35. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Kantonales Steueramt Solothurn (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
2C_966/2015 / 2C_967/2015 vom 18. Juli 2016 | |
Regeste | |
Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG; Art. 9 Abs. 2 lit. d StHG; Art. 79b Abs. 3 und 4 BVG; Art. 22c FZG. Abzug von Beiträgen an die berufliche Vorsorge bei Wiedereinkauf nach Scheidung. Kapitalbezugssperre. Steuerumgehung.
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Ein Abzug nach Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG ist nicht zulässig, wenn eine Steuerumgehung vorliegt (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 4.2). Steuerumgehung vorliegend bejaht (E. 4.4).
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Sachverhalt | |
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Am 26. August 2013 tätigte A. einen Einkauf von Fr. 81'500.- in seine Pensionskasse. Zu diesem Zweck hatte er mit seiner Mutter am 15. August 2013 einen Darlehensvertrag abgeschlossen. Danach gewährt ihm seine Mutter ein zinsloses Darlehen im Betrag von Fr. 160'000.-, das sie in zwei Teilbeträgen von Fr. 80'000.- jeweils spätestens bis Ende September 2013 bzw. 2014 auf sein Bankkonto überweist. Gemäss Darlehensvertrag sind diese Mittel ausdrücklich für den Einkauf in die Pensionskasse bestimmt.
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B. In der Steuererklärung 2013 machte A. mit Datum vom 21. März 2014 einen Einkauf in die 2. Säule über Fr. 81'500.- geltend. Auf Nachfrage der Veranlagungsbehörde legte er dar, dass er plane, sich per 31. Mai 2015 frühpensionieren zu lassen und dabei einen Kapitalbezug vorzunehmen. Mit Veranlagungsverfügung vom 28. Juli 2014 wurde der Einkauf nicht zum Abzug zugelassen mit der Begründung, dieser sei weniger als drei Jahre vor der geplanten Pensionierung mit Kapitalbezug erfolgt.
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Ende Mai 2015 liess sich A. pensionieren und die Altersleistungen der Pensionskasse in Kapitalform ausbezahlen (Fr. 1'224'906.50).
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C. Die gegen die Veranlagungsverfügung erhobene Einsprache wies die Veranlagungsbehörde mit Einspracheentscheid vom 16. Dezember 2014 ab. Das Kantonale Steuergericht Solothurn hat den Rekurs (betreffend Staatssteuer) und die Beschwerde (betreffend direkte Bundessteuer) hiergegen mit Urteil vom 14. September 2015 ebenfalls abgewiesen.
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D. Mit Eingabe vom 27. Oktober 2015 erhebt A. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht und beantragt die Aufhebung des Urteils des Steuergerichts. Das steuerbare Einkommen sei bei der Neuveranlagung der Staats- und der direkten Bundessteuer 2013 je um die Höhe des im Steuerjahr vorgenommenen scheidungsbedingten Wiedereinkaufs in sein Alterssparguthaben in Höhe von Fr. 81'500.- zu reduzieren. Eventualiter ![]() ![]() | |
Das Steueramt des Kantons Solothurn und das Steuergericht beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) schliesst ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde.
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II. Direkte Bundessteuer
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Die Vorinstanz nahm zunächst eine Auslegung von Art. 79b Abs. 4 BVG vor und gelangte zum Schluss, die Bestimmung schliesse die Anwendung von Art. 79b Abs. 3 Satz 1 BVG aus, das heisst ![]() ![]() | |
Das kantonale Steueramt und die ESTV vertreten die Ansicht, Art. 79b Abs. 4 BVG beziehe sich nicht auf Art. 79b Abs. 3 BVG, weshalb im vorliegenden Fall die Kapitalbezugssperre Anwendung finde und dem Beschwerdeführer schon aus diesem Grund der Abzug für den Einkauf in die berufliche Vorsorge zu verweigern sei.
