35. Urteil vom 25. Juni 1976 i.S. Moser gegen Rekurskommission des Kantons Thurgau | |
Regeste | |
Widerhandlungen gegen Vorschriften des Milchlieferungsregulativs: Ordnungsbussenverfahren nach Art. 20 ff. der Verordnung über den milchwirtschaftlichen Kontroll- und Beratungsdienst; Verjährungsfrage.
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- Die Frage der Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung von Ordnungsbussen wegen Widerhandlungen gegen Vorschriften des Milchlieferungsregulativs richtet sich nicht nach der Sonderordnung des Art. 11 VStrR, sondern es ist diesbezüglich nach Art. 333 Abs. 1 StGB auf die Art. 70 ff. und 109 StGB zurückzugreifen (Erw. 2).
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Sachverhalt | |
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Bundesrat und Bundesgericht einigten sich in einem Meinungsaustausch darüber, dass das eingelegte Rechtsmittel als Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom Bundesgericht zu beurteilen und zu entscheiden sei.
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Die Vorinstanz beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Abteilung für Landwirtschaft verzichtet darauf, zum Fall Stellung zu nehmen.
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Dieses wird durch die neuen Bestimmungen des BG über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) in keiner Weise beeinflusst. Art. 106 Abs. 1 VStrR sieht nämlich vor, dass Strafverfahren, in denen die Strafverfügung der Verwaltung nach Art. 293 oder 324 BStP vor dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen des VStrR getroffen worden ist, nach bisherigem Recht fortgesetzt werden. Die hier in Frage stehende Verfügung, mit der die Sanktionskommission den Beschwerdeführer in eine Ordnungsbusse verfällt hat, erging am 11. August 1971, also lange vor dem Inkrafttreten des VStrR und noch unter der Herrschaft des alten Milchlieferungsregulativs von 1954.
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Eine genauere Betrachtung der geltenden Rechtslage lässt aber deutlich werden, dass sich hinsichtlich des Ordnungsbussenverfahrens auch seit dem Inkrafttreten des VStrR und für Fälle, die von den Übergangsbestimmungen nicht berührt werden, nichts geändert hat in Bezug auf die Zuständigkeit und das Verfahren.
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Die Anwendbarkeit des VStrR setzt nach Art. 1 dieses Gesetzes voraus, dass die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen einer Verwaltungsbehörde des Bundes übertragen ist. Der Anknüpfungspunkt für den Entscheid in der Frage der Anwendbarkeit des VStrR ist somit primär kein materiellrechtlicher, sondern ein organisationsrechtlicher. Das Bundesrecht muss die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen einer Verwaltungsbehörde des Bundes übertragen (beispielsweise Art. 87 ZG und Art. 50 StG, beide in der Fassung gemäss Art. 104 VStrR Ziffern 7 und 8); sieht das Bundesrecht keine entsprechende Kompetenzzuweisung vor oder überträgt es kantonalen Behörden die Zuständigkeit zur Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen (so beispielsweise Art. 132 WStB oder Art. 103 Abs. 2 SVG), gelangen die Bestimmungen des VStrR nicht, zumindest nicht unmittelbar, zur Anwendung (über die Entstehungsgeschichte des Art. 1 VStrR und seine Tragweite vgl. BBl 1971 I 1004; Amtl.Bull. 1973 N S. 453; JEAN GAUTHIER, La loi fédérale sur le droit pénal administratif, in mémoires publiés par la faculté de droit de Genève no 46/1975, S. 29; MARKUS PETER, Das neue Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht, in ZStrR 90/1974, S. 22 f.; ROBERT W. PFUND, Der Entwurf eines Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht, in ZBl 74/1973 S. 60).
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Hinsichtlich von Ordnungsbussen der hier zur Diskussion stehenden Art sehen sowohl die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung über den milchwirtschaftlichen Kontroll- und Beratungsdienst vom 22. November 1972 (nachfolgend Verordnung/1972), welche jene vom 29. Dezember 1954 (nachfolgend Verordnung/1954) ersetzt, als auch des Schweizerischen Milchlieferungsregulativs vom 18. Oktober 1971 (MLR), das an die Stelle des früheren vom 29. Dezember 1954 getreten ist, folgende Verfahrensordnung vor: Ordnungsbussen werden bei ![]() ![]() | |
Dass dem bundesgerichtlichen Verfahren noch ein Beschwerdeverfahren bei einer Bundesverwaltungsbehörde vorgelagert wäre, schliessen sowohl Art. 17 der alten, als auch Art. 29 der neuen Verordnung aus. Diese Bestimmungen sehen nämlich vor, dass einerseits die Kantone eine Beschwerdeinstanz bezüglich Verwarnungen und Ordnungsbussen bezeichnen müssen, und dass anderseits bei allen übrigen (und eben nur bei diesen) Anordnungen und Entscheiden der Beschwerdeweg an die Abteilung für Landwirtschaft offensteht. An dieser Verfahrensordnung ist mit dem Inkrafttreten des VStrR nichts geändert worden. Die Änderungen des geltenden Bundesrechts sind im Anhang zum VStrR abschliessend aufgeführt (Art. 104 Abs. 1 VStrR). Bestimmungen, die darauf abzielen, das bisherige Rechtsschutzverfahren bezüglich Ordnungsbussen nach Art. 24 und 29 der Verordnung/1972 abzuändern, wurden im Anhang des VStrR unter den entsprechenden Ziffern 29 und 30 nicht erlassen.
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2. In der Sache selbst stellt sich die Frage nach einer allfälligen Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung des hier in Frage stehenden Verstosses gegen die Bestimmungen der Verordnung und des MLR. Dabei ist davon auszugehen, dass die Tat, die Anlass zur Bestrafung durch die Sanktionskommission gab, am 21. Juni 1971 gesetzt worden ist. Weder die damals geltende noch die inzwischen in Kraft getretene Milchgesetzgebung enthält Bestimmungen, wann Widerhandlungen, die Anlass zu einem Ordnungsbussenverfahren geben, und wann verfügte Ordnungsbussen verjähren. Angesichts des auch pönalen Charakters dieser Massnahmen ist daher auf Art. 333 StGB zurückzugreifen. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung ![]() ![]() | |
Art. 109 StGB sieht vor, dass eine Übertretung in einem Jahr, die Strafe einer Übertretung in zwei Jahren verjährt. Die Strafverfolgung verjährt - trotz Ruhens und Unterbrechung -, wenn die ordentliche Verjährungsfrist um ihre ganze Dauer überschritten ist (Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB), d.h. die absolute Verjährung tritt nach Ablauf von zwei Jahren der Tat ein. Dieser Regelung trägt denn auch Art. 29 Abs. 1 letzter Satz der Verordnung/1972 insofern Rechnung, als die kantonale Beschwerdeinstanz von Bundesrechts wegen verpflichtet wird, über Beschwerden gegen Verwarnungen und Ordnungsbussen innerhalb von sechs Monaten zu befinden.
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Im vorliegenden Fall ist die Verfolgungsverjährung für die Ernst Moser zur Last gelegte Widerhandlung am 21. Juni 1973 eingetreten. In diesem Zeitpunkt war die von der Sanktionskommission ausgesprochene Ordnungsbusse nicht in Rechtskraft erwachsen. Jede weitere "Strafverfolgung" war somit einzustellen. Der Entscheid der kantonalen Rekurskommission, welcher trotz eingetretener Verjährung die angefochtene Busse bestätigte, verletzt somit Bundesrecht. Er ist demnach aufzuheben und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen. ![]() |