41. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Mai 1956 i.S. Puorger gegen Heinrich. | |
Regeste | |
Bau auf fremdem Grundstück. Ersatzansprüche des bauenden Materialeigentümers. Art. 672 Z GB.
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2. Wann ist der bauende Materialeigentümer als gutgläubig zu betrachten? (Erw. 4).
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3. Art. 672 Abs. 1 ZGB ist dahin zu ergänzen, dass der Grundeigentümer den auf eigene Kosten bauenden gutgläubigen Materialeigentümer nach Ermessen des Richters auch für den ihm ausser dem Materialwert entstandenen Bauaufwand zu entschädigen hat (Erw. 5).
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Sachverhalt | |
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"Die Ehegatten Clà und Anna Puorger-Thun sind nach reiflicher Überlegung zum Entschluss gelangt, bereits heute ihr Haus Nr. 62 A ... zwischen ihren fünf Kindern teilen zu lassen. Die Kinder ziehen unter sich das Los, und diese Losziehung hat ergeben, dass das Haus der Tochter Anna Mengia Heinrich zufällt, welche von heute an einzige Eigentümerin des obgenannten Hauses wird. Zum Haus gehört auch der umliegende Boden, welcher auch ![]() ![]() | |
Die Urkunde trägt die Unterschrift der beiden Eltern und der fünf Kinder, ferner die Genehmigung der Vormundschaftsbehörde für den minderjährigen Sohn Lüzza. Auch Men Heinrich, der Ehemann der vom Los begünstigten Tochter Anna Mengia, unterzeichnete mit. Nach der Meinung der Vertragschliessenden sollte die begünstigte Tochter ihre Geschwister durch entsprechende Barbeträge abfinden. Unter der im Vertrag verwendeten Bezeichnung "Haus Nr. 62 A" wurde das Wohnhaus (Nr. 62) mit dem Anbau (Nr. 62 A) verstanden.
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B.- Der Vertrag wurde beim Grundbuchamte zur Eintragung angemeldet. Der Grundbuchführer legte ihn dem kantonalen Grundbuchinspektorat vor, da sich Zweifel über die formelle Gültigkeit erhoben. Er erhielt Bescheid, es handle sich um einen Erbvertrag, der in der Form einer öffentlichen letztwilligen Verfügung abgeschlossen werden müsste, und wies die Anmeldung daher ab.
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C.- Die Parteien gingen jedoch, ohne sich um die Schaffung einer Grundlage für die Eintragung zu kümmern, an den Vollzug ihrer Abmachung. Men Heinrich liess in der Zeit vom April bis September 1951 den einstöckigen Anbau Nr. 62 A um ein Stockwerk erhöhen, um dort mit seiner Frau Wohnung zu nehmen. Ferner errichtete er im Haus Nr. 62 ein Magazin, baute den Keller aus und liess diese Räume mit dem Anbau Nr. 62 A direkt verbinden. Vater Puorger, der bis zum 1. September 1951 Laden und Wirtschaft noch weiterführte, legte beim Aus- und Umbau bisweilen selber mit Hand an. Die gesamten Baukosten stellten sich auf Fr. 43'468.65 und wurden von Men Heinrich bezahlt. Dieser bezog auf den 1. September 1951 mit ![]() ![]() | |
D.- Im Lauf des Jahres 1952 trat bei Vater Puorger ein Sinneswandel ein. Er hatte von einem verwandten Juristen vernommen, dass der aufgesetzte und allseits unterschriebene Vertrag vom 29. Dezember 1950 aus Formgründen unverbindlich und er Eigentümer der beiden Gebäude geblieben sei. Da sein Sohn Schimun zu dieser Zeit vor der Verehelichung stand und einer Wohnung bedurfte, wollte er nunmehr diesem das Wohnhaus Nr. 62 abtreten und den Eheleuten Heinrich nur noch den Anbau Nr. 62 A überlassen. Er legte Men Heinrich den Entwurf zu einem Kaufvertrage vor, wonach dieser den Anbau in seiner ursprünglichen Gestalt nebst Laden- und Wirtschaftsinventar zum Preise von Fr. 23'100.-- erstehen sollte. Der Entwurf enthielt zudem eine Klausel, laut welcher Keller und Magazin des Hauses Nr. 62 dem Eigentümer des Hauses Nr. 62 A vermietet werden sollten. Im Falle von Unannehmlichkeiten sollte es aber dem Eigentümer des Hauses Nr. 62 freistehen, diese Räumlichkeiten zu kündigen und den Zugang zu vermauern.
