37. Auszug aus dem Urteil vom 25. Mai 1977 i.S. X. und Konsorten gegen Bezirksanwaltschaft Zürich und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich | |
Regeste | |
Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen und ergänzender Staatsvertrag zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland.
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2. Anwendbares Recht (E. 3).
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3. Anforderungen an die Darstellung des Sachverhaltes im Rechtshilfegesuch gemäss Art. 14 Abs. 2 des Europäischen Übereinkommens (E. 5). Verbot der Beweisausforschung (E. 6). Rechtsfolgen einer ungenügenden Darstellung (E. 7).
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4. Durchführung einer Beschlagnahme im wesentlichen durch ausländische Polizeibeamte (E. 9a); Rechtsfolgen (E. 9b).
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Sachverhalt | |
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Am 10. November 1976 fand eine Vorbesprechung des Ermittlungsverfahrens zwischen dem beauftragten Bezirksanwalt und vier Beamten der deutschen Kriminalpolizei statt;, über die Besprechung wurde ein Konferenzprotokoll erstellt. Am 7./8. Dezember führte die von der Bezirksanwaltschaft beauftragte Kantonspolizei die Hausdurchsuchung bei den fraglichen Gesellschaften durch, wobei die deutschen Kriminalbeamten bestimmten, welche Belege im einzelnen zu beschlagnahmen waren. Auf Begehren eines Rechtsanwaltes wurden die in insgesamt 15 Wäschekartons aussortierten Akten versiegelt; das Entsiegelungsverfahren ist noch hängig.
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Gegen die Hausdurchsuchung und Beschlagnahme rekurrierten die davon betroffenen Gesellschaften sowie die im deutschen Strafverfahren Angeschuldigten an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Diese trat am 24. Januar 1977 auf die Rekurse der natürlichen Personen nicht ein und wies die Rekurse der juristischen Personen im Sinne der Erwägungen ab. Gegen diesen Entscheid richten sich die vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerden.
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2. a) Beschwerdelegitimiert sind alle Privaten, die durch den angefochtenen Entscheid in ihren verfassungsmässigen Rechten oder in ihrer durch Staatsvertrag geschützten Rechtsstellung verletzt sind. Ob sie ihren Wohnsitz in der Schweiz oder im Ausland haben, spielt keine Rolle (BGE 98 Ia 230 E. 2a). Ob das angerufene Staatsvertragsrecht den Beschwerdeführern tatsächlich den Rechtsschutz gewährt, den sie behaupten, ist eine Frage der materiellen Entscheidung und nicht des Eintretens. Bezüglich des Eintretens genügt es festzuhalten, dass die Normen der Rechtshilfeabkommen nicht ausschliesslich öffentlichen Interessen dienen; träfe dies nämlich zu, so wäre die Beschwerdelegitimation zu verneinen (BGE 98 Ia 654; MACHERET, La qualité pour recourir, ZSR 94/1975 S. 156). Die in den Rechtshilfeabkommen umschriebenen Grenzen der Rechtshilfe dienen aber auch privaten ![]() ![]() | |
3. Zur Diskussion steht eindeutig eine Beweisbeschlagnahme, keine Einziehungsbeschlagnahme (vgl. BGE 99 Ia 91 E. 6). Die Beschlagnahme erfolgte, als für die Rechtsmittelverfahren zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz noch der Auslieferungsvertrag vom 24. Januar 1874 galt; im Kanton Zürich stand noch das alte Gerichtsverfassungsgesetz vom 29. Januar 1911 in Kraft. Im Zeitpunkt des Rekursentscheides der Staatsanwaltschaft vom 24. Januar 1977 galten dagegen - entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft - das europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (EÜR) vom 20. April 1959 und der ergänzende Vertrag mit der Bundesrepublik