22. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Juni 1959 i.S. Doyle gegen Goetz. | |
Regeste | |
1. Art. 1 URG, Urheberrecht.
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b) Hat der Verfasser an den Namen von Gestalten eines Romans Urheberrecht? (Erw. 4). Wann sind solche Gestalten und ihr Benehmen urheberrechtlich geschützt? (Erw. 5, 6).
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c) An der dialektischen Methode der Führung der Gespräche in einem literarischen Werk besteht kein Urheberrecht (Erw. 7).
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d) Die freie Benutzung des Werkes ist zulässig, wenn dadurch eine eigentümliche Schöpfung hervorgebracht wird. Unterschied zwischen freier Benutzung und Bearbeitung (Erw. 8).
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2. Art. 2 ZGB, Rechtsmissbrauch.
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Missbraucht das Recht, wer mehr als zwanzig Jahre zuwartet, um Ansprüche aus Verletzung von Persönlichkeitsrechten und unlauterem Wettbewerb geltend zu machen? (Erw. 9).
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Sachverhalt | |
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Nach dem Roman "A Study in Scarlet" verfasste Doyle weitere drei Romane und sechzig kürzere Erzählungen, in denen er Sherlock Holmes und Dr. Watson in den sich stets gleich bleibenden Rollen des Detektivs bzw. Berichterstatters auftreten liess. Holmes und Watson wurden der Öffentlichkeit so vertraut, dass viele sich einbildeten, diese Gestalten lebten. Mancher Leser ging Sherlock Holmes unter der Anschrift "Baker Street 221 B" in London brieflich um Rat und Hilfe an. Die Bücher über seine Erlebnisse wurden in grossen Auflagen im Originaltext und in zahlreichen Übersetzungen immer neu herausgegeben und in Filmen usw. bearbeitet.
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Von 1932 an wurde die Komödie des Bühnenschriftstellers Curt Goetz "Dr. med. Hiob Prätorius" aufgeführt, die seither auch im Buchhandel erschienen ist. Im ersten und siebenten Bild treten Sherlock Holmes und Dr. Watson auf, die sich bemühen, die Ursache des Todes des Dr. med. Hiob Prätorius und seiner Gattin zu ergründen. Die Bilder 2-6 geben dem Zuschauer Einblick in das Leben der beiden Verstorbenen.
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Am 17. Juli 1956 reichte Adrian Malcolm Conan Doyle gegen Goetz beim Appellationshof des Kantons Bern Klage ein. Er beantragte unter anderem, es sei festzustellen, dass der Beklagte durch Verwendung der Gestalten des Sherlock Holmes und des Dr. Watson im Stück "Dr. med. Hiob Prätorius" und eventuell in literarischen, filmischen und anderen Bearbeitungen und Fassungen dieses Werkes die Urheberrechte des Klägers verletzt habe. Der Appellationshof wies am 1. Juli 1958 dieses Begehren ab. Der Kläger erklärte die Berufung und beantragte, es sei gutzuheissen. Das Bundesgericht wies es ab.
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2. Die Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst in der Fassung vom 2. Juni 1928 trat am 1. August 1931 sowohl für Grossbritannien als auch für die Schweiz in Kraft (BS 11 960, 962). In der neuen Fassung vom 26. Juni 1948 gilt sie für die Schweiz seit 2. Januar 1956 (AS 1955 1092) und für Grossbritannien seit 15. Dezember 1957 (Le Droit d'Auteur 1957 225). Auf Grund der alten Fassung, Art. 4 Abs. 1 und 2, genoss daher der Kläger in der Schweiz für die Werke des Conan Doyle ohne Erfüllung einer Förmlichkeit die gleichen Rechte, die das schweizerische Gesetz den schweizerischen Urhebern einräumt. Dieser Schutz steht ihm seit 15. Dezember ![]() ![]() | |
5. Eine andere Frage ist, ob Doyle die Personen, die in seinen Geschichten die Namen "Sherlock Holmes" und "Dr. John H. Watson" führen, in origineller Weise ausgestaltet hat, so dass sie für sich allein, losgelöst vom literarischen Gesamtwerk, eigenartige Schöpfungen im Sinne des Urheberrechtsgesetzes wären, ähnlich wie z.B. das Bild ![]() ![]() | |
Doyle war nicht der erste, der in Kriminalgeschichten einen nach der deduktiven Methode arbeitenden und den anderen Leuten an Klugheit überlegenen Meisterdetektiv auftreten liess. Insbesondere Edgar Allan Poe (1809-1849) und Emile Gaboriau (1835-1873) taten das vor ihm. Die von der Vorinstanz ernannten Sachverständigen sind der Auffassung, Doyle habe die Werke dieser Schriftsteller bewusst als Vorbilder genommen und er habe in der Gestalt des Sherlock Holmes lediglich das Urbild des idealen Detektivs gesehen, es dem Leser überlassend, ihn in Gedanken menschlich näher auszugestalten.
