24. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Mai 1962 i.S. Katholischer Gesellenverein Luzern gegen Achermann. | |
Regeste | |
Verlegung eines Wegrechts auf ein anderes Grundstück, das an das belastete angrenzt und dem gleichen Eigentümer gehört.
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Sachverhalt | |
A.- Der Katholische Gesellenverein Luzern ist Eigentümer der aneinandergrenzenden Grundstücke Nr. 577 (Weystrasse 17, Ecke Weystrasse/Friedenstrasse) und Nr. 579 (Friedenstrasse 8) in Luzern. Er steht im Begriff, auf dem Grundstück Nr. 577 anstelle eines abgebrochenen Hauses zur Erweiterung des Vereinshauses auf Grundstück Nr. 579 einen Neubau zu errichten, und beabsichtigt, nach dessen Fertigstellung auch das Haus auf Grundstück Nr. 579 umzubauen.
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Anton Achermann ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 578 (Weystrasse 15, Ecke Weystrasse/Hofstrasse), das südlich an das Grundstück Nr. 577 grenzt und auf dem ein Wohn- und Geschäftshaus steht.
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Die Gebäude des Gesellenvereins und Achermanns bilden zusammen mit weitern Gebäuden ein Baugeviert, das einen Hofraum umschliesst, dessen Längsaxe von Ost nach West verläuft.
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Gestützt auf Grunddienstbarkeiten sind sämtliche Anstösser dieses Hofes berechtigt, über einen 3 m breiten Weg in dessen Längsaxe frei zu verkehren und den über das Grundstück Nr. 579 führenden, das Haus Friedenstrasse 8 querenden Durchgang von 3,5 m Breite nach der Friedenstrasse als Zugang und Zufahrt zur Hofseite ihrer Häuser zu benützen. Dieses Durchfahrtsrecht besteht insbesondere auch zugunsten des Grundstücks Nr. 578 (Achermann). Ausserdem ist jeder Anstösser berechtigt, seinen Hofanteil gegen den in der Längsaxe des Hofs verlaufenden Weg einzufriedigen.
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B.- Mit Klage vom 28. April 1961 stellte der Gesellenverein unter Berufung auf Art. 742 ZGB das Begehren, er sei für berechtigt zu erklären, das zugunsten Achermanns eingetragene Durchfahrtsrecht auf seine Kosten vom Grundstück Nr. 579 hinweg auf das Grundstück Nr. 577 zu verlegen, so dass die Durchfahrt nicht mehr in die Friedenstrasse, sondern nahe dem Hause Achermanns in ![]() ![]() | |
In Übereinstimmung mit dem Amtsgericht Luzern-Stadt hat das Obergericht des Kantons Luzern am 22. November 1961 die Klage abgewiesen, und zwar in erster Linie mit der Begründung, die Verlegung einer Dienstbarkeit auf ein anderes Grundstück könne nach dem Gesetz nicht verlangt werden.
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Auf Berufung des Gesellenvereins hin weist das Bundesgericht die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
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Durch die Ausübung des hier streitigen Wegrechts wird nur ein Teil des belasteten Grundstücks Nr. 579 in Anspruch genommen. Die erste Voraussetzung für die Anwendung von Art. 742 ZGB ist im vorliegenden Fall also erfüllt.
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Bezüglich der "andern Stelle", auf die der Eigentümer des belasteten Grundstücks die Dienstbarkeit gegebenenfalls verlegen lassen kann, stellt das Gesetz in ausdrücklicher Form nur das Erfordernis auf, dass sie für den Berechtigten nicht weniger geeignet sein dürfe. Eine ausdrückliche ![]() ![]() | |
Dies bedeutet aber nur, dass der Eigentümer des belasteten Grundstücks ein Gesuch um Verlegung einer Dienstbarkeit auf ein anderes Grundstück nicht unmittelbar auf Art. 742 ZGB stützen kann. Dagegen bleibt die Frage offen, ob eine solche Verlegung unter Umständen in analoger Anwendung von Art. 742 ZGB erfolgen könne. Diese Möglichkeit lässt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht mit der Begründung ausschliessen, dass Art. 742 ZGB eine Ausnahmevorschrift sei und daher nicht extensiv ausgelegt und nicht analog angewendet werden dürfe. Die neuere Methodenlehre lehnt dieses formalistische Argument, das in der Praxis gelegentlich verwendet wird, mit Recht ab (vgl. EGGER, 2. Aufl., N. 19, und MEIER-HAYOZ N. 191 zu Art. 1 ZGB; die an der zuletzt genannten Stelle zit. Entscheide BGE 80 II 327 und BGE 84 II 112 bilden indes keine Beispiele für die Verwendung dieses Arguments). Bei der Beurteilung der Frage, ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen die Verlegung einer Grunddienstbarkeit ![]() ![]() | |
