11. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.A., B.A. und C.A gegen Staatssekretariat für Migration (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
1C_141/2022 vom 19. Dezember 2022 | |
Regeste | |
Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 83 lit. b und Art. 90 BGG; Art. 14 lit. c und d aBüG; Beschwerde ans Bundesgericht gegen einen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts, mit dem dieses eine Beschwerde gegen die Verweigerung der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung durch das Staatssekretariat für Migration (SEM) abwies.
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Es verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn die urteilende Behörde der betroffenen Person keine Gelegenheit gibt, sich zu Internetquellen zu äussern, die sie als entscheidwesentlich erachtet und die nicht bloss objektivierbare Fakten enthalten (E. 3).
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Die Verfassungsmässigkeit einer Einbürgerung setzt eine individuelle Prüfung und Zuordnung der gesetzlichen Voraussetzungen voraus. Namentlich beim Kriterium des Risikos für die öffentliche Sicherheit und Ordnung genügt die familiäre Beziehung zu einer anderen Person, bei der das Vorliegen einer entsprechenden Gefahr bejaht wird, für sich allein nicht (E. 4).
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Sachverhalt | |
A.a Die israelischen Staatsangehörigen A.A. und B.A. leben seit Dezember 2005 in der Schweiz und erhielten am 17. November 2016 die Niederlassungsbewilligung. Sie haben drei gemeinsame Kinder namens D.A. (geb. 2000), E.A. (geb. 2006) und C.A. (geb. 2014). D.A. und E.A. erwarben am 7. Oktober 2015 bzw. am 21. Februar 2018 die schweizerische Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung.
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A.b Am 15. Dezember 2017 ersuchten A.A., B.A. und C.A. beim Migrationsamt des Kantons Genf um Erteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung. Das Migrationsamt erteilte am 4. Juli 2018 das Kantonsbürgerrecht unter Vorbehalt der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung und beantragte eine solche am gleichen Tag beim Staatssekretariat für Migration (SEM). Mit Schreiben vom 19. September 2019 informierte das SEM die Gesuchsteller, es erachte eine Einbürgerung als nicht möglich. Sie unterstützten den Bruder von B.A., F., welcher der Geldwäscherei verdächtigt werde, mit Geldern illegaler Herkunft und hätten Zugang zu russisch-ukrainischen Kreisen der organisierten Kriminalität. Die engen Verbindungen zwischen den Familien A. und F. stünden einer Einbürgerung mit Blick auf die Sicherheit, den Ruf und die Integrität der Schweiz entgegen. Am 8. November 2019 hielten die drei Gesuchsteller an ihren Anträgen fest. Nachdem den Gesuchstellern im Rahmen einer prozessualen Auseinandersetzung über die Erteilung der Akteneinsicht eine solche teilweise gewährt worden war, wies das SEM am 20. Mai 2020 das Gesuch um Erteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung ab. ![]() | |
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht beantragen A.A., B.A. und C.A., das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und das SEM zu verpflichten, ihnen die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung zuhanden des Kantons Genf zu erteilen; eventuell sei die Sache zur weiteren Behandlung an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuweisen. (...)
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Das SEM sowie das Bundesverwaltungsgericht verzichteten auf eine Stellungnahme. (...)
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Streitsache an das Bundesverwaltungsgericht zurück zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen.
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(Auszug)
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Erwägung 2 | |
2.1 Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts im Zusammenhang mit dem Erwerb und Verlust der Schweizer Staatsangehörigkeit zählen zum öffentlichen Recht, weshalb dagegen grundsätzlich Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht geführt werden kann (Art. 51 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 2014 über das Schweizer Bürgerrecht [Bürgerrechtsgesetz, BüG; SR 141.0] i.V.m. Art. 82 ff. BGG). Wie die Beschwerdeführenden zutreffend ausführen, ist jedoch umstritten, ob die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht gegen Entscheide über die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung offensteht. Das Bundesgericht hat sich dazu noch nicht abschliessend geäussert. Im als Einzelrichterentscheid gefällten Urteil 1C_238/2008 vom 28. Mai 2008 E. 4 wurde die Frage offengelassen, weil schon aus einem anderen Grund auf die Beschwerde nicht einzutreten war. Im Schrifttum ist die Zulässigkeit der Beschwerde umstritten. Mehrheitlich wird sie bejaht (so BIAGGINI/UHLMANN, Rechtsschutzlücken, in: Evaluation der Bundesrechtspflege, Felix Uhlmann [Hrsg.], 2014, S. 35 ff., S. 79 Rz. 89; THOMAS HÄBERLI, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 47 und 49 zu Art. 83 BGG; ![]() ![]() | |
