17. September 2019). Art. 22 Abs. 8 des Protokolls schliesst für eine Situation wie die vorliegende ausdrücklich die Möglichkeit einer nachträglichen Einreichung der Rechnungserklärungen (innerhalb der erwähnten Zweijahresfrist) ein. Art. 2 Abs. 1 ZG statuiert sodann den expliziten Vorbehalt zugunsten völkerrechtlicher Verträge ("Völkerrechtliche Verträge bleiben vorbehalten.").
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6.2.4 Art. 22 Abs. 8 Prot. 3 2005 ist unter mehreren möglichen Interpretationen derjenige Sinn beizumessen, der seine effektive Anwendung gewährleistet ("effet utile") und nicht zu einem Ergebnis führt, das dem Ziel und Zweck der eingegangenen Verpflichtungen widerspricht (vgl. hiervor E. 6.1.2). Auch unter diesem Gesichtspunkt hat die nachträgliche Einreichung der Ursprungsnachweise - entgegen allfälliger zusätzlicher Einschränkungen im ![]() ![]() | |
Die Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 hält in Art. 92 Abs. 2 (zu Art. 64 UZK) ausdrücklich fest: "Eine Erklärung zum Ursprung kann auch nach der Ausfuhr der betreffenden Erzeugnisse ausgefertigt werden", was als "nachträgliche Erklärung" bezeichnet werde (vgl. dazu auch ROLAND M. STEIN, Zollkodex, a.a.O., N. 191 zu Art. 64 UZK; STEFANIE SCHICK, in: Zollkodex der Europäischen Union [UZK], Gellert/Schick [Hrsg.], Bd. I, Köln 2022, Art. 64 UZK S. 113). Die Bestimmung von Art. 92 Abs. 2 statuiert weiter: "Eine solche nachträgliche Erklärung zum Ursprung ist zulässig, wenn sie den Zollbehörden in dem Mitgliedstaat, in dem die Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet wurde, spätestens zwei Jahre nach der Einfuhr vorgelegt wird." Art. 125 Durchführungsverordnung regelt sodann die stichprobeweise nachträgliche Prüfung von Ursprungsnachweisen bzw. Rechnungserklärungen (vgl. STEIN, Zollkodex, a.a.O., N. 198 zu Art. 64 UZK).
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Als unbegründet erweist sich zudem der Antrag der Beschwerdeführerin, es sei ihr - über die Zweijahresfrist nach den jeweiligen Einfuhren hinaus - eine angemessene Frist einzuräumen, um für die massgeblichen Einfuhrsachverhalte, für welche noch keine Ursprungsnachweise bestehen würden, solche den zuständigen Zollbehörden einzureichen.
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