17. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. Limited gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
2C_263/2020 vom 10. Dezember 2021 | |
Regeste | |
Art. 7 und 10 MWSTG 2009; Art. 13 und 21 MWSTG 1999; Art. 8 Abs. 1 MWSTV 2009; Inlandsbezug der unternehmerischen Tätigkeit; Unterstellungserklärung Ausland; Steuerumgehung.
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Sachverhalt | |
A.a Die A. Limited (nachfolgend: Gesellschaft) ist eine im Jahr 1999 gegründete Gesellschaft mit Sitz auf U. (britische Kanalinseln). Nach eigenen Angaben besteht ihre Geschäftstätigkeit darin, Kunstwerke zu halten, handeln, vermieten und verleihen. Sie ist Trägerin einer über tausend Werke umfassenden Sammlung vorwiegend zeitgenössischer Kunst. In der Schweiz verfügt die Gesellschaft weder über einen Geschäftssitz noch über eine Betriebsstätte. Wirtschaftlich Berechtigter der Gesellschaft ist B., der im hier relevanten Zeitraum Wohnsitz in der Schweiz hatte. Die Gesellschaft stellte am 8. November 2002 bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) einen Antrag auf die sogenannte "Unterstellungserklärung Ausland" und reichte damit verbunden ihre Anmeldung zur Eintragung in das Mehrwertsteuerregister ein. Die ESTV trug die Gesellschaft per 1. Oktober 2002 in das Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen ein.
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A.b Nachdem die Gesellschaft (aufgrund der für die Einfuhr der Bilder anfallenden Einfuhrsteuer) regelmässig erhebliche Vorsteuerüberschüsse deklariert hatte, unterzog die ESTV sie im Jahr 2004 einer punktuellen Kontrolle betreffend die Steuerperioden 4. Quartal 2002 bis 3. Quartal 2004. Die ESTV stellte fest, dass sich die ![]() ![]() | |
A.c Auch im Zeitraum von 2009 bis 2015 importierte die Gesellschaft mehrere Kunstwerke in die Schweiz, die sie ihrem wirtschaftlich Berechtigten gegen ein Mietentgelt von 5 % ihres Wertes zur Ausstattung seiner Liegenschaften zur Verfügung stellte. Für die Einfuhr hatte die ESTV der Gesellschaft die "Unterstellungserklärung Ausland" und das Verlagerungsverfahren bewilligt, sodass die Gesellschaft die Einfuhrsteuern - anstatt sie der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) zu entrichten - jeweils mit den Mehrwertsteuerabrechnungen bei der ESTV deklarierte. Die Gesellschaft deklarierte weiterhin erhebliche Vorsteuerüberschüsse.
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A.d Im November 2014 führte die ESTV bei der Steuervertreterin der Gesellschaft eine Kontrolle betreffend die Steuerjahre 2009 bis 2013 durch. Sie kam zum Schluss, dass die subjektive Steuerpflicht der Gesellschaft infolge Steuerumgehung im kontrollierten Zeitraum und in den (nicht kontrollierten) Steuerperioden bis zum 31. März 2015 nicht gegeben gewesen sei. (...)
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B. Mit zwei Verfügungen vom 20. Juli 2017 bestätigte die ESTV ihre Auffassung, wonach die Gesellschaft seit dem 1. Januar 2009 mangels subjektiver Steuerpflicht zu Unrecht im Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen gewesen sei. Betreffend die Steuerperiode vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2009 forderte sie daher Steuern nach im Betrag vom Fr. 4'042'871.- und betreffend die Steuerperioden vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2015 einen Betrag von Fr. 3'577'438.-, je zuzüglich Verzugszinsen. (...)
