1. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Amt für Migration und Integration (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
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2C_667/2020 vom 19. Oktober 2021
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Regeste
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Art. 34 Abs. 1, Art. 58a, Art. 62 Abs. 1 lit. d und g, Art. 63 Abs. 2 und 3, Art. 96 Abs. 2 und Art. 99 AIG; Art. 62a, Art. 77a ff. und Art. 85 Abs. 1 VZAE; Art. 3 lit. g ZV-EJPD; Rückstufung von einer altrechtlich erteilten Niederlassungs- auf eine Aufenthaltsbewilligung wegen eines Integrationsdefizits.
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Das Zustimmungserfordernis für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung durch das SEM widerspricht Art. 99 AIG (E. 3).
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Art. 63 Abs. 3 AIG steht einer Rückstufung grundsätzlich nicht entgegen (E. 4).
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Die Rückstufung muss bei einer altrechtlich erteilten Bewilligung an ein aktuelles Integrationsdefizit von einem erheblichen Gewicht anknüpfen; nur dann besteht ein hinreichendes öffentliches Interesse an der Rückstufung unter dem neuen Recht (E. 5).
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Im konkreten Fall fehlt es hieran; das Verhältnismässigkeitsprinzip gebietet deshalb, vor einer möglichen Rückstufung erst eine Verwarnung auszusprechen (E. 6).
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Sachverhalt
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 A. A. (geb. 1978) ist kosovarischer Staatsbürger. Er reiste am 18. März 1992 in die Schweiz ein, wo er zuletzt über eine Niederlassungsbewilligung verfügte. A. ist verheiratet und Vater von zwei Kindern (geb. 2005 und 2008). Er wurde hier wiederholt straffällig (zahlreiche SVG-Delikte). Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte ihn am 25. April 2018 wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (SR 812.121) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten bei einer Probezeit von fünf Jahren und einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je Fr. 70.-. Es erachtete es als erwiesen, dass A. am 19. Mai 2013 in seinem Bus von Spanien herkommend wissentlich und willentlich 119.974 kg Haschisch in die Schweiz eingeführt hatte. Mit Strafbefehl vom 17. Dezember 2018  wurde A. wegen Vergehens und fahrlässigen Vergehens gegen das Gewässerschutzgesetz (SR 814.20) - soweit ersichtlich letztmals - verurteilt (Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 80.-).
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B. Das Amt für Migration und Integration (Sektion Aufenthalt) des Kantons Aargau widerrief am 18. September 2019 die Niederlassungsbewilligung von A. und erteilte ihm - unter Vorbehalt der Zustimmung des Staatssekretariats für Migration (SEM) - eine Aufenthaltsbewilligung (sog. Rückstufung). Es ging davon aus, dass A. wegen seiner Straffälligkeit ein Integrationsdefizit aufweise. Es legte die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsbewilligung auf 1 Jahr fest und wies A. darauf hin, dass künftig erwartet werde, dass er keine weiteren Straftaten mehr begehe; sollte ihm dies nicht gelingen, werde die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung und die Wegweisung geprüft. Die von A. hiergegen gerichteten kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.
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C. A. beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 7. Juli 2020 "ersatzlos aufzuheben" und ihm die Niederlassungsbewilligung zu belassen; eventuell sei er "unter Belassung der Niederlassungsbewilligung" zu verwarnen. (...)
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Sinne des Eventualbegehrens gut.
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(Auszug)
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Erwägung 2
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2.1 Eine Niederlassungsbewilligung kann widerrufen und durch eine Aufenthaltsbewilligung ersetzt werden, wenn die Ausländerin oder der Ausländer die Integrationskriterien nach Art. 58a AIG (SR 142.20) nicht (oder nicht mehr) erfüllt (Art. 63 Abs. 2 AIG). Die entsprechende Regelung ist mit der Revision des AuG und dessen Umbenennung in AIG neu in das Gesetz aufgenommen worden und steht seit dem 1. Januar 2019 in Kraft (vgl. AS 2017 6521 ff., 2018 3171; Botschaft vom 8. März 2013 zur Änderung des Ausländergesetzes [Integration], BBl 2013 2397 ff.; Zusatzbotschaft vom 4. März 2016 zur Änderung des Ausländergesetzes [Integration], BBl 2016 2821 ff.). Gleichzeitig wurde der bisherige Art. 63 Abs. 2 AuG aufgehoben, wonach Niederlassungsbewilligungen von Ausländerinnen und Ausländern, die sich seit mehr als 15 Jahren ununterbrochen und ordnungsgemäss in der Schweiz aufhielten, nur bei längerfristigen Freiheitsstrafen,  schwerwiegenden Verstössen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie bei Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz widerrufen werden konnten (vgl. Art. 63 Abs. 2 AuG in der Fassung vom 16. Dezember 2015 [AS 2007 5437, 5456]). Neu ist damit insbesondere der Widerruf von Niederlassungsbewilligungen wegen dauerhafter und erheblicher Sozialhilfeabhängigkeit auch nach der Frist von 15 Jahren möglich (Zusatzbotschaft "Integration", BBl 2016 2821 ff., 2829).
