39. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
1C_653/2021 vom 24. August 2022 | |
Regeste | |
Art. 16c Abs. 2 lit. a und Art. 16cbis Abs. 2 SVG; Dauer eines ausländischen Fahrverbots als Obergrenze für die Dauer des schweizerischen Führerausweisentzugs.
| |
Sachverhalt | |
A.a Die 1988 geborene A. überschritt am 30. Juni 2018 in Österreich auf der Autobahn A1 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nach Abzug der Toleranz um 62 km/h. Mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 17. September 2018 wurde sie wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausserhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h zu einer Geldstrafe von EUR 400.00 verurteilt. Mit Mandatsentscheid vom 26. März 2019 aberkannte die Bezirkshauptmannschaft A. das Recht zum Gebrauch des ausländischen Führerausweises in Österreich für die Dauer von zwei Wochen ab Zustellung des Entscheids.
| |
A.b Im daran anschliessenden Administrativverfahren vor dem Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau ergab sich, dass im Informationssystem Verkehrszulassung (IVZ) ein gegen A. am 26. Juni 2009 ausgesprochener Entzug des Führerausweises für einen Monat mit Verlängerung der Probezeit wegen einer mittelschweren Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz eingetragen war, der auf einen Unfall infolge eines Fahrfehlers zurückging. Mit Verfügung vom 27. August 2019 entzog das Strassenverkehrsamt A. den Führerausweis für drei Monate, unter Anrechnung eines Teilvollzugs vom 3. April 2019 bis und mit 17. April 2019. Am 2. Dezember 2020 wies ![]() ![]() | |
B. Mit Urteil vom 28. September 2021 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau eine dagegen von A. eingereichte Beschwerde ebenfalls ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, umstritten sei einzig, ob aufgrund der gesetzlichen Regelung für die Dauer des schweizerischen Ausweisentzugs von der Entzugsdauer des ausländischen Fahrverbots abgewichen bzw. eine längere Dauer verfügt werden dürfe. Letzteres sei jedoch zulässig, weil die Abweichung von der im Ausland angeordneten Entzugsdauer entgegen der Auffassung von A. nicht vom Vorliegen einer früheren kaskadenrelevanten Administrativmassnahme abhänge, weshalb es sich bei ihr um eine massgebliche Wiederholungstäterin handle.
| |
C. Dagegen führt A. beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Hauptantrag, ihr sei der Führerausweis statt für drei Monate lediglich für die Dauer von zwei Wochen zu entziehen, unter Anrechnung des bereits erfolgten Entzugs vom 3. bis 17. April 2019. (...) Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, eine Abweichung von der ausländischen Entzugsdauer sei aufgrund der geltenden gesetzlichen Regelung in der Schweiz nur zulässig, wenn gegen die gleiche Person vorweg eine Administrativmassnahme ergriffen worden sei, die dem Kaskadensystem unterliege. Da dies in ihrem Fall nicht zutreffe, sei die verfügte Entzugsdauer bundesrechtswidrig.
| |
Das Departement Volkswirtschaft und Inneres schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Strassenverkehrsamt reichte keine separate Stellungnahme ein. Das Verwaltungsgericht verzichtete unter Verweis auf sein Urteil auf eine Vernehmlassung. Das Bundesamt für Strassen ASTRA teilte dem Bundesgericht ohne Stellung eines Antrags mit, es sei bisher davon ausgegangen, dass die kantonalen Behörden bei der Festlegung der Entzugsdauer des Führerausweises nach einer Widerhandlung im Ausland die dort verfügte Dauer des Fahrverbotes nur überschreiten dürften, wenn im IVZ kaskadenrelevante Administrativmassnahmen eingetragen seien; aufgrund unterschiedlicher, sich widersprechender kantonaler Urteile begrüsse das ASTRA eine Klärung der Rechtslage durch das Bundesgericht.
| |
(...)
