7. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Januar 1993 i.S. Dr. S. gegen Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste | |
Zulassung zum Anwaltsberuf; Handels- und Gewerbefreiheit, Freizügigkeitsgarantie.
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2. In der Schweiz niedergelassene ausländische Staatsangehörige können sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen (E. 2, Bestätigung der neueren Rechtsprechung).
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3. Das Bürgerrechtserfordernis ist mit der Handels- und Gewerbefreiheit vereinbar, soweit damit die Vertrautheit mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen des Landes sichergestellt werden soll (Präzisierung der Rechtsprechung); diese Vertrautheit kann auch bei einem ausländischen Staatsangehörigen gegeben sein, diesfalls erweist sich das Bürgerrechtserfordernis als unverhältnismässig (E. 3-5).
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Sachverhalt | |
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Am 25. Februar 1992 stellte Dr. S. das Gesuch um Erteilung der Bewilligung zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs im Kanton Zürich.
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Mit Beschluss vom 15. April 1992 wies das Obergericht des Kantons Zürich dieses Gesuch ab, mit der Begründung, Dr. S. könne als ausländische Staatsangehörige die Bewilligung zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes nicht erlangen. Zur Begründung verwies das Obergericht auf § 1 in Verbindung mit § 3 des Anwaltsgesetzes des Kantons Zürich vom 3. Juli 1938, wonach das Schweizerbürgerrecht Voraussetzung für die Ausübung des Anwaltsberufs ist, sowie auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts, welche das Erfordernis der schweizerischen Staatsangehörigkeit als mit der Verfassung vereinbar erachtet (BGE 116 Ia 237 ff.).
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Mit Eingabe vom 26. Mai 1992 hat Dr. S. staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Das Bundesgericht heisst diese gut
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1. Die Beschwerdeführerin macht vorab eine Verletzung der Freizügigkeitsgarantie von Art. 5 ÜbBest. BV geltend. Diese ![]() ![]() | |
Vorliegend stellt das Obergericht nicht in Frage, dass die Beschwerdeführerin über den erforderlichen Fähigkeitsausweis verfügt. Die Erteilung der Bewilligung wird auch nicht von einer anderen Voraussetzung abhängig gemacht, welche die Freizügigkeit im dargestellten engeren Sinn tangiert. Das Obergericht hat die Bewilligung vielmehr deshalb verweigert, weil die Beschwerdeführerin nicht über das Schweizerbürgerrecht verfügt. Ob dies verfassungsrechtlich zulässig sei, misst sich an der Handels- und Gewerbefreiheit.
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2. Nach der früheren bundesgerichtlichen Rechtsprechung konnte sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit nur berufen, wer Schweizerbürger ist (BGE 55 I 223 E. 1; BGE 48 I 285 E. 1; BGE 47 I 50 E. 1). Der Ausländer war damit vom persönlichen Schutzbereich des Grundrechts ausgenommen. In BGE 108 Ia 148 hat das Bundesgericht diese Praxis dahin präzisiert, dass sich der Ausländer auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen könne, soweit er nicht ![]() ![]() | |
Dies erachtete das Bundesgericht in einem Urteil vom 12. Oktober 1990 als problematisch, weil damit der Geltungsbereich eines verfassungsmässigen Rechts nicht durch die Bundesverfassung selbst, sondern durch die jeweilige kantonale Gesetzgebung bestimmt würde. Das Bundesgericht konkretisierte daher den Schutzbereich der Handels- und Gewerbefreiheit im Lichte der Verfassung, wobei es auf Art. 69ter BV abstellte, wonach die Gesetzgebung über Ein- und Ausreise, Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer dem Bunde zusteht. Das Bundesgericht kam zum Schluss, diese Verfassungsbestimmung lasse mit ihrer demographischen und arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung für einen grundrechtlichen Schutz privatwirtschaftlicher Erwerbstätigkeit bei Anwendung des Fremdenpolizeirechts keinen Raum. Es bestehe anderseits aber kein verfassungsrechtlicher Grund, dem Ausländer, der über eine Niederlassungsbewilligung verfügt und deshalb hinsichtlich seiner Erwerbstätigkeit keinerlei fremdenpolizeilichen Schranken unterliegt, die Berufung auf die Handels- und Gewerbefreiheit zu verweigern (BGE 116 Ia 238 E. 2).
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Die Beschwerdeführerin, die im Besitz der Niederlassungsbewilligung ist, kann damit geltend machen, die Nichterteilung der Berufsausübungsbewilligung im Kanton Zürich verstosse gegen die Handels- und Gewerbefreiheit. Ob es zulässig ist, sie als Ausländerin von der Ausübung des Anwaltsberufs auszuschliessen, ist Frage der materiellen Beurteilung. Zu prüfen ist, ob diese Einschränkung der Erwerbstätigkeit, welche sich nicht auf das Fremdenpolizeirecht des Bundes stützt, vor der Handels- und Gewerbefreiheit standhält, d.h. ob sie auf gesetzlicher Grundlage (im kantonalen Recht) beruht, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist.
