8. Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
8C_783/2021 vom 26. April 2022 | |
Regeste | |
Art. 29 Abs. 1, Art. 29a, Art. 30 Abs. 1, Art. 48 BV; Konkordat vom 29. Oktober 1970 über die Schulkoordination (Schulkonkordat); Rechtsschutz und Instanzenzug bei personalrechtlichen Streitigkeiten innerhalb einer Fachagentur der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK); negativer Kompetenzkonflikt; Rechtsweggarantie.
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Sachverhalt | |
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B.
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B.a Gegen den Beschluss des Vorstands der EDK vom 3. September 2020 führte A. - entsprechend der Rechtsmittelbelehrung im Beschluss - beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern Beschwerde. Dieses übergab die Beschwerdeschrift zuständigkeitshalber der Rekurskommission der EDK und der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK; im Folgenden: Rekurskommission EDK/GDK) zur weiteren Behandlung. Letztere hielt sich ebenfalls für unzuständig und schickte das Dossier an das Verwaltungsgericht zurück. Nachdem das Verwaltungsgericht den Parteien das rechtliche Gehör zur Frage der Zuständigkeit gewährt und auch ein Meinungsaustausch zur Bereinigung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Gericht und der Rekurskommission EDK/GDK keine Einigung gebracht hatte, verneinte das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 16. Februar 2021 seine Zuständigkeit. Gleichzeitig bejahte es die Zuständigkeit der Rekurskommission EDK/GDK und leitete dieser das Dossier zur weiteren Behandlung weiter. Auf die von der EDK hiergegen erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht wegen verspäteter Eingabe ![]() ![]() | |
B.b Die Rekurskommission EDK/GDK verneinte mit Entscheid vom 20. Oktober 2021 ihre Zuständigkeit und trat auf die Beschwerde des A. nicht ein.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A. beantragen, es sei der Entscheid der Rekurskommission EDK/GDK vom 20. Oktober 2021 aufzuheben und diese unter Feststellung ihrer Zuständigkeit anzuweisen, das Verfahren unverzüglich an die Hand zu nehmen und ohne weitere Verzögerung zum Abschluss zu bringen. Eventualiter sei die Beschwerde vom 8. Oktober 2020 gegen den Beschluss des Vorstands der EDK vom 3. September 2020 an die zuständige Beschwerdeinstanz weiterzuleiten. Subeventualiter sei ein förmliches Meinungsaustauschverfahren anzuordnen.
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Die Vorinstanz verzichtete unter Verweis auf die Ausführungen im vorinstanzlichen Urteil auf einen förmlichen Antrag. Die EDK schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Eventualiter sei das Verwaltungsgericht des Kantons Bern als zuständig zu bezeichnen. Subeventualiter sei ein förmliches Meinungsaustauschverfahren anzuordnen.
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In seiner Replik hält A. an seinen bisherigen Anträgen fest.
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Erwägung 1 | |
1.1 Mit der (rechtzeitig) gegen den Nichteintretensentscheid der Rekurskommission EDK/GDK vom 20. Oktober 2021 eingereichten Beschwerde gilt auch das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 16. Februar 2021, mit welchem dieses seine Zuständigkeit verneinte, als (rechtzeitig) angefochten (vgl. Art. 100 Abs. 1 und 5 BGG; vgl. BGE 143 V 363 E. 2; BGE 139 V 127 E. 5.3; BGE 135 V 153 E. 1.1 und 1.2; vgl. auch BGE 138 III 471 E. 6; Urteil 8C_750/2018 vom 6. Mai 2019 E. 1, nicht publ. in: BGE 145 V 247, aber in: SVR 2019 UV Nr. 32 S. 119; Urteile 8C_652/2021 vom 26. Januar 2022 E. 1; 9C_293/2013 vom 12. August 2013 E. 1). Entsprechend ist bei Verneinung der Zuständigkeit in einem Nichteintretensentscheid des zweiten Gerichts im Rahmen des dagegen eingeleiteten Beschwerdeverfahrens die Zuständigkeit beider in Frage kommenden Gerichte ![]() ![]() | |
Der Beschwerdeführer rügt ausschliesslich Verfassungsverletzungen. Insoweit entspricht die Kognition des Bundesgerichts bei der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten derjenigen bei der subsidiären Verfassungsbeschwerde (Art. 116 BGG), weshalb der Beschwerdeführer insoweit nicht auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten angewiesen ist, und es liegt bei dieser Konstellation auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor (BGE 134 I 184 E. 1.3.3; Urteil 8C_177/2012 vom 20. März 2012 E. 1.4). Damit kann die Beschwerde als subsidiäre Verfassungsbeschwerde behandelt werden (vgl. Urteile 8C_595/2020 vom 15. Februar 2021 E. 1.3; 8C_20/2017 vom 19. Juni 2017 E. 1.2; 8C_769/2012 vom 30. April 2013 E. 1.2).