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Erwägung 2.3
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2.3.1 Die Ausländerbehörden haben mit der Rückstufung die Möglichkeit erhalten, situationsgerechter und differenzierter zu handeln, wenn nach Erteilung der bedingungslosen und unbefristeten Niederlassungsbewilligung die Integrationskriterien nicht (mehr) gegeben sind (vgl. die Weisungen und Erläuterungen des Staatssekretariats für Migration, I. Ausländerbereich [Weisungen AIG] vom Oktober 2013, Stand 1. Januar 2021, [nachfolgend: SEM-Weisungen] Ziff. 8.3.3; MARC SPESCHA, in: Migrationsrecht [nachfolgend: Migrationsrecht], Spescha und andere [Hrsg.], 5. Aufl. 2019, N. 23 zu Art. 63 AIG; SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, Handbuch zum Migrationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 334; LARA BENSEGGER, Die Rückstufung im Ausländer- und Integrationsgesetz, Jusletter 2. August 2021 Rz. 3 f.); dies gilt - mangels einer gesetzlichen Übergangsregelung -  grundsätzlich auch für altrechtlich erteilte Niederlassungsbewilligungen (vgl. BENSEGGER, a.a.O., Rz. 68 ff.; Votum Sommaruga, AB 2016 N 1301 f.; Votum Engler, AB 2016 S 968 f.; vgl. nachstehende E. 5).
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2.4 Der Rückstufung kommt dabei eine eigenständige, vom Widerruf der Niederlassungsbewilligung mit Wegweisung unabhängige Bedeutung zu (vgl. SEM-Weisungen, a.a.O., Ziff. 8.3.3; SEM, Änderung der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit, Erläuternder Bericht vom 7. November 2017 zur Inkraftsetzung der Änderung des Ausländergesetzes vom 16. Dezember 2016 [13.030; Integration],[nachfolgend: SEM-Änderungen] S. 13 zu Art. 62aVZAE; MARCO WEISS, Betrachtung ausgewählter Massnahmen des Ausländerrechts, Jusletter 17. Mai 2021 Rz. 7). Es soll mit ihr (präventiv) erreicht werden, dass die betroffene Person zukünftig ihr Verhalten ändert und sich besser integriert; es geht jeweils darum, ein ernsthaftes Integrationsdefizit zu beseitigen, wobei den persönlichen Umständen Rechnung zu tragen ist (vgl. Art. 58a Abs. 2 AIG; Art. 77f VZAE; MARC SPESCHA, Ausländische Sozialhilfebeziehende im Fokus der Migrationsbehörde, Jusletter 8. März 2021 Ziff. 2.2, dort insbesondere Rz. 28).
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 2.5 Eine Rückstufung kann nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht als "mildere" Massnahme angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung mit einer Wegweisung (Widerrufsgrund und Verhältnismässigkeit der aufenthaltsbeendenden Massnahme) erfüllt sind. Der Widerruf mit Wegweisung geht in diesem Sinn der Rückstufung vor (Urteile 2C_1040/2019 vom 9. März 2020 E. 6; 2C_782/2019 vom 10. Februar 2020 E. 3.3.4; 2C_58/2019 vom 31. Januar 2020 E. 6.2 in fine; 2C_450/2019 vom 5. September 2019 E. 5.3; vgl. SEM-Weisungen, a.a.O., Ziff. 8.3.3.2; SEM-Änderungen, a.a.O., S. 13 zu Art. 62a VZAE).