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E.- Men Heinrich weigerte sich, zu diesem Vertrage Hand zu bieten. Er beharrte auf einer rechtsgültigen Abfassung und auf der Eintragung des sog. Erbvertrages vom Jahre 1950. Vater Puorger schlug dieses Begehren ab und verkaufte am 6. Juli 1952 das Wohnhaus Nr. 62 dem Sohn Schimun. Dieser kündigte in der Folgezeit dem Schwager Keller und Magazin. Die Eheleute Heinrich entschlossen sich hierauf zum Auszug. Heinrich nahm eine Stelle als Buchhalter in St. Moritz an. Am 10. Juni 1953 erfolgte ![]() ![]() | |
F.- Am 16. Juli 1953 erhob Men Heinrich gegen seinen Schwiegervater Clà Puorger Klage auf Bezahlung der von ihm aufgewendeten Baukosten von Fr. 43'468.65 nebst Zins zu 5% seit 10. Juni 1953, ferner auf Bezahlung von Fr. 555.34 nebst Zins zu 5% seit 10. Juni 1954 aus Warenlieferung. Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bot er vor Bezirksgericht eine Entschädigung von Fr. 20'000.-- für das vom Kläger verbaute Material an.
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G.- Das Bezirksgericht schützte die erste Forderung im herabgesetzten Betrag von Fr. 39'000.-- und die zweite von Fr. 555.34 ganz; sie war anerkannt unter Vorbehalt einer Gegenforderung, auf die das Gericht aus formellen Gründen nicht eintrat. Dem Kläger wurde ferner Zins zugesprochen, jedoch nur zu 3 1/2%.
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H.- Gegen dieses Urteil legte der Beklagte Appellation ein, der sich der Kläger anschloss. Mit Urteil vom 23. August 1955 erhöhte das Kantonsgericht die Forderung aus Einbau auf Fr. 43'443.80 nebst Zins zu 5% seit 10. Juni 1953 und sprach ferner die Forderung aus Warenlieferung von Fr. 544.34 nebst Zins zu 5% seit 16. Juli 1953 zu.
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I.- Mit vorliegender Berufung stellt der Beklagte die Anträge 1. auf Aufhebung des kantonsgerichtlichen Urteils, 2. auf bloss teilweise Gutheissung der Klage im Betrage von Fr. 20'555.34 nebst Zins zu 2 1/2% seit 10. Juni 1953, 3. eventuell auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Schätzung des beim Umbau seines Hauses verwendeten Baumaterials, welchen Betrag er nebst Zins zu 3% seit Fälligkeit zu zahlen hätte, 4. und 5. ... (Kosten).
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Der Kläger trägt auf Bestätigung des angefochtenen Urteils an.
