35. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Mai 1989 i.S. X. gegen X. (Berufung) | |
Regeste | |
Art. 156 Abs. 1 und 274 Abs. 1 ZGB; Zuteilung der Kinder im Falle der Scheidung.
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Sind die Voraussetzungen für die Kinderzuteilung bei beiden Eltern in gleicher Weise gegeben, behindert aber der eine Elternteil die Beziehungen der Kinder zum andern Elternteil, so verletzt er seine elterlichen Pflichten. Seine Erziehungsfähigkeit ist deshalb als schlechter zu beurteilen als diejenige des andern Elternteils, welcher die Kinder nicht negativ beeinflusst.
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Sachverhalt | |
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Als vorsorgliche Massnahme während des Scheidungsverfahrens wurden die beiden Kinder vorerst dem Vater zur Pflege und Erziehung zugesprochen. In der Folge einigten sich die Parteien auf ein gemeinsames Scheidungsbegehren und schlossen im November 1987 auch eine Vereinbarung über die Nebenfolgen der Scheidung, wonach die Kinder unter die elterliche Gewalt des Beklagten zu stellen seien. Sollte aber eines der Kinder oder beide je den Wunsch haben, mit der Klägerin zusammenzuleben, so werde der Beklagte diesen Wunsch respektieren und sich auch der Übertragung der elterlichen Gewalt nicht widersetzen. Im übrigen einigten sich die Parteien auch über ein ausgedehntes Besuchs- und Ferienrecht der Klägerin und darüber, dass sie an den Unterhalt der Kinder je Fr. 250.-- im Monat leisten solle.
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Anlässlich der Hauptverhandlung vor Bezirksgericht stellte die Klägerin indessen den Antrag, dass die Vereinbarung über die Nebenfolgen nicht zu genehmigen sei, dass vielmehr die Kinder ![]() ![]() | |
B.- Das Bezirksgericht schied mit Urteil vom 15. März 1988 die Ehe der Parteien, unterstellte die beiden Kinder der elterlichen Gewalt des Vaters, ordnete aber für die Überwachung des Besuchsrechts eine Erziehungsbeistandschaft im Sinne von Art. 308 Abs. 2 ZGB an und genehmigte die übrigen Punkte der Konvention.
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Das Obergericht des Kantons Thurgau hiess am 13. Dezember 1988 die Berufung der Klägerin gut und sprach die beiden Kinder Claudia und Marcel der Mutter zu unter Anordnung einer Erziehungsbeistandschaft gemäss Art. 308 Abs. 2 ZGB. Es räumte dem Beklagten das Recht ein, die beiden Kinder jedes zweite Wochenende zu sich auf Besuch und vier Wochen pro Jahr mit sich in die Ferien zu nehmen. Ferner verpflichtete ihn das Obergericht, für die beiden Kinder monatliche indexierte Unterhaltsbeiträge von je Fr. 600.-- zu bezahlen.
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C.- Der Beklagte legt beim Bundesgericht Berufung ein mit dem Begehren, in Abänderung des Urteils des Obergerichts sei die elterliche Gewalt über Claudia und Marcel auf ihn zu übertragen. Dazu verlangt er eine entsprechende Änderung der Besuchs- und Ferienregelung sowie der Unterhaltsbeitragspflicht. Eventualiter beantragt er, dass zur genauen Abklärung der Lebensverhältnisse der Kinder ein aktualisiertes Gutachten zu erstellen und ein Bericht der zuständigen Vormundschaftsbehörde einzuholen sei.