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2.6 Die Rückstufung muss schliesslich, wie jedes staatliche Handeln, verhältnismässig sein (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Respektierung des Übermassverbots [Zumutbarkeit]), was jeweils im Einzelfall geprüft und begründet werden muss. Die Rückstufung setzt sich aus einem Widerruf der Niederlassungsbewilligung und der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zusammen; die Rückstufung erfolgt jedoch als eine Einheit (uno actu), weshalb im kantonalen Verfahren ihre Verhältnismässigkeit jeweils als Ganzes zu beurteilen ist (vgl. SEM-Weisungen, a.a.O., Ziff. 8.3.3). Die Rückstufung kann deshalb auch als eigenständiger Akt mit einer Verwarnung angedroht werden - gegebenenfalls muss sie dies in Anwendung des Verhältnismässigkeitsprinzips auch. Nach der Rückstufung ist ein Widerruf oder eine Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung möglich, wenn die mit der Bewilligung verbundenen Bedingungen oder eine Integrationsvereinbarung ohne entschuldbaren Grund nicht eingehalten werden (vgl. Art. 58a Abs. 2, Art. 62 Abs. 1 lit. d und g AIG sowie Art. 77f VZAE). Eine allfällige künftige Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung hat dannzumal wiederum als Ganzes verhältnismässig zu sein und insbesondere dem Übermassverbot (Verhältnismässigkeit im engeren Sinn) zu genügen.
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 3.2.3 Würde die Rückstufung - wovon Art. 3 lit. g ZV-EJPD ausgeht - entgegen der materiellen Gesetzeslage (vgl. vorstehende E. 2.6) verfahrensrechtlich als zwei getrennte Rechtsakte - Widerruf der Niederlassungsbewilligung auf der einen und Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auf der andern Seite - verstanden, liesse sich der Bewilligungsentscheid als solcher wie auch eine allfällige Zustimmungsverweigerung beim Bundesgericht nur anfechten, falls ein Rechtsanspruch auf die Erteilung der Bewilligung besteht (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG); dies wäre für den Widerrufsentscheid der Fall, nicht jedoch notwendigerweise auch für die damit verbundene Verweigerung der Zustimmung zur Erteilung der Aufenthaltsbewilligung. Damit liefe der bundesgerichtliche Rechtsschutz der betroffenen Person wegen der Aufspaltung des Verfahrens unter Umständen ins Leere: Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung könnte zwar beim Bundesgericht angefochten werden, aber ohne integrale Prüfung der Verhältnismässigkeit; für die Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung wäre die Anrufung des Bundesgerichts unter Umständen jedoch wegen des Fehlens eines Rechtsanspruchs auf die Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen (vgl. zur Problematik: RUDIN, a.a.O., Rz. 9 bzw. WEISS, a.a.O., Rz. 27). Theoretisch könnte es somit dazu kommen, dass die Niederlassungsbewilligung rechtskräftig widerrufen wäre, die in Aussicht gestellte Aufenthaltsbewilligung jedoch mangels Zustimmung durch das SEM nicht erteilt werden könnte und im Resultat damit gar keine Bewilligung mehr bestünde.
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Erwägung 4
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4.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, eine Rückstufung allein aufgrund seiner Straffälligkeit sei unzulässig. Ein Widerruf der  Niederlassungsbewilligung, der nur damit begründet werde, dass ein Delikt begangen worden sei, für das ein Strafgericht bereits eine Strafe oder Massnahme verhängt, jedoch von einer strafrechtlichen Landesverweisung abgesehen habe, sei nach Art. 63 Abs. 3 AIG nicht möglich (sog. "Dualismusverbot"). Der Gesetzgeber habe nicht vorgesehen, dass diese Regelung nicht auch für die Rückstufung nach Art. 63 Abs. 2 AIG gelte. Die grammatikalische, systematische und historische Auslegung sprächen dafür, dass Art. 63 Abs. 3 AIG sowohl auf den Widerruf nach Absatz 1 als auch auf den mit der Rückstufung verbundenen Widerruf der Niederlassungsbewilligung nach Absatz 2 anzuwenden sei.
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Erwägung 4.2
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Erwägung 4.3
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4.3.2 Im Übrigen ist auch die vorinstanzliche Auslegung von Art. 63 Abs. 2 und 3 AIG nicht zu beanstanden, solange die Rückstufung im Resultat nicht zu einer unzulässigen Umgehung des Dualismusverbots führt, wofür hier keine Anhaltspunkte bestehen: Art. 63 Abs. 3 AIG dient der Koordination des straf- und ausländerrechtlichen Verfahrens. Um zu vermeiden, dass die Migrations- und die Strafbehörden den gleichen Sachverhalt unterschiedlich beurteilen, womit ein Widerspruch zwischen Administrativ- und Strafverfahren entstehen könnte, ist der Widerruf einer Niederlassungsbewilligung nur aufgrund eines Delikts, für welches ein Strafgericht von der Landesverweisung (implizit oder explizit) abgesehen hat, unzulässig. Es soll damit der Dualismus vermieden werden, welcher die strafrechtliche Landesverweisung im alten Strafgesetzbuch noch geprägt hat (SEM-Weisungen, a.a.O., Ziff. 8.4.2.1; ANDREAS ZÜND, Strafrechtliche Landesverweisung und fremdenpolizeiliche Ausweisung, in: Festschrift für Dr. Kurt Eichenberger, 1990, S. 363 ff.).