4. In Art. 742 ZGB liegt, wie HITZIG (ZSR 1900 S. 383 ff.) und LEEMANN (N. 2 zu Art. 742 ZGB) zutreffend hervorgehoben haben, eine besondere Anwendung des althergebrachten, vom ZGB in Art. 737 Abs. 2 ausgesprochenen Grundsatzes, dass der Berechtigte verpflichtet ist, sein Recht in möglichst schonender Weise (civiliter) auszuüben. Der gesetzgeberische Grund des Art. 742 besteht "in dem öffentlichen (volkswirtschaftlichen) Interesse der Verhinderung jeder unnötigen Beschränkung des Eigentümers in der wirtschaftlich zweckmässigen Benutzung seines Eigentums" (LEEMANN a.a.O.). Das Bedürfnis nach einer zweckmässigen, sinnvollen Ordnung der Bodennutzung hat sich seit dem Erlass des ZGB mit der Zunahme der Bevölkerung noch wesentlich verstärkt. Eine engherzige Anwendung von Art. 742 ZGB ist daher, wie der Beklagte)dies mit Recht geltend macht, nicht am Platz. Vielmehr entspricht es der ratio legis, in analoger Anwendung dieser Bestimmung grundsätzlich auch die Verlegung auf ein an das belastete Grundstück angrenzendes, dem gleichen Eigentümer gehörendes Grundstück zuzulassen, ![]() ![]() | |
Die Erwägungen, mit denen die Vorinstanz, vom Hinweis auf den bereits besprochenen Gesetzeswortlaut abgesehen, ihre abweichende Auffassung zu begründen sucht, sind nicht stichhaltig. Es trifft keineswegs zu, dass dann, wenn die Verlegung einer nur auf einem Teil des belasteten Grundstücks ausgeübten Dienstbarkeit auf ein anderes Grundstück zugelassen wird, notwendigerweise auch die Verlegung einer Dienstbarkeit gestattet werden müsse, die "auf dem ganzen Grundstück ausgeübt wird". Richtig ist dagegen, dass die Verlegung auf ein anderes Grundstück unter Umständen die Sicherheit der Dienstbarkeit gefährden kann, wenn dieses andere Grundstück mit Hypotheken stark belastet ist. Dies ist aber kein Grund dafür, die Verlegung auf ein anderes Grundstück überhaupt auszuschliessen, sondern kann nur dazu führen, die Verlegung in Fällen zu verweigern, wo eine solche Gefährdung zu befürchten ist. Endlich kann für die Anwendung von Art. 742 ZGB nicht massgebend sein, dass in Deutschland, wo eine dem Art. 742 ZGB entsprechende Vorschrift besteht (§ 1023 BGB), die überwiegende Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung eine Verlegung der Dienstbarkeit auf ein anderes Grundstück ablehnt (vgl. die Hinweise bei STAUDINGER/RING, ![]() ![]() | |
5. Die Verlegung einer Dienstbarkeit auf ein benachbartes Grundstück desselben Eigentümers hat wie die Verlegung innerhalb des belasteten Grundstücks zur Voraussetzung, dass der Eigentümer im Sinne von Art. 742 ZGB ein Interesse nachweist (vgl. hiezuBGE 57 II 156) und die Kosten der Verlegung übernimmt, und dass die neue Stelle für den Berechtigten nicht weniger geeignet, also auf jeden Fall (vgl. den französischen Text) für die Ausübung der Dienstbarkeit nicht weniger bequem ist. (Die Frage, ob der Belastete die Verlegung gegen Entschädigung unter Umständen auch dann verlangen könne, wenn die neue Stelle für den Berechtigten etwas weniger gut geeignet ist, stellt sich im vorliegenden Falle wenigstens einstweilen nicht, da der Kläger ein Begehren auf Verlegung gegen Entschädigung bisher nicht gestellt hat; vgl. zu dieser Frage im übrigenBGE 43 II 37ff. - Zum ![]() ![]() | |
Von der Frage, ob die neue Stelle für den Berechtigten als solchen gleich oder weniger gut geeignet sei, ist die Frage zu unterscheiden, ob sich der Berechtigte der Verlegung eines Wegrechts gegebenenfalls mit der Begründung widersetzen könne, dass der Weg nicht nur ihm, sondern auch dem Belasteten und weitern Anstössern zur Verfügung stehe und dass sich aus der Benützung des verlegten Wegs durch alle diese Personen unzulässige Einwirkungen auf sein eigenes Grundstück ergäben. Die Befürchtung solcher Einwirkungen ist praktisch der Hauptgrund, weshalb der Beklagte sich der vom Kläger verlangten Verlegung der streitigen Durchfahrt in die Nähe seines Hauses widersetzt. Daneben hat er für den Fall, dass die Verlegung einer Dienstbarkeit auf ein Nachbargrundstück als an sich zulässig erachtet ... werden sollte, abgesehen vom Einwand, dass die erwähnten Voraussetzungen für eine solche Verlegung im vorliegenden Falle fehlen würden, auch noch geltend gemacht, durch diese Verlegung würden sein Einfriedigungsrecht verletzt und die Belastung seines Bodens durch das allgemeine Wegrecht in der Längsaxe des Hofraums vermehrt.
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Angesichts aller dieser noch offenen Fragen lässt sich ![]() ![]() ![]() |