6. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Sozialdemokratische Partei des Kantons Zürich, A. und B. gegen Kantonsrat und Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
2P.39/2003 vom 19. Februar 2004 | |
Regeste | |
Art. 49 Abs. 1 BV; Art. 83 AsylG; Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts; Kürzung von Fürsorgeleistungen für Asylsuchende.
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Auch Ausländer können sich auf den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts berufen; Kognition; Inhalt und Tragweite des Grundsatzes (E. 2).
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Die in Art. 83 AsylG vorgenommene Aufzählung der Gründe, um Fürsorgeleistungen ganz oder teilweise ablehnen, kürzen oder entziehen zu können, ist nicht abschliessend. Die Kantone sind frei, zusätzliche Vorschriften im Dienste der Missbrauchsbekämpfung zu erlassen (E. 3).
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Die mit der Änderung des zürcherischen Sozialhilfegesetzes getroffene Regelung der Asylfürsorge verletzt den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts nicht (E. 4).
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Sachverhalt | |
Asylfürsorge
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a) Zuständigkeit
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§ 5 a. Die Hilfe für Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung (nachfolgend Asylsuchende) richtet sich nach besonderen Vorschriften.
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Der Regierungsrat erlässt eine Asylfürsorgeverordnung. Darin regelt er für Asylsuchende namentlich die Zuständigkeit und das Verfahren, die Platzierung, die Unterbringung und Betreuung, die Gesundheitsversorgung, die Ausbildung und Beschäftigung, die Festsetzung, Ausrichtung, ![]() ![]() | |
b) Bemessung und Ausgestaltung der Hilfe
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§ 5 b. Höhe und Art der Fürsorgeleistungen für Asylsuchende richten sich nach den kantonalen Bestimmungen. Sie werden vom Status und vom Verhalten einer Person im Asylverfahren bestimmt.
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Die zuständigen Stellen können Fürsorgeleistungen bis auf ein Minimum kürzen, wenn die begünstigte Person ihrer Mitwirkungspflicht gegenüber den für das Asylverfahren und die Fürsorge zuständigen Behörden nicht oder ungenügend nachkommt.
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Art und Dauer der Unterbringung und der Betreuung sowie der Zugang zum Arbeitsmarkt hängen vom Verfahrensstand beziehungsweise asylrechtlichen Status der Person ab.
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B. Mit gemeinsamer Eingabe vom 19. Februar 2003 führen die Sozialdemokratische Partei des Kantons Zürich (SP Kanton Zürich), A. (Beschwerdeführer 2) und B. (Beschwerdeführer 3) staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Sie beantragen im Hauptantrag, § 5b Abs. 1 Satz 2 und § 5b Abs. 2 des Sozialhilfegesetzes aufzuheben, weil diese Vorschriften gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts verstiessen.
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Der Kantonsrat des Kantons Zürich, vertreten durch seine Geschäftsleitung, sowie die Direktion für Soziales und Sicherheit des Kantons Zürich (für den Regierungsrat) beantragen, die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Erwägung 1 | |
1.2 Beschwerden gegen Erlasse sind gemäss Art. 89 Abs. 1 OG innert 30 Tagen seit der nach kantonalem Recht massgebenden Eröffnung beim Bundesgericht einzureichen. Als Eröffnung gilt die Publikation des Erlasses und der Feststellung, dass derselbe zustande gekommen ist und damit in Kraft treten kann ![]() ![]() | |
1.5 Die privaten Beschwerdeführer 2 und 3 stammen aus Kenia bzw. Palästina, sind im Herbst 2002 in die Schweiz eingereist und ![]() ![]() | |
2.1 Das Bundesgericht überprüft die Verfassungsmässigkeit eines allgemeinverbindlichen Erlasses im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle zwar mit freier Kognition, auferlegt sich aber mit Rücksicht auf die verfassungsmässige Kompetenzordnung im föderalistischen Bundesstaat allgemein eine gewisse Zurückhaltung (BGE 129 I 12 E. 3.2 S. 15; BGE 125 I 71 E. 1c S. 76). Nach der Praxis ist dabei massgebend, ob der angefochtenen Norm nach den anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn beigemessen werden kann, der sich mit den angerufenen verfassungsmässigen oder staatsvertraglichen Rechten vereinbaren lässt. Das Bundesgericht hebt demnach eine kantonale Norm nur auf, sofern sie sich jeglicher verfassungs- und völkerrechtskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich bleibt. Für die Beurteilung dieser Frage sind die Tragweite des Grundrechtseingriffs sowie die Möglichkeit von Bedeutung, bei einer späteren konkreten Normenkontrolle - d.h. im Anwendungsfall - einen hinreichenden verfassungsrechtlichen Schutz zu erhalten. Es ist deshalb zu beachten, unter welchen Umständen die betreffende Bestimmung zur Anwendung gelangen wird. Der Verfassungsrichter hat die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung nicht nur abstrakt zu untersuchen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit verfassungstreuer Anwendung miteinzubeziehen. Dabei dürfen die Erklärungen der kantonalen Behörden über die künftige Anwendung der Vorschrift mitberücksichtigt werden (BGE 129 I 12 E. 3.2 S. 15; BGE 125 I 369 E. 2 S. 374).