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4.3.4 Daran ändert der Einwand des Beschwerdeführers nichts, wonach in den Weisungen des SEM festgehalten werde, dass - wenn das Strafgericht (oder bereits die Staatsanwaltschaft im Strafbefehlsverfahren) auf eine strafrechtliche Landesverweisung verzichtet habe - eine Rückstufung "nur möglich" sei, "wenn zusätzlich zur Straffälligkeit ein anderes Integrationsdefizit (z.B. Schulden, keine Teilnahme am Wirtschaftsleben [...])" hinzukomme (SEM-Weisungen, a.a.O., Ziff. 8.3.3 in fine). Auch eine wiederholte Straffälligkeit kann auf ein Integrationsdefizit hinweisen, insbesondere dann, wenn es sich dabei um untergeordnete, aber regelmässig begangene Straftaten handelt, welche einen Widerruf der Niederlassungsbewilligung mit Wegweisung (noch) nicht rechtfertigen. Dies entspricht nach den Materialien auch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. vorstehende E. 2.3.2).
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 5.1 Bei der Integration geht es um einen fortschreitenden Prozess; es handelt sich um einen zeitlich offenen Dauersachverhalt, der mit der Einreise einer ausländischen Person in die Schweiz beginnt und in der Folge andauert; dies gilt auch für ein allenfalls damit verbundenes Integrationsdefizit, wie es Art. 63 Abs. 2 AIG für die Rückstufung voraussetzt. Prüft die Behörde das Integrationsdefizit, stellt sie unter Umständen auf Elemente ab, welche sich bereits vor Inkrafttreten der Rückstufungsmöglichkeit verwirklicht haben und noch andauern. Dabei handelt es sich um eine grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung: Eine solche liegt vor, wenn bei der Anwendung des neuen Rechts - wie hier - auf Verhältnisse abgestellt wird, die schon unter der Herrschaft des alten Rechts entstanden sind und beim Inkrafttreten des neuen Rechts noch fortdauern (BGE 144 I 81 E. 4.1 S. 86; BGE 133 II 97 E. 4.1 S. 101 f.; vgl. HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 279 ff.; WIEDERKEHR/RICHLI, Praxis des allgemeinen Verwaltungsrechts, Bd. I, Bern 2012, Rz. 867; BENSEGGER, a.a.O., Rz. 68 ff.). Es ist verfassungsrechtlich nicht verboten, für zeitlich offene Dauersachverhalte in Zukunft andere Rechtsfolgen vorzusehen, sofern dem nicht wohlerworbene Rechte bzw. der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegenstehen (Art. 9 BV; BGE 144 I 81 E. 4.1 S. 86; BGE 138 I 189 E. 3.4 S. 193 f.; vgl. auch WIEDERKEHR/RICHLI, a.a.O., Rz. 867; BENSEGGER, a.a.O., Rz. 70 ff.).
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5.2 In der Doktrin wird die Auffassung vertreten, die Rückstufung sei bezüglich des Vertrauensschutzes rechtlich heikel (vgl. UEBERSAX/PETRY/HRUSCHKA/FREI/ERRASS, Migrationsrecht in a nutshell, 2021, S. 170). Die grundsätzliche bedingungslose Dauerhaftigkeit der Niederlassungsbewilligung gebiete "grösste Zurückhaltung" bei der Rückstufung zur Aufenthaltsbewilligung (vgl. PETER BOLZLI, in: Migrationsrecht, a.a.O., N. 1 zu Art. 34 AIG; UEBERSAX/PETRY/HRUSCHKA/FREI/ERRASS, A.A.O., S. 170). Da früher eine erfolgreiche Integration im Sinne von Art. 58a AIG für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung nicht erforderlich gewesen sei, wirke sich das entsprechende Erfordernis auf altrechtliche Niederlassungsbewilligungen wie eine nachträgliche Bedingung aus, die angesichts der Bedingungsfeindlichkeit der Niederlassungsbewilligung inhaltlich einer unzulässigen Rückwirkung von neuem Gesetzesrecht gleichkomme und daher systemwidrig - und deshalb problematisch - erscheine (UEBERSAX/PETRY/HRUSCHKA/FREI/ERRASS, a.a.O., S. 170; SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, a.a.O., S. 333 f.).
