14. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Kanton Bern und Grosser Rat des Kantons Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
2C_418/2020 vom 21. Dezember 2021 | |
Regeste | |
Art. 8 Abs. 1, Art. 49, Art. 108 Abs. 1, Art. 127 Abs. 1 BV; Art. 14 Abs. 1 StHG; Art. 56 Abs. 1 lit. d und Art. 182 Abs. 1 StG/BE bzw. Art. 2 Abs. 4 AND/BE, je in der Fassung vom 9. März 2020; verfassungsrechtliche Unhaltbarkeit eines Medians im Bereich von 70 Prozent des Verkehrswerts unbeweglichen Vermögens.
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Die fakultative kommunale Liegenschaftssteuer des Kantons Bern, bei welcher es sich um eine Objektsteuer handelt, darf bei der Bemessung des unbeweglichen Vermögens nicht berücksichtigt werden, da das Vermögen zum Verkehrswert zu bewerten ist (E. 4.6).
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Aufhebung von Art. 2 Abs. 4 AND/BE, wonach für die Festsetzung der amtlichen Werte ein Ziel-Medianwert im Bereich von 70 Prozent der Verkehrswerte anzustreben ist (E. 4.7).
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Sachverhalt | |
A.a Im Nachgang zum Urteil 2C_463/2017 / 2C_466/2017 vom 9. August 2019 verabschiedete der Grosse Rat des Kantons Bern am 9. März 2020 folgende Neufassung von Art. 182 Abs. 1 des Steuergesetzes des Kantons Bern vom 21. Mai 2000 (StG; BSG 661.11; nachfolgend: StG/BE 2000):
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"Haben sich im Grossteil des Kantons oder im ganzen Kanton seit der letzten allgemeinen Neubewertung die Verkehrs- oder Ertragswerte erheblich verändert, ordnet der Grosse Rat durch Dekret eine allgemeine Neubewertung der Grundstücke und Wasserkräfte an. Er bestimmt den Ziel-Medianwert, den Stichtag und die Bemessungsperiode."
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Gleichzeitig überarbeitete er - neben weiteren Bestimmungen, die hier nicht einschlägig sind - den Art. 56 Abs. 1 lit. d StG/BE 2000. Konkret ergänzte er den bestehenden Wortlaut mit einem Verweis auf die Liegenschaftssteuer. Die revidierte Norm lautete demnach wie folgt:
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"Die Bewertung erfolgt ... für die übrigen Grundstücke und die ihnen gleichgestellten Rechte sowie für Konzessionen aufgrund des Verkehrswerts unter Berücksichtigung von Ertrags- und Realwert, soweit dieses Gesetz keine Ausnahme vorsieht; die Festlegung erfolgt massvoll unter Berücksichtigung der Förderung der Vorsorge, der Eigentumsbildung und der Belastung durch die Liegenschaftssteuer."
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Die Referendumsvorlage wurde im Amtsblatt des Kantons Bern vom 1. April 2020, S. 117, veröffentlicht, worauf die Referendumsfrist bis zum 1. Juli 2020 lief. Das fakultative Referendum wurde nicht ![]() ![]() | |
A.b In Ausführung des revidierten Art. 182 Abs. 1 StG/BE 2000 änderte der Grosse Rat am 10. März 2020 auch Art. 2 des Dekrets des Grossen Rates des Kantons Bern vom 21. März 2017 über die allgemeine Neubewertung der nichtlandwirtschaftlichen Grundstücke und Wasserkräfte (AND; BSG 661.543; nachfolgend: AND/BE 2017). Er fügte dem Artikel einen vierten Absatz an, der folgendermassen lautet:
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"Für die Festsetzung der amtlichen Werte ist ein Ziel-Medianwert im Bereich von 70 Prozent der Verkehrswerte anzustreben."
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Die Publikation erfolgte in der Bernischen Amtlichen Gesetzessammlung vom 22. April 2020. Auch diese Änderung trat rückwirkend auf den 1. Januar 2020 in Kraft (BAG 20-021).
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B. Mit Eingabe vom 20. Mai 2020 erhebt A. beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beanstandet, dem Grossen Rat des Kantons Bern fehle im Bereich der amtlichen Bewertung die Zuständigkeit zur Festlegung eines Zielwertes (erste Rüge; nicht publ. E. 3); zudem verstosse ein Zielwert, der einen Median im Bereich von 70 Prozent des Verkehrswerts anstrebe, gegen Bundesrecht (zweite Rüge; E. 4).
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Das Bundesgericht hat die Sache am 21. Dezember 2021 öffentlich beraten und ist zur Gutheissung der Beschwerde gelangt.
