13. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Verein A. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
2C_1143/2013 / 2C_1144/2013 vom 28. Juli 2014 | |
Regeste | |
Art. 19, 62 und 197 Ziff. 2 BV; Art. 5, 18 Ziff. 11 lit. a, Art. 33 Abs. 1 und 6 lit. b MWSTG 1999; Art. 19 Abs. 2 lit. d IVG in der Fassung vom 5. Oktober 1967; Art. 8quater IVV in der Fassung vom 21. Mai 2003; Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes (des Kantons St. Gallen) vom 31. März 1977 über Kantonsbeiträge an private Sonderschulen in der Fassung vom 23. September 2007. Rechtsnatur der Vergütung der Transportkosten aufgrund der Beförderung der (Sonder-)Schulpflichtigen.
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Sachverhalt | |
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B. Der Verein ist mehrwertsteuerpflichtig und rechnet mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) nach Pauschalsteuersätzen ab. Er hat für die Versteuerung seiner steuerausgenommenen Umsätze nicht optiert. Die Eidgenössische Steuerverwaltung gelangte anlässlich einer Kontrolle zum Schluss, die dem Kostenträger fakturierten Beförderungsleistungen seien steuerbar. Zuletzt mit Entscheiden des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Oktober 2013 wurden die Nachbelastungen gebilligt (A-544/2013 und A-555/2013). Das Bundesgericht heisst die dagegen gerichteten Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten des Vereins gut.
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(Zusammenfassung)
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Erwägung 2 | |
2.2 Dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung kommt im Abgaberecht, das in enger Wechselwirkung zu anderen Rechtsgebieten steht, hohe Bedeutung zu ( BGE 139 II 460 E. 3.3 S. 467 [BVG/MWSTG]; BGE 138 II 32 E. 2.3.1 S. 39 [BGBB/StHG], BGE 138 II 300 E. 3.6.2 S. 308 [ZGB/DBG]; 136 V 258 E. 4.7 S. 266 f. [OR/AHVV]). ![]() ![]() | |
Erwägung 2.3 | |
2.3.2 Die Schulhoheit liegt bei den Kantonen (Art. 62 Abs. 1 BV in Verbindung mit Art. 3 BV; SCHMID/SCHOTT, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 9 zu Art. 62 BV). Sie haben in organisatorischer, fachlicher und finanzieller Hinsicht für einen ausreichenden Grundschulunterricht zu sorgen, der allen Kindern offensteht (Art. 62 Abs. 2 Satz 1 BV in der Fassung vom 16. Dezember 2005, in Kraft seit 21. Mai 2006 [AS 2006 3033]).Der Grundschulunterricht ist obligatorisch und untersteht staatlicher Leitung oder Aufsicht. An öffentlichen Schulen ist er unentgeltlich (so Art. 62 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BV, wiederum in der Fassung vom 16. Dezember 2005). Aus dem Blickwinkel der Schulpflichtigen verbriefen die Art. 19 und 62 BV ein "Pflichtrecht": Dem individuellen Rechtsanspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht steht die individuelle Rechtspflicht zum Besuch des Unterrichts gegenüber (vgl. PASCAL MAHON, in: Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse, Jean-François ![]() ![]() | |
An die Sonderschulung bildungsfähiger Versicherter, die das 20. Altersjahr noch nicht vollendet haben und denen infolge Invalidität der Besuch der Volksschule nicht möglich oder nicht zumutbar ist, werden Beiträge gewährt. Zur Sonderschulung gehört die eigentliche Schulausbildung sowie, ![]() ![]() | |
Die Beiträge umfassen namentlich "besondere Entschädigungen für die mit der Überwindung des Schulweges im Zusammenhang stehenden invaliditätsbedingten Kosten" (Art. 19 Abs. 2 lit. d IVG). Im Anschluss daran findet sich in Art. 8 quater der Verordnung vom 17. Januar 1961 über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201; in der Fassung vom 21. Mai 2003, in Kraft vom 1. Januar 2004 [AS 20033859] bis zum 31. Dezember2007 [AS 2007 5823 5847])unter dem Titel "Entschädigung für die Transporte" folgende Konkretisierung:
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1 Die Versicherung übernimmt die Kosten für die Transporte, die für den Besuch der Sonderschule und die Durchführung von Massnahmen nach Art. 8 ter Abs. 2 notwendig sind. Vergütet werden die Kosten höchstens bis zur nächstgelegenen geeigneten Durchführungsstelle. Wird eine entferntere Durchführungsstelle gewählt, so haben die Versicherten die entstehenden Mehrkosten selbst zu tragen.