vom 13. November 1969/22. März 1976 (in Kraft seit 1. Januar 1977). In Zürich war am 1. Januar 1977 ebenso das neue Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) in Kraft getreten. In den vorliegend strittigen Fragen ist jedoch mit dem Übergang zum neuen Recht keine wesentliche Änderung eingetreten, da die Schweiz vom Vorbehalt des Art. 5 Ziff. 1 lit. a EÜR Gebrauch gemacht hat und somit alle Rechtshilfemassnahmen, die eine Anwendung von Zwangsmassnahmen erfordern, dem Prinzip der identischen Strafnorm unterstehen (dazu eingehend die Botschaft vom 1. März 1966, BBl 1966 I 483). Insbesondere ist anzunehmen, dass hinsichtlich der Formerfordernisse der Rechtshilfegesuche schon vor dem Inkrafttreten des neuen Rechtes die in Art. 14 EÜR gebotenen Angaben als notwendig erachtet wurden. In der Botschaft zum Zusatzabkommen wird betreffend Art. VII des Zusatzabkommens ausdrücklich festgehalten, dass der gegenseitige Geschäftsweg im Sinne der bestehenden Vereinbarungen und der geltenden Praxis geregelt sei (BBl 1970 II 249). Die Beurteilung der angefochtenen ![]() ![]() | |
Gemäss Art. 14 Abs. 2 EÜR haben Rechtshilfegesuche "die strafbare Handlung zu bezeichnen und eine kurze Darstellung des Sachverhaltes zu enthalten". Die Beschwerdeführer betonen mit Recht, dass diese Regelung auslegungsbedürftig ist. Die Bezeichnung der Straftat und die kurze Darstellung des Sachverhaltes müssen so sein, dass die ersuchte Behörde beurteilen kann, ob dem Rechtshilfegesuch entsprochen werden muss oder wenigstens darf (vgl. bezüglich der entsprechenden Anforderung nach Art. 12 § 2 lit. b des europäischen Auslieferungsabkommens BGE 101 Ia 62 E. 3 und 421 E. 2; sowie Art. 15 Abs. 2 Auslieferungsgesetz und SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, S. 192). Entspricht das Gesuch diesen Anforderungen nicht, so ist die Rechtshilfe vorläufig zu verweigern und die ersuchende Behörde aufzufordern, jene Angaben zu machen, die zur Beurteilung des Gesuches notwendig sind. Im vorliegenden Fall muss die ersuchte Behörde vor allem beurteilen können, ob ein Fall vorliegt, wo die Rechtshilfe auf Grund von Art. 2 EÜR oder entsprechend dem Vorbehalt gemäss Art. 5 Ziff. 1 lit. a EÜR (Art. 3 BB vom 27. September 1966 über die Genehmigung von sechs Übereinkommen des Europarates) verweigert werden muss. Es muss also erkennbar sein, dass es sich um kein politisches oder fiskalisches Delikt handelt, dass das Gesuch nicht die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder andere wesentliche Interessen des Landes beeinträchtigt, und dass die dem Rechtshilfegesuch zugrunde liegende Tat sowohl nach dem Recht des ersuchenden Staates als auch nach dem des ersuchten Staates strafbar ist.
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Für diese Beurteilung genügt es nicht, dass im Rechtshilfegesuch Paragraphen des Strafgesetzes mit Straftatbeständen zitiert werden, die im ersuchenden und im ersuchten Staat ![]() ![]() | |
Immerhin besitzt die ersuchte Behörde ein gewisses Ermessen hinsichtlich der Auslegung eines Rechtshilfegesuches. Sie verletzt gegebenenfalls kein Bundesrecht, wenn sie Rechtshilfe bewilligt, obwohl eine klarere Darstellung des Sachverhaltes erwünscht gewesen wäre. Grundsätzlich prüft jedoch das Bundesgericht im staatsrechtlichen Verfahren, gleich wie bei Auslieferungsbegehren, ob die formellen Bedingungen des EÜR erfüllt sind oder nicht. Die Anforderungen an die Angaben im Gesuch sind dabei weniger streng, wenn das Gesuch vor einer ordentlichen und vertieften Untersuchung des Straffalles gestellt wird (vgl. BGE 101 Ia 64 E. 3 und 421 E. 2, sowie 57 I 294).
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... (Untersuchung der Darstellung im Einzelnen).
