3. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
1C_759/2021 vom 19. Dezember 2022 | |
Regeste | |
Art. 49, 109 und 122 BV; § 34 KV/BS; § 8a Abs. 3 lit. a des Gesetzes des Kantons Basel-Stadt vom 5. Juni 2013 über die Wohnraumförderung (WRFG); abstrakte Normenkontrolle; Rückkehrrecht von Mietparteien nach einer Sanierung.
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Sachverhalt | |
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"1 Sämtliche Umbau-, Renovations- und Sanierungsvorhaben, die über den einfachen ordentlichen Unterhalt hinausgehen, unterliegen in Zeiten der Wohnungsnot einer Bewilligungspflicht gemäss §§ 8d und 8e. In den Fällen von § 8c genügt eine Meldepflicht. Dies gilt für das ordentliche, vereinfachte und generelle Baubewilligungsverfahren sowie für das Meldeverfahren und Kanalisationsbegehren.
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2 Keiner Bewilligung gemäss Abs. 1 bedürfen Umbau, Renovation und Sanierung, die aufgrund einer rechtskräftigen behördlichen Verfügung oder im Interesse von öffentlichen Bauten und Anlagen oder des gemeinnützigen Wohnungsbaus erforderlich sind.
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3 Die Bewilligung wird erteilt, wenn in der Folge:
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a) den Mietparteien das Recht zur Rückkehr in die sanierte oder umgebaute Liegenschaft zusteht und
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b) die gemäss §§ 8b bis 8e festgelegten Mietzinse eingehalten werden."
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Die angenommenen Änderungen sollen gemäss Initiativtext sechs Monate nach Annahme der Volksinitiative, d.h. am 28. Mai 2022, in Kraft treten. Nachdem der Regierungsrat die Inkraftsetzung dieser Änderungen am 29. Juni 2021 auf den 1. Januar 2022 angesetzt hatte, kam er mit Beschluss vom 7. Dezember 2021 darauf zurück. ![]() ![]() | |
B. Mit Eingabe vom 10. Dezember 2021 erhebt A. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen die beschlossene Änderung des WRFG beim Bundesgericht und gleichzeitig Beschwerde beim Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt gegen die neue Verordnung vom 26. April 2022 über den Schutz von Wohnraum (WRSchV; SG 861.540). Er beantragt dem Bundesgericht im Wesentlichen, es sei festzustellen, dass die Initiative bzw. die Teiländerung des WRFG verfassungswidrig ist. (...)
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut. Es hebt § 8a Abs. 3 lit. a WRFG auf. Im Übrigen weist es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Auszug)
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4.1 In der Sache rügt der Beschwerdeführer, die neu in das WRFG eingefügte Bestimmung - angesprochen ist § 8a Abs. 3 WRFG (s. nicht publ. E. 3) - missachte den Vorrang des Bundesrechts gemäss Art. 49 i.V.m. Art. 109 und Art. 122 BV. Er bringt vor, beim neuen § 8a Abs. 3 WRFG handle es sich um einen direkten Eingriff in das Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter und damit nicht um kantonales öffentliches Recht, sondern um eine (unzulässige) Bestimmung des Privatrechts. Gemäss Art. 122 Abs. 1 BV sei die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts Sache des Bundes. Nach Art. 109 Abs. 1 BV sei der Bund zuständig für den Erlass von Vorschriften gegen Missbräuche im Mietwesen. Die Bundesgesetzgebung im Mietrecht sei abschliessend. Der neu in das WRFG aufgenommene § 8a Abs. 3 sei als Massnahme des Mieterschutzes gegen missbräuchliche Mietzinse zu verstehen. Dieser Bereich werde ![]() ![]() | |
(...)
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"1Der Staat sorgt für die zweckmässige und umweltschonende Nutzung des Bodens im Rahmen einer auf die grenzüberschreitende Agglomeration abgestimmten Siedlungsentwicklung. Er wahrt und fördert die Wohnlichkeit wie auch die städtebauliche Qualität.
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2Er fördert im Interesse eines ausgeglichenen Wohnungsmarktes den Wohnungsbau. Er achtet dabei auf ein angemessenes Angebot vor allem an familiengerechten Wohnungen. In gleicher Weise fördert er den Erhalt bestehenden bezahlbaren Wohnraums in allen Quartieren.
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3In Zeiten von Wohnungsnot sorgt er, entsprechend den überwiegenden Bedürfnissen der Wohnbevölkerung, dafür, dass diese vor Verdrängung durch Kündigungen und Mietzinserhöhungen wirksam geschützt wird. Dies gilt insbesondere für die älteren und langjährigen Mietparteien.
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4Um bestehenden bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, ergreift er, ergänzend zum bundesrechtlichen Mieterschutz, alle notwendigen wohnpolitischen Massnahmen, die den Charakter der Quartiere, den aktuellen Wohnbestand sowie die bestehenden Wohn- und Lebensverhältnisse bewahren.
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5Diese Massnahmen umfassen auch die befristete Einführung einer Bewilligungspflicht verbunden mit Mietzinskontrolle bei Renovation und Umbau sowie Abbruch von bezahlbaren Mietwohnungen.
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6Wohnungsnot besteht bei einem Leerwohnungsbestand von 1,5 Prozent oder weniger."