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2 Vergütet werden:
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a. die Kosten, die den Preisen der öffentlichen Transportmittel für Fahrten auf dem direkten Weg entsprechen; oder
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b. die Kosten des von der Sonderschule organisierten oder durch die Erziehungsberechtigten der versicherten Person durchgeführten Transportes.
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(...).
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2.4.4 Auf den 1. Januar 2008 sind die hier interessierenden Art. 8 Abs. 3 lit. c und Art. 19 IVG, je in der Fassung vom 21. März 2003, sowie Art. 73 IVG ersatzlos entfallen (vorne E. 2.4.1). Im Sinne ![]() ![]() | |
Die Kantone übernehmen ab Inkrafttreten des Bundesbeschlusses vom 3. Oktober 2003 (AS 2007 5765) zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen die bisherigen Leistungen der Invalidenversicherung an die Sonderschulung (einschliesslich der heilpädagogischen Früherziehung gemäss Art. 19 IVG), bis sie über kantonal genehmigte Sonderschulkonzepte verfügen, mindestens jedoch während drei Jahren.
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Erwägung 2.5 | |
2.5.2 Die Mehrwertsteuer wird vom Entgelt berechnet, wobei zum Entgelt alles zählt, was der Leistungsempfänger - oder an seiner Stelle ein Dritter - als Gegenleistung für die Hauptleistung aufwendet (Art. 33 Abs. 1 und 2 MWSTG 1999). Beurteilung und Bemessung des Entgelts sind demnach aus der Sicht des Leistungsempfängers vorzunehmen (zum Ganzen Urteile 2C_576/2013 vom 20. Dezember 2013 E. 2.2.4; 2C_933/2012 vom 11. April 2013 E. 5.1, in: StR 68/2013 S. 543 [Zusammenfassung]). Das Entgelt kann sich ![]() ![]() | |
2.5.4 Schliesslich nennt Art. 33 Abs. 6 lit. b MWSTG 1999 als "Nichtentgelt" die Subventionen und anderen Beiträge der öffentlichen Hand , selbst wenn deren Ausrichtung gestützt auf einen Leistungsauftrag erfolgt (Urteile 2C_202/2011 vom 24. Oktober 2011 E. 3.2 [Schweizerische Rettungsflugwacht], in: ASA 80 S. 599;2A.233/1997 vom 25. August 2000 E. 8 [Kurtaxe], in: ASA 71 S. 157,RDAF 2003 II S. 256). Das Mehrwertsteuerrecht kennt keine eigene Definition der Subvention (Art. 26 Abs. 6 lit. b MWSTV 1994; Art. 33 Abs. 6 lit. b MWSTG 1999; Art. 18 Abs. 2 lit. a MWSTG 2009). Entsprechend dem Gebot der Einheit der Rechtsordnung (vorne E. 2.2) ist auf die Subventionsgesetzgebung ![]() ![]() | |
Erwägung 3 | |
Erwägung 3.2 | |
3.2.1 Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG) ist der Rahmenvertrag vom 8. November 2006 zwischen dem Verein und dem Taxiunternehmen zustande gekommen. Die Leistungen des Taxiunternehmens sind unstreitig steuerbar. Der Vertrag liegt in den vorinstanzlichen Akten und kann ergänzend zu den vorinstanzlichen Feststellungen ![]() ![]() | |
3.2.3 Nutzniesser des Beförderungsvertrags sind unmittelbar die Schulpflichtigen und mittelbar die Erziehungsberechtigten. Sie sind davon entbunden, den Schulweg ohne Hilfe zu bewältigen oder die Beförderung mit eigenen Mitteln zu besorgen. Bundesrechtskonform schliesst die Vorinstanz auf einen unechten Vertrag zugunsten Dritter (Art. 112 Abs. 1 OR), das heisst auf einen (Beförderungs-) Vertrag mit Drittbegünstigungsklausel (dazu ROLF H. WEBER, Berner Kommentar, 2002, N. 15, 35 und 41 zu Art. 112 OR). Der