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(Zusammenfassung)
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Erwägung 4 | |
4.1 In einer zweiten Rüge bringt der Beschwerdeführer vor, die streitbetroffene Norm verstosse dadurch gegen Bundesrecht, dass sie einen Ziel-Medianwert von 70 Prozent des Verkehrswerts vorsieht. Nach der bundesgerichtlichen Praxis widerspreche es dem Bundesrecht, wenn eine Bewertung angestrebt werde, die "generell deutlich unter dem realen Marktwert" liege. Selbst wenn Schätzungen naturgemäss ungenau ausfielen, bedinge dies keine Festlegung eines Zielwerts von 70 Prozent. Der Median von 70 Prozent des Verkehrswerts sei in erster Linie eigentumspolitisch motiviert und in diesem Ausmass unzulässig. Aufgrund dieser Vorgehensweise kolidiere Art. 2 Abs. 4 AND/BE 2017 mit Art. 14 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten ![]() ![]() | |
Erwägung 4.4 | |
4.4.1 Der harmonisierten Vermögenssteuer von Kantonen und Gemeinden unterliegt das gesamte Reinvermögen (Art. 13 Abs. 1 StHG). Die Bewertung des beweglichen und unbeweglichen Vermögens ist Gegenstand von Art. 14 StHG. Das Vermögen wird zum Verkehrswert bewertet, wobei der Ertragswert angemessen berücksichtigt ![]() ![]() | |
4.4.3 Was unter dem unbestimmten Rechtsbegriff des Verkehrswerts zu verstehen sei, stellt eine Rechtsfrage dar, während der Preis, der ![]() ![]() | |
Das Bundesgericht spricht in einem älteren Entscheid gar von einer "minimalen Streubreite von 20 Prozent" (BGE 128 I 240 E. 2.6). Entsprechend dürfen die Veranlagungsbehörden auch bei der Bewertung des unbeweglichen Vermögens zu Schematisierungen und Pauschalisierungen greifen (BGE 124 I 193 E. 3e und 4a). Solche sind im Abgaberecht, das als Massenverwaltungsrecht ausgestaltet ist, aus praktischen und veranlagungsökonomischen Gründen unvermeidlich und in einem gewissen Ausmass zulässig, auch wenn dabei die rechtsgleiche Behandlung nicht durchwegs gewährleistet ist (BGE 140 II 167 E. 5.5.2; BGE 131 I 291 E. 3.2.2; siehe auch BGE 142 V 577 E. 5.4). Massenfallrecht liegt namentlich auch vor, wenn es um die kantonsweite Bewertung des unbeweglichen Vermögens geht (Urteil 2C_38/2021 vom 3. März 2021 E. 3.5.2). ![]() | |
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Es ist deshalb zulässig, den Steuerwert aufgrund schematischer, vorsichtiger Schätzungen zu bemessen, die der notwendigen Schematisierung und der zwangsläufigen Unsicherheit der Bewertung Rechnung tragen. Wenn daraus Steuerwerte resultieren, die im Durchschnitt unterhalb des effektiv realisierbaren Verkehrswerts liegen, so ist dies in einem gewissen Rahmen verfassungsrechtlich haltbar (BGE 131 I 291 E. 3.2.2 [Kanton Schwyz]; BGE 128 I 240 E. 3.1.1 und 3.2.2 S. 249; BGE 124 I 145 E. 6c, BGE 124 I 159 E. 2h S. 168 [Kanton Tessin], 193 E. 4a). Dies gilt jedenfalls, soweit der niedrigere Ansatz sich durch die Ungenauigkeit der Schätzung sachlich rechtfertigen lässt (BGE 124 I 193 E. 4b S. 200).
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Insgesamt ist bei der Bewertung des unbeweglichen Vermögens "vorsichtig" (BGE 124 I 145 E. 6c) bzw. "massvoll" vorzugehen, wie das im Kanton Bern in Art. 56 Abs. 1 lit. d StG/BE 2000 vorgesehen ist, dies auch, um Überbewertungen abzuwenden (BGE 124 I 193 E. 4b; BGE 128 I 240 E. 3.3.1 und 3.4.1). Die bernische Gesetzgebung entspricht insoweit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung.