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2.2 Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts kann auch unter der Herrschaft der neuen Bundesverfassung als Individualrecht angerufen werden (BGE 127 I 60 E. 4a S. 68 mit Hinweisen). Auf ihn können sich Ausländer ebenfalls berufen. Der ![]() ![]() | |
3. Die Beschwerdeführer sehen die Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts darin, dass das Bundesrecht den Kantonen keinen Raum belasse, um Einschränkungen von Fürsorgeleistungen an Asylsuchende vorzusehen. Das Bundesrecht enthalte hierzu in Art. 83 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31) eine abschliessende Regelung. Das ergebe sich nicht nur aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch aus der Systematik des Gesetzes und den Materialien. Insbesondere habe der Bundesrat in der Botschaft zum Asylgesetz zur betreffenden Bestimmung ausgeführt, mit dieser sollten im Sinne einer Ausnahme vom Grundsatz der Massgeblichkeit des kantonalen Rechts für die Ausrichtung von Fürsorgeleistungen einheitliche Einschränkungen festgelegt werden. Art. 83 AsylG lasse die Berechtigung zum Bezug von Sozialhilfeleistungen nicht vom Verhalten des Asylsuchenden im Asylverfahren abhängen. § 5b des ![]() ![]() | |
Die zuständigen Stellen können Fürsorgeleistungen ganz oder teilweise ablehnen, kürzen oder entziehen, wenn die begünstigte Person:
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a. sie durch unwahre oder unvollständige Angaben erwirkt oder zu erwirken versucht hat;
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b. sich weigert, der zuständigen Stelle über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse Auskunft zu erteilen, oder sie nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen;
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c. wesentliche Änderungen ihrer Verhältnisse nicht meldet;
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d. es offensichtlich unterlässt, ihre Lage zu verbessern, namentlich wenn sie eine ihr zugewiesene zumutbare Arbeit oder Unterkunft nicht annimmt;
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e. ohne Absprache mit der zuständigen Stelle ein Arbeits- oder Mietverhältnis auflöst oder dessen Auflösung verschuldet und damit ihre Lage verschlechtert;
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f. die Fürsorgeleistungen missbräuchlich verwendet;
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g. sich trotz der Androhung des Entzuges von Fürsorgeleistungen nicht an die Anordnung der zuständigen Stelle hält.
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3.3 Aus dem Wortlaut von Art. 83 AsylG ergibt sich nicht eindeutig, ob die Regelung abschliessend ist oder den Kantonen die Möglichkeit zu ergänzender Rechtsetzung offen lässt. Immerhin ist sie detailliert und recht umfassend; sie nennt zahlreiche verpönte Verhaltensweisen, die zur Kürzung von Fürsorgeleistungen führen können, sowohl im Zusammenhang mit deren Bemessung als auch mit ![]() ![]() | |
3.4 Die Einschränkung von Fürsorgeleistungen an Asylsuchende betrifft sowohl Bereiche mit Bundeskompetenz als auch solche mit kantonaler Zuständigkeit. Gemäss Art. 121 Abs. 1 BV ist die Gesetzgebung über die Gewährung von Asyl Sache des Bundes. Demgegenüber obliegt es den Kantonen, die Unterstützung der bedürftigen Personen zu regeln; der Bund hat bloss über Ausnahmen vom Wohnsitzkantonprinzip und Zuständigkeitsfragen zu legiferieren (vgl. Art. 115 BV). Das Asylgesetz enthält ein 5. Kapitel über die Fürsorge (Art. 80 ff. AsylG), zu dem auch die interessierende Vorschrift gehört. Näheres regelt die Asylverordnung 2 vom 11. August 1999 über Finanzierungsfragen (AsylV 2; SR 142.312) im 2. Titel betreffend die Fürsorge. Art. 80 AsylG verweist die Fürsorge für Personen, die sich gestützt auf das Asylgesetz in der Schweiz aufhalten, grundsätzlich in die kantonale Kompetenz (Abs. 1; vgl. auch Art. 3 AsylV 2), doch gewährleistet der Bund die Fürsorge, solange sich diese Personen in einer Empfangsstelle oder in einem Erstintegrationszentrum für Flüchtlingsgruppen aufhalten (Abs. 2). Der Anspruch von Asylsuchenden auf Fürsorgeleistungen ist wiederum im Bundesrecht festgehalten (Art. 81 AsylG); für die Ausrichtung gilt aber kantonales Recht (Art. 82 Abs. 1 AsylG und Art. 3 AsylV 2). Über allfällige Kürzungen befinden nach Art. 83 AsylG - wie ![]() ![]() | |