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3.2 Es stellt sich die Frage, wie Art. 79b Abs. 4 BVG zu verstehen ist, insbesondere auf welche Begrenzung darin Bezug genommen wird. Das Bundesgericht hat sich bisher nicht zu dieser Frage geäussert. Die Meinungen in der Literatur gehen auseinander. Die Bestimmung kann so verstanden werden, dass die Beschränkung des Einkaufs in den Art. 79a ff. nicht für den Wiedereinkauf nach Art. 22c FZG gelte (GEISER/SENTI, in: BVG und FZG, 2010, N. 22 zu Art. 22c FZG). Möglich ist auch, die "Begrenzung" von Art. 79b Abs. 4 BVG lediglich auf die vorangehenden Abs. 1-3 von Art. 79b BVG resp. einzelne davon verstehen zu wollen. Eine Mehrheit der Autoren scheint in diesem Sinne - wenn auch überwiegend ohne sich näher damit auseinanderzusetzen - davon auszugehen, ein nach einer Scheidung vorgenommener Einkauf unterliege nicht der dreijährigen Frist von Art. 79b Abs. 3 BVG (CHRISTIAN CHILLÀ, Analyse sous l'angle fiscal de l'Art. 79b al. 3, 1 re phrase de la loi fédérale sur la prévoyance professionnelle, RDAF 2014 II S. 1 ff., 9; ROMAN BLÖCHLIGER, Die steuerliche Behandlung des Einkaufes und des Kapitalbezuges von Vorsorgeleistungen, StR 67/2012 S. 92 ff., 106; XAVIER OBERSON, Droit fiscal suisse, 4. Aufl. 2012, § 7 Rz. 323; ![]() ![]() | |
3.3.1 Aus dem deutsch- wie auch französischsprachigen Gesetzestext geht nicht hervor, von welcher Begrenzung die Wiedereinkäufe im Falle der Ehescheidung oder gerichtlichen Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft ausgenommen sein sollen. Die italienischsprachige Fassung stellt dagegen ausdrücklich einen Bezug zu Abs. 2 her ("La limitazione di cui al capoverso 2 non si applica agli acquisti in caso di divorzio o di scioglimento giudiziale dell'unione domestica registrata secondo l'articolo 22c LFLP."). Zumindest der ![]() ![]() | |
3.3.2 Art. 79b Abs. 4 BVG wurde gestützt auf das Bundesgesetz vom 19. März 1999 über das Stabilisierungsprogramm 1998 (AS 1999 2374, 2381) als aArt. 79a Abs. 5 mit folgendem Wortlaut in das BVG aufgenommen (in Kraft von 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2005): "Von der Begrenzung nach Abs. 2 ausgenommen sind die Wiedereinkäufe im Falle der Ehescheidung nach Art. 22 Abs. 3 des FZG." Der damalige aArt. 79a Abs. 2 BVG hielt fest: "Die Vorsorgeeinrichtung darf dem Versicherten den Einkauf in die reglementarischen Leistungen höchstens bis zum oberen Grenzbetrag nach Art. 8 Abs. 1 multipliziert mit der Anzahl Jahre vom Eintritt in die Vorsorgeeinrichtung bis zum Erreichen des reglementarischen Rücktrittsalters, ermöglichen." aArt. 79a Abs. 5 BVG sah demnach im Falle eines scheidungsbedingten Wiedereinkaufs ausdrücklich eine Ausnahme von der betragsmässigen Einkaufsbegrenzung vor. Mit der 1. BVG-Revision plante der Bundesrat in diesem Zusammenhang lediglich eine rein redaktionelle Änderung. Da neben der bestehenden Bestimmung von aArt. 79a BVG eine weitere neue Bestimmung eingefügt werden sollte, musste der Inhalt von aArt. 79a Abs. 1 BVG in einen separaten Artikel überführt werden (neu Art. 79a BVG) und die aArt. 79a Abs. 2-5 BVG sollten materiell unverändert um eine Stelle verschoben werden (neu Art. 79b Abs. 1-4 BVG; vgl. Botschaft vom 1. März 2000 zur Revision des BVG [1. BVG-Revision], BBl 2000 2637, 2700 f. Ziff. 4.1; BBl 2000 2713, 2723). Anlässlich der parlamentarischen Beratungen kam es vor allem hinsichtlich der Höhe des versicherbaren Einkommens zu Diskussionen und erheblichen Änderungen der aArt. 79a Abs. 2-4 BVG (neu Art. 79b Abs. 1-3 BVG; vgl. AB 