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Wie der Regierungsrat im erwähnten Bericht an den Grossen Rat festgehalten hat, sorgt der Staat in Zeiten von Wohnungsnot gemäss § 34 Abs. 3 KV/BS entsprechend den überwiegenden Bedürfnissen der Wohnbevölkerung dafür, dass diese vor Verdrängung wirksam geschützt wird. Damit existiere in Zeiten der Wohnungsnot grundsätzlich ein öffentliches Interesse am Erhalt des bestehenden bezahlbaren Mietwohnraums und am Schutz der Mieterinnen und Mieter solchen Wohnraums vor Verdrängung. Es bestehe dagegen kein öffentliches Interesse daran, für jeglichen Wohnraum zu jeder Zeit Massnahmen zu treffen, wie es der Wortlaut der Initiative teilweise vorsehe. Obwohl sich aus der Einbettung des neuen § 8a in das Kapitel II. "Schutz bestehenden Wohnraums" des WRFG ergebe, dass sämtlicher Wohnraum von der Bewilligungspflicht erfasst wäre, also auch Einfamilienhäuser, sei davon auszugehen, dass die ![]() ![]() | |
"Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat der Bund den privatrechtlichen Kündigungsschutz abschliessend geregelt. Der Kanton Basel-Stadt könnte damit beispielsweise nicht vorsehen, dass Mieterinnen oder Mietern, die das 64. bzw. 65. Altersjahr überschritten haben, nicht gekündigt werden kann. Demgegenüber sind aber verhältnismässige sozialpolitische Massnahmen zulässig, die indirekt vor Verdrängung durch Kündigungen und Mietzinserhöhungen schützen können, wie z. B. die befristete Einführung einer Bewilligungspflicht für Abbrüche. Den Änderungen von § 34 KV-BS kann somit ein Sinn beigemessen werden, der sie nicht klarerweise als vor Bundesrecht unzulässig erscheinen lässt (Günstigkeitsprinzip). Sie erweisen sich als bundesrechtskonform und sind damit zu gewährleisten. Die kantonalen Ausführungsbestimmungen müssen indessen mit dem höherrangigen Recht, insbesondere mit dem Mietrecht, vereinbar sein." (Verweisungen unterdrückt)
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Die Bundesversammlung hat diese Änderung der KV/BS mit Bundesbeschluss vom 22. März 2019 gewährleistet (BBl 2019 2861).
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4.4.4 Ob eine streitige Zivilsache im Sinne von Art. 1 lit. a ZPO oder eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit vorliegt, beurteilt sich nach der Rechtsnatur des Streitgegenstands. Für die Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht hat die Lehre mehrere Methoden entwickelt, insbesondere die Interessen-, die Funktions- und die Subordinationstheorie. Das Bundesgericht nimmt die Abgrenzung gestützt auf verschiedene Methoden vor, wobei keiner a priori der Vorrang zukommt (Methodenpluralismus). Vielmehr prüft es in jedem Einzelfall, welches Abgrenzungskriterium den konkreten Gegebenheiten am besten gerecht wird. Damit trägt es dem Umstand Rechnung, dass der Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht ganz unterschiedliche Funktionen zukommen, die sich ![]() ![]() | |
Selbst wenn das Rückkehrrecht im Hinblick auf seine Kompatibilität mit § 34 KV/BS - und entgegen dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik - nach Ankündigung des Regierungsrats nur bei "bezahlbaren" Mietwohnungen eingeräumt werden soll (vorne E. 4.4.2), bleibt die Konkretisierung des öffentlichen Interesses am Schutz von Mietparteien bezahlbaren Mietwohnraums während einer Wohnungsnot pauschal. Es bedarf namentlich keiner ![]() ![]() | |
Auch die übrigen Abgrenzungsmethoden führen zu keinem anderen Schluss. § 8a Abs. 3 lit. a WRFG steht nämlich nicht in einem näheren Zusammenhang mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe und hat keine öffentliche Aufgabe zum Gegenstand. Die Bestimmung betrifft das Verhältnis zwischen gleichgestellten Privaten und zieht zivilrechtliche Konsequenzen nach sich. Nach allen Abgrenzungsmethoden ist das in § 8a Abs. 3 lit. a WRFG vorgesehene Rückkehrrecht in eine Mietwohnung nach einer Sanierung oder einem Umbau zivilrechtlicher Natur. Daran ändert auch nichts, dass das Rückkehrrecht nicht direkt eingeräumt wird, sondern bloss die öffentlich-rechtliche Bewilligung des Umbaus, der Renovation oder der Sanierung von der Einräumung dieses Rückkehrrechts abhängig gemacht wird. Die öffentlich-rechtliche Sanktionierung einer zivilrechtlichen kantonalen Bestimmung macht diese nicht zu einer öffentlich-rechtlichen.
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Der Kündigungsschutz im Mietrecht ist jedoch im Bundeszivilrecht abschliessend geregelt (s. nicht publ. E. 4.2.2 und 4.2.3; sowie BGE 113 Ia 126 E. 9d). Die angefochtene Bestimmung greift direkt in das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter ein. Wie der Bundesrat in seiner Botschaft zur Gewährleistung von § 34 KV/BS festgehalten hat (BBl 2018 7750; vorne E. 4.4.3), sind indirekte, verhältnismässige sozialpolitische Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Verdrängung durch Kündigungen und Mietzinserhöhungen zulässig, nicht aber direkte Eingriffe. Die Gewährleistung der KV/BS durch die Bundesversammlung ist folglich nicht dahingehend zu verstehen, dass sich diesbezüglich etwas ändern sollte. Wie bereits erwähnt (vorne E. 4.4.1), ist ferner nicht ersichtlich, dass das Rückkehrrecht der Sicherstellung preisgünstigen Wohnraums in Zeiten der Wohnungsnot dienen könnte. ![]() | |
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