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3. a) Die Erteilung des Fähigkeitszeugnisses auf Grund der zürcherischen Rechtsanwaltsprüfung bzw. der Berufsausübungsbewilligung gestützt auf einen ausserkantonalen Ausweis ist im Kanton Zürich an die Voraussetzung des Schweizerbürgerrechts geknüpft (§ 1 und § 3 Anwaltsgesetz). Die gesetzliche Grundlage für die Verweigerung der Bewilligung ist damit gegeben und wird von ![]() ![]() | |
b) Dazu hat das Bundesgericht im zitierten Urteil vom 12. Oktober 1990, wo die Nichtzulassung eines deutschen Staatsangehörigen zur bernischen Fürsprecherprüfung angefochten war, Stellung genommen. Dabei musste die Ausweitung des Geltungsbereichs der Handels- und Gewerbefreiheit zur Folge haben, dass das Bürgerrechtserfordernis nicht mehr - wie zuvor noch unter dem Gesichtswinkel von Art. 4 BV (Urteil vom 24. Februar 1984, in ZBl 85/1984 S. 460) - mit dem Schutz der einheimischen Anwälte vor ausländischer Konkurrenz gerechtfertigt werden konnte. Die Handels- und Gewerbefreiheit verbietet den Kantonen gerade wirtschafts- und standespolitische Massnahmen, die der Abschirmung vor Konkurrenz dienen.
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c) Dennoch hat das Bundesgericht ein überwiegendes öffentliches Interesse am Ausschluss ausländischer Staatsangehöriger vom Anwaltsberuf anerkannt. Es hat dabei auf die berufsnotwendige enge Vertrautheit des Anwalts mit den Verhältnissen des Landes hingewiesen, sodann darauf, dass der Anwalt als "Mitarbeiter der Rechtspflege" in enger Beziehung zum Staat stehe, weshalb es jedenfalls zurzeit herrschender Rechtsanschauung entspreche, dass der Anwalt mit diesem Staat durch das Bürgerrecht verbunden sein solle. Schliesslich hat das Bundesgericht einen Bezug des Anwaltsberufs zu den Rechten und Pflichten des Aktivbürgers hergestellt, indem es die Erwartung aussprach, dass sich der Anwalt einerseits an der Rechtsfortbildung beteilige und er anderseits im Interesse des Klienten dem Richter oder (im Verwaltungsverfahren) dem Beamten als gleichberechtigter Bürger gegenübertreten könne (BGE 116 Ia 241 /42).
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Mit dem Argument, der Anwalt stehe als "Mitarbeiter der Rechtspflege" in enger Beziehung zum Staat, wird eine Verbindung zum Grundsatz hergestellt, dass die Beschäftigung im öffentlichen Dienst und insbesondere die Ausübung hoheitlicher Befugnisse regelmässig den Staatsbürgern vorbehalten ist. Der Anwalt ist aber "Mitarbeiter der Rechtspflege" nur insofern, als er die Rechtsuchenden bei ![]() ![]() | |
Fragwürdig ist auch, inwiefern zwischen politischen Rechten und Anwaltstätigkeit ein Zusammenhang bestehen soll. Schon den Frauen ist ursprünglich der Zugang zum Anwaltsberuf mit der Begründung verweigert worden, ihnen fehle das Stimm- und Wahlrecht (BGE 13 S. 1 ff.); obgleich aber die politischen Rechte weiterhin den Männern vorbehalten blieben, entschied das Bundesgericht im Jahre 1929, es sei verfassungswidrig und mit der Handels- und Gewerbefreiheit unvereinbar, der Frau die Tätigkeit als Anwältin länger zu verwehren (BGE 49 I 14). Politische Rechte üben im übrigen auch Anwälte mit Schweizerbürgerrecht nicht in allen Kantonen aus, in denen sie über eine Berufsausübungsbewilligung verfügen.
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Die Beschwerdeführerin ist 1982 als Flüchtling in die Schweiz gekommen. Sie hat nach ihrem ersten juristischen Studium, das sie an der Universität Katowice in Polen mit dem Doktorat abgeschlossen hatte, zusätzlich an der Universität Basel studiert und dort das Lizentiat erworben, und sie übt seit fünf Jahren in den Kantonen Basel-Landschaft und Basel-Stadt die Tätigkeit als Advokatin aus. Das bringt zwangsläufig vertiefte Kenntnisse der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse mit sich. Aus den Akten ergibt sich ferner, dass die Beschwerdeführerin zahlreiche Zeitungsartikel ![]() ![]() ![]() |