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 5.3 Diese Überlegungen haben eine gewisse Berechtigung und sind bei der vorliegenden Gesetzesauslegung angemessen zu berücksichtigen: Aus dem Gesetzeszweck und der Rechtsnatur der Niederlassungsbewilligung sowie den Materialien ergibt sich, dass nur ernsthafte Integrationsdefizite zu einer Rückstufung führen sollen. Die unechte Rückwirkung setzt voraus, dass nicht ausschliesslich auf Sachverhaltselemente abgestellt wird, die vor dem Inkrafttreten der Integrationsbestimmungen am 1. Januar 2019 eingetreten sind. Die Rückstufung muss unter dem neuen Recht an ein aktuelles Integrationsdefizit von einem gewissen Gewicht anknüpfen; nur dann besteht ein hinreichend schwerwiegendes öffentliches Interesse an der Rückstufung altrechtlich erteilter Niederlassungsbewilligungen unter dem neuen Recht. Dabei dürfen die vor dem 1. Januar 2019 eingetretenen Sachverhaltselemente mitberücksichtigt werden, um die neue Situation im Lichte der bisherigen würdigen und in diesem Sinn die Entstehung und das Fortdauern des Integrationsdefizits umfassend klären zu können (vgl. BGE 133 II 97 E. 4.1 S. 101 f.; BGE 122 II 148 E. 2a S. 151). Die Ausländerbehörden haben ihr Ermessen jedoch einzelfallbezogen auszuüben und müssen die Rückstufung im Wesentlichen auf Sachverhalte abstützen, die sich nach dem 1. Januar 2019 zugetragen haben bzw. nach diesem Datum weiterdauern; andernfalls läge eine grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung vor; sie haben - mangels einer gesetzlichen Übergangsregelung - einem in diesem Sinn gewichteten Kontinuitätsvertrauen bei ihrer Rechtsanwendung Rechnung zu tragen (vgl. KNEER/SCHINDLER, a.a.O., S. 53).
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Erwägung 6
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6.1 Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer mangelhaft integriert sei, bei ihm ein gewichtiges (aktuelles) Integrationsdefizit bestehe und damit ein hinreichender Rückstufungsgrund vorliege. Sie erachtete die Rückstufung als geeignet, den Beschwerdeführer an seine Integrationsverpflichtungen "zu erinnern und ihm anzuzeigen, dass sein bisheriges Verhalten nicht mehr toleriert" werde. Sie sei zudem erforderlich, da ein milderes Mittel, welches gleichermassen geeignet wäre, bei ihm eine Verhaltensänderung herbeizuführen, nicht ersichtlich sei. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine blosse Verwarnung diesen Effekt hätte. Der Beschwerdeführer habe gezeigt, dass er sich durch staatliche Massnahmen ohne unmittelbare Auswirkung nicht beeindrucken lasse, "indem er trotz teilweise scharfer, aber mehrheitlich  bedingt ausgesprochener strafrechtlicher Sanktionen über einen Zeitraum von 14 Jahren kontinuierlich weiter delinquiert" habe. Das öffentliche Interesse an seiner Rückstufung sei "als gross bis sehr gross" zu qualifizieren. Sein privates Interesse, den privilegierten migrationsrechtlichen Status der Niederlassungsbewilligung beibehalten zu können, sei demgegenüber deutlich geringer, zumal er mit seiner Familie im Land verbleiben dürfe.
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 6.4 Da die Niederlassungsbewilligung ihrer Rechtsnatur nach unbefristet und nicht an Bedingungen geknüpft ist, rechtfertigen - wie dargelegt (vorstehende E. 5) - Integrationsdefizite die Rückstufung bei noch altrechtlich erteilten Niederlassungsbewilligungen nicht leichthin, sondern nur, wenn sie aktuell sind, d.h. auf das Verhalten nach dem 1. Januar 2019 zurückgehen, was hier nicht der Fall ist. In dieser Situation ist nach Möglichkeit eine Verwarnung auszusprechen und die Rückstufung erst dann zu verfügen, wenn sie sich anstelle einer blossen Verwarnung praktisch zwingend aufdrängt, d.h. ein Widerruf mit Wegweisung begründbar wäre, jedoch lediglich die Rückstufung im Sinne einer Bewährungschance sich als verhältnismässig erweist (SPESCHA/BOLZLI/DE WECK/PRIULI, a.a.O., S. 334; SPESCHA, Migrationsrecht, a.a.O., N. 23 zu Art. 63 AIG).
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Erwägung 7
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