Drittbegünstigungsklausel kommt hier bloss der Charakter einer Erfüllungsmodalität zu (Art. 112 Abs. 2 OR im Umkehrschluss; WEBER, a.a.O., N. 7 zu Art. 112 OR). Anhaltspunkte für ein originäres und selbständiges Forderungsrecht der Schulpflichtigen fehlen, was Ausdruck einer eigentlichen "direkten Drittberechtigung" wäre (WEBER, a.a.O., N. 109 zu Art. 112 OR). Selbst bei einem solchen echten Vertrag zugunsten Dritter (Art. 112 Abs. 2 OR) würden die Schulpflichtigen aber nicht zur Vertragspartei (Urteil 2C_828/2013 vom 24. März 2014 E. 5.3.1 mit Hinweisen), was hier entscheidend ist. Das Bundesgericht hat damit aufgrund von Art. 105 Abs. 1 BGG von einem einzigen ![]() ![]() | |
Erwägung 3.3 | |
3.3.3 Mit Recht beruft sich der Verein auf die verfassungsrechtliche Ausgangslage. Der hier interessierende Kanton St. Gallen wiederholt ![]() ![]() | |
3.4.2 Art. 197 Ziff. 2 BV sieht eine Übergangsperiode von mindestens drei Jahren vor, in welcher die Kantone die bisherigen Leistungen der Invalidenversicherung an die Sonderschulung übernehmen (vorne E. 2.4.4). Nach dem hier interessierenden Recht des Kantons St. Gallen gewähren Kanton und Schulgemeinde Beiträge an die Kosten von Schulpflichtigen in Sonderschulen (Art. 39 und 124 Abs. 1 des Volksschulgesetzes [des Kantons St. Gallen] vom 13. Januar 1983 [sGS 213.1]). Diese erscheinen einerseits als Bau- (Art. 5 ff. des Gesetzes [des Kantons St. Gallen] vom 31. März 1977 über Kantonsbeiträge an private Sonderschulen [sGS 213.95; nachfolgend: SoG/SG]), anderseits als Betriebsbeiträge (Art. 11 ff. SoG/ SG). Zu den Betriebsbeiträgen hält Art. 11 SoG/SG ("Höhe") in der ![]() ![]() | |
1 Als Betriebsbeitrag werden ausgerichtet:
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a. von der Schulgemeinde an den Kanton ein Beitrag von Fr. 36'000.- für jedes Kind, das eine Sonderschule besucht;
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b. vom Kanton an den Träger der Sonderschule:
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1. die Kosten des Transports nach Art. 19 Abs. 2 Bst. d des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in der Fassung vor dem Bundesgesetz über die Schaffung und die Änderung von Erlassen zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) vom 6. Oktober 2006 (AS 2007 5779) und Art. 8 quater IVV in der Fassung vor dem Bundesgesetz über die Schaffung und die Änderung von Erlassen zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) vom 6. Oktober 2006 (AS 2007 5779);
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2. die Kosten der Beratungs-, Stütz- und Fördermassnahmen beim Besuch des Kindergartens und der Volksschule (...);
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3. ein Beitrag an die durch die Beiträge nach Bst. b Ziff. 1 und 2 dieser Bestimmung nicht gedeckten Kosten (...).
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Die Vollzugsverordnung (des Kantons St. Gallen) vom 6. Dezember 1977 zum Gesetz über die Staatsbeiträge an private Sonderschulen (sGS 213.951; nachfolgend: SoV/SG) knüpft an Art. 11 lit. b Ziff. 1 SoG/SG in der Fassung vom 23. September 2007 an. Die Bestimmung wiederholt im Wesentlichen die im Gesetz getroffene Anordnung zur Entschädigung der Transportkosten (dazu Art. 28 bis Abs. 1 SoV/SG in der Fassung vom 11. Dezember 2007).
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