26. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
2C_825/2019 vom 21. Dezember 2021 | |
Regeste | |
Art. 4 Abs. 3, Art. 14 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 2 StAhiG; Art. 18a DSG; Art. 13 BV; Art. 8 EMRK; Art. 17 UNO-Pakt II; Frage, ob die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) sämtliche vom Amtshilfeersuchen nicht direkt betroffenen Personen (d.h. Drittpersonen), über welche Informationen an die ersuchende Behörde übermittelt werden sollen, vorgängig der Übermittlung zu informieren hat.
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Die spezialgesetzliche Grundlage erfüllt die grundrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit der Norm, da vorliegend der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Zusammenhang mit den bei der Amtshilfe zu erhebenden Daten in aller Regel nicht besonders schwer wiegt. Folglich entfällt vorliegend die generelle Informationspflicht der ESTV gestützt auf Art. 18a Abs. 4 lit. a DSG i.V.m. Art. 4 Abs. 3 StAhiG. Dies gilt im Allgemeinen, doch kann im Einzelfall, falls sich die zu übermittelnden Daten als besonders schützenswert erweisen, eine vorgängige Information der Drittperson erforderlich werden (E. 5).
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Sachverhalt | |
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"Die ESTV stellt sicher, dass in der Steueramtshilfe das Recht auf Information gemäss Art. 14 Abs. 2 StAhiG [SR 651.1] beachtet wird und dementsprechend sämtliche vom Amtshilfeersuchen nicht formell betroffenen Personen (d.h. Drittpersonen), betreffend welche Informationen offen an die ersuchende Behörde übermittelt werden sollen, vorgängig der Übermittlung informiert werden und somit die Möglichkeit erhalten, das ihnen nach Art. 19 Abs. 2 StAhiG zustehende Beschwerderecht auszuüben."
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Am 18. Januar 2018 teilte die ESTV dem EDÖB mit, dessen Empfehlung sei mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz nicht vereinbar, weshalb sie von ihr abgelehnt würde. In der Folge beantragte der EDÖB am 13. Februar 2018 beim Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) gestützt auf Art. 27 Abs. 5 DSG, dass die ESTV zu verpflichten sei, seine Empfehlung umzusetzen. Das EFD lehnte dies mit Verfügung vom 20. September 2018 ab.
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Am 5. Oktober 2018 erhob der EDÖB Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Mit Entscheid vom 3. September 2019 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des EDÖB gut und wies die Angelegenheit zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück, damit die zuständigen Behörden in geeigneter Form, zum Beispiel mittels Weisungen oder Richtlinien, gemeinsame Lösungen im Sinne von Ausnahmeregelungen erarbeiten können.
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Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 30. September 2019 beantragt die ESTV, ihre Beschwerde gutzuheissen, Ziff. 1 des Urteilsdispositivs des Bundesverwaltungsgerichts (A-5715/2018) vom 3. September 2019 aufzuheben und die Verfügung des EFD vom 20. September 2018 zu bestätigen. ![]() ![]() | |
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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(Zusammenfassung)
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4.1 Das Datenschutzgesetz bezweckt den Schutz der Persönlichkeit und der Grundrechte von Personen, über die Daten bearbeitet werden (Art. 1 DSG), oder mit anderen Worten gelten die Vorschriften des DSG für die Bearbeitung von persönlichen Daten (Art. 3 lit. a und b DSG; BGE 147 II 227 E. 4.2; BGE 142 II 268 E. 6.1), die den grundrechtlichen Anspruch auf Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) verletzen können (BGE 147 II 227 E. 4.2; BGE 142 II 268 E. 6.1; BGE 138 II 346 E. 3.2; je mit weiteren Hinweisen). Das DSG sieht hierfür gewisse Bearbeitungsgrundsätze (Rechtmässigkeitsgrundsatz [Art. 4 Abs. 1 DSG], Grundsatz von Treu und Glauben sowie Verhältnismässigkeitsgrundsatz [Art. 4 Abs. 2 DSG], Zweckmässigkeits- und Erkennbarkeits- bzw. Transparenzgrundsatz [Art. 4 Abs. 3 und 4 DSG] sowie Datenrichtigkeits- und -sicherheitsgrundsatz [Art. 5 und 7 DSG]; vgl. BGE 138 II 346 E. 7) und eigenständige Rechtsansprüche vor (Art. 5 Abs. 2, Art. 8, 20 und 25 DSG).