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Erwägung 2 | |
Erwägung 3 | |
3.1 Der Beschwerdeführer rügt zunächst in Bezug auf den Entscheid der Rekurskommission EDK/GDK vom 20. Oktober 2021 eine Verletzung der Begründungspflicht und damit des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV). Mit Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 16. Februar 2021 habe dieses verbindlich entschieden, dass die Rekurskommission EDK/GDK zur Behandlung seiner ![]() ![]() | |
4.2 Art. 30 Abs. 1 BV garantiert den Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Zur Verhinderung von Missbrauch und Manipulation bzw. zum Ausschluss jeglichen entsprechenden Anscheins oder Verdachts sollen ![]() ![]() | |
Erwägung 5 | |
5.1 Vorliegend geht es um den Rechtsschutz gegen die Verfügung des Zentrums B. vom 27. Juni 2019 resp. den Entscheid des Vorstands der EDK vom 3. September 2020. Das Zentrum B. ist eine Fachagentur der EDK. Es erbringt im Auftrag der Kantone Vollzugs- und Entwicklungsaufgaben in den Bereichen Berufsbildung und Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung. Bei der EDK handelt es sich um ein interkantonales Organ (zur Entstehung und Entwicklung der EDK vgl. JÜRG MARCEL TIEFENTHAL, Die Erziehungsdirektorenkonferenz [EDK], Jusletter 24. Januar 2005). Sie fördert eine gesamtschweizerische Bildungspolitik und vollzieht im Besonderen die Aufgaben, die ihr in interkantonalen Vereinbarungen zugeteilt werden (vgl. Art. 2 des Statuts der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren [EDK-Statut] vom 3. März 2005). Die Zusammenarbeit der Kantone im Bildungsbereich und die EDK beruhen auf dem Konkordat vom 29. Oktober 1970 über die Schulkoordination (im Folgenden: Schulkonkordat), dem der Kanton Bern mit Beschluss des Grossen Rates vom 22. November 1988 beigetreten ist (BSG 439.13; vgl. für den Konkordatstext BSG 439.13-1). Dabei handelt es sich um eine interkantonale Vereinbarung im Sinne von Art. 48 Abs. 1 BV. Derartige Verträge dürfen den Rechten anderer Kantone sowie dem Recht und den Interessen des Bundes nicht zuwiderlaufen (Art. 48 Abs. 3 Satz 1 BV). In diesem Rahmen können sie interkantonale Organe durch interkantonalen Vertrag zum Erlass rechtsetzender Bestimmungen ermächtigen, die einen interkantonalen Vertrag umsetzen, sofern der Vertrag nach dem gleichen Verfahren, das für die Gesetzgebung gilt, genehmigt worden ist (Art. 48 Abs. 4 lit. a BV) und sofern er die inhaltlichen Grundzüge der Bestimmungen festlegt (Art. 48 Abs. 4 lit. b BV). Anfang der 1990er-Jahre wurde das Schulkonkordat mit weiteren interkantonalen Vereinbarungen ergänzt, die sich mit der gesamtschweizerischen Anerkennung von Diplomen befassen und eine ![]() ![]() | |
5.3.1 Die Interkantonale Vereinbarung vom 18. Februar 1993 über die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen (Diplomanerkennungsvereinbarung; BSG 439.18-1) sieht vor, dass die EDK das Anerkennungsreglement erlässt (Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2). Weiter regelt Art. 10 Abs. 2 der Diplomanerkennungsvereinbarung den Rechtsschutz. Danach können Privatpersonen gegen Entscheide der Anerkennungsbehörden innert 30 Tagen seit Eröffnung bei einer vom Vorstand der jeweiligen Konferenz eingesetzten ![]() ![]() | |
Bei der Diplomanerkennungsvereinbarung handelt es sich um einen interkantonalen Vertrag, der von den Kantonen nach dem gleichen Verfahren, das für die Gesetzgebung gilt, genehmigt worden ist. Die inhaltlichen Grundzüge betreffend Diplomanerkennung und Rechtsschutz sind darin geregelt. Insoweit sind im Bereich der Diplomanerkennung die Anforderungen von Art. 48 Abs. 4 BV erfüllt. Die Bundesverfassung sieht denn auch ausdrücklich vor, dass die Kantone gemeinsame richterliche Behörden einsetzen können (vgl. Art. 191b Abs. 2 BV). Das Bundesgericht hat im Zusammenhang mit Streitigkeiten betreffend Diplomanerkennung wiederholt bestätigt, dass die Rekurskommission EDK/GDK den Anforderungen an eine letztinstanzliche obere gerichtliche Behörde im Sinne von Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG genügt (BGE 136 II 470 E. 1.1; Urteile 2C_775/2018 vom 21. März 2019 E. 1.1; 2C_345/2014 vom 23. September 2014 E. 1.3.2; 2C_654/2011 vom 2. Dezember 2011 E. 1; 2C_332/2011 vom 22. Juli 2011 E. 1).
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5.3.2 Im Gegensatz zum Bereich der Diplomanerkennung findet sich für den Bereich des Personalrechts in den interkantonalen Vereinbarungen keine Rechtsetzungskompetenz der EDK. Auch eine vergleichbare Regelung zum Instanzenzug fehlt komplett. Die Grundsätze über Zuständigkeit, Stellung, Organisation und Wahl der Rechtspflegebehörde müssten aber in einer wenigstens von den Parlamenten genehmigten interkantonalen Vereinbarung festgeschrieben sein (vgl. Art. 48 Abs. 4 BV; AUGUST MÄCHLER, ![]() ![]() | |
5.4.2 Das vom Vorstand der EDK erlassene Personalreglement mit Verweis auf das Personalrecht des Kantons Bern und den darin geregelten Rechtsschutz erfüllt die Anforderungen von Art. 48 Abs. 4 BV nicht (vgl. auch E. 5.3.2 hiervor). Vorausgesetzt ist nämlich zum einen, dass die inhaltlichen Grundzüge der Bestimmungen im interkantonalen Vertrag selbst festgelegt sind (vgl. Art. 48 Abs. 4 lit. b BV; vgl. auch HÄFELIN/HALLER/KELLER/THURNHERR, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 10. Aufl. 2020, S. 399; UHLMANN/ZEHNDER, Rechtsetzung durch Konkordate, LeGes 2011/1 S. 23; VITAL ZEHNDER, Die interkantonale öffentlich-rechtliche Körperschaft als Modellform für die gemeinsame Trägerschaft, Luzerner Beiträge zur Rechtswissenschaft [LBR], 2007, S. 312). Das ist vorliegend nicht der Fall. Zum anderen muss die Ermächtigung eines interkantonalen Organs zum Erlass rechtsetzender Bestimmungen im gleichen Verfahren beschlossen werden, das nach kantonalem Recht auch für den Erlass von Gesetzen zur Anwendung kommt (vgl. Art. 48 Abs. 4 lit. a BV; URSULA ABDERHALDEN, Verfassungsrechtliche Überlegungen zur interkantonalen Rechtsetzung, LeGes 2006/1 S. 11). Auch diese Voraussetzung ist hier in Bezug auf den Rechtsschutz bei hoheitlichen Akten der EDK oder dessen Agenturen im Bereich des Personalrechts nicht erfüllt. Mithin ergibt sich die Zuständigkeit des ![]() ![]() | |
Erwägung 6 | |
6.2 Damit ist freilich noch nicht darüber entschieden, welche (inter)kantonale Behörde bzw. welches kantonale Gericht als bundesgerichtliche Vorinstanz für die Beurteilung des Streits betreffend Rückerstattung von Weiterbildungsbeiträgen zuständig sein soll. Es ist zu betonen, dass es Sache der Konkordatskantone ist, den Rechtsschutz gegen Entscheide der EDK oder ihrer Agenturen verfassungskonform (vgl. Art. 48 Abs. 4 BV) auszugestalten und ein Gericht einzusetzen, das den Vorgaben von Art. 30 Abs. 1 BV gerecht wird. Im hier zu beurteilenden Fall ist der Rechtsweggarantie dadurch zum Durchbruch zu verhelfen, dass im Sinne einer unpräjudiziellen Übergangsregelung eine Justizbehörde zu bestimmen ist, die bis zur Klärung der Rechtslage durch die Konkordatskantone die Einhaltung des Verfassungsrechts zu gewährleisten hat (vgl. BGE 123 II 193 E. 4c; Urteile 1B_141/2020 vom 20. August 2020 E. 7.3; 6B_1313/2019 vom 29. November 2019 E. 4.3; zum provisorischen Charakter richterlicher Ersatznormierung vgl. BERNHARD RÜTSCHE, Rechtsfolgen von Normenkontrollen, ZBI 6/2005 S. 290 f.). Für die Beurteilung von personalrechtlichen Streitigkeiten der hier gegebenen Art drängt es sich auf, das Verwaltungsgericht des Kantons Bern als zuständige Justizbehörde zu betrachten. Dies rechtfertigt sich im Wesentlichen aus folgenden Gründen:
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Obschon das Personalreglement des Vorstands der EDK auf keiner hinreichenden formellgesetzlichen Grundlage beruht, ergibt sich daraus, dass sich die Dienstverhältnisse nach dem Personalrecht des Kantons Bern richten sollen (vgl. Art. 1, Art. 4 und Art. 6 ff. des ![]() ![]() | |
8. Der Beschwerdeführer obsiegt, weshalb der Kanton Bern ihn für das Verfahren vor Bundesgericht zu entschädigen hat (Art. 68 Abs. 4 i.V.m. Art. 66 Abs. 3 BGG; vgl. Urteil 8C_750/2018 vom 6. Mai 2019 E. 6, nicht publ. in: BGE 145 V 247, aber in: SVR 2019 UV Nr. 32 S. 119; Urteil 4A_405/2015 vom 26. Januar 2016 E. 5, nicht publ. in: BGE 142 III 96, mit Hinweis auf BGE 138 III 471 E. 7 a.E.; Urteil 9C_18/2017 vom 28. November 2017 E. 6). Gerichtskosten werden keine erhoben (Art. 66 Abs. 4 BGG). ![]() |