17. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau und C. (Beschwerde in Strafsachen) | |
6B_1010/2021 vom 10. Januar 2022 | |
Regeste | |
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; gegen gestützt auf Art. 409 StPO ergangene Rückweisungsbeschlüsse steht die Beschwerde gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht zur Verfügung, es sei denn, die beschwerdeführende Partei rügt mit hinreichender Begründung eine Rechtsverweigerung.
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Der geforderte nicht wieder gutzumachende rechtliche Nachteil kann nicht unbesehen darin erkannt werden, dass im Zeitpunkt einer gegen den Endentscheid erhobenen Beschwerde gemäss Art. 93 Abs. 3 BGG die Rechtsauffassung der Berufungsinstanz in Ermangelung eines aktuellen Rechtsschutzinteresses nicht mehr überprüfbar wäre. Das Heranziehen der (Nicht-)Evidenz und die damit einhergehende materielle Beurteilung des fraglichen Verfahrensfehlers ist kein für die Eintretensfrage gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG taugliches Abgrenzungskriterium (E. 2.2).
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Eine Anfechtung des Rückweisungsbeschlusses ist nicht per se ausgeschlossen. Rügt die beschwerdeführende Partei mit hinreichender Begründung eine Rechtsverweigerung, kann auf das Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils verzichtet werden. Eine Rechtsverweigerung liegt namentlich vor, wenn ein Berufungsgericht im Sinne einer eigentlichen Praxis systematisch Rückweisungsbeschlüsse wegen eines Verfahrensmangels erlässt, der entgegen der gefestigten bundesgerichtlichen Praxis nicht als schwerwiegend bzw. als heilbar zu qualifizieren ist (E. 2.4).
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Sachverhalt | |
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Aus dem erstinstanzlichen Verhandlungsprotokoll und dem Aktenzusammenzug des Urteils vom 2. Juli 2021 ergibt sich, dass die auf den 8. April 2021 anberaumte erstinstanzliche Hauptverhandlung um 21.30 Uhr abgebrochen worden ist. Sämtliche Parteien und damit die Staatsanwaltschaft, C. (Beschuldigter), B.A. (Privatklägerin 1) und A.A. (Privatklägerin 2) erklärten sich bereit, ihre Plädoyers schriftlich einzureichen. Unter Fristansetzung für die Erstattung eines zweiten Vortrages wurden die von den Parteien eingereichten Plädoyers jeweils gegenseitig zugestellt. Sämtliche Parteien erstatteten einen schriftlichen zweiten Vortrag. Die amtliche Verteidigung reichte zudem ein von C. schriftlich erstattetes Schlusswort zu den Akten.
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B.
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B.a Am 13. Juli 2021 erklärte C. Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts Laufenburg vom 2. Juli 2021. Mit Verfügung vom 19. Juli 2021 wurde den Parteien Frist zur Stellungnahme zur Frage des Eintretens auf die Berufung bzw. zur Rückweisung an die Vorinstanz gesetzt. Am 26. Juli 2021 erhob auch die Privatklägerin 1 Berufung. Mit Stellungnahme vom 28. Juli 2021 beantragte die Privatklägerin 2, die Berufung des Beschuldigten sei an Hand zu ![]() ![]() | |
B.b Mit Beschluss vom 4. August 2021 hob das Obergericht des Kantons Aargau das Urteil des Bezirksgerichts Laufenburg vom 2. Juli 2021 auf und wies die Sache zur Wahrung des Instanzenzuges sowie zur Durchführung eines gesetzmässigen Verfahrens an die erste Instanz zurück.