Die Stellung von Art. 83 AsylG im Normengefüge lässt erkennen, dass die Vorschrift im Kontext mit eng verzahnten und sich zum Teil sogar überschneidenden Kompetenzen des Bundes und der Kantone steht (vgl. dazu auch den - durch das Asylgesetz 1998 allerdings zum Teil überholten - BGE 122 II 193). Im Wesentlichen gilt für die Festsetzung und die Ausrichtung von Fürsorgeleistungen an asylsuchende, schutzbedürftige und vorläufig aufgenommene Personen (d.h. Asylsuchende im Sinne von § 5a Abs. 1 SHG/ZH) kantonales Recht (Art. 80 Abs. 1 und Art. 82 Abs. 1 AsylG, Art. 14c Abs. 4 ANAG). Die bundesrechtliche Regelung dazu ist entsprechend kurz und besteht hauptsächlich aus Verweisungen. Dies lässt eher vermuten, der Bund habe die Einschränkungen der Sozialhilfe nicht abschliessend regeln wollen. Allerdings enthalten die Art. 80 ff. AsylG auch einige wenige Zusatzbestimmungen, mit denen Ausnahmen oder Details zur grundsätzlich den Kantonen zugewiesenen Fürsorge geregelt werden (Art. 80 Abs. 2 betreffend die Fürsorge durch den Bund in Empfangsstellen und Erstintegrationszentren, Art. 81 betreffend die Subsidiarität der Fürsorgeleistungen, Art. 82 Abs. 2 betreffend den Vorrang von Sachleistungen, Art. 82 Abs. 3 betreffend die besondere Lage und die Integration von Personen mit Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung, Art. 84 betreffend Kinderzulagen). Das lässt eine gewisse Unsicherheit über die Tragweite von Art. 83 AsylG bestehen.
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Diese Unsicherheit wird entgegen der Meinung der kantonalen Behörden auch durch Art. 3 Abs. 2 AsylV 2, der für die Einschränkung von Fürsorgeleistungen auf das kantonale Recht verweist, nicht beseitigt; Satz 2 dieser Vorschrift behält Art. 83 AsylG ausdrücklich vor, wie die Beschwerdeführer zu Recht vorbringen. Andererseits können die Beschwerdeführer aus ihrer weiteren Argumentation in diesem Zusammenhang nichts für sich ableiten. Die ![]() ![]() | |
3.5 Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich zunächst, dass Einschränkungen der Fürsorgeleistungen nicht neu sind und auf ![]() ![]() ![]() ![]() | |
Diese Ausführungen werden durch die Botschaft vom 4. Dezember 1995 zur Änderung des Asylgesetzes bestätigt (BBl 1996 II 1 ff., S. 18 f., 29 f., 44 ff., 56 ff., 87 ff., insb. 89 f., 95 f.). Auch wenn darin noch weitere Ziele genannt werden, gehören die genannten Absichten nach der - soweit hier interessierend - diskussionslosen ![]() ![]() | |
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4.2 Die Kürzungsmöglichkeit bei Verletzung der Mitwirkungspflicht im Verfahren vor den Fürsorgebehörden ergibt sich im Wesentlichen bereits aus Art. 83 AsylG (lit. a und b). Weiter geht jedoch die den Behörden eingeräumte Befugnis, auch auf unkorrektes Verhalten im Asylverfahren mit einer Kürzung der Fürsorgeleistungen zu reagieren. Aus den Erklärungen und Begleitumständen geht zweifelsfrei hervor, dass es sich dabei um Massnahmen im Interesse der Missbrauchsbekämpfung handelt. Sie verfolgen somit den gleichen Zweck wie Art. 83 AsylG (vgl. E. 3.5 hiervor) und ergänzen diese Vorschrift. Die Arbeitsgruppe "Finanzierung Asylwesen", die im Auftrag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements die individuellen und institutionellen Anreize im Asylbereich untersucht hat, ist in ihrem Schlussbericht vom 9. März 2000 (S. 6 f. und 10 f.) zum Ergebnis gelangt, derartige Massnahmen seien im Interesse einer kohärenten Asylpolitik sinnvoll. Der Bundesrat hat sich im Rahmen der jüngsten dem Parlament zugeleiteten Vorlagen über Massnahmen im Asylbereich (Änderung des Asylgesetzes gemäss Botschaft vom 4. September 2002, Entlastungsprogramm 2003) im gleichen Sinn geäussert. In der Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes hat er festgehalten, ![]() ![]() | |