56. Urteil vom 17. Oktober 1973 i.S. Ackermann und Konsorten gegen Gemeinderat Entlebuch und Regierungsrat des Kantons Luzern. | |
Regeste | |
Art. 4 BV. Handänderungssteuer; Verkauf von Aktien; wirtschaftliche Betrachtungsweise.
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Sachverhalt | |
A.- § 1 des luzernischen Gesetzes betreffend die Handänderungsgebühren vom 30. November 1897 (HGG) lautet:
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"Wenn eine Liegenschaft an einen neuen Eigentümer übergeht, sei es durch Kauf, Tausch, Erbschaft oder Schenkung, so ist von der Kaufs- oder Schatzungssumme (...) eine Handänderungsgebühr zu entrichten." ![]() | |
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B.- Die Firma Gebr. Ackermann AG in Entlebuch ist ein Textilversandgeschäft. Der Bilanzwert der gesamten Aktiven belief sich am 30. Juni 1971 auf rund 29 Millionen Franken. Davon entfielen rund 11 Millionen Franken auf Grundstücke, Gebäude, Baukonten und Akontozahlungen für Bauten. Die Gebr. Ackermann AG lässt die von ihr benötigten Textilwaren von einer eigenen Gesellschaft, der Stoff AG in Entlebuch, einkaufen. In der Bilanz der Stoff AG per 30. Juni 1971 beliefen sich die Aktiven auf rund 6 Millionen Franken, wovon rund 2 Millionen Franken auf Immobilien entfielen. Die den beiden Gesellschaften zu Eigentum gehörenden elf Grundstücke wiesen im November 1971 einen Katasterwert von insgesamt Fr. 15 914 300.-- auf.
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Im Januar 1972 wurde bekannt, dass die beiden Hauptaktionäre der Gebr. Ackermann AG und der Stoff AG, Karl und Alfred Ackermann in Entlebuch, ihre Aktien veräussert hatten. Es handelte sich dabei um die überwiegende Mehrheit des Aktienbesitzes, d.h. 98,4% der Gebr. Ackermann AG und 100% der Stoff AG.
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Der Gemeinderat von Entlebuch machte mit Schreiben vom 15. Februar 1972 die Gebr. Ackermann AG darauf aufmerksam, dass die Übertragung der Aktienmehrheit von Betriebsgesellschaften die Handänderungssteuerpflicht auslöse, soweit damit ein Wechsel in der wirtschaftlichen Verfügungsgewalt über die der Gesellschaft gehörenden Grundstücke eingetreten sei. Gleichzeitig wurden die Gebr. Ackermann AG und Alfred Ackermann aufgefordert, die notwendigen Unterlagen für die Steuerveranlagung einzureichen, insbesondere auch die Übernahmebilanzen der beiden Gesellschaften. Als die verlangten ![]() ![]() | |
C.- Gegen diese Veranlagung erhoben die Gebrüder Ackermann sowie die genannten beiden Aktiengesellschaften Rekurs beim Regierungsrat des Kantons Luzern. Sie machten im wesentlichen geltend, eine Besteuerung auf Grund wirtschaftlicher Betrachtungsweise sei nur zulässig, wenn der Aktienbesitz einer Immobiliengesellschaft übertragen werde. Das treffe hier nicht zu. Von den drei Käufern, welche die Aktien von den Gebrüdern Ackermann übernommen hätten, besitze keiner für sich die Aktienmehrheit. Auch aus diesem Grund könne nicht angenommen werden, wirtschaftlich habe das Verfügungsrecht über die Grundstücke der Gesellschaften gewechselt. 1966 seien in einem andern Fall sämtliche Aktien einer Skilift- und Sesselbahn-AG übertragen worden, ohne dass eine Handänderungssteuer bezogen worden wäre, weshalb es eine rechtsungleiche Behandlung darstelle, im zu beurteilenden Fall die Steuer zu erheben. Es sei auch unrichtig, bei der Besteuerung die beiden Gesellschaften als Käuferinnen zu behandeln. Sie seien nicht Vertragsparteien, sondern Gegenstand des Veräusserungsgeschäfts.
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Der Regierungsrat des Kantons Luzern wies die Beschwerde am 7. Mai 1973 ab, wobei er zur Begründung u.a. ausführt: Der im HGG verwendete Ausdruck "Handänderung" erfasse nicht nur den zivilrechtlichen Eigentumsübergang, sondern ganz allgemein die rechtsgeschäftliche Verschiebung von Grundeigentum. Es lasse sich daher nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ohne Willkür folgern, dass das HGG den wirtschaftlichen und nicht den formellen Eigentumsübergang oder aber beides treffen wolle. In Lehre und Praxis werde überwiegend die Ansicht vertreten, die Übertragung von Beteiligungsrechten begründe nur dann eine Handänderungssteuerpflicht, wenn es sich um Immobiliengesellschaften handle. Gehe man aber vom Grundsatz aus, dass das HGG den wirtschaftlichen und nicht nur den formellen Eigentumsübergang oder ![]() ![]() | |
D.- Gegen den Entscheid des Regierungsrats vom 7. Mai 1973 haben Alfred und Karl Ackermann sowie die Gebr. Ackermann AG und die Stoff AG mit gemeinsamer Eingabe gestützt auf Art. 4 BV staatsrechtliche Beschwerde erhoben, mit der sie die Gutheissung des an den Regierungsrat gerichteten Rekurses verlangen. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit nötig, aus den folgenden Erwägungen.
