29. Urteil vom 3. Juni 1955 i.S. Schoenemann gegen Schweiz. Eidgenossenschaft. | |
Regeste | |
Verantwortlichkeit für rechtswidrige Amtsführung im Bund:
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2. Verjährung?
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3. Abweisung einer Schadenersatzklage, mit der behauptet wird, der Bundesrat habe beim Abschluss des Abkommens mit der Bundesrepublik Deutschland zum deutschen Lastenausgleich die Interessen der Schweizerbürger schlecht vertreten und hätte dieses Abkommen der Bundesversammlung zur Genehmigung unterbreiten sollen.
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Sachverhalt | |
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Am 26. August 1952 wurde zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland - in Berücksichtigung der gleichzeitig getroffenen Abkommen zwischen den beiden Ländern über die deutschen Vermögen in der Schweiz, über die Wiederherstellung gewerblicher Schutzrechte und über die Regelung der Forderungen der Eidgenossenschaft gegen das ehemalige Deutsche Reich ("Clearingmilliarde") - ein Abkommen zum deutschen Lastenausgleich abgeschlossen, das am 19. März 1953, nach Ratifikation durch den schweizerischen Bundesrat und die deutsche Behörde, in Kraft trat (AS 1953, 134). Es bestimmt in Art. 1 Abs. 1, dass schweizerische Staatsangehörige, die am "Währungsstichtag" (21. Juni 1948) das Schweizerbürgerrecht besessen haben, beim Lastenausgleich die gleiche Behandlung geniessen, wie sie Angehörigen der meistbegünstigten Nation zusteht, und in Art. 3, dass über die Auslegung der nach dem Abkommen anzuwendenden Vorschriften die nach dem LAG zuständigen Verwaltungsbehörden und Gerichte entscheiden. Nach der Meistbegünstigungsklausel sind die darunter fallenden ![]() ![]() | |
B.- Der in Zürich wohnende Schweizerbürger Werner Schoenemann fällt als Eigentümer eines Hauses in Heidelberg, dessen Steuerwert bis jetzt DM 53'700.-- betragen haben soll, unter das LAG und das Abkommen zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland zum Lastenausgleich. Er erklärt, er habe eine Hypothekengewinnabgabe im Betrage von DM 9'685.70 und ausserdem vom 1. April 1955 an Abschlagszahlungen auf die einmalige Vermögensabgabe zu entrichten, sofern er nicht die Ablösung dieser Abgabeschuld vorziehe.
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C.- Mit Eingabe vom 18. März 1954 unterbreitete W. Schoenemann der Bundesversammlung gemäss Art. 32 BG über die Verantwortlichkeit der eidgenössischen Behörden und Beamten vom 9. Dezember 1850 eine Zivilklage, die er gegen die Bundesräte Escher, Etter, Feldmann, Kobelt, Petitpierre und Rubattel sowie gegen alt Bundesrat Weber einzureichen gedachte, um Ersatz für den Schaden zu erhalten, der ihm nach. seiner Behauptung infolge des schweizerisch-deutschen Abkommens zum Lastenausgleich entstanden ist und noch entstehen wird.
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Der National- und der Ständerat beschlossen, die Klage nicht erheblich zu erklären, was dem Kläger durch Schreiben des Sekretariats der Bundesversammlung vom 13. Oktober 1954 mitgeteilt wurde.
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Zur Begründung wird geltend gemacht, der Bundesrat sei nicht befugt gewesen, das Abkommen zum deutschen Lastenausgleich von sich aus zu ratifizieren; er hätte es nach Art. 85 Ziff. 5 BV der Bundesversammlung unterbreiten sollen. Anders verhielte es sich nach der herrschenden Auffassung bloss dann, wenn das Abkommen der Schweiz nur Rechte verschaffte, ohne ihr eine neue völkerrechliche Verpflichtung oder einen Rechtsverzicht aufzuerlegen. Es verpflichte sie aber, für die betroffenen Schweizerbürger keine bessere Behandlung zu verlangen als die, welche die Angehörigen der Vereinten Nationen erfahren. Sodann lege Art. 3 des Abkommens die Annahme nahe, dass die Schweiz verpflichtet sein solle, "von den ihr an sich nach dem schweizerisch-deutschen Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrag zustehenden Rechten keinen Gebrauch zu machen."