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Die Klägerin und das Obergericht schliessen auf Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
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4. Das Obergericht hat sich intensiv mit der Frage der Kinderzuteilung auseinandergesetzt. Es hat nicht verkannt, dass die Klägerin sich vorerst damit einverstanden erklärt hatte, dass die aus dem Kleinkindesalter herausgewachsenen Kinder der elterlichen Gewalt des Beklagten unterstellt werden. Das Obergericht hat aber auch zu Recht festgehalten, dass der Abschluss einer ![]() ![]() | |
a) Massgebend ist bei der Prüfung dieser Frage das Kindeswohl. Die Interessen der Eltern haben in den Hintergrund zu treten, und völlig ausser Betracht zu bleiben haben vor allem emotionale Widerstände des einen Ehegatten gegenüber dem die Scheidung begehrenden andern Ehegatten. Nachdem die Kinder sich in einem Alter befinden, in welchem sie an sich auf beide Eltern - ohne Vorgabe des einen oder andern - angewiesen sind, kann es entgegen der Auffassung des Obergerichts auch nicht mehr auf die mütterliche Vorgabe ankommen, welcher in den Entscheiden BGE 108 II 370 und BGE 109 II 194 noch eine vorrangige Bedeutung zugekommen ist. Die neueste Rechtsprechung geht vielmehr davon aus, dass zumindest bei nicht mehr ganz kleinen Kindern grundsätzlich - bei gleichen Voraussetzungen und bei gleicher Erziehungsfähigkeit - beide Eltern gleicherweise in den Genuss der elterlichen Gewalt gelangen können (BGE 114 II 203). Den Vorrang besitzt nach dieser Rechtsprechung jener Elternteil, welcher nach den gesamten Umständen die bessere Gewähr dafür bietet, dass sich die Kinder in geistig-psychischer, körperlicher und sozialer Hinsicht altersgerecht optimal entfalten können. Steht fest, dass diese Voraussetzungen und sodann die Möglichkeit, die Kinder persönlich zu betreuen, auf seiten beider Eltern ungefähr in gleicher Weise gegeben sind, ist dem Moment der örtlichen und familiären Stabilität und - je nach Alter der Kinder - allenfalls ihrem eindeutigen Wunsch Rechnung zu tragen.
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b) Angesichts dieser von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze lässt sich der Entscheid des Obergerichts im Ergebnis in keiner Weise beanstanden. Die Vorinstanz hat die gesamten Umstände grundsätzlich zutreffend gewürdigt.
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Das Obergericht hält fest, dass sich der Beklagte nicht nur widerrechtlich im Sinne des Kindesrechts verhält, sondern dass er, indem er die Gefühle seiner Kinder zum Spielball seiner "Strafaktion" gegen die Klägerin mache, auf die Kinder sogar einen ausgesprochen schädlichen Einfluss ausübe. Der Beklagte stelle die bei ihm wohnenden Kinder faktisch vor die Alternative, sich für ihn oder die Klägerin zu entscheiden, wodurch er den Widerstand der Kinder gegen die Mutter auslöse. Es fehle ihm ganz offensichtlich am Willen, sich auch nur zu einer minimalen Zusammenarbeit in Fragen des persönlichen Verkehrs zwischen Eltern und Kindern, geschweige denn in Erziehungsfragen bewegen zu lassen. Dass sich die Klägerin dabei nachsichtig zeige, geschehe offenkundig in der Absicht, die bestehende Konfliktsituation nicht zusätzlich und namentlich zu Lasten der Kinder zu verschärfen.
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Die Vorinstanz schliesst völlig zu Recht aus diesem Verhalten der Klägerin, dass bei ihr mehr Einsicht vorhanden ist als auf seiten des Beklagten. Es ist ihr damit die bessere Erziehungsfähigkeit zu attestieren. In Übernahme der Schlussfolgerungen der Gutachterin hält das Obergericht in diesem Zusammenhang dafür, dass die Klägerin die Beziehungen der Kinder zu ihrem Vater ![]() ![]() | |
c) Das Obergericht hat mit diesem Entscheid nicht nur kein Bundesrecht verletzt, sondern offensichtlich im wohlverstandenen Interesse der beiden Kinder entschieden. Es hält zutreffend fest, dass es unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls nicht zu verantworten wäre, eine gleichsam programmierte Schädigung von Marcel in Kauf zu nehmen. Nach der Feststellung der Vorinstanz lässt sich die Umplazierung der Kinder an einen nur wenige Kilometer entfernten Ort aber auch unter dem Gesichtspunkt der auf seiten der Klägerin zweifellos vorhandenen und wohl besseren erzieherischen Fähigkeiten sowie ihrer Bereitschaft zur Kindererziehung und -betreuung verantworten. ![]() |