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1. Die Aktivlegitimation des Klägers zur Geltendmachung des streitigen Entschädigungsanspruches ist ![]() ![]() | |
3. Das Kantonsgericht hat dem Kläger vollen Ersatz gewährt in Anwendung von Art. 672 Abs. 2 ZGB. Die Begründung geht dahin, der Beklagte sei als bösgläubig zu betrachten, während der Kläger als gutgläubig erscheine. Mit Recht hält jedoch der Beklagte die erwähnte Bestimmung nicht für anwendbar. Der Tatbestand, auf den sie sich unmittelbar bezieht - böser Glaube des bauenden Grundeigentümers - liegt zweifellos nicht vor. Denn gebaut hat nicht der Beklagte, sondern der Kläger. Nun ist freilich Art. 672 Abs. 2 analog anzuwenden, wenn der Grundeigentümer, ohne selber zu bauen, einen andern arglistig fremdes Material einbauen liess, d.h. ihn dazu veranlasste oder ihn gewähren liess, ohne ihn auf seinen Irrtum aufmerksam zu machen. Auch in einem solchen Falle trifft der gesetzgeberische Grund der in der erwähnten Bestimmung vorgesehenen vollen Schadenersatzpflicht zu: bösgläubige Bereicherung seiner selbst zum Nachteil des gutgläubigen Materialeigentümers. Dass aber dem Beklagten ein solches Verhalten nicht vorgeworfen werden ![]() ![]() | |
4. Der Beklagte möchte seinerseits den Kläger als bösgläubig betrachtet wissen und ihn daher auf eine minimale Vergütung gemäss Art. 672 Abs. 3 ZGB verweisen. Bei bösem Glauben des bauenden Materialeigentümers kann danach der Richter "auch nur dasjenige zusprechen, was der Bau für den Grundeigentümer allermindestens wert ist". Nach der oben erwähnten Feststellung des Kantonsgerichtes war aber der Kläger während der ganzen ![]() ![]() | |
5. Kommt somit keine der Spezialbestimmungen, Art. 672 Abs. 2 oder Abs. 3, zur Anwendung, so bleibt es bei der allgemeinen Regel von Art. 672 Abs. 1, die den Grundeigentümer verpflichtet, "für das Material eine angemessene Entschädigung zu leisten". Diese Vorschrift bedarf indessen der Ergänzung; denn sie fasst nur das fremde Material ins Auge, sodass die Frage offen bleibt, wie es mit den übrigen Baukosten zu halten sei, die allenfalls dem bauenden Materialeigentümer oder einem Dritten erwachsen sind und deren Gegenwert nun zusammen mit dem Wert des Materials im vollendeten Bau liegt. Bei der Materialvergütung kann es sein Bewenden haben, wenn der Grundeigentümer selber das fremde Material verwendet hat, sodass die übrigen Baukosten ohnehin ihm erwachsen sind. Hat aber der Materialeigentümer, wie hier, auf eigene Kosten eingebaut, so ist dem ihm dadurch entstandenen, zum Wert des Materials hinzugetretenen Aufwande gleichfalls Rechnung zu tragen. Die einschränkende Auslegung des Art. 672 Abs. 1 ZGB durch den Beklagten, wonach nur für das Baumaterial "unter Ausschluss sonstigen Bauaufwandes" Entschädigung zu leisten wäre, ![]() ![]() | |
Auch in dieser Hinsicht kann der Richter nach Art. 672 Abs. 1 ZGB die gegebenen Umstände nach seinem Ermessen berücksichtigen. Indessen ist das Kantonsgericht, obwohl von Art. 672 Abs. 2 ausgehend, durch Zusprechung der gesamten Baukosten nicht zu weit gegangen. Der Um- und Ausbau, wie ihn der Kläger - vor den Augen des dabei noch mithelfenden Beklagten - vornahm, war nach dem Beweisergebnis zweckmässig und der dafür ergangene Kostenaufwand nicht übersetzt. Es ist recht und billig, den Beklagten zu vollem Ersatz zu verpflichten, was ihn nicht mehr kostet, als wenn er selber sein Grundeigentum so ausgestaltet hätte. Er wendet ein, für ihn habe die bauliche Veränderung nicht soviel Wert. Aber darauf kann es nicht ankommen, nachdem der Kläger im Vertrauen auf seine Erklärungen in guten Treuen gebaut hat. Bei dieser Sachlage kann der gerechte Ausgleich nur in der vollen Entlastung des Klägers bestehen.
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6. Im übrigen ist nur noch der Verzugszins von 5% ![]() ![]() | |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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