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Die gegen diese Verfügungen erhobene Einsprache wies die ESTV mit Einspracheentscheiden vom 21. Dezember 2018 ab. (...) Hiergegen führte die Gesellschaft Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Dieses vereinigte die Verfahren und wies die Beschwerde der Gesellschaft mit Urteil vom 19. Februar 2020 ab. ![]() | |
Das Bundesgericht hat am 10. Dezember 2021 eine öffentliche Beratung durchgeführt.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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(Auszug)
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Erwägung 3 | |
Erwägung 4 | |
4.1 Nach altem Recht ist subjektiv mehrwertsteuerpflichtig, wer eine mit der Erzielung von Einnahmen verbundene gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt, auch wenn die Gewinnabsicht fehlt, sofern seine Lieferungen, seine Dienstleistungen und sein Eigenverbrauch im Inland jährlich gesamthaft Fr. 75'000.- übersteigen (Art. 21 Abs. 1 MWSTG 1999). Von der Mehrwertsteuerpflicht ausgenommen sind gemäss Art. 25 Abs. 1 lit. a MWSTG ![]() ![]() | |
Nach Art. 10 Abs. 1 MWSTG in der Fassung, die vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2017 in Kraft stand, ist subjektiv mehrwertsteuerpflichtig, wer unabhängig von Rechtsform, Zweck und Gewinnabsicht ein Unternehmen betreibt und nicht nach Art. 10 Abs. 2 MWSTG von der Steuerpflicht befreit ist. Ein Unternehmen betreibt, wer eine auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus Leistungen ausgerichtete berufliche oder gewerbliche Tätigkeit selbstständig ausübt und unter eigenem Namen nach aussen auftritt. Von der Steuerpflicht befreit ist unter anderem, wer im Inland innerhalb eines Jahres weniger als Fr. 100'000.- Umsatz aus steuerbaren Leistungen erzielt, sofern er nicht auf die Befreiung verzichtet (Art. 10 Abs. 2 lit. a MWSTG in der Fassung vom 12. Juni 2009, in Kraft bis am 31. Dezember 2017; nachfolgend: MWSTG 2009), und wer ein Unternehmen mit Sitz im Ausland betreibt, das im Inland ausschliesslich der Bezugsteuer unterliegende Leistungen erbringt, es sei denn, er erbringe im Inland Telekommunikations- oder elektronische Dienstleistungen an nicht steuerpflichtige Empfänger und Empfängerinnen (Art. 10 Abs. 2 lit. b MWSTG 2009).
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Art. 10 Abs. 1 MWSTG 2009 und Art. 21 Abs. 1 MWSTG 1999 stimmen weitgehend überein. In Art. 21 Abs. 1 MWSTG 1999 fehlte zwar die ausdrückliche Erwähnung der Nachhaltigkeit, die aber schon altrechtlich als der gewerblichen/beruflichen Ausübung immanent vorausgesetzt war (BGE 141 II 199 E. 4.2; BGE 138 II 251 E. 2.4.3).
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4.2 Wer kein Unternehmen betreibt, ist nicht steuerpflichtig und kann im Grundsatz auch keine Vorsteuer abziehen (Art. 28 Abs. 1 MWSTG e contrario; BGE 141 II 199 E. 4.1). Das stimmt überein mit dem Zweck des Gesetzes, den nicht unternehmerischen Endverbrauch im Inland zu besteuern (Art. 1 Abs. 1 MWSTG): Die Endverbraucher tragen nach der Grundkonzeption des Gesetzes die Steuer. Aus Praktikabilitätsgründen erfolgt der Bezug der Mehrwertsteuer indes nicht bei den Leistungsbezügern, den eigentlichen ![]() ![]() | |
5.2 Nach der Rechtsprechung liegt eine Steuerumgehung vor, wenn (a) eine von den Beteiligten gewählte Rechtsgestaltung als ungewöhnlich ("insolite"), sachwidrig oder absonderlich, jedenfalls den ![]() ![]() | |
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5.5.1 Der Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV) verleiht Rechtsuchenden unter gewissen Umständen Anspruch auf Schutz ihres Vertrauens auf die Richtigkeit behördlichen Handelns. Dieser Anspruch hindert die Behörden, von ihrem früheren Handeln abzuweichen, auch wenn sie dieses zu einem späteren ![]() ![]() | |
5.5.3 Die ESTV hat die Unterstellungserklärung Ausland der Beschwerdeführerin zwar am 9. Januar 2003 "bewilligt". Es handelte sich dabei jedoch nicht um eine klassische Bewilligung, die im Rahmen eines gesetzlich geregelten Verfahrens und nach eingehender Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen in der Form einer Verfügung (Art. 63 Abs. 2 MWSTG 1999 i.V.m. Art. 5 des ![]() ![]() | |
5.6 Unbegründet ist sodann auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin betreffend Eigenverbrauch. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, entsteht die Steuerforderung aus Eigenverbrauch nach altem Mehrwertsteuerrecht im Zeitpunkt des Wegfalls der subjektiven Steuerpflicht (Art. 43 Abs. 2 MWSTG 1999). Aufgrund der Verjährung der Steuerperioden vor dem 1. Januar 2009 sind die ESTV und die Vorinstanz im Rahmen der Sachverhaltsfiktion, die bei einer Steuerumgehung Platz greift (vgl. oben E. 5.2), davon ausgegangen, dass die Steuerpflicht am 1. Januar 2009 entfallen und die Steuerforderung aus Eigenverbrauch in diesem Zeitpunkt entstanden ist. Dies ist nicht zu beanstanden. ![]() |