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Der Bundesrat halte sich bei der Stellungnahme zu dem durch den zweiten Weltkrieg entstandenen schweizerischen Kriegsschädenproblem an die Auffassung, dass weder der kriegführende Staat, der den Schaden verursacht hat, noch der Staat, auf dessen Gebiet der Schaden entstanden ist, zur Reparation verpflichtet sei. Er berücksichtige dabei nicht, dass seit dem ersten Weltkrieg, den das von ihm angerufene Gutachten Prof. W. Burckhardts betreffe, ![]() ![]() | |
Zu Unrecht habe das eidg. Politische Departement dem Kläger entgegengehalten, dass Schweizerbürger nicht in den Genuss der Ausgleichsleistungen des LAG gekommen wären, wenn die schweizerischen Vermögenswerte in Deutschland von den Ausgleichsabgaben völlig befreit worden wären. Dieser Standpunkt entspreche zwar in der Tat demjenigen der deutschen Bundesregierung; doch verteidige die Bundesrepublik ihre Interessen ohne Rücksicht auf das Recht. Der Bundesrat hätte die völkerrechtlich geschützen Interessen der durch den Krieg geschädigten Schweizerbürger nachdrücklich wahren sollen, statt sie als Mittel im Kampf um die "Clearingmilliarde" zu verwenden.
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Dazu komme, dass es völkerrechtlich unzulässig sei, von Ausländern Spezialsteuern, Vermögensabgaben oder Zwangsanleihen zu verlangen, welche unmittelbar zur Kriegführung oder zur Bezahlung von Kriegsschulden dienen. Dieser Grundsatz gelte ohne Einschränkung auch für die in Frage stehenden Ausgleichsabgaben. Die deutsche Währungsreform von 1948 und die damit verbundenen Verluste seien ebenfalls Kriegsfolgen. Jener Grundsatz sei auch im "Überleitungsvertrag" aufgestellt; dass dann ![]() ![]() | |
Bei der Verhandlung mit der Bundesrepublik Deutschland habe der Bundesrat gleichzeitig verschiedene Gruppen von Interessen zu berücksichtigen gehabt. Die Interessen des Bundes an der "Clearingmilliarde" und diejenigen der privaten Gläubiger deutscher Auslandsschulden seien gut gewahrt worden. Preisgegeben habe der Bundesrat dagegen die wohlbegründeten Ansprüche schweizerischer Staatsangehöriger auf Ersatz für Kriegsschäden und auf vollständige Befreiung von den deutschen Ausgleichsabgaben.
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Die Ausgleichsleistungen, die an Schweizerbürger auf Grund des LAG ausgerichtet würden, seien auf 20 - 40 Millionen Franken geschätzt worden. Anderseits werde behauptet, dass die Heranziehung der schweizerischen Vermögenswerte in Deutschland 400 Millionen DM an Lastenausgleichsabgaben erbringen werde.
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Hätte der Bundesrat das Abkommen zum deutschen Lastenausgleich den eidgenössischen Räten vorgelegt und sie dabei pflichtgemäss aufgeklärt, so hätten sie die Genehmigung verweigert oder zum mindesten gefordert, dass die betroffenen Schweizer für das ihnen von schweizerischer Seite auferlegte Opfer entschädigt würden. "Das Parlament der Schweiz, die sich eben der ganzen Welt gegenüber gerühmt hat, dass sie sich als einziges Land an fremdem (deutschem) Eigentum nicht vergriffen habe, würde es sicherlich weit von sich gewiesen haben, sich an dem Eigentum von eigenen Bürgern vergreifen zu wollen."
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"Die Voraussetzungen für die Anfechtung des Abkommens über den deutschen Lastenausgleich würden an sich vorliegen. Solange jedoch die Eidgenossenschaft die Unverbindlichkeit des Abkommens der Bundesrepublik gegenüber nicht geltend gemacht hat, kann sie gegen die Klage nicht einwenden, dass das Abkommen den Betroffenen nicht den ihnen vom Bundesrat zugedachten Schaden gebracht habe. Und selbst im Falle der vollzogenen ![]() ![]() | |
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Klage vom Bundesgericht als Zivilgericht nach den Vorschriften des BZP zu behandeln sei.
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E.- Namens der Eidgenossenschaft beantragt die eidg. Finanzverwaltung die Abweisung der Klage. Sie führt aus, der Kläger setze zu Unrecht voraus, er habe einen Rechtsanspruch darauf, dass die Bundesbehörde seine Interessen gegenüber Deutschland vertrete. Seine Ersatzforderung sei daher auf jeden Fall unbegründet. Übrigens habe der Bundesrat durch den Abschluss des Abkommens zum deutschen Lastenausgleich die Interessen der Schweizerbürger bestens gewahrt. Er habe dabei nicht auf einen Anspruch verzichtet; vielmehr habe Deutschland den Schweizerbürgern gegenüber auf Rechte verzichtet, ohne dass die Schweiz eine Gegenleistung zu erbringen hätte. Deshalb habe das Abkommen nach ständiger Praxis nicht der Genehmigung der Bundesversammlung bedurft; der Bundesrat habe es von sich aus ratifizieren dürfen. Das Klagebegehren 3 sei schon deshalb abzuweisen, weil es nicht substantiiert sei und weil Geldforderungen in Landesmünze geltend zu machen seien.