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Das trifft zu. Löst man die Gestalt des Sherlock Holmes von den Geschehnissen der einzelnen Erzählung los, so bleibt nur wenig, was sie kennzeichnet. Hiegegen lässt sich nicht einwenden, dass Doyle mit seinen Kriminalgeschichten ausserordentliche Erfolge erzielt habe. Diese sind nicht darauf zurückzuführen, dass er dem Sherlock Holmes in schöpferischer Weise andere Eigenschaften, als sie beim Typ des Meisterdetektivs anzutreffen sind, angedichtet, d.h. ihn vermenschlicht hätte. Anziehend an den Erzählungen Doyles ist nicht die Person des Detektivs, sondern die detektivische Kunst, die er am einzelnen Kriminalfall zur Schau trägt, sowie die Spannung, die durch den Inhalt der einzelnen Geschichte und die Art ihrer Darstellung, Entwicklung und Aufklärung erzeugt wird. Dem Kläger ist nicht beizupflichten, wenn er glaubt, frei erfundene Gestalten seien immer urheberrechtlich geschützt. Richtig ist, dass auch ein nicht besonders wertvolles literarisches Werk diesen Schutz geniesst. Es muss aber immerhin Züge einer eigenartigen geistigen Schöpfung aufweisen und darf nicht lediglich in der Übernahme und banalen Ausschmückung von Gemeingut bestehen. Gewiss mag ![]() ![]() | |
Auch Dr. Watson entbehrt der nötigen Originalität, um als Gestalt urheberrechtlich geschützt zu sein. Wie die Sachverständigen ausführen, ist schon in den Kriminalgeschichten von Poe der etwas begriffsstutzige Freund des Detektivs als Berichterstatter zu finden. Dr. Watson ist gleichsam nur das Sprachrohr des Conan Doyle und verblasst als Figur neben den detektivischen Leistungen des Sherlock Holmes und den bearbeiteten Kriminalfällen noch mehr als die Person des Detektivs selber.
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Der Beklagte verletzte somit dadurch, dass er Sherlock Holmes und Dr. Watson in seinem Bühnenstück auftreten liess, keine Urheberrechte des Klägers, wie immer auch seine beiden Figuren denjenigen des Klägers nachgebildet sein mögen.
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6. Der Kläger sieht eine Verletzung seiner Urheberrechte auch in der Art und Weise, wie Sherlock Holmes ![]() ![]() | |
Auch unter diesem Gesichtspunkt könnte jedoch von einer Verletzung von Urheberrechten nur die Rede sein, wenn und soweit das Verhalten der beiden Figuren in den Kriminalgeschichten Doyles ein schöpferisches Gepräge hätte. Die Nachmachung allein greift nicht in Urheberrechte ein, wenn sie sich nur auf ein Benehmen bezieht, das nicht originell ist.
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Von Originalität aber kann in den Punkten, in denen der Kläger die Figuren des Conan Doyle in ihrem Verhalten nachgemacht sieht, nicht die Rede sein. So versteht sich von selbst, dass der Beklagte Sherlock Holmes und Dr. Watson, wenn er sie schon in das Bühnenstück übernehmen wollte, in ihren freundschaftlichen Beziehungen darstellen und miteinander im Zwiegespräch auftreten lassen musste. Es ist nicht einem schöpferischen Gedanken Doyles zuzuschreiben, dass der Detektiv in den Kriminalgeschichten einem ihm an Scharfsinn unterlegenen Freund gegenübersteht, mit dem er sich über die aufzuklärenden Fälle unterhält. Dass Sherlock Holmes vor Beginn des Zwiegespräches tief über einen Fall nachdenkt und dem Freund dann eine überraschende Frage stellt, um mit ihm ins Gespräch zu kommen, ist eine sich aufdrängende Art, ihn als Detektiv darzustellen, der an der Aufklärung eines Falles arbeitet und den Freund in seine Gedankengänge einführen will. Wenn hierauf der Freund mit scheinbar unerklärlichen Feststellungen überrascht wird, so liegt auch das in der Natur der Sache, nicht nur, weil dem Freund das deduktive Denken von Natur aus weniger liegt, sondern auch, weil der Leser oder Zuschauer zur Erzielung der Spannung erst nach und nach Einblick in die Gedankengänge des Detektivs erhalten darf. Dessen Rolle bringt es auch mit sich, dass er den Freund mit paradoxen Sätzen belehrt. Dadurch wird die Überlegenheit des Detektivs unterstrichen, die Geschichte geheimnisvoller gestaltet ![]() ![]() ![]() ![]() | |
Der Kläger hat kein Urheberrecht an dieser Methode. Sie ist nicht die geistige Schöpfung Conan Doyles, sondern wird, wie die Sachverständigen betonen, in der neuzeitlichen Schriftstellerei allgemein bevorzugt.
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8. Der Beklagte hat die Werke Doyles nach den Ausführungen der Sachverständigen auch in der Art des detektivischen Vorgehens während der Rahmenhandlung (erstes und siebentes Bild) und im Aufbau des ganzen Stückes mit Ausschluss des Abschlussrahmens nachgeahmt. Die Sachverständigen tun jedoch überzeugend dar, dass das Bühnenstück des Beklagten trotz dieser Anlehnung eine freie, selbständige Geistesschöpfung von künstlerischer Individualität ist. Gewiss sind sie der Meinung, dass die Gestalten des Sherlock Holmes und des Dr. Watson in der Gesamtwirkung des Stückes nicht verblassen. Sie messen dem aber mit Recht keine Bedeutung bei, denn der Beklagte hat diese Figuren mit den ihnen zugedachten besonderen Rollen in das Bühnenstück eingebaut und dadurch ein Werk eigener Prägung geschaffen. Die erwähnten Nachahmungen, die übrigens vom Kern des Stückes ![]() ![]() | |
Hätte der Kläger auf Feststellung solcher Eingriffe geklagt, so hätte ihm übrigens der Einwand des Rechtsmissbrauches, wenn nicht sogar der Verwirkung, entgegengehalten werden können. Der Kläger hat es während mehr als zwanzig Jahren unangefochten geschehen lassen, dass ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |