Regeste Sachverhalt Aus den Erwägungen: 2. (...) ...
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2. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in Strafsachen)
6B_218/2015 vom 16. Dezember 2015
Regeste
Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 3 Abs. 2 lit. a und b StPO; überspitzter Formalismus bei fehlender gültiger Unterschrift.
Sachverhalt
A. Das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt verurteilte X. am 20. Juni 2014 wegen mehrfachen Diebstahls zu einer bedingten Geldstrafevon 150 Tagessätzen zu Fr. 20.-. Auf die dagegen gerichtete Berufung von X. trat das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 5. Januar 2015 nicht ein.
B. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Entscheid vom 5. Januar 2015 sei aufzuheben und das Obergericht (recte: Appellationsgericht) anzuweisen, auf die Berufung einzutreten. Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Im Strafprozessrecht ergibt sich das Verbot des überspitzten Formalismus aus Art. 3 Abs. 2 lit. a und b StPO, wonach die Strafbehörden namentlich den Grundsatz von Treu und Glauben sowie das Verbot des Rechtsmissbrauchs zu beachten haben (vgl. NIKLAUSOBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, N. 578).
2.4.6 Mit Blick auf die genannten Überlegungen, welche der erwähnten Gesetzesänderung zugrunde lagen, entschied das Bundesgericht, kantonale Gerichte handelten gegen Treu und Glauben, wenn sie ein nicht oder von einer nicht zur Vertretung berechtigten Personunterzeichnetes Rechtsmittel als unzulässig beurteilten, ohne eine kurze, gegebenenfalls auch über die gesetzliche Rechtsmittelfrist hinausgehende Nachfrist für die gültige Unterzeichnung anzusetzen. Es sei nicht verfassungswidrig, wenn das kantonale Gericht bei Einlegung eines Rechtsmittels auf der Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters bestehe. Hingegen habe es bei fehlender gültiger Unterschrift eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels anzusetzen. Denn die Möglichkeit der Nachfristansetzung, wie sie in Art. 30 Abs. 2 OG für das Verfahren vor Bundesgericht enthalten sei, sei Ausdruck eines aus dem Verbot des überspitzten Formalismus fliessenden allgemeinen prozessualen Rechtsgrundsatzes, der auch im kantonalen Verfahren Geltung habe (vgl. BGE 120 V 413 E. 6a S. 419 mit Hinweisen; vgl. auch Urteile 2D_64/2014 vom 2. April 2015 E. 5.3; 1C_39/2013 vom 11. März 2013 E. 2.3; 2P.278/1999 vom 17. April 2000 E. 4c).
Dass sich der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin rechtsmissbräuchlich verhalten hätte, ist nicht ersichtlich. Der Formfehler bestand nicht in der fehlenden Begründung der Eingabe, sondern bloss in der fehlenden rechtsgültigen Unterschrift. Zudem reichte er die Berufungserklärung drei Tage vor dem Ablauf der Frist ein. Demnach liegen keine Hinweise vor, dass der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin bewusst von einer rechtsgültigen Unterschrift absah, um eine Nachfrist zu erwirken (vgl. oben E. 2.4.7). Folglich hätte die Vorinstanz ihn auf den Mangel aufmerksam machen müssen. Hierfür wäre genügend Zeit verblieben, weil die Berufungserklärung der Vorinstanz am 29. August 2014 zuging und die Frist erst am 1. September 2014 ablief. Andernfalls hätte die Vorinstanz dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin eine kurze über die gesetzliche Rechtsmittelfrist hinausgehende Nachfrist für die gültige Unterzeichnung der Berufungserklärung ansetzen müssen. Der kantonale Nichteintretensentscheid ist aufzuheben. Weil der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin bereits eine Rechtsschrift mit eigenhändiger Unterschrift nachgereicht hat, erübrigt sich die Ansetzung einer Nachfrist. Die Vorinstanz hat im neuen Verfahren zu prüfen, ob auch die übrigen Eintretensvoraussetzungen erfüllt sind, und gegebenenfalls auf die Berufung einzutreten. (...)