2002 N 566 ff., AB 2002 S 1052 f., AB 2003 N 630, AB 2003 S 453). Der heutige Art. 79b Abs. 4 BVG (aArt. 79a Abs. 5 BVG) blieb dagegen ohne Wortmeldungen und ohne Begründung im Wesentlichen unverändert. Gestrichen wurde - in der deutsch- und französischsprachigen Gesetzesfassung - einzig der Verweis auf Abs. 2 (entspricht dem neuen Abs. 1). Mangels weiteren Ausführungen dürfte dies auf redaktionelle Gründe zurückzuführen sein, da sich die Absätze, wie gesehen, um eine Stelle verschoben haben - was auch den Wortlaut des italienischen ![]() ![]() | |
3.3.4 Das Ziel eines Einkaufs von Beitragsjahren besteht im Aufbau bzw. in der Verbesserung der beruflichen Vorsorge. Dieses Ziel wird verfehlt, wenn die gleichen Mittel kurze Zeit später - bei kaum verbessertem Versicherungsschutz - der Vorsorgeeinrichtung wieder entnommen werden. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat deshalb seit jeher den Abzug nach Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG nicht zugelassen, wenn eine Steuerumgehung vorlag. Das ist dann der Fall, wenn missbräuchliche steuerminimierende, zeitlich nahe Einkäufe und Kapitalbezüge in und von Pensionskassen getätigt werden, mit denen nicht die Schliessung von Beitragslücken angestrebt wird, sondern die 2. Säule als steuerbegünstigtes "Kontokorrent" zweckentfremdet wird (vgl. nachfolgend E. 4.2; zum Ganzen auch Urteil 2C_488/2014 / 2C_489/2014 vom 15. Januar 2015 E. 2.1 mit ![]() ![]() | |
3.3.5 Angesichts dieser teleologischen Überlegungen führt die Auslegung im Ergebnis dazu, dass sich die in Art. 79b Abs. 4 BVG ![]() ![]() | |
Erwägung 4 | |
4.1 Das Bundesgericht hat im Urteil 2C_658/2009 / 2C_659/2009 vom 12. März 2010 festgehalten, mit Art. 79b Abs. 3 Satz 1 BVG sei die Rechtsprechung zur Verweigerung der Abzugsberechtigung wegen Steuerumgehung im Sinne einer einheitlichen und verbindlichen, insoweit abschliessenden gesetzlichen Regelung übernommen und konkretisiert worden ( BGE 142 V 169 E. 4.2.3 S. 175 f.; Urteile 2C_488/2014 / 2C_489/2014 vom 15. Januar 2015 E. 2.2; 2C_658/2009 / 2C_659/2009 vom 12. März 2010 E. 3.3 f.). Demnach ist grundsätzlich jede Kapitalauszahlung in der Dreijahresfrist missbräuchlich und jede während dieser Zeit erfolgte Einzahlung ist vom Einkommensabzug ausgeschlossen, ohne dass zu prüfen wäre, ob die Voraussetzungen einer Steuerumgehung gegeben sind (Urteile 2C_1051/2014 / 2C_1052/2014 vom 30. Juni 2015 E. 3; 2C_658/2009 / 2C_659/2009 vom 12. März 2010 E. 3.3.1). Dies bedeutet - entgegen dem Beschwerdeführer - freilich nicht, dass damit die Frage der Steuerumgehung abschliessend geregelt wird und eine Steuerumgehung ausgeschlossen ist, wenn die Sperrfrist eingehalten wird oder, wie vorliegend, diese keine Anwendung findet. Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung einzig festgehalten, dass in klaren Fällen, in denen der Kapitalbezug innerhalb von drei Jahren nach dem Einkauf erfolgt ist, keine Missbrauchsprüfung erforderlich ist (vgl. Urteil 2C_614/2010 vom 24. November 2010 E. 3.2.3), was sich bereits aus dem Gesetz ergibt. Die Überprüfung einer ![]() ![]() | |
4.3 Die Vorinstanz gewichtete den Zeitpunkt des Einkaufs, 1 3/4 Jahre vor dem geplanten Kapitalbezug, nicht stark. Jedoch erachtete sie es als offenkundig, dass mit dem Einkauf und dem kurz danach stattfindenden Kapitalbezug der Vorsorgeschutz des Beschwerdeführers ![]() ![]() | |