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Werden die Straftaten im Rechtshilfegesuch nicht hinreichend bezeichnet, so besteht die Gefahr einer verpönten "Beweisausforschung", die durch den Anspruch auf Rechtshilfe nicht gedeckt ist und allenfalls gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismässigkeit solcher Massnahmen verstösst. Das Verbot der Beweisausforschung bedeutet die Unzulässigkeit von Beweisaufnahmen aufs Geratewohl. Es dürfen keine strafprozessualen Untersuchungshandlungen zur Auffindung von Belastungsmaterial zwecks Begründung eines ![]() ![]() | |
Selbstverständlich kann sich in der Folge aufgrund der Beweiserhebungen in der Schweiz oder aufgrund anderer Unterlagen eine Ausweitung der Strafuntersuchung aufdrängen, und die im Rahmen der Rechtshilfe beschafften Beweismittel sollen auch diesem erweiterten Strafverfahren zugrunde gelegt werden können. In einem solchen Falle steht nichts im Wege, durch ein ergänzendes zusätzliches Rechtshilfegesuch von den schweizerischen Behörden die Bewilligung einzuholen, die erhobenen Beweise auch zur Verfolgung der weiteren Straftatbestände zu verwenden, sofern auch für diese das Prinzip der identischen Norm erfüllt ist.
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Die Staaten der kontinentaleuropäischen Rechtstradition gewähren sich anerkanntermassen im Interesse der internationalen Verbrechensbekämpfung auch dann Rechtshilfe, wenn zwischen ihnen kein Rechtshilfeabkommen besteht (MARKEES, Aktuelle Fragen aus dem Gebiete der internationalen Rechtshilfe, ZStrR 89/1973 S. 232). Die Zürcher Strafverfolgungsbehörden ![]() ![]() | |
Im vorliegenden Falle wäre es freilich richtiger gewesen, noch vor der Beschlagnahme vom 7. Dezember 1976, nämlich spätestens bei der Besprechung vom 10. November 1976, die Straftatbestände, für welche die Rechtshilfe verlangt wurde, genauer abzuklären. Diese Unterlassung macht jedoch die vorgenommene Hausdurchsuchung und Beschlagnahme noch nicht rechtswidrig, sofern man darin im wesentlichen eine polizeiliche Massnahme der vorläufigen Beweissicherung sieht. Die internationale polizeiliche Zusammenarbeit darf nicht durch unnötige formale Erschwerungen behindert werden (vgl. die Art. II, VII, VIII und IX des deutsch-schweizerischen Ergänzungsvertrages, sowie NEPOTE/FERAUD, La coopération policière internationale dans ses rapports avec le droit pénal européen, in: Aktuelle Probleme des Internationalen Strafrechts, ![]() ![]() | |
Trotz des nicht voll rechtsgenügenden Rechtshilfebegehrens der Hamburger Staatsanwaltschaft ist deshalb das deutschschweizerische Auslieferungsrecht bisher nicht verletzt, und die diesbezügliche Rüge der Beschwerdeführer ist zu verwerfen; da aber das fragliche Rechtshilfegesuch noch ergänzt werden muss, wenn das Verfahren staatsvertragskonform weitergehen soll, sind die Beschwerden unter diesem Gesichtspunkt "im Sinne der Erwägungen" abzuweisen.
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Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei Gewährung der Rechtshilfe aufgrund des ergänzten Rechtshilfegesuches nicht nur die Abklärung der inkriminierten Straftaten gefördert wird, sondern dass auch grössere Klarheit hinsichtlich des Steuerstrafverfahrens gewonnen wird, auch ohne dass die in der Schweiz erhobenen Beweismittel als solche beigezogen werden. Die Beschwerdeführer bezeichnen dies als "Fernwirkung einer Beweisaufnahme". Welche Beweisausschliessungsgründe sich daraus im deutschen Steuerstrafverfahren ergeben, ist jedoch vom Bundesgericht nicht zu prüfen.