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1. Nach dem eidg. Verantwortlichkeitsgesetz von 1850 kann der Private, der glaubt, dass ihm ein Schaden aus rechtswidriger Amtsführung des Bundesrates entstanden sei, Zivilklage gegen die Mitglieder dieser Behörde erheben. Die Klage ist zuerst bei der Bundesversammlung anzubringen (Art. 32 des Gesetzes). Beschliessen der National- und der Ständerat, der Klage sei keine Folge zu geben, so steht die Eidgenossenschaft für die Mitglieder des Bundesrates ein, und es ist dem Kläger unbenommen, die Entschädigungsforderung ihr gegenüber geltend zu machen (Art. 33 daselbst). Die Schadenersatzklage, die in einem solchen Fall, wie hier, gegen den Bund gerichtet ![]() ![]() | |
Dass im Verantwortlichkeitsgesetz für die Schadenersatzklage gegen den Bund wegen rechtswidriger Amtsführung der Weg des "Zivilprozesses" vor dem Bundesgericht vorgesehen wurde (Art. 35), ändert daran nichts. Das hängt damit zusammen, dass nach älterer Rechtsauffassung als Zivilrechtsstreitigkeiten auch gewisse Anstände galten, die nach heutiger Anschauung zu den öffentlichrechtlichen Streitigkeiten gerechnet werden. Aus dem Verantwortlichkeitsgesetz kann denn auch geschlossen werden, dass die gestützt auf dieses Gesetz gegen den Bund gerichteten Zivilklagen auf Schadenersatz früher in der Tat - ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwerts - vom Bundesgericht als einziger Zivilgerichtsinstanz zu beurteilen waren. Auch Art. 48 Ziff. 2 des früheren OG, betreffend Streitigkeiten zwischen Privaten oder Korporationen als Klägern und dem Bunde als Beklagten über zivilrechtliche Ansprüche im Streitwerte von wenigstens Fr. 3'000.-- bzw. Fr. 4'000.-- (BG vom 22. März 1893 bzw. 25. Juni 1921), wurde stets im Sinne jener älteren Rechtsauffassung ausgelegt. Indessen ist lit. b des Art. 41 des geltenden OG, welche an die Stelle der früheren Bestimmung in Art. 48 OG getreten ist, auf rein zivilrechtliche Streitigkeiten beschränkt. Seit dem Inkrafttreten des VDG ist die Beurteilung vermögensrechtlicher Ansprüche gegen den Bund aus öffentlichem eidgenössischem Recht, auch solcher auf Schadenersatz wegen rechtswidriger Amtsführung, dem Verwaltungsgericht zugewiesen (Art. 17 VDG, Art. 110 OG; BGE 69 II 91, BGE 77 I 94). Der Kläger beruft sich vergeblich auf Art. 110 Abs. 2 OG, wonach die Kompetenzen der Bundesversammlung und der ausserhalb der Bundesverwaltung stehenden, endgültig urteilenden eidgenössischen Instanzen vorbehalten sind. Dieser Vorbehalt bezieht sich lediglich auf die öffentlichrechlichen Streitigkeiten ![]() ![]() | |
Für das Verfahren sind daher im vorliegenden Fall Art. 115 und 91-96 OG massgebend. Entgegen der Meinung Schoenemanns kommen die Garantien, die der Kläger im direkten verwaltungsrechtlichen Prozess geniesst, denjenigen gleich, die ihm im direkten Zivilprozess geboten werden. Unterschiede bestehen lediglich insofern, als in jenem Verfahren, entsprechend dem öffentlichrechtlichen Charakter der Streitigkeit, der Richter grössere Freiheit in der Prozessleitung hat, die Formen einfacher und die Kosten jedenfalls in der Regel weniger hoch sind. Schoenemann hat seinen Standpunkt in der Sache eingehend dargelegt. Er ist genügend zum Wort gekommen.
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"Eine von Privaten oder Korporationen gegen Beamte gerichtete Zivilklage verjährt:
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1. wenn der Geschädigte von dem Zeitpunkte an, wo er von der Schädigung Kenntnis erhalten, seine Klage innert Jahresfrist nicht beim Bundesrat anhängig macht (Art. 43);
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2. innert drei Monaten von der Zeit an, wo der Bundesrat seine Zustimmung zur Klageanhebung erteilte oder verweigerte."