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E.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern und der Gemeinderat von Entlebuch beantragen Abweisung der Beschwerde.
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2. Karl und Alfred Ackermann haben fast sämtliche Aktien (98,4%) der Gebr. Ackermann AG und die Gesamtheit der Aktien der Stoff AG an ein aus drei Personen bestehendes Konsortium verkauft. Die Grundstücke, die den beiden Aktiengesellschaften gehören, sind damit nicht auf einen andern Eigentümer übergegangen. Zivilrechtlich sind die Eigentumsverhältnisse nach wie vor dieselben. Der Regierungsrat hat indessen angenommen, wirtschaftlich sei das Eigentum an den ![]() ![]() | |
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die von den Beteiligten gewählte Gestaltung der zivilrechtlichen Verhältnisse für die Besteuerung nicht ohne weiteres massgebend. Vielmehr darfunter bestimmten Voraussetzungen auf den wirtschaftlichen Sachverhalt abgestellt werden. Unter dem Gesichtspunkt des in Art. 4 BV verankerten Willkürverbotes ist nur erforderlich, dass für eine sogenannte wirtschaftliche Betrachtungsweise triftige sachliche Gründe bestehen; hingegen wird dort, wo dem Bundesgericht freie Prüfung zusteht, d.h. bei Doppelbesteuerungskonflikten und Streitigkeiten über bundesrechtliche Abgaben, die wirtschaftliche Betrachtungsweise beschränkt auf Fälle, in denen die Gestaltung der zivilrechtlichen Verhältnisse ungewöhnlich, sachwidrig oder absonderlich ist und lediglich der Steuerumgehung dient (BGE 98 Ib 323, BGE 96 I 118, BGE 95 I 143, BGE 94 I 595, BGE 93 I 691, BGE 90 I 221 mit Hinweisen auf frühere Urteile). Die Anwendung dieser Grundsätze durch das Bundesgericht war wohl nicht immer ganz folgerichtig. Es hat die Zulässigkeit der wirtschaftlichen Betrachtungsweise gelegentlich auch unter dem Gesichtswinkel des Art. 4 BV davon abhängig gemacht, dass die gewählte Rechtsgestaltung als den wirtschaftlichen Gegebenheiten völlig unangemessen erscheine und angenommen werden müsse, sie sei missbräuchlich und nur deshalb gewählt worden, um die bei sachgemässer Ordnung der Verhältnisse getroffenen Steuern einzusparen (ASA 27 S. 190; vgl. dazu ARIOLI, Zulässigkeit der wirtschaftlichen Betrachtungsweise nach Art. 4 BV, ASA 34 S. 81 ff, insbesondere S. 87). - Wie in der Rechtslehre mit Grund ausgeführt wurde, ist es auch im Rahmen von Willkürbeschwerden angebracht, je nach dem anwendbaren kantonalen Gesetz die Grenzen der wirtschaftlichen Betrachtungsweise enger oder weiter zu ziehen (ARIOLI, a.a.O. S. 92; im gleichen Sinn auch das in ASA 27 S. 188 ff. veröffentlichte Bundesgerichtsurteil, E. 4). Eine gewisse Zurückhaltung ist am Platz, weil die Besteuerung auf Grund rein wirtschaftlicher Betrachtung im allgemeinen den Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Steuer beeinträchtigt. Der sogenannte Durchgriff bei Aktiengesellschaften, der dazu führt, dass steuerlich die Existenz der Gesellschaften ganz oder teilweise ![]() ![]() | |
b) Nach § 1 HGG ist eine Handänderungsgebühr zu entrichten, wenn eine Liegenschaft "an einen neuen Eigentümer übergeht". Während andere kantonale Steuergesetze den Handänderungen an Grundstücken ausdrücklich die Rechtsgeschäfte gleichstellen, die bezüglich der Verfügungsgewalt über Grundstücke tatsächlich und wirtschaftlich wie Handänderungen wirken (vgl. § 161 Abs. 1 lit. a des Zürcher StG, § 81 Abs. 2 lit. a des Berner StG und § 16 Abs. 1 II Ziff. 2 des Berner Amtsschreibereigesetzes), enthält das luzernische HGG keine entsprechende Norm. Das bedeutet nicht, dass deswegen die wirtschaftliche Betrachtungsweise ausgeschlossen wäre. Die Meinung ZUPPINGERS, die Besteuerung der wirtschaftlichen Handänderung sei ohne gesetzliche Vorschrift überhaupt nur zulässig, wenn eine Steuerumgehung vorliege (Steuerrevue 1969 S. 467), ist an sich überzeugend, doch ist daran festzuhalten, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 4 BV die wirtschaftliche ![]() ![]() | |