| |
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
| |
(Auszug)
| |
Erwägung 3 | |
3.2 Strittig ist allerdings die Rechtmässigkeit der verfügten Entzugsdauer. Der angefochtene Entscheid stützt sich insofern auf Art. 16cAbs. 2lit. a SVG, wonach der Führerausweis bei einer schweren Widerhandlung für mindestens drei Monate entzogen wird, unter Anrechnung der in Österreich bereits vollstreckten Entzugsdauer von zwei Wochen in Anwendung von Art. 16cbis Abs. 2 SVG. Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, die in Österreich verfügte Entzugsdauer von zwei Wochen dürfe nicht überschritten werden, da sie im IVZ nicht mit einer Administrativmassnahme eingetragen sei, die dem schweizerischen Kaskadensystem gemäss dem hiesigen Strassenverkehrsgesetz unterliege. Das fragliche Informationssystem enthalte zwar den Eintrag eines im Jahre 2009 verfügten einmonatigen Ausweisentzugs wegen eines mittelschweren Gesetzesverstosses. Die im Ausland festgesetzte Entzugsdauer dürfe aber nur überschritten werden, wenn die eingetragene Administrativmassnahme kaskadenrelevant sei. Da dies in ihrem Fall nicht zutreffe, ![]() ![]() | |
Erwägung 4 | |
4.2 Das Verwaltungsgericht nahm im angefochtenen Entscheid eine umfassende Auslegung von Art. 16cbis Abs. 2 Satz 3 SVG vor. Es ![]() ![]() | |
4.4 Mit dem Verwaltungsgericht ist festzuhalten, dass der Wortlaut von Art. 16cbis Abs. 2 Satz 3 SVG eindeutig erscheint. Danach genügt ein Eintrag im IVZ, damit die ausländische Entzugsdauer überschritten werden darf, ohne dass dieser Eintrag eine besonders ausgestaltete Massnahme betreffen muss. Es kann hier offenbleiben, ob sich der Eintrag auf eine Massnahme im Zusammenhang mit einer Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften zu beziehen hat oder ob auch andere mögliche Einträge gemeint sind. Im vorliegenden Fall betrifft der Eintrag jedenfalls einen früheren Ausweisentzug wegen einer Verkehrsregelverletzung. Dem Verwaltungsgericht ist ebenfalls bei der entstehungsgeschichtlichen Auslegung ![]() ![]() | |
4.5 Das alles schliesst einen Rückgriff auf das Kaskadensystem bei der Anwendung von Art. 16cbis Abs. 2 Satz 3 SVG in sinnvoller Weise nicht aus. Der Gesetzgeber differenzierte bewusst zwischen Erst- und Wiederholungstätern und sah die gesetzliche Privilegierung nur für die ersten vor. Die günstigere Regelung für Verkehrsregelverstösse im Ausland, wenn ein dortiges Fahrverbot kürzer ausfällt als in der Schweiz, ist mithin bei Ersttätern vom Gesetzgeber gewollt (vgl. RÜTSCHE/WEBER, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, N. 18 zu Art. 16cbis SVG) und zu beachten (vgl. BGE 141 II 256). Sodann ist es angebracht, auf die von dieser Sonderregelung betroffenen Personen, die innert den Fristen der Kaskadenregelung wegen eines neuen massgeblichen Gesetzesverstosses eine einschlägige Administrativmassnahme aufweisen, die entsprechenden Bestimmungen des Kaskadensystems anzuwenden (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1C_47/2012 vom 17. April 2012 E. 4.1). Insofern bleibt das Kaskadensystem auch bei ausländischen Fahrverboten für die Festlegung einer ergänzenden schweizerischen Administrativmassnahme massgeblich. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festhält, ist aber der Umkehrschluss, dass alle anderen Wiederholungstäter als Ersttäter zu gelten haben, die bei einer milderen ausländischen Entzugsdauer von der bevorzugten Behandlung gemäss Art. 16cbis Abs. 2 Satz 3 SVG profitieren, nicht zulässig. Liegt keine kaskadenrelevante Widerhandlung vor, ist gegenüber den betroffenen Wiederholungstätern vielmehr ein ![]() ![]() | |
4.7 Aufgrund des Eintrags eines Ausweisentzuges von einem Monat im Jahre 2009 im IVZ ist die Beschwerdeführerin nicht Ersttäterin, sondern hat als vorbelastete Wiederholungstäterin zu gelten. Die von ihr begangene schwere Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsrecht hat gemäss Art. 16c Abs. 2 lit. a SVG einen Führerausweisentzug von mindestens drei Monaten zur Folge. Die Kaskadenregelung nach Art. 16c Abs. 2 lit. b-e SVG gelangt nicht zur Anwendung, da die entsprechenden Fristen abgelaufen sind. Die Mindestentzugsdauer darf nach Art. 16cbis Abs. 2 Sätze 1 und 2 SVG in Abweichung vom Grundsatz gemäss Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG unterschritten werden, soweit sich das aufgrund der Auswirkungen des ausländischen Fahrverbotes, die angemessen zu berücksichtigen ![]() ![]() ![]() |