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Diese in den "allgemeinen Bestimmungen" des Gesetzes aufgestellte Vorschrift ist analog anwendbar auf die Klage, die von der Bundesversammlung gewählte Beamte betrifft.
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Im vorliegenden Fall ist nicht Verjährung eingetreten. Die Klage wurde bei der Bundesversammlung angebracht, bevor seit der Veröffentlichung des beanstandeten Abkommens zum deutschen Lastenausgleich in der Sammlung der eidg. Gesetze ein Jahr abgelaufen war. Die Frist von drei Monaten, innert welcher die Klage beim Bundesgericht einzureichen war, wurde eröffnet durch die Mitteilung des Beschlusses der eidg. Räte, die Klage nicht erheblich zu erklären. Sie wäre allerdings, wie es scheint, nicht gewahrt, wenn Art. 64 des BG vom 22. November 1850 über das Verfahren bei dem Bundesgerichte in bürgerlichen ![]() ![]() | |
Da das Bundesgericht als Verwaltungsgericht nach Art. 114 bis, Abs. 3 BV an die Bundesgesetzgebung und die von der Bundesversammlung genehmigten Staatsverträge gebunden ist, könnte es keinenfalls eine Verantwortlichkeitsklage gutheissen, die sich auf die Behauptung stützen würde, ein unter diese Bestimmung fallender ![]() ![]() | |
Der Bundesrat hat nach Art. 102 Ziff. 8 BV die Interessen der Eidgenossenschaft nach aussen, namentlich ihre völkerrechtlichen Beziehungen, zu wahren. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe muss er sich aber mit den anderen Staaten verständigen, Abkommen mit ihnen schliessen. Er kann die völkerrechtlichen Beziehungen der Schweiz zur Bundesrepublik Deutschland nicht ohne deren Zustimmung regeln. Die völkerrechtlichen Fragen, die sich in dem durch das Lastenausgleichsgesetz der Bundesrepublik geordneten Sachgebiete ergeben, lassen sich auf verschiedene Art lösen; die Grundsätze des Völkerrechts, die in Betracht fallen, sind nicht so bestimmt, dass sich eine einzige Lösung aufdrängen würde. Dazu kommt, dass der Bundesrat, wie die Klage anerkennt, bei den Verhandlungen über das Abkommen zum deutschen Lastenausgleich nicht nur die Belange der unter das LAG fallenden Schweizerbürger zu vertreten, sondern auch anderweitige Interessen zu berücksichtigen hatte, wie denn überhaupt beim Abschluss eines zwischenstaatlichen Abkommens im ![]() ![]() | |
4. Übrigens leitet Schoenemann, wie es scheint, die Rüge der Rechtswidrigkeit nicht sowohl aus dem Inhalt ![]() ![]() | |
Nach Art. 7 des Verantwortlichkeitsgesetzes setzt die Zivilklage auf Schadenersatz nicht nur eine rechtswidrige Handlung oder Unterlassung, sondern auch "einen dadurch verursachten positiven Schaden" voraus (Ziff. 2). Die Gutheissung der vorliegenden Klage käme somit nur dann in Betracht, wenn der Schaden, für den damit Ersatz verlangt wird, als Folge der angeblich rechtswidrigen Haltung des Bundesrates in der Kompetenzfrage betrachtet werden könnte. Vor allem müsste zum mindesten wahrscheinlich sein, dass die Bundesversammlung dem Abkommen zum deutschen Lastenausgleich die Genehmigung versagt hätte. Das würde jedoch nicht genügen, da beim Fehlen eines Abkommens die Bestimmungen des LAG im vollen Umfang massgebend wären, so dass der Kläger stärker mit Ausgleichsabgaben belastet würde, als er es nun auf Grund des abgeschlossenen Abkommens ist. Ausserdem müsste sich daher die Annahme rechtfertigen, dass im Falle der Nichtgenehmigung des Abkommens die Schweiz vermutlich verlangt und auch erwirkt hätte, dass die Bundesrepublik Deutschland den Kläger und die in gleicher Lage wie er sich befindenden Schweizerbürger ![]() ![]() | |
Der Kläger meint, die eidg. Räte hätten im Falle der Genehmigung zum mindesten dafür gesorgt, dass die Schweizer, die in Deutschland Lastenausgleichsabgaben zu entrichten haben, von schweizerischer Seite entschädigt würden. Ob das wahrscheinlich sei, braucht nicht erörtert zu werden. Eine dahingehende Regelung wäre nicht die notwendige Folge der Genehmigung des Abkommens; sie hätte mit dieser formell nichts zu tun, sondern wäre Gegenstand eines besonderen gesetzgeberischen Erlasses.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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