Dagegen wendet der Beschwerdeführer ein, die kurze Frist zwischen Einzahlung und Auszahlung dürfe überhaupt nicht gewichtet werden. Der Gesetzgeber habe die Möglichkeit zum späten Wiedereinkauf nach Scheidung bewusst geschaffen. Es könne ihm daher nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn er diese Möglichkeit nutze. Weiter seien weder die Veranlagungsbehörde noch die Vorinstanz ihrer Beweispflicht hinsichtlich der geltend gemachten Steuerumgehung nachgekommen. Es bestehe keine Einschränkung in dem Sinne, dass Pensionskasseneinkäufe ausschliesslich aus Arbeitseinkommen zu finanzieren wären. Weder die Finanzierung des Einkaufs mit Mitteln aus einem Darlehen noch die Ausgestaltung des Darlehensvertrags seien ungewöhnlich. Es sei legitim, das Vermögen als Darlehen ohne Verfall weiterzugeben. Dieses werde grundsätzlich erst auf den Tod hin fällig und habe damit die Wirkung eines Erbvorbezugs. Der Elternteil behalte sich hierbei einzig vor, die Mittel in einer Situation unvorhergesehener finanzieller Not wieder zurückzurufen. Die Vorinstanz habe ihm zudem zu Unrecht die Absicht einer Steuerersparnis unterstellt. Kapital- und Rentenbezug würden finanzmathematisch Äquivalente darstellen. Ausserdem fehle es auch an der effektiven Steuerersparnis. Die Frage, ob ein erheblicher Steuervorteil erzielt worden sei, sei durch Vergleich mit einem frühen Pensionskasseneinkauf, kurze Zeit nach der Scheidung, zu beantworten und nicht mit einem Vergleich zwischen spätem Einkauf und Verzicht auf einen Einkauf. Dabei zeige sich, dass er durch den ![]() ![]() | |
4.4 Die vom Beschwerdeführer einzeln dargelegten Elemente sind für sich allein betrachtet - wie dies schon die Vorinstanz ausgeführt hat - nicht zwangsläufig als ungewöhnlich oder absonderlich zu beurteilen. Jedoch indiziert das Vorgehen des Beschwerdeführers in seiner Gesamtheit eine missbräuchliche Steuerminimierung: Zwar ermöglicht Art. 79b Abs. 4 BVG einen Wiedereinkauf längere Zeit nach einer Scheidung. Weshalb er den Einkauf erst so spät nach der Scheidung (über 14 Jahre) bzw. kurz (1 3/4 Jahre) vor der Pensionierung und dem geplanten Kapitalbezug vorgenommen hat, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Da er selber offensichtlich nicht über die finanziellen Mittel verfügte, ihm diese vielmehr von seiner Mutter mit einem Darlehen zur Verfügung gestellt wurden, erscheint fragwürdig, weshalb er - sofern die Verbesserung des Vorsorgeschutzes im Vordergrund gestanden haben soll - das Darlehen nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt aufgenommen und den Wiedereinkauf getätigt hat. Wirtschaftlich und aus vorsorgetechnischen Gründen ergibt es jedenfalls keinen Sinn, eine Einzahlung vorzunehmen, um innert zweier Jahre denselben Betrag wieder zu beziehen. Der Vorsorgeschutz betreffend die Risiken Tod und Invalidität hat sich, wie der Beschwerdeführer selber eingesteht, mit dem Einkauf ohnehin nicht verbessert, da seine Pensionskasse die Höhe dieser Leistungen allein in Abhängigkeit vom versicherten Gehalt bestimmt. Hinsichtlich der Höhe der Altersleistungen ist zwar in der Verzinsung der Einkaufsbeträge eine gewisse Verbesserung auszumachen. Diese dürfte beim ausbezahlten Alterskapital von über 1,2 Mio. Franken jedoch marginal ausfallen. Weiter kommt hinzu, dass das Darlehen an den Beschwerdeführer gestaffelt ausbezahlt wurde. Da es gemäss Darlehensvertrag für den Einkauf in die Pensionskasse verwendet werden soll, ist anzunehmen, dass der Beschwerdeführer plante, auch im Steuerjahr 2014 eine Einzahlung vorzunehmen und einen entsprechenden Abzug geltend zu machen. Eine möglichst rasche Schliessung einer Vorsorgelücke kann damit zweifellos nicht ![]() ![]() | |