c) Es darf auch nicht unbeachtet bleiben, aus welchem Grund die Praxis der Steuerbehörden eingeführt wurde, wonach die Handänderungssteuer trotz gleichbleibender Verhältnisse im zivilrechtlichen Grundeigentum zu erheben ist, wenn die Gesamtheit oder überwiegende Mehrheit der Aktien einer Immobiliengesellschaft die Hand wechselt. Privatpersonen, die Eigentümer von Liegenschaften waren und diese zu veräussern gedachten, gründeten seinerzeit in zunehmendem Mass Aktiengesellschaften, auf welche sie die Liegenschaften übertrugen. Das geschah aus dem einzigen oder hauptsächlichen Grund, um später die mit einer Handänderung verbundenen Steuern zu ersparen. Um diesen Manövern einen Riegel zu schieben, rechtfertigte es sich, in wirtschaftlicher Betrachtung den Übergang des Aktienbesitzes dem Eigentumsübergang gleichzustellen, ![]() ![]() ![]() ![]() | |
d) Soweit zu ersehen, wird denn auch in der Rechtslehre entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts die Ansicht vertreten, die Übertragung des Aktienbesitzes könne steuerlich nur bei Immobiliengesellschaften dem Übergang des Eigentums an den der Gesellschaft gehörenden Grundstücken gleichgestellt werden (BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, 3. A., S. 168; ZUPPINGER, Die wirtschaftliche Handänderung im Steuerrecht, Steuerrevue 1969 S. 455 ff., insbesondere S. 471/2 mit weitern Literaturhinweisen; GRAF, Luzernische Handänderungsgebühren nach Gesetz und Praxis, Diss. Fribourg 1945, S. 49 ff.; GUHL, Die Spezialbesteuerung der Grundstückgewinne in der Schweiz, Diss. Zürich 1953, S. 101; SCHUBIGER, Das zürcherische Grundstückgewinn- und Handänderungssteuerrecht, Diss. Zürich 1942, S. 49; MEIER, Die bernischen Handänderungs- und Pfandrechtsabgaben, Diss. Bern 1946, S. 88 ff.; GRAF, ZBl 39, S. 347/8 und 34 S. 346). Nach § 161 des zürcherischen Steuergesetzes sind, wie ausgeführt, den Handänderungen an Grundstücken Rechtsgeschäfte gleichgestellt, die bezüglich der Verfügungsgewalt über Grundstücke tatsächlich und wirtschaftlich wie Handänderungen wirken. Obschon das Steuergesetz solchermassen die wirtschaftliche Betrachtung ausdrücklich zulässt, steht auch die zürcherische Rechtslehre in Übereinstimmung mit der Praxis auf dem Standpunkt, die Steuer dürfe nur bei Übertragung von Beteiligungen an reinen Immobiliengesellschaften erhoben werden (REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER N 62 zu § 161 StG). Umso mehr muss das bei Anwendung eines kantonalen Steuergesetzes gelten, das wie das luzernische die wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht ausdrücklich vorsieht.
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In der schweizerischen Rechtslehre scheint einzig IRENE BLUMENSTEIN die unterschiedliche steuerliche Behandlung des Aktienübergangs bei Immobiliengesellschaften einerseits und ![]() ![]() | |
Würde man entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts den Grundsatz aufgeben, dass nur Rechtsgeschäfte, die wirtschaftlich einem Grundstückkauf gleichkommen und deren Wirkung sich darin erschöpft, steuerlich wie ein Eigentumsübergang an Grundstücken behandelt werden dürfen, so wäre es auch kaum mehr folgerichtig, das weitere Prinzip aufrechtzuerhalten, wonach die Besteuerung nur erfolgen darf, wenn die gesamte oder die überwiegende Mehrheit der Aktien übertragen wird (BGE 85 I 102); denn es lässt sich die Ansicht vertreten, auch ein Kleinaktionär erwerbe mit dem Kauf einer einzigen Aktie oder einiger weniger solcher Papiere wirtschaftlich irgendwie einen Anteil am Grundbesitz der Gesellschaft. Solche Geschäfte, die mit dem Erwerb von Grundstücken im allgemeinen praktisch nichts zu tun haben, ohne gesetzliche Grundlage der Handänderungssteuer zu unterstellen, ginge klarerweise nicht an. Das zeigt, dass der Rahmen, in welchem die wirtschaftliche Betrachtung zulässig ist, nicht überspannt werden darf.
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4. Die vorstehenden Erwägungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das luzernische HGG sieht die Besteuerung auf Grund wirtschaftlicher Betrachtung im Gegensatz zu andern kantonalen Steuergesetzen nicht ausdrücklich vor; schon deshalb ist Zurückhaltung geboten. Wollte man der Auffassung ![]() ![]() | |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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