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a) Auch dieser Rüge kann eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden. § 114 Abs. 2 GVG sieht zwar ausdrücklich vor, dass Amtshandlungen ausländischer Behörden bewilligt werden können, und es ist anzunehmen, dass die gleiche Rechtslage auch schon vor Inkrafttreten des neuen GVG bestand. Notwendig ist jedoch die in Art. 271 StGB vorgesehene ![]() ![]() | |
Hinsichtlich dieser Bewilligung ergibt sich aus den Akten, dass die Polizeiabteilung am 29. Oktober 1976 die Zürcher Staatsanwaltschaft angefragt hatte, "ob Beamten des Bundeskriminalamtes Wiesbaden gestattet werden könne, den gewünschten Ermittlungen und Sicherstellungen beizuwohnen" (im Brief der Polizeiabteilung unterstrichen). Als Antwort erhielt die Polizeiabteilung die Kopie des Schreibens der Staatsanwaltschaft Zürich an die Staatsanwaltschaft Hamburg über die Bewilligung der Rechtshilfe. Aus dem Stillschweigen der Bundesbehörde durfte die Staatsanwaltschaft Zürich schliessen, die Polizeiabteilung habe gestattet, dass diese Beamten der Sicherstellung beiwohnen dürften. Dagegen wurde keine Bewilligung zur Vornahme selbständiger Amtshandlungen im Sinne von § 114 Abs. 2 GVG erteilt. Die von der Polizeiabteilung verfügte Beschränkung der Bewilligung auf blosse Teilnahme der ausländischen Beamten an den von den schweizerischen Behörden durchzuführenden Rechtshilfemassnahmen entspricht im übrigen Art. 4 Satz 2 EÜR und der herrschenden Lehre (MARKEES, Auslieferung und internationale Rechtshilfe in Strafsachen, in: "Kriminalistik" 13/1959 S. 214; HAUSER/HAUSER, Kommentar zum Zürcher GVG § 125 N. 6 S. 432). Auch die Weisung der Staatsanwaltschaft an die Bezirksanwaltschaft entsprach der Weisung der Polizeiabteilung: "Teilnahme an den vom Bezirksanwalt Dr. A. durchzuführenden Erhebungen". Die Bezirksanwaltschaft konnte deshalb den ausländischen Beamten keine weitergehende Bewilligung erteilen.
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Der Zürcher Bezirksanwalt ging also eindeutig über die Bewilligung der Polizeiabteilung hinaus, wenn er die Sachbearbeiter des Kriminalamtes Wiesbaden ermächtigte, die Akten in seiner Abwesenheit am Ort der Beschlagnahme zu sichten. Vielmehr hätte er selbst diese Sichtung zusammen mit den deutschen Beamten vornehmen sollen. Er hat seiner Aufgabe nicht genügt, indem er nachträglich vom Protokoll über die durchgeführte Hausdurchsuchung mit der detaillierten Aufzählung der beschlagnahmten Akten Kenntnis nahm. Mit ![]() ![]() | |
b) Doch stellt sich auch bei diesem Verstoss die Frage, ob er die Rechts- bzw. Verfassungswidrigkeit der vorläufigen Beschlagnahme zur Folge hat, so dass die Akten vorbehaltslos herauszugeben wären. Da die Beschlagnahme im Auftrage der Staatsanwaltschaft und Bezirksanwaltschaft erfolgt ist, kann jedenfalls nicht von einer Amtshandlung durch eine unzuständige Instanz gesprochen werden.
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Die vorläufige Beschlagnahme mit Versiegelung ist eine Tathandlung, die als solche nicht mehr rückgängig zu machen und von den Betroffenen zunächst einmal hinzunehmen ist. Das anschliessende Entsiegelungsverfahren bietet hinreichend Garantie dafür, dass die Rechte der Betroffenen gewahrt werden. Deshalb muss das Bundesgericht bei der Aufhebung derartiger Massnahmen wegen gewisser Verfahrensverstösse Zurückhaltung üben (vgl. BGE 96 I 441). Das Interesse der Beschwerdeführer an der Aufhebung der angefochtenen vorläufigen Beschlagnahme und an der vorbehaltlosen Herausgabe der Akten könnte nur darin bestehen, ihrerseits diese Akten zu sichten, um allenfalls belastende Aktenstücke den Strafuntersuchungsbehörden in Verletzung von § 103 StPO vorzuenthalten, bevor ein neues Rechtshilfebegehren der deutschen Staatsanwaltschaft eintrifft und eine neue gesetzeskonforme Beschlagnahme durchgeführt wird. Dieses Interesse verdient klarerweise keinen Schutz.
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Aus den von den Beschwerdeführern genannten Literaturstellen und Gerichtsentscheiden ergibt sich nichts Gegenteiliges. Richtig ist, dass das Zürcher Obergericht in einem Entscheid vom 25. August 1960 (SJZ 57/1961 S. 154 ff.) eine ![]() ![]() ![]() |