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4.4.8 Art. 14 Abs. 1 StHG lässt ausdrücklich zu, den Ertragswert "angemessen" ("de façon appropriée", "adeguatamente") zu berücksichtigen. Das Bundesgericht hat auch eine kantonale Regelung geschützt, die bei Mietliegenschaften nur auf den kapitalisierten Ertragswert abstellte (BGE 134 II 207 E. 3.7-3.9 [Kanton Genf]). Hingegen ist es sowohl nach Art. 14 StHG als auch nach dem allgemeinen Gebot der Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 1 BV) unzulässig, unabhängig vom jeweiligen Ertragswert eine generell deutlich unter dem realen Marktwert liegende Bewertung anzustreben (BGE 124 I 145 E. 6b, BGE 124 I 159 E. 2h S. 168, 193 E. 4b S. 200; BGE 131 I 291 E. 2.5.1). Ebenso unzulässig wäre es, die Vermögensbesteuerung von unbeweglichem ![]() ![]() | |
4.4.10 Nach ständiger bundesgerichtlicher Praxis ist darüber hinaus die Berücksichtigung eigentumspolitischer Ziele zulässig, weswegen der Steuerwert mehr oder weniger deutlich unter dem Verkehrswert liegen kann (BGE 124 I 145 E. 6b; BGE 128 I 240 E. 3.1.1), freilich nur für Wohnbauten (BGE 124 I 159 E. 2h). Im Kanton Bern bestimmt Art. 104 Abs. 2 der Verfassung vom 6. Juni 1993 (KV/BE; SR 131.212), dass die Steuern der natürlichen Personen so zu bemessen sind, "dass die wirtschaftlich Schwachen geschont werden, der Leistungswille der Einzelnen erhalten bleibt und die Selbstvorsorge gefördert wird" (Auszeichnung durch das Bundesgericht). Diese verfassungsrechtliche, von der Bundesversammlung gewährleistete Vorgabe (Bundesbeschluss vom 22. September 1994 über die Gewährleistung der Verfassung des Kantons Bern, BBl 1994 III 1883; vgl. zur Tragweite der Gewährleistung insb. BGE 145 I 259 E. 5.1; BGE 142 I 99 E. 4.3.3) ist für den kantonalen Gesetzgeber verbindlich (BGE 143 I 272 E. 2.2.1). Entsprechend hat dieser in Art. 56 Abs. 1 lit. d Halbsatz 2 StG/BE 2000 (in der ursprünglichen Fassung vom 21. Mai 2000) angeordnet, dass der Vermögenssteuerwert ![]() ![]() | |
Erwägung 4.5 | |
4.5.4 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers besagt ein Median von 70 Prozent nicht, dass sich sämtliche Werte im ![]() ![]() | |
Erwägung 4.6 | |
4.6.1 Der Kanton macht jedoch geltend, dass sich unter Berücksichtigung der Belastung durch die Liegenschaftssteuer ein bundesrechtskonformer Wert ergebe. Der Kanton Bern kennt wie einige andere ![]() ![]() | |
Erwägung 4.6.2 | |
4.6.2.1 Gemäss Art. 56 Abs. 1 lit. d StG/BE 2000 in der Fassung vom 9. März 2020 (vgl. Sachverhalt Bst. A.a) soll die Bewertung des unbeweglichen Vermögens auch unter Berücksichtigung der Belastung durch die Liegenschaftssteuer erfolgen. In Befolgung dieser Bestimmung hat der Grosse Rat einen Ziel-Medianwert von 70 Prozent festgelegt.
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4.6.2.2 Der Kanton führt in seiner Vernehmlassung aus, dass unter Berücksichtigung der Liegenschaftssteuer bei einem Median von 77 Prozent die Eigentümer von unbeweglichem Vermögen durchwegs stärker belastet würden als die Eigentümer von beweglichem Vermögen. Unter der Annahme, dass bewegliches Vermögen zum effektiven Verkehrswert (Art. 14 StHG) bewertet wird, wäre damit die Belastung des unbeweglichen Vermögens höher als dieser Wert. Der Kanton beruft sich dazu auf die Berechnungen, die der Regierungsrat in seinem Vortrag vom 13. November 2019 an den Grossen Rat angestellt hat. Der Beschwerdeführer stellt diese Berechnungen als solche nicht in Frage.
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1. Die besondere steuerliche Belastung von Grundeigentümern sei nicht zu beanstanden, solange diese Besteuerungen ausschliesslich dazu bestimmt seien, die durch das Grundeigentum verursachten Kosten des Gemeinwesens zu decken (so die Grundeigentümerbeiträge).
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2. Auch das bewegliche Vermögen sei mit besonderen Steuern belastet, wie etwa die eidgenössische Stempelsteuer oder analoge kantonale Abgaben.
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3. Es sei ohnehin problematisch, eine Ungleichbehandlung mit einer anderen zu kompensieren. Im konkreten Fall sei nicht nachgewiesen, dass die genannten kantonalen Abgaben eine korrekte Kompensation der Unterbewertung von unbeweglichem Vermögen darstellten.
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Inwieweit diese Aussagen auch heute noch Geltung beanspruchen, braucht hier nicht weiter untersucht zu werden.
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Erwägung 4.6.5 | |
4.6.5.1 Zu berücksichtigen ist, dass die Prüfung in BGE 124 I 159 einzig unter verfassungsrechtlichem Aspekt erfolgte und noch nicht unter dem Gesichtspunkt des Steuerharmonisierungsgesetzes, das nunmehr die Bemessungsgrundlage für die Vermögenssteuer bundesrechtlich harmonisiert. Diese bemisst sich zwingend und ausschliesslich nach den Vorgaben von Art. 14 StHG. Faktoren, die in dieser Bestimmung nicht genannt sind, dürfen nicht als Bemessungsgrundlage berücksichtigt werden. Ein kantonaler Spielraum besteht diesbezüglich nur im dargelegten Rahmen (vorne E. 4.4).
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4.6.5.2 Die Bemessung der Liegenschaftssteuer beruht jedenfalls im Kanton Bern auf derselben Grundlage wie die Vermögenssteuer. Massgebend ist in beiden Fällen der "amtliche Wert" (vorne E. 4.3 ![]() ![]() | |