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4.3 Mit Bezug auf die Zulässigkeit der Datenbearbeitung statuiert das DSG den Grundsatz, dass Bundesbehörden Daten bearbeiten ![]() ![]() | |
4.4 Zur Durchsetzung des grundrechtlichen Datenschutzes und der gesetzlichen Bearbeitungsregeln müssen die Betroffenen zunächst wissen , ob Daten über sie bearbeitet werden. Dazu dienen vorab zwei Instrumente: Zum einen das Auskunftsrecht nach Art. 8 DSG (BGE 138 III 425 E. 5.3; BGE 120 II 118 E. 3b; vgl. WALDMANN/BICKEL, in: Datenschutzrecht, Grundlagen und öffentliches Recht, Belser/ Epiney/Waldmann [Hrsg.], 2011, § 12 Rz. 135 ff.), das sich ebenso aus Art. 8 EMRK ergibt (BGE 138 I 6 E. 7.5.2). Zum anderen ist bei der Bearbeitung von Personendaten sodann das Transparenzprinzip zu beachten (Art. 4 Abs. 4 DSG), dessen Verletzung namentlich im Rahmen von Art. 25 DSG gerügt werden kann. Gemäss Art. 4 Abs. 4 DSG muss die Beschaffung von Personendaten, insbesondere der Zweck ihrer Bearbeitung, für die betroffene Person erkennbar sein.
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Art. 18a Informationspflicht beim Beschaffen von Personendaten
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1 Bundesorgane sind verpflichtet, die betroffene Person über die Beschaffung von Personendaten zu informieren; diese Informationspflicht gilt auch dann, wenn die Daten bei Dritten beschafft werden.
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2 Der betroffenen Person sind mindestens mitzuteilen:
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a. der Inhaber der Datensammlung;
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b. der Zweck des Bearbeitens;
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c. die Kategorien der Datenempfänger, wenn eine Datenbekanntgabe vorgesehen ist;
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d. das Auskunftsrecht nach Artikel 8;
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e. die Folgen einer Weigerung der betroffenen Person, die verlangten Personendaten anzugeben.
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4 Die Informationspflicht der Bundesorgane entfa?llt, wenn die betroffene Person bereits informiert wurde oder, in Fällen nach Absatz 3, wenn:
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a. die Speicherung oder die Bekanntgabe der Daten ausdru?cklich im Gesetz vorgesehen ist; oder
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b. die Information nicht oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand möglich ist.
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[5...].
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Aus dem Wortlaut von Art. 18a Abs. 1 und 3 DSG ergibt sich dabei, dass die betroffene Person grundsätzlich spätestens bei der Datenbeschaffung informiert wird bzw. werden muss. Werden die Personendaten nicht bei der betroffenen Person beschafft, muss diese spätestens bei der Speicherung oder zum Zeitpunkt der Bekanntgabe an Dritte informiert werden (vgl. dazu TAORMINA, a.a.O., N. 16 zu Art. 18a DSG, und weiterführend derselbe, a.a.O., N. 17 zu Art. 18a DSG; a.M. MUND, a.a.O., N. 7 und 10 zu Art. 18a DSG).
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4.5.3 Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Frage, dass Art. 18a DSG grundsätzlich auf sie als Bundesbehörde Anwendung finde. Sie vertritt jedoch die Auffassung, die amtshilfeweise Bekanntgabe der erheblichen Drittpersonendaten sei ausdrücklich im jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) bzw. im einschlägigen Bundesgesetz (Art. 4 Abs. 3 und Art. 20 des Bundesgesetzes vom 28. September 2012 über die internationale Amtshilfe in Steuersachen ![]() ![]() | |
Das Gesetz verbietet ausschliesslich die Übermittlung von Informationen, die nicht voraussichtlich relevant sind. Sofern die Daten jedoch voraussichtlich erheblich sind, ist die Datenübermittlung zulässig: Im Rahmen der Rechtsprechung zeigt sich denn auch, dass ![]() ![]() | |
Das Gesetz äussert sich dabei auch zur (beschränkten) Informationspflicht gegenüber Drittpersonen: Im Rahmen von Art. 14 Abs. 2 StAhiG hat die ESTV nur diejenigen Drittpersonen über das Amtshilfeverfahren in Kenntnis zu setzen, deren Beschwerdelegitimation im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StAhiG aufgrund der Akten evident ist (BGE 146 I 172 E. 7.2; Urteil 2C_687/2019 vom 13. Juli 2020 E. 6.2-6.4).