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C. Die Privatklägerin 2 führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Aargau sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
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Erwägung 1 | |
Gegen andere selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur zulässig, wenn diese einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Die Möglichkeit eines Nachteils genügt, jedoch muss dieser rechtlicher Natur sein, welcher später nicht mehr durch einen Endentscheid oder einen anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Entscheid wieder gutgemacht werden kann. Diese Regelung stützt sich auf die Verfahrensökonomie. In seiner Funktion als oberstes Gericht soll sich das Bundesgericht grundsätzlich nur ein Mal mit einem Verfahren beschäftigen müssen, und dies nur dann, wenn sicher ist, dass der Beschwerdeführer tatsächlich einen endgültigen Nachteil erleidet. Rein tatsächliche Nachteile wie eine Verfahrensverlängerung oder -verteuerung reichen nicht aus. Letztinstanzliche kantonale Rückweisungsentscheide bewirken in der Regel keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 144 IV 321 E. 2.3 mit weiteren Hinweisen, 90 E. 1.1.3; ![]() ![]() | |
Erwägung 1.4 | |
1.4.1 Weist das erstinstanzliche Verfahren wesentliche Mängel auf, die im Berufungsverfahren nicht geheilt werden können, so hebt das Berufungsgericht gemäss Art. 409 Abs. 1 StPO das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zur Durchführung einer neuen Hauptverhandlung und zur Fällung eines neuen Urteils an das erstinstanzliche Gericht zurück. Die kassatorische Erledigung durch Rückweisung ist aufgrund des reformatorischen Charakters des Berufungsverfahrens die Ausnahme und kommt nur bei derart schwerwiegenden, nicht heilbaren Mängeln des erstinstanzlichen Verfahrens in Betracht, in denen die Rückweisung zur Wahrung der Parteirechte, in erster Linie zur Vermeidung eines Instanzenverlusts, unumgänglich ist (BGE 143 IV 408 E. 6.1 mit Hinweis auf die Urteile 6B_1302/2015 ![]() ![]() | |
Damit sind grundsätzlich solche Fälle von einer Rückweisung betroffen, in denen keine ordnungsgemässe Hauptverhandlung stattfand bzw. kein ordnungsgemässes oder kein vollständiges Urteil ergangen ist, der Mangel also i.d.R. derart schwer wiegt, dass die Wesentlichkeit in diesem selbst gründet und er auch nicht heilbar ist. Damit einhergehend ist nicht zwingend erforderlich, dass sich der Mangel auf den Entscheid ausgewirkt hat (vgl. ZIMMERLIN, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl. 2020, N. 4 zu Art. 409 StPO; SCHMID/JOSITSCH, Handbuch, a.a.O., Rz. 1576).
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1.4.2 Im Urteil des Bundesgerichts 6B_32/2017 vom 29. September 2017 E. 4 (nicht publ. in: BGE 143 IV 408) ist ausgeführt worden, bei einem Nichteintreten auf die Beschwerde ergebe sich ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG in jedem Fall daraus, dass die (sich in der dortigen Konstellation stellende) Frage, ob die von der ersten Instanz durchgeführte Befragung den gesetzlichen Anforderungen genügt oder ob diese gegebenenfalls von der Berufungsinstanz hätte nachgeholt werden müssen, dem Bundesgericht im Endentscheid nicht mehr unterbreitet werden könne. Diesfalls werde das Kantonsgericht, das an die ![]() ![]() | |
Damit einhergehend wurde indes ausgeführt, dass bei klaren bzw. evidenten [keine Hervorhebungen im Originaltext] Mängeln des erstinstanzlichen Verfahrens wie etwa der offensichtlich unrichtigen Besetzung des Gerichts, der fehlenden Zuständigkeit oder einer nicht gehörigen Verteidigung der Rückweisungsbeschluss nicht der Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht unterliegt. Ein Eintreten auf die Beschwerde erscheine jedoch (und lediglich) in Fällen gerechtfertigt, in denen nicht evident sei, ob ein schwerwiegender und nicht heilbarer Mangel vorliege. Dies steht grundsätzlich im Einklang mit der von den hiervor zitierten Kommentatoren vertretenen Auffassung, welche indes davon ausgeht, dass der Rückweisungsentscheid generell und deswegen nicht der Beschwerde an das Bundesgericht gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG unterliegt, weil er keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur bewirkt (vgl. wiederum Urteil 6B_32/2017 vom 29. September 2017 E. 4 [nicht publ. in: BGE 143 IV 408 ] mit Hinweisen auf SCHMID, Handbuch des Schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, Rz. 1578 und 1653; ders., Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 4 zu Art. 409 StPO; HUG/SCHEIDEGGER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 10 zu Art. 409 StPO).