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2.4 Aus historischer Sicht ging es im Zusammenhang mit der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung bei der am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Justizreform in erster Linie darum, den Zugang ans neu geschaffene Bundesverwaltungsgericht zu öffnen. Der Gesetzgeber sah aber offenbar, wie bereits dargelegt, keine Notwendigkeit, den ausdrücklichen Ausschluss der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht gemäss der altrechtlichen Bundesrechtspflege ins Bundesgerichtsgesetz zu übernehmen. Der bundesrätliche Entwurf des Bundesgerichtsgesetzes schlug denn auch überhaupt keine Ausnahme des Beschwerderechts gegen Einbürgerungsentscheide vor (vgl. BBl 2001 4499 f.). Die heutige Bestimmung von Art. 83 lit. b BGG fand über den Ständerat Eingang ins Gesetz. In der ![]() ![]() | |
2.5 In systematischer Hinsicht ergibt sich zunächst, dass Art. 83 lit. c BGG in Ziff. 1, 3, 4 und 5 sowie teilweise in Ziff. 2, 4 und 6 mehrere Formen von Bundesentscheiden auf dem Gebiet des Ausländerrechts ausdrücklich von der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ausnimmt. Lit. c der Bestimmung regelt die Ausnahmen deutlich detaillierter als lit. b. Das legt nahe, dass die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung darin ebenfalls ausdrücklich erwähnt sein müsste, um insofern die Beschwerde auszuschliessen. Sodann führt der Ausschluss der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten dazu, dass gegen Bundesentscheide gar kein Rechtsmittel an das Bundesgericht offensteht (vgl. MERZ/VON RÜTTE, a.a.O., S. 1287 Rz. 22.137; DE WECK, Migrationsrecht, a.a.O., N. 3 zu Art. 13 BüG). Gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide kann hingegen noch die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nach Art. 113 ff. BGG ergriffen werden. Damit steht in jedem Fall gegen den kantonalen Entscheid die Beschwerde ans Bundesgericht zur Verfügung. Die Rügen sind diesbezüglich aber beschränkt auf die behauptete Verletzung von verfassungsmässigen Rechten (Art. 116 BGG). Für die Überprüfung der Anwendung von kantonalem Recht, das auch bei der ordentlichen Einbürgerung ergänzend wirksam sein kann, ist das für die bundesgerichtliche Rechtspflege typisch. Für die Auslegung und Anwendung von Bundesrecht erscheint es demgegenüber systemfremd, wenn dem Bundesgericht nur eine Verfassungskontrolle, namentlich Willkürkognition, zusteht; kennzeichnend ist in solchen Konstellationen vielmehr die Befugnis des Bundesgerichts, die einheitliche Umsetzung des Bundesrechts frei zu überprüfen. Das gilt namentlich dann, wenn das Bundesverwaltungsgericht Vorinstanz des Bundesgerichts ist (vgl. Art. 95 lit. a BGG). Zudem wurde mit dem - hier allerdings noch nicht massgeblichen - neuen Bürgerrechtsgesetz unter anderem eine grössere gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Rechtsanwendung bezweckt. Das ![]() ![]() | |
Gilt der Ausschluss der ordentlichen Beschwerde ans Bundesgericht, kann das sodann zu einer unbefriedigenden verfahrensrechtlichen Situation führen, wenn das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts mangelhaft ist. Die Prozesslage ist dabei nicht dieselbe wie bei anderen Ausnahmetatbeständen wie beispielsweise bei Entscheiden auf dem Gebiet des Asyls (vgl. Art. 83 lit. d BGG). In solchen Fällen ist - abgesehen von hier nicht interessierenden Ausnahmen (Art. 83 lit. d Ziff. 1 und 2 BGG) - jeglicher Zugang ans Bundesgericht ausgeschlossen. Im Unterschied dazu kann bei der ordentlichen Einbürgerung immer noch der kantonale Einbürgerungsentscheid letztinstanzlich beim Bundesgericht angefochten werden. Die kantonalen Behörden sähen sich diesfalls einem fehlerhaften, aber rechtskräftigen Bundesentscheid gegenüber. Sie müssten diesen anwenden, falls er nicht geradezu nichtig wäre. Offen ist, wie weit allenfalls das Bundesgericht letztinstanzlich damit umzugehen hätte. Für die Verfahrensbeteiligten und dabei insbesondere die betroffenen Einbürgerungswilligen kann sich daraus eine unzumutbare Situation ergeben.
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Insgesamt sprechen die systematischen Zusammenhänge für die Zulässigkeit der Beschwerde ans Bundesgericht gegen Entscheide über die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung.
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Weder ist die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung besonders technisch noch ist insofern mit einer so grossen Anzahl von Beschwerden zu rechnen, dass dies zu einer Überlastung des Bundesgerichts führen würde. Auch ist kein besonderer Bedarf an einer Verfahrensbeschleunigung ersichtlich, der die Verkürzung des Rechtswegs rechtfertigen würde. Der Grund für die Ausnahme der Beschwerde bei der ordentlichen Einbürgerung lag vielmehr beim früheren Verständnis dieser Einbürgerungsform als hauptsächlich politischen Akt. Heute wird der Einbürgerungsentscheid demgegenüber als Hoheitsakt verstanden, auf den die rechtsstaatlichen Grundsätze staatlichen Handelns uneingeschränkt anwendbar sind und der einer gerichtlichen Beurteilung zugänglich ist (dazu etwa AEMISEGGER, a.a.O., N. 15 zu Art. 83 BGG; UEBERSAX, a.a.O., S. 183 ff.). Dies gilt ebenfalls für die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung. Mit dem Wegfall der politischen Konnotation der Einbürgerungsbewilligung besteht aus teleologischer Sicht kein Anlass mehr, diese der justiziellen Kontrolle durch das Bundesgericht zu entziehen (vgl. MERZ/VON RÜTTE, a.a.O., S. 1287 Rz. 22.137).