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Es stellt sich indessen die Frage, ob die spezialgesetzliche Grundlage für die Datenbearbeitung und den damit verbundenen Grundrechtseingriff hinreichend bestimmt ist.
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5.3.1 Dritte, deren Personendaten amtshilfeweise übermittelt werden, sind in ihrer Privatsphäre und ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 13 Abs. 1 und 2 BV, Art. 8 EMRK und nach Art. 17 UNO-Pakt II (SR 0.103.2) betroffen. Ob eine Norm, die dieses Grundrecht einschränkt, hinreichend bestimmt ist, hängt davon ab, ob die gemäss DSG betroffene Person aus der gesetzlichen Regelung ersehen kann, dass die sie betreffenden Daten gespeichert oder bekanntgegeben werden dürfen (vgl. BGE 144 I 126 E. 6.1; Urteil des EGMR G.S.B. gegen Schweiz vom 22. Dezember ![]() ![]() | |
5.3.2 Ob eine Norm, die das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einschränkt, hinreichend bestimmt ist, misst sich auch daran, wie schwer der Grundrechtseingriff wiegt (BGE 139 I 280 E. 5.1; BGE 136 I 87 E. 3.1; BGE 135 I 169 E. 5.4.1). Die Schwere des Eingriffs beurteilt sich anhand der Eigenheiten der zu übertragenden Daten und der damit verbundenen Eingriffsintensität. Das Bundesgericht spricht in Bezug auf den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 BV bzw. Art. 8 EMRK von Privat- und Geheim- (bzw. Intim-)sphäre (vgl. BGE 144 II 77 E. 5.2; BGE 141 IV 77 E. 5.2; BGE 138 I 331 E. 5.1). Sehr sensible höchstpersönliche Informationen wie beispielsweise ärztliche Aufzeichnungen erachtet es als in besonderem Masse geschützt (BGE 141 IV 77 E. 5.2; vgl. bereits BGE 122 I 153 E. 6b/bb). In BGE 138 II 346 verwendete es zudem den Begriff der (an sich harmlosen) Informationen in der Öffentlichkeitssphäre, die sich unter spezifischen Umständen zu datenschutzrechtlich relevanten Persönlichkeitsprofilen verdichten können (BGE 138 II 346 E. 8.2). Das DSG definiert seinerseits "besonders schützenswerte Personendaten" etwa als Daten über die Gesundheit oder die Intimsphäre, über religiöse, weltanschauliche oder politische Tätigkeiten, über Sozialhilfe sowie administrative oder strafrechtliche Verfolgungen oder Sanktionen (Art. 3 lit. c Ziff. 1-4 DSG; vgl. hiervor E. 4.3).
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Auch der EGMR hält fest, der Schutz personenbezogener Daten sei von einer Reihe von Faktoren abhängig, darunter die Art des Eingriffs und dessen Zweck. Steht ein besonders wichtiger Aspekt der Existenz oder Identität einer Person auf dem Spiel ("un aspect particulièrement important de l'existence ou de l'identité d'un individu"), ist die Rechtsprechung besonders streng (Urteile G.S.B., § 93; S. und Marper gegen Vereinigtes Königreich vom 4. Dezember 2008 [Nr. 30562/04 und 30566/04]§ 102 mit weiteren Hinweisen).
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5.3.3 Für allgemeine Auskunftsersuchen sind in der Regel Geschäftsbeziehungen oder Bankverbindungen betroffen. Es handelt sich mithin um Daten (von Dritten), die im Sinne des DSG nicht als besonders schützenswert gelten (Art. 3 lit. c DSG) und deren datenschutzrechtliche Bearbeitung nach Art. 17 Abs. 2 DSG keine formellgesetzliche Grundlage voraussetzt (vgl. zu dieser hier lediglich vergleichend heranzuziehenden Bestimmung BGE 143 I 253 E. 4.9; ![]() ![]() | |
Dieses Ergebnis erweist sich schliesslich auch als vereinbar mit den konventionsrechtlichen Vorgaben: Der EGMR anerkennt das ![]() ![]() | |
5.4 Somit ist festzuhalten, dass die generelle vorgängige Informationspflicht der Beschwerdeführerin nach Art. 18a Abs. 4 lit. a DSG aufgrund der spezialgesetzlichen Grundlage im StAhiG entfällt. Vor diesem Hintergrund braucht nicht geprüft zu werden, ob auch die Voraussetzungen von Art. 18a Abs. 4 lit. b DSG erfüllt sind. ![]() |