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Damit kann entgegen der von einem Teil der Lehre (VIKTOR LIEBER, in: Pra 2020 Nr. 114 S. 1098) vertretenen Auffassung aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht pauschal geschlossen werden, die hiervor erwähnten Kommentarstellen erwiesen sich als überholt (vgl. ergänzend die [in den Neuauflagen] nach wie vor vertreteneMeinung von SCHMID/JOSITSCH, Handbuch, a.a.O., Rz. 1578 und 1653; von SCHMID/JOSITSCH, Praxiskommentar, a.a.O., N. 4 zu Art. 409 StPO und von ZIMMERLIN, a.a.O., N. 10 zu Art. 409 StPO). Es wurde vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass gegen Rückweisungsbeschlüsse, die aufgrund von evident schweren und nicht heilbaren Verfahrens ![]() ![]() | |
Im Urteil 6B_1004/2020 vom 23. November 2020 ist das Bundesgericht zum Schluss gekommen, dass mit dem Vorliegen von zwei unterschiedlichen Fassungen des erstinstanzlichen Urteilsdispositivs evident sei, dass ein schwerer Mangel im Sinne der Erwägungen gemäss Ziffer 1.4.1 hiervor vorliegt und trat auf die gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG erhobene Beschwerde nicht ein. Dies korrespondierend damit, dass gemäss Urteil 6B_32/2017 vom 29. September 2017 E. 4 (nicht publ. in: BGE 143 IV 408) gegen Rückweisungsbeschlüsse, die wegen evident schwerer und nicht heilbarer Verfahrensmängel ergangen sind, kein Rechtsmittel zur Verfügung steht (vgl. oben E. 1.4.1 und 1.4.2). Im Urteil 6B_1084/2019 vom 9. September 2020 E. 1.3 trat das Bundesgericht demgegenüber auf die gegen den Rückweisungsbeschluss erhobene Beschwerde mit der Begründung ein, dass nicht evident sei, dass das erstinstanzliche Verfahren wegen unterlassener Beweismassnahmen an einem schweren Verfahrensmangel i.S.v. Art. 409 Abs. 1 StPO leide, der im Berufungsverfahren nicht beseitigt werden könnte. ![]() | |
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Damit einhergehend stellt sich zudem die Frage, ob derselbe Rückweisungsbeschluss mittels Beschwerde gegen den Endentscheid gemäss Art. 93 Abs. 3 BGG (nochmals) anfechtbar ist. Dies, weil trotz des gemäss Urteil 6B_32/2017 vom 29. September 2017 E. 4 (nicht publ. in: BGE 143 IV 408) grundsätzlich immer (durch einen nicht mehr überprüfbaren Rückweisungsbeschluss) drohenden und nicht wieder gutzumachenden rechtlichen Nachteils (vgl. oben E. 1.4.2) und trotz materieller Beurteilung des fraglichen Verfahrensfehlers (und Qualifikation desselben als schwer und nicht heilbar) ein Nichteintretensentscheid ergeht. Nach der gesetzlichen Konzeption des Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG impliziert ein solcher Nichteintretensentscheid aber die Nichtzulässigkeit der Beschwerde mangels eines drohenden rechtlichen Nachteils und schliesst eine Auseinandersetzung mit materiellrechtlichen Fragen aus, weswegen der fragliche Zwischenentscheid unter den Bedingungen von Art. 93 Abs. 3 BGG mit dem Endentscheid anfechtbar ist. ![]() | |
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Ist indes die Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, so sind die betreffenden Vor- und Zwischenentscheide durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken (Art. 93 Abs. 3 BGG). Tritt mithin das Bundesgericht in Ermangelung des entscheidenden Zulassungskriteriums des drohenden nicht wieder gutzumachenden rechtlichen Nachteils gemäss ![]() ![]() | |
Zusammenfassend kann damit der von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG geforderte nicht wieder gutzumachende (rechtliche) Nachteil nicht unbesehen darin erkannt werden, dass im Zeitpunkt einer gegen den Endentscheid erhobenen Beschwerde gemäss Art. 93 Abs. 3 BGG die Rechtsauffassung der Berufungsinstanz in Ermangelung eines aktuellen Rechtsschutzinteresses nicht mehr überprüfbar wäre und erscheint das Heranziehen der (Nicht-)Evidenz und die damit einhergehende materielle Beurteilung des fraglichen Verfahrensfehlers als für die Eintretensfrage gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht taugliches Abgrenzungskriterium. Umso weniger, als damit eine in ![]() ![]() | |
Da Eintretensfragen indes einfach und klar zu handhaben sein sollen, ist die Rechtsprechung einschränkend dahingehend zu präzisieren, dass gestützt auf Art. 409 Abs. 1 StPO erlassene Rückweisungsentscheide grundsätzlich keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken (vgl. so schon BGE 144 IV 321 E. 2.3, m.H. auf BGE 133 IV 139 E. 4 S. 141; BGE 143 IV 175 E. 2.3) und entsprechend gegen letztinstanzlich kantonal ergangene Rückweisungsentscheide die Beschwerde an das Bundesgericht gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG grundsätzlich nicht gegeben ist.
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2.5 Zusammenfassend ergibt sich, dass gegen gestützt auf Art. 409 StPO ergangene Rückweisungsbeschlüsse das Rechtsmittel der ![]() ![]() | |
2.8 Schliesslich ist es nicht so, dass es sich bei der Rechtsfrage, ob die mündliche (recte: schriftliche) Durchführung der Parteivorträge StPO-konfrom sei, um eine solche von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung handelt. Damit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, genügt es nicht, dass sie vom Bundesgericht noch nie entschieden worden ist. Es ist zusätzlich erforderlich, dass eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, die Anlass zu einer offensichtlichen Unsicherheit gibt, die ![]() ![]() ![]() |