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Der Entscheid des SEM über die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung wird selbstständig eröffnet und kann als solcher beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden. Wird in diesem Verfahren verneint, dass die bundesrechtlichen Voraussetzungen einer Einbürgerung erfüllt sind, verbleibt dem Kanton grundsätzlich kein Handlungsspielraum, um trotzdem die ordentliche Einbürgerung zu gewähren. Er ist an den Bundesentscheid gebunden. Der Rechtsstreit ist damit auch dann materiell erledigt, wenn der Kanton formell noch über das Einbürgerungsgesuch befinden muss. In der Sache geht das Verfahren nur weiter, wenn das SEM die ![]() ![]() | |
Erwägung 3 | |
3.2 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Dieser ist formeller Natur. Seine Verletzung führt ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 137 I 195 E. 2.2 mit Hinweis). Zum Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV zählt insbesondere im ![]() ![]() | |
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3.5 Der angefochtene Entscheid leidet an einem entsprechenden Mangel und ist angesichts der formellen Natur des Anspruchs auf rechtliches Gehör schon deswegen aufzuheben. Das Bundesverwaltungsgericht wird den Beschwerdeführenden die Gelegenheit zur ![]() ![]() | |
Erwägung 4 | |
4.2 In E. 7.5 des angefochtenen Entscheids führt die Vorinstanz aus, bei der Prüfung der von der gesuchstellenden Person ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit dürfe auch das Verhalten ihrer Familienmitglieder mitberücksichtigt werden. Sie beruft sich dabei unter anderem auf die Botschaft vom 20. März 1901 über die Revision des Bundesgesetzes betreffend die Erteilung des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe (BBl 1901 II 485), auf ihre eigene Rechtsprechung (so namentlich auf BVGE 2019 VII/5 E. 6.1.2) sowie auf eine Literaturstelle, die sich allerdings wiederum weitgehend auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abstützt (SOW/MAHON, a.a.O., N. 36 zu Art. 14 BüG). Die Vorinstanz schliesst im vorliegenden Fall auf ein Sicherheitsrisiko auf Seiten der Beschwerdeführenden hauptsächlich aufgrund der Machenschaften des Bruders der Beschwerdeführerin. Die Verfassungsmässigkeit einer Einbürgerung setzt jedoch eine individuelle Prüfung und Zuordnung der gesetzlichen Voraussetzungen voraus. Ohne eigenen Bezug zum Sicherheitsrisiko, das von Familienangehörigen ausgeht, kann ein solches bei der ordentlichen Einbürgerung nicht von Belang sein. Die familiäre Beziehung für sich allein genügt dafür nicht. Etwas anderes liefe auf eine rechtsstaatlich unzulässige Sippenhaft im Einbürgerungsverfahren hinaus. Insofern besteht ein gewisser Unterschied zur Ausweisung nach Art. 68 AIG (SR 142.20), bei der im Übrigen gerade wegen ihres politischen Charakters ein Weiterzug an das Bundesverwaltungsgericht ausgeschlossen ist (vgl. Art. 32 Abs. 1 lit. a VGG [SR 173.32]; MARC SPESCHA, Migrationsrecht, a.a.O., N. 1 zu Art. 68 AIG), sowie zu den bundesrätlichen, ebenfalls politischen Massnahmen nach Art. 185 BV. In der deutlich jüngeren Botschaft des Bundesrats von 1987 zur im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmung von Art. 14 lit. d aBüG ist denn auch nur von der Gefährdung durch den Gesuchsteller die Rede, ohne dass im ![]() ![]() | |
4.4 Das Bundesverwaltungsgericht wird bei der Neubeurteilung der Beschwerde auch bei den beiden übrigen Beschwerdeführenden individuell zu prüfen haben, ob der erforderliche Konnex jeweils vorliegt. Eine Kollektivbeurteilung ohne individuellen Bezug ist hingegen nicht zulässig. Im Übrigen fällt auf, dass die Beschwerdeführenden seit Jahren in der Schweiz leben, ohne dass die Behörden darin bisher eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit erblickt zu haben scheinen. Das Bundesverwaltungsgericht wird daher auch zu prüfen und gegebenenfalls zu erläutern haben, weshalb es sich unter dem Gesichtspunkt des Gefährdungskriteriums rechtfertigen sollte, den Aufenthalt der Beschwerdeführenden in der Schweiz als unbedenklich, deren Einbürgerung aber als ausgeschlossen zu beurteilen. ![]() |